Landgericht Stade
Urt. v. 07.09.2004, Az.: 1 S 12/04
Bibliographie
- Gericht
- LG Stade
- Datum
- 07.09.2004
- Aktenzeichen
- 1 S 12/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 42814
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGSTADE:2004:0907.1S12.04.0A
Amtlicher Leitsatz
Begegnen sich zwei Fahrzeuge und wird von dem ersten Fahrzeug ein Stein hochgeschleudert oder löst sich von diesem ein Gegenstand, der mit dem zweiten Fahrzeug kollidiert, so haftet der Halter des ersten Fahrzeugs für die entstandenen Schäden. Dies gilt auch dann, wenn die Natur des Gegenstandes nicht aufklärbar ist.
Tatbestand:
Die Klägerin war Halterin eines Ford Mercedes-Benz 200 E. Mit diesem Fahrzeug befuhren die Zeugen Michael L., Andreas R. und Claudia L. gegen 21.00 Uhr die ehemalige B 6 in Richtung Bremerhaven. In entgegengesetzter Richtung fuhr das bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherte Fahrzeug der Beklagten zu 1).
Als sich die beiden Fahrzeuge begegneten, kam es zur Kollision des klägerischen Pkw mit einem Fremdkörper. Unmittelbar nach der Kollision änderte sich das Fahrverhalten des Klägerfahrzeugs drastisch, sodass der Zeuge Michael L. anhielt und ausstieg. Bei der Besichtigung des Fahrzeugs stellte er einen Plattfuß hinten links fest. Darüber hinaus waren durch die Kollision mit dem Gegenstand am Unterboden des Fahrzeugs erhebliche Schäden entstanden.
Auch die Beklagte zu 1) hielt ihr Fahrzeug an. Auf Frage des Zeugen erklärte sie, weder den Auspuff, noch Teile dann verloren zu haben. Kurze Zeit später fuhr sie weiter. Die Zeugen versuchten ihrerseits, den Gegenstand, mit dem das Fahrzeug kollidiert war, ausfindig zu machen. Dabei fand sich der Schalldämpfer einer Auspuffanlage.
Das Fahrzeug der Klägerin erlitt durch den Unfall einen wirtschaftlichen Totalschaden.
Die Klägerin behauptete, dass sich der fragliche Gegenstand entweder vom Fahrzeug der Beklagte zu 1) gelöst habe, oder von diesem von der Fahrbahn aufgewirbelt worden sei.
Die Beklagten bestritten, dass das Beklagtenfahrzeug einen Gegenstand aufgewirbelt habe. Selbst wenn das aber der Fall gewesen wäre, hätte es sich hierbei um ein unabwendbares Ereignis gehandelt.
Das Amtsgericht wies die Klage ab und führte hierzu aus, dass die bloße Vermutung, der fragliche Gegenstand habe sich vom Beklagtenfahrzeug gelöst, für eine Verurteilung nicht ausreiche. Sollte der Gegenstand aber vom Beklagtenfahrzeug nur aufgewirbelt worden sein, wäre diese Schadensverursachung unvermeidbar gewesen.
Hiergegen richtete sich die Berufung der Klägerin, die ihren ursprünglichen Anspruch vollumfänglich weiter verfolgte.
Gründe
Das Landgericht Stade hat der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt:
"Der Klägerin steht gegen die Beklagten dem Grunde nach ein Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz gemäß § 7 Abs. 1 StVG, bzw. § 3 PflichtversG zu. Aufgrund der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme steht fest, dass die am Fahrzeug der Klägerin entstandenen Schäden durch einen Gegenstand hervorgerufen wurden, der sich entweder zuvor vom Fahrzeug der Beklagte zu 1) gelöst hatte oder ursprünglich auf der Fahrbahn lag und vom Beklagtenfahrzeug aufgewirbelt wurde. Dies ergibt sich aus den Aussagen der Zeugen Michael L. und Andreas R., die beide übereinstimmend angegeben haben, dass sie im Moment der Begegnung beider Fahrzeuge einen nicht näher identifizierbaren Gegenstand erkannt hätten, der aus der Richtung des entgegen kommenden Fahrzeugs geschleudert worden sei.
Zwar haben beide Zeugen zur eigentlichen Herkunft dieses Gegenstandes keine näheren Angaben machen können. Dies steht einem Anspruch aus § 7 Abs. 1 StVG aber nicht entgegen, solange nur mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass der Schaden im Zusammenhang mit dem Betrieb des Beklagtenfahrzeugs entstanden ist. Dem Betrieb eines Fahrzeugs ist jeder Vorgang zuzurechnen, bei dem sich eine dem Kfz typisch innewohnende Gefahr realisiert (vgl. Hentschel, "Straßenverkehrsrecht", 36. Aufl., § 7 StVG, Rn. 4 m.w.N.). Aufgrund des weit zu fassenden Betriebsbegriffes genügt dabei bereits ein naher zeitlicher und örtlicher Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kfz.
Dem Betriebsvorgang ist dabei sowohl das Ablösen von Fahrzeugteilen, als auch das Hochschleudern von auf der Fahrbahn befindlichen Gegenständen zuzurechnen. In beiden Fällen kommt es zum (schadensursächlichen) Ereignis allein deshalb, weil sich das Fahrzeug im Betrieb befindet und durch die auf das Fahrzeug einwirkenden Kräfte bzw. die vom Fahrzeug ausgehenden Einflüsse auf die Umwelt ein schadensursächlicher Geschehensablauf in Gang gesetzt wird. Da sich die typische Gefahr eines Fahrzeugs damit sowohl beim Ablösen von Fahrzeugteilen, als auch beim Hochschleudern von Fremdkörpern realisiert, kann der konkrete Schadensablauf dahingestellt bleiben. Vielmehr genügt es zur hinreichenden Substanziierung des geltend gemachten Anspruchs, einen (oder auch mehrere) Unfallursachen darzustellen, von denen jede eine Haftung des Gegners begründen würde. Welche Ursache konkret eingetreten ist, muss in diesen Fällen nicht näher dargelegt werden. Ausreichend ist vielmehr der Vortrag, dass der geltend gemachte Anspruch auf einer der beiden Möglichkeiten beruht und weitere in Betracht kommende Ursachen ausscheiden, die nicht mit dem Betrieb des Beklagtenfahrzeugs zusammenhängen.
Im vorliegenden Fall ist aufgrund des unmittelbaren örtlichen und zeitlichen Zusammenhangs zwischen Schadenseintritt und Begegnung der beiden Fahrzeuge in Verbindung mit den Aussagen der Zeugen Andras R. und Michael L. davon auszugehen, dass der eingetretene Schaden durch das Beklagtenfahrzeug verursacht wurde, sodass der Tatbestand des § 7 Abs. 1 StVG, bzw. § 3 PflichtversG damit erfüllt ist.
Ein Haftungsausschluss gemäß § 17 Abs. 3 StVG ist nicht gegeben. Die Beklagten haben eine Unvermeidbarkeit des Schadenseintritts nicht darlegen und beweisen können. Dies vorzutragen und ggf. unter Beweis zu stellen, obliegt nämlich demjenigen, der sich auf die Unvermeidbarkeit beruft, im vorliegenden Fall somit den Beklagten (vgl. Hentschel, a.a.O., § 17, Rn. 23 m.w.N.). Die Beklagten haben in diesem Zusammenhang zwar vorgetragen, dass eine Schadensverursachung durch einen auf der Fahrbahn befindlichen Gegenstand unvermeidbar gewesen sei. Zur weiteren Alternative haben sie hingegen nichts vorgetragen. Es kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob das Hochschleudern von Gegenständen, die sich auf der Fahrbahn befinden, stets unvermeidbar ist. Für größere Gegenstände ist das zweifelhaft, für das Ablösen von Fahrzeugteilen gilt dies aber jedenfalls nicht. Die Beklagten hätten sich somit im Zusammenhang mit dem Hochschleudern eines Gegenstandes durch das Beklagtenfahrzeug nur dann auf die Unvermeidbarkeit des Unfalls berufen können, wenn sie gleichzeitig ausgeschlossen hätten, dass der Schaden nicht durch einen vom Beklagtenfahrzeug stammenden Gegenstand verursacht wurde (vgl. Hentschel, a.a.O.).