Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 21.01.2002, Az.: 4 A 660/01
Elternwille; Inobhutnahme; Jugendhilfe; Kostenheranziehung
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 21.01.2002
- Aktenzeichen
- 4 A 660/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 42860
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 91 SGB 8
- § 42 SGB 8
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Heranziehung zum Kostenersatz, den der Beklagte dafür verlangt, dass er dem Sohn des Klägers S. M. in der Zeit vom 19. November bis 27. November 1998 Jugendhilfe gewährt hat.
S. M. war am 19. November 1998 beim Kreisjugendamt erschienen, um um Unterstützung zu bitten. Er habe sich heftig mit seiner Mutter gestritten und wolle nicht wieder nach Hause. Die Mutter habe versucht, ihn einzuschließen. Er habe in der Nacht zuvor bis um 3.30 Uhr mit Kumpels in O.-S. gefeiert und sich entschieden, am Tag darauf nicht zur Schule zu gehen. Er sei dann mit erwachsenen arbeitslosen Kumpeln nach B. gefahren und sehe nicht ein, dass seine Mutter deswegen so einen Aufstand mache. Sie brauche sich keine Sorgen zu machen, wenn ihm einer quer käme, würde er ihn schon verprügeln.
Der Kläger und seine inzwischen von ihm getrennt lebende Ehefrau wurden daraufhin zum Jugendamt eingeladen. Über das Gespräch fertigte die Mitarbeiterin einen Vermerk, aus dem hervorgeht, dass es zwischen S. und seiner Mutter heftige Auseinandersetzungen gegeben habe. Der Vater sei während des Gespräches sachlich geblieben. S. habe geäußert, er wolle seine Eltern nie wiedersehen. Schließlich habe man sich darauf geeinigt, S. in Obhut zu nehmen. Den Eltern sei erklärt worden, dass sie zum Kostenersatz herangezogen würden. Davon seien sie zwar nicht begeistert gewesen, hätten jedoch eingesehen, dass sie S. nur unter Gewaltanwendung mit nach Hause nehmen könnten. S. wurde daraufhin bei einer Familie in H. untergebracht. Am 27. November 1998 ist er dann jedoch in den Haushalt der Eltern zurückgekehrt. Mit Schreiben vom 10. Dezember 1998 wurden der Kläger und seine Ehefrau aufgefordert, Auskünfte über ihre wirtschaftliche Verhältnisse zu erteilen. Es sei zu prüfen, inwieweit ein Kostenbeitrag festzusetzen sei. Mindestens in Höhe des Kindergeldes werde der Einsatz des Einkommens gefordert.
Mit Bescheid vom 17. Mai 1999 forderte der Beklagte den Kläger zur Auskunft über sein Einkommen auf und ordnete den sofortigen Vollzug dieser Entscheidung an. Für den Fall, dass Auskünfte nicht erteilt würden, wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 500,00 DM angedroht.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 9. Juni 1999 Widerspruch ein. Er habe die Mitarbeiter des Jugendamtes bereits vor Beginn der Maßnahme darauf hingewiesen, dass er keine Kosten übernehmen werde, weil die Unterbringung gegen seinen Willen erfolgt sei. Das Kindergeld möge von der er von ihm getrennt lebenden Ehefrau gefordert werden, die dieses auch erhalten habe.
Durch Bescheid vom 15. Oktober 1999 wurde auch die Ehefrau zur Auskunftserteilung aufgefordert.
Mit Widerspruchsbescheid vom 6. Dezember 1999 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Am 21. Januar 2000 wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 500,00 DM festgesetzt und erneut ein Zwangsgeld angedroht, falls bis zum 25. Februar 2000 entsprechende Auskünfte nicht erteilt würden. Nach dem nach fruchtloser Pfändung ein Ersatzhaftantrag gestellt worden war, konnten die wirtschaftlichen Verhältnisse im Wesentlichen geklärt werden. Mit Schreiben vom 10. Juli 2000 wurde der Kläger zur beabsichtigten Heranziehung ebenso auch wie seine von ihm getrennt lebende Ehefrau angehört.
Mit Bescheid vom 21. September 2000 wurde der Kostenbeitrag auf 259,45 DM festgesetzt. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 24. September 2000 Widerspruch ein. Das Kind habe mehrere Tage die Schule geschwänzt und es könne nicht angehen, dass sich Kinder der berechtigten Bestrafung durch die Eltern entziehen, indem sie zum Jugendamt laufen. Dafür könnten die Eltern nicht auch noch die Kosten übernehmen müssen. Die Mitarbeiterin des Jugendamtes habe dem Kind klarmachen müssen, dass es nach Hause zu gehen habe. Im Übrigen sei es während der Inobhutnahme wiederum zu Schulschwänzen gekommen und es seien Straftaten verübt worden.
Durch Widerspruchsbescheid vom 25. April 2001 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Der Kostenbeitrag sei eine zwangsläufige Folge der gewährten Jugendhilfe. Der Kläger habe keine neuen Gründe vorgetragen, die eine andere Entscheidung rechfertigen würden.
Der Kläger hat am 29. Mai 2001 Klage erhoben. Die Jugendhilfe sei ohne sein Einverständnis gewährt worden und er habe von vornherein klargemacht, dass er dafür nichts bezahlen würde. Die Maßnahme habe sich im Übrigen als ungeeignet erwiesen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 21. September 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25. April 2001 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Parteien hätten sich seinerzeit auf die Inobhutnahme verständigt, andernfalls wäre vom Jugendamt die erforderliche vormundschaftsgerichtliche Genehmigung eingeholt worden. Die tatsächlich erfolgte Einigung sei den Gesprächsvermerken, die die Mitarbeiter des Jugendamtes gefertigt haben, zu entnehmen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Streitakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg, weil die angefochtenen Bescheide rechtmäßig sind und den Kläger somit nicht in seinen Rechten verletzen.
Der Kläger ist zu Recht zu einen Kostenbetrag in Höhe von 259,45 DM für die Inobhutnahme seines Sohnes in der Zeit vom 19. November bis 27. November 1998 herangezogen worden.
Nach § 91 Absatz 1 Nr. 6 SGB VIII wird das Kind oder der Jugendliche und dessen Eltern zu den Kosten der Inobhutnahme des Kindes oder des Jugendlichen (§ 42) herangezogen. Nach § 42 Absatz 2 SBG VIII ist das Jugendamt verpflichtet, ein Kind oder einen Jugendlichen in seine Obhut zu nehmen, wenn das Kind oder der Jugendliche um Obhut bittet. Nach Satz 2 dieser Vorschrift hat das Jugendamt den Personensorge- oder Erziehungsberechtigten unverzüglich von der Inobhutnahme zu unterrichten.
Nach Satz 3 der Vorschrift hat das Jugendamt unverzüglich den Jugendlichen dem Personensorgeberechtigten zu übergeben oder eine Entscheidung des Vormundschaftsgerichts über die erforderlichen Maßnahmen zum Wohl des Kindes oder des Jugendlichen herbeizuführen, wenn der Personensorge- oder Erziehungsberechtigte der Inobhutnahme widerspricht. Im vorliegenden Fall lagen die Voraussetzungen für die Hilfegewährung nach § 42 Absatz 2 SGB VIII vor, weil der Sohn S. des Klägers sich mit dem Jugendamt des Beklagten am 19. November 1998 in Verbindung gesetzt hatte, um um seine Inobhutnahme zu bitten. Grund für diese Bitte waren erhebliche Auseinandersetzungen mit der Mutter des Hilfeempfängers. Das Jugendamt des Beklagten ist seiner gesetzlichen Verpflichtung, die Sorgeberechtigten unverzüglich über die Inobhutnahme zu unterrichten, ohne Zweifel nachgekommen. Fraglich ist vorliegend allein, ob die Personensorgeberechtigten der Inobhutnahme bei dem vereinbarten Gespräch widersprochen haben, was zwangsläufig dazu geführt hätte, dass der Jugendliche den Eltern zu übergeben oder dass eine vormundschaftsgerichtliche Entscheidung herbeizuführen war. Das Jugendamt hat danach keinesfalls aus eigenem Recht die Möglichkeit, den Hilfesuchenden gegen den Willen der Personensorge- und Erziehungsberechtigten weiterhin in Obhutnahme zu behalten, selbst wenn das Kind dies ausdrücklich wünschen sollte. Eine solche Maßnahme gegen den Willen des Personensorgeberechtigten kann nur ein Gericht anordnen (BVerwG, Urteil vom 24.06.1999, NDV-RD 2000 Seite 4 [BVerwG 24.06.1999 - BVerwG 5 C 24/98]; Lakis, ZfJ 1952, 49, 51). Allerdings kann von einem Widerspruch der Personensorgeberechtigten im Sinne des § 42 Absatz 2 Satz 3 SGB VIII nur dann ausgegangen werden, wenn die Personensorgeberechtigten erklären, dass sie mit einer Unterbringung bzw. Inobhutnahme nicht einverstanden sind. Entgegen der Auffassung des Klägers ist nach Ansicht des Gerichts ein diesen inhaltlichen Anforderungen genügender Widerspruch gegenüber dem Jugendamt der Beklagten nicht erfolgt. Dabei kann die Aussage des Klägers als richtig unterstellt werden, dass er seiner Inanspruchnahme zu einem Kostenbeitrag widersprochen hat. Ein ausdrücklicher Widerspruch zu der Inobhutnahme ist aber offenkundig nicht erfolgt, denn die Bereitschaft allein, den Sohn wieder bei sich aufnehmen zu wollen, reicht insoweit nicht aus. Denn es war die konkrete Situation des Hilfeempfängers zu berücksichtigen, der in das Elternhaus ausdrücklich nicht zurückkehren wollte. In einem derartigen Fall muss der Personensorgeberechtigte unzweideutig erklären, dass er der Inobhutnahme widerspricht. Das ist seitens der Eltern seinerzeit offenbar nicht geschehen. Vielmehr bestätigt die Aussage des Klägers in der mündlichen Verhandlung, dass das Kind notfalls mit Gewalt hätte nach Hause gebracht werden müssen, die seinerzeit offenbar herrschende Hilflosigkeit , die durch das Verhalten des Sohnes herbeigeführt worden war und die zu diesem Zeitpunkt schon zu mehreren Kontakten zum Jugendamt geführt hatte. Damit erscheinen auch unter Berücksichtigung des Vortrags des Klägers die Darstellungen des Beklagten, dass diese im konkreten Zeitpunkt auch nicht wussten, wie sie mit ihrem Sohn umgehen sollten, als zutreffend und glaubwürdig. Die Tatsache, dass der Sohn des Klägers ab 10. Januar 1999 im Rahmen der Jugendhilfe in einem Internat untergebracht wurde, bestätigt letztlich die offene Situation in dem damaligen Zeitraum. Hinsichtlich der Deutlichkeit der gegen eine Inobhutnahme gerichteten Erklärung folgt die Kammer der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Würzburg (Urteil vom 22. März 2000, NDV-RD 2000, 79,80). Danach muss der Widerspruch gegen eine vorläufige Inobhutnahme unmissverständlich sein und das zuständige Jugendamt ist erst dann nach Rückführung des Hilfeempfängers bzw. zur Einholung der Entscheidung des Vormundschaftsgerichts verpflichtet, wenn für das Jugendamt nach eigenem Ermessen feststeht, dass eine gemeinsame Perspektive für den Hilfeempfänger mit allen Beteiligten nicht erarbeitet werden kann. Dies folgt nicht zuletzt aus der Pflicht des zuständigen Jugendamtes, dem Rechtanspruch eines Hilfesuchenden auf Beratung und Unterstützung gerecht zu werden. Das zuständige Jugendamt hat insoweit die Aufgabe, alle Beteiligten für eine gemeinsame Perspektive zu gewinnen. Erst wenn dies nicht möglich ist, ist die Rückführung des Jugendlichen oder die Einholung der Entscheidung des Vormundschaftsgerichts geboten (Münder, LPK - KJHG 1998, Rnr. 11 zu § 42; BVerwG aaO). Eine derartige Perspektive war offenkundig zu dem damaligen Zeitpunkt, in dem der Sohn des Klägers sich weigerte, in den elterlichen Haushalt zurückzukehren, nur noch darin gesehen worden, S. vorübergehend in einer Pflegefamilie unterzubringen. Insoweit ist im Sinne des § 42 SGB VIII von einer einvernehmlichen Inobhutnahme auszugehen, so dass sie als rechtmäßig anzusehen ist. Ob insoweit sogar von einem Einverständnis aller Beteiligten auszugehen ist, wie es dem Vermerk des Jugendamtes vom 23. November 1998 zu entnehmen ist, kann daher dahingestellt bleiben.
Der Umfang der Heranziehung richtet sich nach § 93 SGB VIII. Hinsichtlich der Höhe der Heranziehung hat der Kläger Einwendungen nicht erhoben. Fehler in der Berechnung sind auch nicht erkennbar.
Die Klage war daher abzuweisen. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens gem. § 154 Absatz 1 VwGO zu tragen. Gerichtskosten werden gem. § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben.