Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 17.01.2002, Az.: 1 B 1610/01

bedeutsame Verkehrs- bzw. Strafvorschriften; Doppelbegutachtung; Fahrerlaubnis; Kraftfahrereignung; Wiedererteilung

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
17.01.2002
Aktenzeichen
1 B 1610/01
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 42354
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Gründe

1

I. Der Antragsteller begehrt die (Neu-)Erteilung der Fahrerlaubnis für PKW und LKW. Ihm war mit Strafbefehl des Amtsgerichts C. vom 11. Januar 2000 die Fahrerlaubnis entzogen worden, nachdem er am 12. November 1999 als Führer eines Lastkraftwagens trotz unübersichtlicher Straßenverhältnisse und Gegenverkehrs überholte und bei Herannahen des Gegenverkehrs zur Vermeidung einer Frontalkollision auf den rechten Fahrstreifen ausweichen musste, wobei ein anderer Verkehrsteilnehmer gefährdet wurde. Der Antragsteller hatte am 20. Oktober 2000 bei dem Antragsgegner den Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis gestellt. Mit Strafbefehl vom 13. November 2000 verurteilte ihn das Amtsgericht S. zu einer Geldbuße von 400,00 DM, nachdem er am 29. Juni 2000 in H. ein Kraftfahrzeug führte, ohne im Besitz der erforderlichen Fahrerlaubnis zu sein. Zugleich wurde die Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis auf 1 Jahr festgesetzt.

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Der Antragsteller ist zuvor dadurch straffällig geworden, dass er wegen einer am 16. November 1996 begangenen Tat durch das Amtsgericht P. am 21. März 1997 wegen Fälschung technischer Aufzeichnungen in zwei tateinheitlichen Fällen zu 30 Tagessätzen von je 60,00 DM bestraft wurde. Ferner wurde er durch das Amtsgericht C. am 28. Juli 1997 wegen einer im Frühjahr 1996 begangenen Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten verurteilt. Am 16. September 1999 hatte er die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 24 km/h überschritten. Darüber hinaus erging ein Bußgeldbescheid, weil der Antragsteller am 13. Januar 2000 einen Sattelzug mit erheblichen Mängeln geführt hatte. Der Antragsgegner folgerte aus alledem, dass Zweifel an der Eignung des Antragstellers zur Führung von Kraftfahrzeugen bestehen. Mit Schreiben vom 13. August 2001 forderte er den Antragsteller daher auf, ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorzulegen, das Aufschluss über die Frage geben soll, ob zu erwarten ist, dass der Antragsteller zukünftig erheblich gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen verstoßen werde. Der Antragsteller verweigerte jedoch sein Einverständnis zur Mitwirkung bei der Einholung dieses Gutachtens. Er meint im Wesentlichen, die Anordnung eines medizinisch-psychologisches Gutachten sei rechtswidrig und unverhältnismäßig, weil allenfalls eine alleinige medizinische Begutachtung gerechtfertigt sei. Aus den bisherigen Auffälligkeiten sei im Übrigen nicht der Schluss zu ziehen, dass der Antragsteller sich als Führer eines Kraftfahrzeuges künftig nicht verkehrsgerecht oder umsichtig verhalten werde. Dabei müsse zudem berücksichtigt werden, dass die den Urteilen oder Bescheiden zugrunde liegenden Sachverhalte im Einzelnen überbewertet worden seien.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 12. November 2001 wies die Bezirksregierung L. den Widerspruch zurück. Die im Einzelnen bezeichneten Verstöße würden deutlich machen, dass Zweifel an der Geeignetheit des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen bestehen. Der Antragsteller sei daher zu Recht aufgefordert worden, ein entsprechendes Gutachten einzuholen, das diese Zweifel ausräumt. Da der Antragsteller an der Einholung dieses Gutachtens die erforderliche Mitwirkung verweigert habe, müsse die Erteilung der Fahrerlaubnis abgelehnt werden.

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Der Antragsteller hat am 27. November 2001 um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht und am 30. November 2001 Klage erhoben.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Streitakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners Bezug genommen.

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II. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.

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Das Gericht kann zwar gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn die Regelung zur Abwendung von wesentlichen Nachteilen oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Eine einstweilige Anordnung, die - wie hier - die Hauptsache vorweg nimmt, darf nur ergehen, wenn es das Prinzip des effektiven Rechtsschutzes (Artikel 19 Abs. 4 GG) gebietet. Ein solcher Fall liegt dann vor, wenn dem Rechtsuchenden ohne den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung schwerwiegende Nachteile drohen, die sich bei einem späteren Erfolg in der Hauptsache nicht mehr ausgleichen lassen. Es muss darüber hinaus die deutlich überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür sprechen, dass der vom Rechtsuchenden geltend gemachte Anspruch besteht.

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Nach diesen Grundsätzen kann die begehrte einstweilige Anordnung nicht ergehen. Dabei kann offen bleiben, ob im vorliegenden Fall gerichtlicher Rechtsschutz zwingend erforderlich ist. Der Antragsteller hat insoweit die Dringlichkeit nicht glaubhaft gemacht. Es muss jedoch davon ausgegangen werden, dass er geltend machen will, dass er die Fahrerlaubnis bezüglich des Lastkraftwagens aus beruflichen Gründen braucht und daher mit der Wiedererteilung nicht unerhebliche Nachteile beseitigt werden könnten. Diese Frage kann jedoch letztlich deshalb offen bleiben, weil dem Antragsteller jedenfalls ein Anordnungsanspruch mit großer Wahrscheinlichkeit nicht zur Seite steht. Eine Fahrerlaubnis darf nur dann neu erteilt werden, wenn die körperliche und geistige Eignung des Fahrerlaubnisbewerbers zum Führen von Kraftfahrzeugen positiv gegeben ist (§ 2 Abs. 2 Ziffer 3 Straßenverkehrsgesetz - StVG -, §§ 11 Abs. 1, 20 Abs. 1 Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV -). Nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand steht die Eignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mit dem für den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung notwendigen Grad der Wahrscheinlichkeit fest. Die Weigerung des Antragsgegners, dem Antragsteller erneut eine Fahrerlaubnis zu erteilen, erscheint vielmehr eher rechtens, weil hinreichende Zweifel an der erforderlichen Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen hinsichtlich des Antragstellers bestehen, die die Anordnung des Antragsgegners, den Antragsteller zu einer medizinisch-psychologischen Eignungsbegutachtung aufzufordern, gerechtfertigt erscheinen. Der Antragsteller hat daher dieser Aufforderung ohne zureichenden Grund nicht Folge geleistet, woraus auf seine Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zu schließen ist.

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Es liegen hier ausreichend Tatsachen vor, die Bedenken gegen die Kraftfahreignung des Antragstellers begründen. Zweifel an der Eignung ergeben sich aus den bekannten und im Einzelnen bezeichneten Verstößen des Antragstellers gegen strafrechtliche Bestimmungen und aus den Verkehrverstößen. Die Art und die Häufigkeit der Delikte in einem relativ kurzen Zeitraum lassen Zweifel rechtfertigen, dass der Antragsteller die erforderliche Vorsicht und gegenseitige Rücksicht walten lassen wird, die die aktive Teilnahme am Straßenverkehr erfordert (§ 1 StVO). Die Bezirksregierung L. hat in dem Widerspruchsbescheid vom 12. November 2001 deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die Art und die Häufigkeit der Verstöße die Entscheidung des Antragsgegners rechtfertigen konnten. Dem folgt die Kammer in vollem Umfang. Das von dem Antragsteller dagegen im gerichtlichen Verfahren Vorgetragene vermag die Entscheidung nicht zu ändern. Vielmehr ist der Vortrag teilweise eher geeignet, die dargelegte Auffassung zu unterstützen. Dies gilt insbesondere, soweit der Antragsteller nunmehr geltend macht, er sei bei der erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitung nicht selbst gefahren, sondern eine Freundin habe das Kraftfahrzeug geführt. Ein gewissenhafter Verkehrsteilnehmer, der bereits in nicht unerheblichem Umfang aufgefallen war und dem eine derartige Ordnungswidrigkeit zur Last gelegt wird, wird zweifellos darauf bedacht sein, dies in dem dafür vorgesehenen Verfahren richtig stellen zu lassen. Soweit der Antragsteller nunmehr in dem Verfahren auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis Derartiges geltend macht, kann er damit jedenfalls zu seinen Gunsten nicht mehr gehört werden.

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Die Anordnung des Antragsgegners, ein Gutachten einer medizinisch-psychologischen Untersuchungsstelle beizubringen, ist auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit nicht zu beanstanden. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Forderung einer Doppelbegutachtung sowohl in medizinischer als auch in psychologischer Hinsicht. Eine solche Aufforderung ist regelmäßig dann rechtmäßig, insbesondere verhältnismäßig, wenn ein Kraftfahrer mehrfach gegen für die Verkehrssicherheit bedeutsame Verkehrs- bzw. Strafvorschriften verstoßen hat (vgl. z.B. OVG Lüneburg, Urteil vom 10.05.1993 - 12 L 1061/91 -).

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Das war hier der Fall, so dass schon von daher die Einholung des Gutachtens erforderlich war. Mit einer allein medizinischen Untersuchung könnte im Übrigen die hier erforderliche Prognose, ob zu erwarten ist, dass der Antragsteller künftig Straftaten im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr oder im Zusammenhang mit der Fahreignung begehen wird, nicht erstellt werden. Es liegt vielmehr auf der Hand, dass die erwarteten Antworten nicht allein von einer routinemäßigen medizinischen Grunduntersuchung erwartet werden können.

12

Der Antragsgegner durfte daher gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung des Antragstellers schließen, der das geforderte Gutachten nicht beigebracht hat. Die Nichtvorlage des Gutachtens indiziert das Vorliegen von Mängeln, die die Kraftfahrteignung ausschließen und somit verborgen werden sollen. Da die Zweifel somit nicht ausgeräumt sind, kann keinesfalls davon ausgegangen werden, dass die von dem Antragsteller eingereichte Klage im Wesentlichen Erfolg haben wird. Somit kann auch der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht erfolgreich sein mit der Folge, dass der Antrag mit der sich aus § 154 Abs. 1 VwGO ergebenden Kostenfolge abzulehnen ist.