Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 25.01.2002, Az.: 1 B 1801/01

Drogen; Ecstasy; Entziehung; Fahreignung; Fahrerlaubnis; Fahrtüchtigkeit; MPU

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
25.01.2002
Aktenzeichen
1 B 1801/01
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 42360
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Betäubungsmittelkonsum rechtfertigt das Verlangen eines MPU-Gutachtens

Gründe

1

I. Der im Oktober 1980 geborene Antragsteller hatte im September 2000 eine Fahrerlaubnis der Klassen B und ML erhalten, die ihm zunächst für die Dauer von zwei Jahren auf Probe erteilt worden war. In den Abendstunden des 2. März 2001 hatte der Antragsteller eine Ecstasy-Tablette eingenommen und anschließend ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr geführt. Durch Bußgeldbescheid vom 3. Juli 2001 wurde ihm ein Fahrverbot von einem Monat auferlegt. Durch Bescheid vom 4. September 2001 ordnete der Antragsgegner die Teilnahme an einem besonderen Aufbauseminar für einen unter Drogeneinfluss aufgefallenen Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe an. Eine schriftliche Bestätigung über den erfolgreichen Abschluss des Aufbauseminars war dem Antragsgegner bis zum 19. Oktober 2001 vorzulegen.

2

Aus der polizeilichen Ermittlungsakte ergab sich, dass in einem Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin G. vom 25. April 2001 festgestellt worden war, dass sich im Blut des Antragstellers am 3. März 2001 der Wirkstoff Methylendioxymetamphetamin (MDMA) befunden hatte. Nach Anhörung wurde dem Antragsteller daraufhin die Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen durch Bescheid des Antragsgegners vom 10. Oktober 2001 entzogen. Dieser Bescheid wurde für sofort vollziehbar erklärt. Gegen den Bescheid hat der Antragsteller mit Schreiben des Bevollmächtigten vom 5. November 2001 Widerspruch eingelegt, der mit Schriftsatz vom 19. Dezember 2001 begründet wurde. Die Entziehungsverfügung sei bereits deshalb rechtswidrig, weil dem Antragsteller mit Bescheid vom 4. September 2001 auferlegt worden sei, seine Fahreignung durch Ableistung eines Aufbauseminars unter Beweis zu stellen. Dieser Bescheid sei bislang unerledigt. Danach seien derzeit zwei Bescheide, die den gleichen Sachverhalt betreffen, in der Welt, die unterschiedliche Regelungen treffen. Es müsse daher der erste Bescheid gelten, dem der Antragsteller Folge leisten werde. Der Antragsteller sei im Übrigen nur ein einziges Mal unter Einfluss von Drogen im Straßenverkehr aufgefallen. Weitere Zuwiderhandlungen habe es nie gegeben. In dem Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin werde im Übrigen dargestellt, dass die konsumierte Menge nicht auf absolute Fahruntüchtigkeit schließen lasse. Aus diesem Grund sei das Verfahren an die Bußgeldstelle abgegeben worden. Der Antragsteller habe bereits zuvor zweimal aus Neugierde eine Ecstasy-Tablette eingenommen. Dies sei an Wochenenden im Februar 2001 ebenfalls in der Diskothek I. B.a aus reiner Neugierde, die durch den Bekanntenkreis hervorgerufen wurde, erfolgt. Ihm sei jedoch klargeworden, dass die Einnahme unsinnig sei. Er habe im Übrigen aber nicht gewusst, dass die Nachwirkungen noch 5 Stunden nach der Einnahme erkennbar seien. Die Verhältnisse des Antragstellers hätten sich durch seine jetzige Freundin und durch die Arbeitsstelle stabilisiert. Er würde daher der Verpflichtung zur Teilnahme am Aufbauseminar nachkommen, ungeeignet zum Führen eines Kraftfahrzeuges sei er hingegen nicht.

3

Am 17. Dezember 2001 hat der Antragsteller um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht und dabei auf die Begründung seines Widerspruches Bezug genommen.

4

Der Antragsgegner hält den Antrag für unbegründet.

5

Die Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners wurden beigezogen. Auf den Inhalt wird wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen.

II.

6

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat keinen Erfolg. Der Antragsgegner hat die sofortige Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung in formell ordnungsgemäßer Weise angeordnet und in ausreichender Weise schriftlich begründet, warum das besondere Interesse an dem Sofortvollzug als gegeben erachtet wird (§ 80 Abs. 2 und 3 VwGO). Aus materiell-rechtlichen Gründen besteht kein Anlass, die aufschiebende Wirkung des gegen den Bescheid erhobenen Rechtsbehelfs wiederherzustellen. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung ist regelmäßig gerechtfertigt, wenn nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sachlage und dem gegenwärtigen Erkenntnisstand der Rechtsbehelf des Antragstellers keine Aussicht auf Erfolg haben wird. Dies ist im vorliegenden Fall anzunehmen. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG hat die Straßenverkehrsbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber der Fahrerlaubnis als zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet erwiesen hat. Von einer fehlenden Fahreignung ist insbesondere dann auszugehen, wenn ein Mangel nach Anlage 4 oder 5 zur Fahrerlaubnisverordnung (FeV) vorliegt, durch den die Eignung oder die bedingte Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen wird (§ 11 Abs. 1 Satz 1 FeV). Ein solcher Mangel ist die Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (Nr. 9.1 der Anlage 4 zu den §§ 11 f. FeV), ohne dass bereits eine Abhängigkeit von diesen Stoffen bestehen muss. Im Anschluss an den Nachweis der Einnahme von Betäubungsmitteln der genannten Art ist in aller Regel eine Abstinenz von einem Jahr nachzuweisen, bevor von einer Dauerhaftigkeit der Entwöhnung oder von einer Abkehr vom Drogenkonsum ausgegangen werden kann. Selbst bei einer nur gelegentlichen Einnahme der Designerdroge Ecstasy als nicht verkehrsfähiges und nicht verschreibungsfähiges Betäubungsmittel kann die Fahreignung regelmäßig nicht mehr angenommen werden. Die vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse, die durch das Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin in G. bestätigt werden, gehen von einer deutlichen Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit durch Ecstasy aus. Die Einnahme führt zunächst zu einem übersteigerten Selbstbewusstsein und zur Kritiklosigkeit. In der Spätphase kommt es dann häufig zu Erschöpfungszuständen und plötzlichem Leistungsabfall und starker Müdigkeit. Die zusätzlichen halluzinogenen Wirkungen führen häufig zur Verzerrung der Sinneswahrnehmung, die die Fahrtüchtigkeit in vielfältiger Weise schwer beeinträchtigen kann. Der Antragsteller hat nach seinem eigenen Vortrag im Abstand von etwa zwei Wochen dreimal jeweils in der gleichen Diskothek Ecstasy eingenommen. Im dritten Fall sind die bezeichneten Wirkungen bei dem Antragsteller eingetreten, wobei er bei dem erneuten Besuch der Diskothek unter Einsatz seines Kraftfahrzeuges wissen musste, dass es wiederum zu Ecstasy-Konsum kommen konnte. Die Tatsache, dass der Antragsteller nicht mit einer Fortwirkung noch 5 Stunden nach der erfolgten Einnahme gerechnet hat, ändert nichts an der zutreffenden Entscheidung, weil die besondere Gefährlichkeit der Einnahme gerade in dieser Fehleinschätzung und Selbstüberschätzung mit plötzlichem Leistungsabfall liegt. Bei Erlass der Fahrerlaubnis-Verordnung, in die die Ziffer 9.1 Eingang gefunden hat, waren die wesentlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Konsum von Ecstasy bekannt. Daher wurde bewusst darauf verzichtet, für die Annahme der Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen eine regelmäßige und wiederholte Einnahme zu fordern. Im Falle des Antragstellers ist aber sogar schon eine gewisse Regelmäßigkeit durch den dreimaligen zugestandenen Konsum in gleichen Abständen nicht von der Hand zu weisen.

7

Die Tatsache, dass der Antragsgegner zuvor gemäß § 2 a Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 2 b Abs. 2 Satz 2 StVG die Teilnahme an einem Aufbauseminar angeordnet hatte, ändert an der Rechtmäßigkeit der Fahrerlaubnisentziehung nichts. Vielmehr erging die zweite Verfügung nach Vorlage des Gutachtens des Instituts für Rechtsmedizin, und in der Entziehungsverfügung ist zweifellos zugleich die Aufhebung der Verfügung vom 10. Oktober 2001 inzident enthalten.

8

Wegen der bei einer Verkehrsteilnahme von dem Antragsteller ausgehenden Gefährdung für andere Personen ist daher im öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung der angefochtenen Maßnahme festzuhalten. Der Antrag war mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.