Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 21.01.2002, Az.: 6 B 61/02

Abschiebungshindernis; Gesundheitsversorgung; inländische Fluchtalternative; posttraumatische Belastungsstörung; Russische Föderation; Russland; Tschetschenien

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
21.01.2002
Aktenzeichen
6 B 61/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 41624
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Gründe

1

Der neuerliche Antrag des Antragstellers, unter Abänderung des Beschlusses des Gerichts vom 13. Dezember 2001 - 6 B 1657/01 - die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsandrohung in dem Bundesamtsbescheid vom 05. Juli 2001 anzuordnen, bleibt ohne Erfolg.

2

Gemäß § 80 Abs. 7 VwGO kann das Gericht der Hauptsache Beschlüsse über Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO jederzeit ändern oder aufheben (Satz 1). Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen (Satz 2). Im vorliegenden Fall liegen jedoch Umstände, welche eine Änderung des Beschlusses des Gerichts vom 13. Dezember 2001 rechtfertigen, nicht vor.

3

Das Gericht hat in seinem Beschluss vom 13. Dezember 2001 festgestellt, dass das Bundesamt den Antrag des Antragstellers auf Anerkennung als Asylberechtigter zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt und ebenso zu Recht entschieden hat, dass dem Antragsteller Abschiebungsschutz gemäß § 51 Abs. 1 AuslG offensichtlich nicht zusteht. Das Gericht hat ausgeführt, dass der Antragsteller die Russische Föderation offensichtlich unverfolgt verlassen hat und sich offensichtlich aus asylfremden Gründen im Sinne des § 30 Abs. 2 AsylVfG im Bundesgebiet aufhält.

4

Er hat nach seinem Vorbringen Tschetschenien wegen der dortigen bewaffneten Auseinandersetzungen - seinen Angaben zufolge auf Drängen seiner Eltern - verlassen. Dabei handelt es sich um asylfremde Gründe. Was die Verhältnisse in Tschetschenien anlangt, steht ihm zudem eine inländische Fluchtalternative in der Russischen Föderation zur Verfügung. Dies hat das Bundesamt in dem angefochtenen Bescheid zutreffend festgestellt. Das Gericht hat sich dieser Auffassung des Bundesamtes in dem Beschluss vom 13. Dezember 2001 angeschlossen und dies im Einzelnen begründet (Umdruck S. 3 ff.). Das Gericht hat an dieser Einschätzung in dem Beschluss vom 27. Dezember 2001 - 6 B 1805/01 -, mit dem es den - ersten - Änderungsantrag des Antragstellers vom 25. Dezember 2001 abgelehnt hat, festgehalten (Umdruck S. 3). Umstände, die eine dem Antragsteller günstigere Beurteilung rechtfertigen, sind dem neuerlichen Änderungsantrag vom 15. Januar 2002, eingegangen am 16. Januar 2002, nicht zu entnehmen.

5

Das Vorbringen des Antragstellers in seinem neuerlichen Änderungsantrag vermag auch die Einschätzung des Gerichts in dem Beschluss vom 13. Dezember 2001, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG bei dem Antragsteller ebenfalls nicht vorliegen, nicht zu erschüttern. Insbesondere ist nach wie vor nicht zu erkennen, dass bei dem Antragsteller die Voraussetzungen für ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG vorliegen.

6

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG sind bei dem Antragsteller nicht im Hinblick auf seinen Gesundheitszustand anzunehmen. Zwar kann die Gefahr, dass sich die Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers in den Staat, in den er abgeschoben werden soll, verschlimmert, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend sind, ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG darstellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. November 1997 - BVerwG 9 C 58.96 - BVerwGE 105, 383, 384 ff; BVerwG, Urteil vom 21. September 1999 - BVerwG 9 C 8.99 -). Das Gericht hat im Beschluss vom 27. Dezember 2001 - 6 B 1805/01 - ausgeführt, es sei nicht erkennbar, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen eines solchen zielstaatbezogenen Abschiebungshindernisses bei dem Antragsteller vorliegen (Umdruck S. 4 f.). Das Vorbringen des Antragstellers in seinem neuerlichen Änderungsantrag rechtfertigt eine ihm günstigere Einschätzung nicht.

7

Zwar stellt der Facharzt für Psychiatrie und Neurologie Dr. med. B. aus S. - in seiner Stellungnahme vom 3. Januar 2002 fest, bei dem Antragsteller liege eine schwere posttraumatische Belastungsstörung (F 43.1 in Diagnoseklassifikation ICD 10) vor; die posttraumatische Störung sei verursacht durch traumatisierende Erfahrungen, die der Antragsteller in Tschetschenien gemacht habe. Nähere Einzelheiten teilt der Facharzt insoweit allerdings nicht mit. Auch fällt auf, dass sich der Antragsteller, der sich am 28. März 2000 als Asylsuchender im Bundesgebiet gemeldet hat, erst im November 2001 an das Refugium in Stade mit der Bitte gewandt hat, der Facharzt Dr. B. möge ihn in Behandlung nehmen, "da es ihm seelisch sehr schlecht ginge." Doch auch wenn man zu Gunsten des Antragstellers, der in Tschetschenien nach eigenen Angaben Vizepräsident eines Karatevereins und leitender Karatetrainer gewesen ist, unterstellt, dass bei ihm eine posttraumatische Belastungsstörung vorliegt, gibt es nach wie vor keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass sich der Gesundheitszustand des Antragstellers bei einem Aufenthalt in den Gebieten der Russischen Föderation, die nicht von den kriegerischen Auseinandersetzungen in und um Tschetschenien betroffen sind, dort in lebensgefährdender Weise verschlimmern würde.

8

Die medizinische Grundversorgung in Russland ist theoretisch grundsätzlich ausreichend (vgl. den Lagebericht des Auswärtigen Amtes - AA - vom 28. August 2001). Allerdings ist medizinische Hilfe heute in Russland eine Kostenfrage. Die Zeiten der kostenlosen sowjetischen Gesundheitsfürsorge sind vorbei, eine beitragsfinanzierte medizinische Versorgung ist erst in der Planung begriffen (AA, wie vor). Theoretisch hat jeder russische Bürger das Anrecht auf eine kostenfreie medizinische Grundversorgung, doch in der Praxis werden zumindest aufwendigere Behandlungen erst nach privater Bezahlung durchgeführt (vgl. den Lagebericht des AA vom 28. August 2001 und die Auskunft des AA an das VG Schleswig vom 12. September 2001). Die Versorgung mit Medikamenten ist zumindest in den Großstädten gut (vgl. den Lagebericht des AA vom 28. August 2001). Standardschmerzmittel sind in der Russischen Förderation erhältlich. Standardschmerzmittel aus russischer Produktion sind relativ preiswert (vgl. die Auskunft des AA vom 15. Januar 2001 an das VG Oldenburg; siehe auch die Auskunft des AA an das VG Stuttgart vom 13. Juni 2001). Es gibt in der Russischen Förderation auch ambulant behandelnde Psychiater und Psychologen (vgl. die Auskunft des AA vom 13. Juni 2001). Die medizinische Notfallversorgung ist in den meisten Regionen der Russischen Förderation gewährleistet (vgl. die Auskunft des AA vom 12. September 2001 an das VG Schleswig).

9

Zwar ist die medizinische Versorgung in der russischen Teilrepublik Tschetschenien nicht gewährleistet (vgl. den Lagebericht des AA vom 28. August 2001). Darauf kommt es jedoch nicht an, weil dem Antragsteller eine inländische Fluchtalternative im russischen Kernland zur Verfügung steht.

10

Der fachärztlichen Stellungnahme des Dr. B. vom 3. Januar 2002 lässt sich nicht entnehmen, dass sich die von ihm attestierte "schwere posttraumatische Belastungsstörung" bei einem Aufenthalt des Antragstellers in Gebieten der Russischen Förderation, die nicht von den kriegerischen Auseinandersetzungen in und um Tschetschenien betroffen sind, dort in lebensgefährdender Weise verschlimmern würde. Soweit Dr. B. aus seiner -subjektiven, nicht fachärztlichen - Sicht zu der aktuellen Situation in Tschetschenien Stellung nimmt, kommt es darauf, wie bereits festgestellt, nicht an. Soweit er ausführt, der Antragsteller verbinde mit der Russischen Förderation "Todesängste" und die Durchführung einer Abschiebung sei mit der Gefahr verbunden, "dass er in völlige Panik gerät und dann gegen sich selbst gerichtete (und möglicherweise auch gegen andere Menschen) lebensgefährdende Handlungen begeht", wird damit ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis geltend gemacht, über das im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden ist. Hierüber hat nämlich nicht das Bundesamt im Asylverfahren, sondern die Ausländerbehörde im Vollstreckungsverfahren zu befinden. Abgesehen davon ist nicht ohne weiteres nachvollziehbar, weshalb die geltend gemachten Todesängste nicht mit sachlichen und rationalen Argumenten zu überwinden wären. Nach der Darstellung des Dr. B. sei der Antragsteller überzeugt, dass sein Leben bei einer Rückkehr nach Tschetschenien oder in die Russische Förderation endgültig zerstört sein würde. Entweder würde man ihn dort früher oder später umbringen, ihn in den berüchtigten "Filtrationslagern" foltern oder ihn lebenslänglich ins Gefängnis stecken. Diese subjektiven Befürchtungen des Antragstellers sind jedoch nicht belegt. Er ist - wie bereits erwähnt - nicht gezwungen, nach Tschetschenien zurückzukehren. Für seine Besorgnis, man werde ihn lebenslänglich ins Gefängnis stecken, fehlt ein tragfähiger Anhalt.