Sozialgericht Oldenburg
Urt. v. 22.06.2011, Az.: S 45 AS 210/09
Aufrechnung sozialrechtlicher Leistungsansprüche mit einem aus einem Mietkautionsdarlehen resultierenden Rückzahlungsanspruch stellt eine Ausübung eines schuldrechtlichen Gestaltungsrechts dar; Aufrechnung sozialrechtlicher Leistungsansprüche mit einem aus einem Mietkautionsdarlehen resultierenden Rückzahlungsanspruch
Bibliographie
- Gericht
- SG Oldenburg
- Datum
- 22.06.2011
- Aktenzeichen
- S 45 AS 210/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2011, 21604
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGOLDBG:2011:0622.S45AS210.09.0A
Rechtsgrundlagen
- § 54 SGB I
- § 23 Abs. 1 S. 3 SGB II
Tenor:
- 1.
Die Klage wird abgewiesen.
- 2.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Mit ihrer Klage wenden sich die Kläger gegen die Einbehaltung von Tilgungsleistungen.
Die 1965 geborene Klägerin zu 1) bezieht seit April 2006 laufend Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach demSGB II vom Beklagten bzw. seiner Rechtsvorgängerin. Zum 1. Juni 2006 zog die Klägerin zu 1) zunächst in eine Wohnung in der F ... Insofern bewilligte ihr die Rechtsvorgängerin des Beklagten mit Bescheid vom 25. April 2006 ein Mietkautionsdarlehen in Höhe von 650,- EUR, das direkt an den Vermieter überwiesen wurde. In dem Bewilligungsbescheid wird mitgeteilt, dass das Darlehen zinslos gewährt wird und ab dem Folgemonat des Mietbeginns in monatlichen Raten von 30,- EUR zurückzuzahlen sei. Die entsprechenden Zahlungen würden für die Dauer des Leistungsbezuges nach dem SGB II von den laufenden Leistungen einbehalten.
Zum 1. Dezember 2006 zog der 1973 geborene Kläger zu 2) zu der Klägerin zu 1) in die von ihr zu diesem Zeitpunkt bewohnte Wohnung.
Nachdem sodann festgestellt worden war, dass die Kaution für die von den Klägern bewohnte Wohnung zunächst nichtüberwiesen worden war, teilte die Rechtsvorgängerin des Beklagten der Klägerin unter dem 31. Januar 2007 mit, dass die Mietsicherheit umgehend überwiesen werden würde und dass aufgrund des Darlehensbescheides vom 25. April 2006 ab März 2007 monatlich 30,- EUR von den Leistungen zur Darlehenstilgung einbehalten würden.
Unter dem 26. April 2007 teilten die Kläger der Rechtsvorgängerin des Beklagten mit, dass sie in die G. in H. umziehen würden. Für diese Wohnung sei eine Kaution in Höhe von insgesamt 897,- EUR erforderlich. Da der Vermieter nicht wechsele, könne die bereits gezahlte Kaution in Höhe von 650,- EUR auf die neue Wohnungübertragen werden. Es sei daher nur noch ein Restkautionsbetrag von 247,- EUR erforderlich. Der von der Klägerin insofern unterzeichnete Vermerk der Rechtsvorgängerin des Beklagten erhält dann die Formulierung:
"Diese erhält Frau B. erneut als Darlehn. Die Kautionsrückzahlung erfolgt weiterhin mit monatlich 30,00 EUR."
Die Rechtsvorgängerin des Beklagten bewilligte daraufhin mit Bescheid vom 26. April 2007 ein weiteres Darlehen in Höhe von 247,- EUR, das sie ebenfalls zinslos gewährte. Der Bewilligungsbescheid verwies ebenfalls darauf, dass die fälligen Raten ab dem 1. Juni 2007 von den monatlichen SGB II-Leistungen einbehalten werden würden.
Widerspruch ist gegen diesen Bescheid nicht erhoben worden.
Für den hier streitigen Bewilligungszeitraum vom 1. bis zum 30. November 2008 bewilligte die Rechtsvorgängerin des Beklagten den Klägern mit Bescheid vom 10. Juni 2008 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 21. Oktober 2008 und vom 11. November 2008 monatliche Leistungen in Höhe von insgesamt 543,96 EUR. Davon entfallen auf die Klägerin zu 1) 15,66 EUR als Regelleistung und 256,32 EUR als Kosten der Unterkunft. Für den Kläger zu 2) werden 15,65 EUR als Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und 256,33 EUR für die Kosten für Unterkunft und Heizung bewilligt.
Gegen diesen Bescheid haben die Klägerin mit Schreiben vom 12. Dezember 2008 - am gleichen Tage per Fax eingegangen - Widerspruch erhoben, den sie zunächst mit der Verfassungswidrigkeit der Regelleistung begründeten. Ferner verwiesen sie darauf, dass die Einbehaltung in Höhe von monatliche 30,- EUR für die Darlehenstilgung nach ihrer Ansicht unzulässig sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2008 wies die Rechtsvorgängerin des Beklagten den Widerspruch der Kläger als unbegründet zurück. Die Höhe der Regelleistungen sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Im Übrigen sei die Einbehaltung in Höhe von monatlich 30,- EUR mit Wirkung zum 1. Januar 2009 gestoppt worden. Der Widerspruchsbescheid ist bei dem Prozessbevollmächtigten der Kläger ausweislich des Eingangsstempels am 29. Dezember 2008 eingegangen.
Am 29. Januar 2009 haben die Kläger Klage beim Sozialgericht Oldenburg erhoben, die sie entsprechend dem Vorbringen im Widerspruchsverfahren begründet haben.
Im Rahmen des Klageverfahrens hat die Rechtsvorgängerin des Beklagten mit Bescheid vom 17. Juni 2010 die vorgenommene Anrechnung der Warmwasserpauschalen korrigiert und eine Nachzahlung in Höhe von 0,54 EUR für die Zeit vom 1. bis zum 30. November 2008 vorgenommen. Dieser Bescheid ist Gegenstand des Klageverfahrens geworden.
Mit Schriftsatz vom 14. September 2010 haben die Kläger erklärt, ihre Rüge hinsichtlich der Höhe der Regelleistungen nicht mehr weiter aufrecht zu erhalten. Gleichzeitig haben sie das mit dem Änderungsbescheid vom 17. Juni 2010 konkludent abgegebene Teilanerkenntnis angenommen.
Die Kläger beantragen nunmehr nur noch sinngemäß,
den Beklagten zu verurteilen, die mit Bescheid vom 10. Juni 2008 in der Fassung der Änderungsbescheid vom 21. Oktober 2008 und vom 11. November 2008, diese in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Dezember 2008, sowie in der Fassung des Änderungsbescheides vom 17. Juni 2010 für die Zeit vom 1. bis zum 30. November 2008 bewilligten Leistungen ohne Einbehaltung eines Tilgungsbetrages in Höhe von 30,- EUR zu zahlen.
Der Beklagten beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,
die Klage abzuweisen.
Er hält die vorgenommene Einbehaltung für rechtmäßig.
Die Beteiligten haben übereinstimmend ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt, die Kläger mit Schriftsatz vom 14. September 2010 und die Rechtsvorgängerin des Beklagten mit Schriftsatz vom 1. Oktober 2010.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen. Diese sind Gegenstand der Entscheidungsfindung der Kammer gewesen.
Entscheidungsgründe
Das Gericht konnte im Einverständnis mit den Beteiligten nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Die Klage ist für den Kläger zu 2) unzulässig und im Übrigen unbegründet.
1.
Die Klage ist zunächst als allgemeine Leistungsklage gemäß § 54 SGG statthaft. Denn bei der vorgenommenen Einbehaltung handelt es sich um eine Aufrechnung, die sich wiederum als Ausübung eines schuldrechtlichen Gestaltungsrechts im Wegeöffentlich-rechtlicher Willenserklärung erweist (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig, SGG, 9. Auflage 2008, Anhang zu § 54 Rdnr. 4c). Eine solche Aufrechnung stellt nach ganz überwiegender Meinung keinen Verwaltungsakt dar (so ausdrücklich Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urt. v. 25.11.2009 - L 6 AS 24/09 -, Rdnr. 21 m.w.N., zitiert nach [...]). Damit fehlt es insofern an einem anfechtbaren Klagegegenstand; die Kläger können ihr Klagebegehren vielmehr allein im Wege der echten Leistungsklage erreichen.
2.
Als Leistungsklage ist die Klage jedoch für den Kläger zu 2) bereits unzulässig, da es für ihn an der erforderlichen Klagebefugnis fehlt. Denn das entsprechende Mietkautionsdarlehen ist allein der Klägerin zu 1) bewilligt worden, die damit auch die alleinige Rückzahlungsverpflichtung trifft. Eine Einbehaltung findet daher auch allein von ihren Leistungen statt.
3.
Für die Klägerin zu 1) hingegen ist die Klage unbegründet. Denn die von der Rechtsvorgängerin des Beklagten vorgenommene Aufrechnung erweist sich nach Auffassung der Kammer als rechtmäßig. Die Rechtsvorgängerin des Beklagten war zur Aufrechnung in Höhe von monatlich 30,- EUR berechtigt.
a)
Entgegen der Rechtsansicht der Kläger bestand im Zeitpunkt der Aufrechnung mit § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB II eine Rechtsgrundlage für die von der Rechtsvorgängerin des Beklagten vorgenommene Aufrechnung.
(1)
Zwar sieht § 51 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches - Erstes Buch - (SGB I) eine Aufrechnung nur insoweit vor, als die Ansprüche des Leistungsempfängers nach § 54 SGB I pfändbar sind. In Abweichung dazu bestimmte jedoch § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB II in der bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung, dass ein einem Hilfebedürftigen bewilligtes Darlehen durch monatliche Aufrechnung in Höhe von bis zu 10 vom Hundert der an den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und die mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Angehörigen jeweils zu zahlenden Regelleistungen getilgt wird. Dabei handelt es sich - entgegen der Ansicht des LSG Schleswig-Holstein (a.a.O.) - nicht um eine Vorschrift, die allein für die abweichende Erbringung von Leistungen im Rahmen des § 23 SGB II gilt. Vielmehr beinhaltet die entsprechende Vorschrift einen allgemeinen Rechtsgedanken, der auf die Rückzahlung von Darlehen im Rahmen des SGB II insgesamt anzuwenden ist. Dem LSG Schleswig-Holstein ist insofern zwar zuzugeben, dass die Vorschrift des§ 23 Abs. 1 Satz 3 SGB II alter Fassung (a.F.) systematisch verunglückt allein im Rahmen des § 23 des SGB II verortet war, während die Aufrechnung wegen vorsätzlich oder grob fahrlässiger Überzahlungen allgemein in§ 43 SGB II a.F. enthalten war. Der Gesetzgeber hat dem nunmehr jedoch Rechnung getragen und dadurch seinen wirklichen Willen zum Ausdruck gebracht, in dem er mit der Neufassung des SGB II in § 42 a SGB II neuer Fassung (n.F.) eine ausdrückliche Regelung aufgenommen hat, die für sämtliche Fälle der Aufrechnung gilt. Daraus lässt sich aber auf den Willen des Gesetzgebers auch bereits vor der entsprechenden Änderung des SGB II zurückschließen. Dieser ist für die Kammer maßgeblich.
(2)
Überdies entspricht allein diese Auslegung einer vernünftigen Verteilung der unterschiedlichen Interessen. Insofern ist zu berücksichtigen, dass der Kautionsrückzahlungsanspruch nicht dem jeweiligen Leistungsträger zusteht, sondern dem Hilfebedürftigen, der allen Partner des Mietvertrages ist. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht als nachvollziehbar, wenn dem Hilfebedürftigen für die Anmietung einer Wohnung ein Kautionsdarlehen bewilligt wird und ihm am Ende der Mietzeit der Kautionsrückzahlungsanspruch zusteht, er aber möglicherweise nicht mit einer Verpflichtung zur Rückführung des gewährten Kautionsdarlehens belastet ist. Hinzu kommt schließlich, dass er es durch sein Verhalten im Rahmen des Mietverhältnisses allein in der Hand hat, ob und in welcher Höhe ein Kautionsrückzahlungsanspruch besteht, während der jeweilige Leistungsträger darauf keinerlei Einfluss hat.
b)
Das Gericht ist insofern nicht der Meinung, dass der Anwendungsbereich des § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB II alter Fassung allein auf die Abweichung der Leistungserbringung nach § 23 SGB II alter Fassung zu begrenzen war. Da § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB II mithin unmittelbar Anwendung findet, bedarf es einer analogen Anwendung, wie sie das Landessozialgericht Schleswig-Holstein in dem angesprochenem Urteil verwirft, nicht.
Die Klage war daher hinsichtlich der Klägerin zu 1) als unbegründet abzuweisen.
4.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Soweit die Kläger hinsichtlich der Anrechnung der Warmwasserpauschalen der Sache nach obsiegt haben, fällt der entsprechende Anteil, den die Rechtsvorgängerin der Beklagten auf 0,54 EUR beziffert, nicht mehr eigenständig ins Gewicht.
Hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Regelleistungen haben die Kläger ihre Klage von sich aus beschränkt.
5.
Gründe für die Zulassung der Berufung, der es in Anbetracht des Gesamtstreitwertes von nunmehr nur noch 30,54 EUR bedurft hätte, sieht die Kammer nicht, zumal die Problematik der Einbehaltung aus der Regelleistung für ein gewährtes Mietkautionsdarlehen durch die Einfügung des § 42a SGB II mit Wirkung zum 01.04.2011 erledigt ist. Eine grundsätzliche Bedeutung vermag die Kammer daher nicht mehr zu erkennen.