Sozialgericht Oldenburg
Urt. v. 06.06.2011, Az.: S 81 R 511/10
Versicherungspflicht ab Kenntnis des Arbeitgebers ist nicht auf den Fall des Verzichts eines Arbeitnehmers auf die Versicherungsfreiheit übertragbar; Übertragbarkeit der Versicherungspflicht ab Kenntnis des Arbeitgebers auf den Fall des Verzichts eines Arbeitnehmers auf die Versicherungsfreiheit; Nachforderung von pauschalen Beiträgen zur Rentenversicherung für einen ehemals geringfügig beschäftigten Arbeitnehmer
Bibliographie
- Gericht
- SG Oldenburg
- Datum
- 06.06.2011
- Aktenzeichen
- S 81 R 511/10
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2011, 24172
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGOLDBG:2011:0606.S81R511.10.0A
Rechtsgrundlagen
- § 8 SGB IV
- § 28e SGB IV
- § 5 SGB VI
- § 168 SGB VI
- § 174 SGB VI
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Nachforderung von pauschalen Beiträgen zur Rentenversicherung für einen ehemals bei ihr geringfügig beschäftigten Arbeitnehmer in Höhe von 91,53 EUR.
Die Klägerin betreibt in der Rechtsform der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) ein Baugewerbe. Sie beschäftigte in der Zeit vom 23.11.2009 bis zum 29.04.2010 Herrn C. (in Zukunft: Arbeitnehmer) im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung als Maurerhelfer. Im Personalfragebogen gab der Arbeitnehmer an, er übe keine weitere geringfügige Beschäftigung aus und hätte nicht auf Versicherungsfreiheit verzichtet.
Der Arbeitnehmer übte in diesem Zeitraum aber bereits eine weitere geringfügige Beschäftigung aus und hatte dort auf dem Fragebogen im August 2008 auf die Versicherungsfreiheit in der Rentenversicherung verzichtet.
Per Mitteilung vom 27.04.2010 wies die Beklagte die Klägerin darauf hin, dass der Arbeitnehmer mehrere geringfügige Beschäftigungen ausübe und die Geringfügigkeitsgrenze von 400 EUR überschreite. Die Versicherungsfreiheit entfalle daher mit der Bekanntgabe dieses Schreibens nach § 8 Abs. 2 S. 3 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV).
Mit Bescheid vom 05.07.2010 wies die Beklagte die Klägerin darauf hin, dass der Arbeitnehmer in seiner anderweitigen geringfügigen Beschäftigung auf die Versicherungsfreiheit verzichtet habe. Da ein Verzicht nur einheitlich erfolgen könne, gelte die Verzichtserklärung für alle zu diesem Zeitpunkt ausgeübten Beschäftigungen und verliere ihre Wirkung erst, wenn keine geringfügige Beschäftigung mehr ausgeübt werde. Der Verzicht gelte für die gesamte Dauer der geringfügigen Beschäftigung und könne nicht widerrufen werden. Es seien daher für die Zeit vom 23.11.09 bis zum 29.04.2010 Beiträge zur Rentenversicherung nachzuentrichten. Die Klägerin habe grob fahrlässig gehandelt, weil der eingereichte Nachweis hinsichtlich eines Verzichts auf die Rentenversicherungsfreiheit nicht vollständig ausgefüllt gewesen sei.
Die Klägerin legte gegen den Bescheid mit Schreiben vom 20.07.2010 Widerspruch ein. Sie reichte den ausgefüllten und vom Arbeitnehmer unterschriebenen Personalfragebogen ein. Auf ihm war angekreuzt, es bestehe derzeit keine weitere geringfügige Beschäftigung und es sei nicht schriftlich gegenüber einem weiteren Arbeitgeber auf die Rentenversicherungsfreiheit verzichtet worden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 17.09.2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie wiederholte im Wesentlichen ihr Vorbringen aus dem Bescheid und führte ergänzend aus, der Arbeitgeber zahle bei geringfügig Beschäftigten grundsätzlich einen Pauschalbetrag in Höhe von 15% des Arbeitsentgelts. Bei Verzicht auf die Rentenversicherungsfreiheit sei dieser Betrag vom Arbeitnehmer auf insgesamt 19,9% aufzustocken. Dieser volle Beitrag sei nunmehr von der Klägerin zu zahlen, da der Arbeitnehmer auf die Versicherungsfreiheit verzichtet habe.
Die Klägerin hat am 06.10.2010 Klage erhoben. Sie trägt vor, bei Einstellung des Arbeitnehmers habe dieser einen Fragebogen ausgefüllt und unterschrieben, wonach er keine weiteren geringfügigen Beschäftigungen ausübe. Er habe auch seine Lohnsteuerkarte ausgehändigt. Er sei mittlerweile gekündigt worden, da er einige Male wegen Trunkenheit nicht zur Arbeit erschienen sei. Die Klägerin habe nicht gewusst, dass er eine weitere Beschäftigung ausübe.
Es ist nach dem schriftsätzlichen Vorbringen davon auszugehen, dass die Klägerin beantragen will,
den Bescheid der Beklagten vom 05.07.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.09.2010 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist zur Begründung auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid. Sie führt ergänzend aus, es sei der (eigentlich vom Arbeitnehmer zu tragende) Aufstockungsbetrag in Höhe von 4,9% nachzuzahlen. Die Forderung betrage insgesamt 91,53 EUR.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
Das Gericht konnte die Rechtssache durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten wurden zu dieser Entscheidungsform gehört.
Die Klage hat keinen Erfolg. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Grundsätzlich sind Personen, die eine geringfügige Beschäftigung ausüben, in der Rentenversicherung versicherungsfrei gem. § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI. Dies gilt nach Abs. 2 Satz 2 nicht, wenn der geringfügig Beschäftigte durch schriftliche Erklärung gegenüber dem Arbeitgeber auf die Versicherungsfreiheit verzichtet hat. Der Verzicht kann danach bei mehreren geringfügigen Beschäftigungen nur einheitlich erklärt werden und ist für die Dauer der Beschäftigung bindend.
Nach § 168 Abs. 1 Nr. 1 b Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) sind die Beiträge zur Rentenversicherung bei solchen Beschäftigten, die auf die Versicherungsfreiheit verzichtet haben, von den Arbeitgebern in Höhe von 15% des Arbeitsentgeltes zu tragen und im Übrigen von dem Arbeitnehmer. Die Beiträge sind in kompletter Höhe gem. § 174 Abs. 1 SGB VI, § 28 e Abs. 1 SGB IV vom Arbeitgeber abzuführen, hier also von der Klägerin.
Unerheblich ist dabei, dass der Arbeitnehmer falsche Angaben gegenüber der Klägerin gemacht hat, denn es kommt nicht auf Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit der Klägerin an. § 8 Abs. 2 S.3 und S. 4 SGB IV sind nicht entsprechend anzuwenden. Danach tritt die Versicherungspflicht - wenn mehrere geringfügige Beschäftigungen zusammentreffen und die 400 EUR-Grenze überschritten wird - erst ein, wenn der Rentenversicherungsträger den Arbeitgebern diesen Umstand bekannt gegeben hat, außer sie haben vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nach weiteren geringfügigen Beschäftigungen und der Höhe des dortigen Verdienstes gefragt.
Diese Ausnahme, dass Versicherungspflicht erst ab Kenntnis der Arbeitgeber eintritt, ist nicht analog auf den vorliegenden Fall des Verzichts auf Versicherungsfreiheit anzuwenden. Denn § 8 Abs. 2 Satz 3 SGB IV ist eine Ausnahme vom sozialversicherungsrechtlichen Grundsatz, dass die Versicherungspflicht nicht disponibel ist sondern qua Gesetzes eintritt. Die Norm macht die Versicherungspflicht ausnahmsweise von der Kenntnis der Umstände abhängig. Für eine Übertragung auf weitere Fälle bedürfte es einer gesetzlichen Regelung. Für eine Analogie entgegen dem Gesetzeswortlaut besteht kein Anlass. Der Gesetzgeber hat in § 5 Abs. 2 SGB VI nur teilweise den Einwand von Vorsatz und grober Fahrlässigkeit für erheblich erklärt, nämlich für den Fall, dass mehrere Beschäftigungen gemeinsam über 400 EUR ergeben. Für den ebenfalls in § 5 Abs. 2 SGB VI geregelten Fall des Verzichts auf Versicherungsfreiheit wurde gerade nicht eine entsprechende Anwendung des § 8 SGB IV festgeschrieben. Daraus lässt sich schließen, dass eine Ausweitung nicht beabsichtigt war.
Zum Anderen ist der Eintritt der Versicherungspflicht qua Gesetzes auch systemgemäß und interessengerecht. Der Arbeitnehmer profitiert von den Beitragszeiten. Diese erhalten seinen Anspruch auf Erwerbsminderungsrenten, sind bei den Wartezeiten für vorgezogene Altersrenten und zur Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen für Reha-Maßnahmen zur berücksichtigen; darüber hinaus führen sie zu Rentenerhöhungen (Eicher/Haase/Rauschenbach, Stand Oktober 2010, Kommentar zum SGB VI, § 5 Rn. 18).
Demgegenüber ist das Risiko des Arbeitgebers geringer zu werten. Der nachträglich unter Umständen anfallende Aufstockungsbetrag in Höhe von 4,9% von maximal 400 EUR, führt zu Nachzahlungen von höchstens 19,60 EUR pro Beschäftigungsmonat. Zudem bleibt es ihm unbenommen, die Beiträge im Schadensersatzwege gegenüber dem Arbeitnehmer geltend zu machen.
Die Bestimmung unter B 2.2.3.6 der "Geringfügigkeitsrichtlinien", wonach erst mit der Bekanntgabe Versicherungspflicht eintreten soll, wenn der Arbeitgeber nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig versäumt hat, den Sachverhalt für die versicherungsrechtliche Beurteilung aufzuklären führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn bei den "Geringfügigkeitsrichtlinien" handelt es sich um keine verbindliche Rechtsnorm, sondern um eine bloße Verwaltungsvorschrift, die nicht geeignet ist, gesetzliche Regelungen zu modifizieren (vgl. SG Freiburg vom 13.9.2007 - S 2 KNR 6092/06; SG Karlsruhe, Urt. v. 25.02.2008 - S 5 KR 6075/06).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 105 Abs. 1 S. 3 i.V. mit § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Rechtsbehelfsbelehrung
Dieser Gerichtsbescheid kann nicht mit der Berufung angefochten werden, weil sie gesetzlich ausgeschlossen und vom Sozialgericht nicht zugelassen worden ist.
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