Sozialgericht Oldenburg
Urt. v. 14.03.2011, Az.: S 45 AS 2130/09

Es besteht ein Anspruch auf Bewilligung eines befristeten Zuschlags nach dem Bezug von Arbeitslosengeld l bei Bezug von Arbeitslosengeld II innerhalb von zwei Jahren nach dem Ende des Bezugs von Arbeitslosengeld I; Zuschlag auf Zahlung von Arbeitslosengeld II wird auch bei bereits zuvor bezogenen ergänzenden Leistungen nach dem SGB II während des Bezugs von Arbeitslosengeld I bewilligt

Bibliographie

Gericht
SG Oldenburg
Datum
14.03.2011
Aktenzeichen
S 45 AS 2130/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 16757
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGOLDBG:2011:0314.S45AS2130.09.0A

Fundstelle

  • NZS 2011, 477

Tenor:

  1. 1.

    Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 8. Juli 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Juli 2009, sowie vom 15. April 2009 und unter Abänderung des Bescheides vom 20. März 2009 in der Fassung der beiden Änderungsbescheide vom 30. Juni 2009 und des weiteren Änderungsbescheids vom 12. August 2009 verurteilt, an den Kläger weitere 72,33 EUR monatlich, für die Zeit vom 12. März 2009 bis zum 9. Juni 2009 und weitere 36,16 EUR für die Zeit vom 10. Juni 2009 bis zum 9. Juni 2010 zu zahlen.

  2. 2.

    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

  3. 3.

    Der Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zur Hälfte zu erstatten.

  4. 4.

    Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Bewilligung des befristeten Zuschlags nach dem Bezug von Arbeitslosengeld I (ALG I) nach § 24 Sozialgesetzbuch - Zweites Buch - (SGB II).

2

Der Kläger wohnte bis zum 31. Mai 2008 in D ... Mit Bescheid vom 3. April 2008 bewilligte ihm die örtlich zuständige Agentur für Arbeit ALG I für die Zeit vom 14. Januar 2008 bis zum 12. Januar 2009 in Höhe von 21,86 EUR kalendertäglich. Daraus ergibt sich ein monatlicher ALG I-Betrag von 655,80 EUR.

3

Während dieser Zeit bezog der Kläger ergänzend Leistungen nach dem SGB II in Höhe von zuletzt 87,42 EUR monatlich (Änderungsbescheid vom 25. April 2008). Nachdem der Kläger zum 1. Juni 2008 nach E. zog, hob die damals zuständige Arge D. die Leistungsbewilligung ab dem 1. Juni 2008 auf und verlangte die Erstattung der überzahlten Beträge (Bescheide vom 17. und 24. Juni 2008).

4

Der Kläger beendete den ALG I-Bezug zum 9. Juni 2008. Ab dem 10. Juni 2008 ist ihm wegen Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit ein Gründungszuschuss in Höhe des ALG I zuzüglich weiterer 300,- EUR als Pauschale zur sozialen Sicherung bewilligt worden. Die Bewilligung des Gründungszuschusses war befristet bis zum 9. März 2009.

5

Mit Bescheid vom 20. März 2009 bewilligte die Rechtsvorgängerin des Beklagten dem Kläger und seiner Lebensgefährtin ab dem 12. März 2009 Leistungen nach dem SGB II. Daraus ergab sich für März 2009 (anteilig) ein Betrag von 637,21 EUR, von dem insgesamt 316,13 EUR auf den Kläger entfielen (169,62 EUR Leistungen zum Lebensunterhalt und 146,51 EUR Kosten der Unterkunft). Ab dem 1. April 2009 bis zum 31. Juli 2009 beliefen sich die monatlichen Leistungen der Bedarfsgemeinschaft auf 989,18 EUR, von denen 263,28 EUR als Lebensunterhaltsleistungen und 231,31 EUR als Kosten der Unterkunft auf den Kläger entfielen, insgesamt also 494,59 EUR.

6

Unter dem 25. März 2009 - beim Beklagten am 30. März 2009 eingegangen - teilte der Kläger mit, dass er zuvor ALG I und Gründungszuschuss erhalten habe. Mit Bescheid vom 15. April 2009 lehnte der Beklagte daraufhin die Bewilligung eines Zuschlags nach§ 24 SGB II ab.

7

Mit Schreiben vom 13. Mai 2009 - bei der Beklagten eingegangen am 14. Mai 2009 - hat der Kläger erneut gerügt, dass ihm kein Zuschlag nach § 24 SGB II bewilligt worden sei, ebenso mit Schreiben vom 28. Mai 2009 und vom 18. Juni 2009.

8

Mit Schreiben vom 30. Juni 2009 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass rechnerisch kein Zuschlag bewilligt werden könne; darüber sei bereits mit Bescheid vom 15. April 2009 entschieden worden.

9

Mit zwei weiteren Änderungsbescheiden vom 30. Juni 2009 änderte der Beklagte seine Leistungsbewilligung ab, da für die Monate März bis Mai 2009 kein Renteneinkommen der Lebensgefährtin des Klägers vorhanden war. Für die Zeit vom 12. bis zum 31. März beliefen sich die dem Kläger zustehenden Leistungen auf 210,67 EUR Regelleistung und 146,51 EUR Kosten der Unterkunft (insgesamt 357,18 EUR). Für die Monate April und Mai 2009 beliefen sich die dem Kläger bewilligten Leistungen auf 316,- EUR Regelleistung und 244,81 EUR Kosten der Unterkunft (insgesamt 560,81 EUR monatlich).

10

Nachdem die Partnerin des Klägers zum 1. Juni 2009 eine Beschäftigung aufgenommen hatte, erließ der Beklagte unter dem 12. August 2009 einen weiteren Änderungsbescheid. Mithin wurden dem Kläger für den Monat Juni 2009 158,79 EUR Regelleistung und 244,81 EUR Unterkunftskosten (insgesamt 403,60 EUR) und für den Monat Juli 2009 Leistungen in Höhe von insgesamt 415,05 EUR bewilligt (170,24 EUR Regelleistung, 244,81 EUR Kosten der Unterkunft).

11

Mit Schreiben vom 5. Juli 2009 - beim Beklagten eingegangen am 7. Juli 2009 - machte der Kläger erneut darauf aufmerksam, dass er bereits am 12. März 2009 den Zuschlag nach § 24 SGB II beantragt habe. Dies wertete der Beklagte als Antrag im Zugunstenverfahren. Mit Bescheid vom 8. Juli 2009 lehnte er nach Überprüfung die Abänderung seines Bescheids vom 15. April 2009 ab, da der Zuschlag zu Recht nicht berücksichtigt worden sei.

12

Dagegen hat der Antragsteller mit Schreiben vom 21. Juli 2009 - beim Beklagten eingegangen am 22. Juli 2009 - Widerspruch erhoben, den der Beklagte mit Bescheid vom 28. Juli 2009 als unbegründet zurückgewiesen hat.

13

Der Kläger hat am 14. August 2009 Klage erhoben.

14

Er ist der Ansicht, dass maßgeblich für die Berechnung des Zuschlages nicht die SGB II-Leistung an die Bedarfsgemeinschaft insgesamt sei, sondern sein individueller Leistungsanspruch. Überdies sei die Höhe des Zuschlags anhand des ihm gewährten Gründungszuschusses zu bemessen, der der Höhe nach denLG I-Betrag zuzüglich eines Zuschusses von 300,- EUR, insgesamt also 955,80 EUR, umfasse.

15

Er beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 8. Juli 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juli 2009 sowie vom 15. April 2009 unter Abänderung des Bescheides vom 20. März 2009 in der Fassung der beiden Änderungsbescheide vom 30. Juni 2009 und des weiteren Änderungsbescheides vom 12. August 2009 zu verurteilen, ihm den Zuschlag nach § 24 SGB II in gesetzlicher Höhe für die Zeit vom 12. März 2009 bis zum 11. März 2011 zu bewilligen.

16

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

17

Nach seiner Ansicht besteht ein zusätzlicher Leistungsanspruch schon deshalb nicht, weil das erstmalig nach Antragstellung ausgezahlte ALG II den ALG I-Anspruch überstieg. Maßgeblich sei insofern nach § 24 Abs. 2 SGB II der auf die Bedarfsgemeinschaft insgesamt entfallende Betrag. Überdies liege bereits kein erstmaliger Leistungsbezug vor, da der Kläger auch in Delmenhorst bereits SGB II Leistungen erhalten habe.

18

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen. Das Gericht hat überdies die Leistungsakte der vormalig zuständigen Arbeitsgemeinschaft Delmenhorst beigezogen. Sämtliche Akten sind Gegenstand der Entscheidungsfindung der Kammer gewesen.

Entscheidungsgründe

19

Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Bewilligung eines befristeten Zuschlags nach dem Bezug von Arbeitslosengeld l nach § 24 Sozialgesetzbuch - Zweites Buch - (SGB II).

20

1.

Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhält ein erwerbsfähiger Hilfebedürftiger einen monatlichen Zuschlag, wenn er Arbeitslosengeld II innerhalb von zwei Jahren nach dem Ende des Bezugs von Arbeitslosengeld I bezieht. Nach § 24 Abs. 1 Satz 2 SGB II reduziert sich dieser Zuschlag nach Ablauf des ersten Jahres um 50 vom Hundert (v.H.).

21

Diese Voraussetzungen liegen in der Person des Klägers vor. Denn der Kläger bezog bis zum 9. Juni 2008 einschließlich Arbeitslosengeld I. Dass der Kläger bereits zu diesem Zeitpunkt ergänzende Leistungen nach dem SGB II bezogen hat, ist für die Bewilligung des Zuschlages unerheblich, da § 24 SGB II nicht an den erstmaligen Bezug von Leistungen nach dem SGB II anknüpft.

22

2.

Für die Berechnung des maßgeblichen Zeitraumes nach § 24 Abs. 1 SGB II ist maßgeblich allein der Bezug von Arbeitslosengeld, der am 9. Juni 2008 endete. Demgegenüber muss der im Anschluss daran für die Zeit bis zum 9. März 2009 bewilligte Gründungszuschuss außer Betracht bleiben. Dieser wird nach § 57 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Drittes Buch - (SGB III) denjenigen Arbeitnehmern bewilligt, die durch Aufnahme einer selbständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden. Der Gründungszuschuss wird für die Dauer von neun Monaten in Höhe des Betrages, den der Arbeitnehmer zuletzt als Arbeitslosengeld bezogen hat, zuzüglich eines weiteren Zuschusses in Höhe von monatlich 300,- EUR für die Beiträge zur sozialen Sicherung, geleistet (§ 58 Absatz 1 SGB III). Damit ergibt sich aufgrund dieser Vorschriften aber zugleich auch, dass der Gründungszuschuss gegenüber dem Arbeitslosengeld I eine andere Leistung darstellt, die nicht als besondere Form des Arbeitslosengeldes angesehen werden kann. Dies ergibt sich schon daraus, dass derjenige, der Gründungszuschuss erhält, einer selbständigen, hauptberuflichen Tätigkeit nachgeht und daher nicht arbeitslos ist.

23

Damit beginnt die zweijährige Frist, in der überhaupt der Zuschlag nach § 24 SGB II bezogen werden kann, bereits mit dem Ablauf des 9. Juni 2008. Dem Kläger ist daher allenfalls für die Zeit von der Antragstellung ab dem 12. März 2009 bis zum einschließlich zum 9. Juni 2009 der volle Zuschlag nach§ 24 SGB II zuzubilligen und für die Zeit vom 10. Juni 2009 bis zum 9. Juni 2010 einschließlich der halbe Zuschlag.

24

3.

Die Höhe des Zuschlags bemisst sich nach § 24 Abs. 2 SGB II. Demnach beträgt der Zuschlag im ersten Jahr zwei Drittel des Unterschiedsbetrages zwischen dem von dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen zuletzt bezogenen Arbeitslosengeld und dem nach dem Wohngeldgesetz erhaltenen Wohngeld und den dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und den mit ihm in Bedarfgemeinschaften lebenden Angehörigen erstmalig nach dem Ende des Bezugs von ALG I zustehenden Arbeitslosengeld II.

25

a)

Da der Kläger kein Wohngeld bezogen hat, ist maßgeblich auf der einen Seite das ihm für die Zeit bis zum 9. Juni 2008 bewilligte Arbeitslosengeld I in Höhe von 21,86 EUR kalendertäglich, das einem monatlichen Betrag von 655,80 EUR entspricht.

26

b)

Zum anderen sind vergleichsweise die von dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und den mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Angehörigen bezogenen SGB II-Leistungen heranzuziehen.

27

(1)

Dabei ergibt die Auslegung des Begriffes der "Angehörigen", dass es sich dabei nicht um die weiteren Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft handelt. Vielmehr muss es sich um solche Angehörige handeln, die in § 129 Nr. 1 SGB III genannt sind, da nur diese von Bedeutung sind für die Bemessung der Höhe des Arbeitslosengeldes I. Das hat zur Folge, dass die Lebensgefährtin des Klägers, Frau F. G., bei der Ermittlung der Höhe des Zuschlages außer Betracht bleiben muss, da sie zwar - nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 c) SGB II - Partnerin des Klägers und damit Mitglied der klägerischen Bedarfsgemeinschaft ist; sie ist jedoch keine Angehörige im Sinne des § 129 SGB III.

28

(2)

In der Folge ist für die Bemessung des Zuschlages nach § 24 SGB II allein der individuelle Leistungsanspruch des Klägers heranzuziehen. Der sich daraus ergebene Wertungswiderspruch zumSGB III ist hinzunehmen, gerade weil das Recht der Arbeitsförderung die Rechtsfigur der Bedarfsgemeinschaft nicht kennt. Zwar ist einzuräumen, das damit der vom Gesetzgeber vorgesehene Zweck des Zuschlags nach § 24 SGB II, den Übergang vom ALG I auf das Arbeitslosengeld II "abzufedern", gerade in dieser speziellen Konstellation nicht erreicht werden kann. Jeglicher anderen Auslegung steht jedoch der Wortlaut des § 24 Abs. 2 Nr. 2 SGB II entgegen. Auch die Tatsache, dass sich eine vollständige Abkoppelung des individuellen Leistungsanspruchs vom Einkommen des Partners nicht erreichen lässt, steht der vom Gericht für zwingend gehaltenen Auslegung nicht entgegen.

29

c)

Allerdings unterliegt der Zuschlag nach § 24 SGB II nicht der ständigen Neuberechnung. Vielmehr ist er nach § 24 Abs. 2 Nr. 2, 2. Halbsatz SGB II nur bei dem nachträglichen Auszug eines Partners neu festzusetzen. Dies bedeutet allerdings nicht, dass dem Leistungsträger jegliche Korrekturmöglichkeit hinsichtlich des Zuschlages genommen wäre. Zu berücksichtigen sind vielmehr auch solche Änderungen im Rahmen der §§ 45, 48 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch - (SGB X), die auf den Monat des erstmaligen Leistungsbezuges nach dem Ende des ALG-I-Bezuges einwirken. Maßgeblich für die Berechnung des Zuschlages ist damit der dem Kläger individuell bewilligte Auszahlungsbetrag aufgrund des Bescheides vom 20. März 2009 in der Fassung der beiden Änderungsbescheide vom 30. Juni 2009. Der weitere Änderungsbescheid vom 12. August 2009 muss demgegenüber für die Bemessung des Zuschlages außer Betracht bleiben, da er sich erst auf die Zeit ab dem 1. Juni 2009 ausgewirkt hat.

30

d)

Die für März 2009 dem Kläger individuell bewilligten Beträge sind - im Umkehrschluss aus § 41 Abs. 1 Satz 3 SGB II - auf monatliche Leistungen hochzurechnen. Daraus ergibt sich für den Kläger ein (hochgerechneter) individueller Leistungsanspruch in Höhe von 316,- EUR nach § 20 Abs. 3 SGB II sowie in Höhe von 231,31 EUR für die Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 SGB II, insgesamt also 547,31 EUR. Die Differenz zu dem monatlichen Betrag des Arbeitslosengeldes I in Höhe von 655,80 EUR beläuft sich dabei auf 108,49 EUR, von der dem Kläger für die Zeit bis zum 9. Juni 2009 einschließlich 72,33 EUR monatlich (entsprechend zwei Dritteln) und für die Zeit vom 10. Juni 2009 bis zum 9. Juni 2010 36,16 EUR (50 v.H. von zwei Dritteln des Unterschiedsbetrages) zuzusprechen waren.

31

Die weitergehende Klage war abzuweisen.

32

Die Kostenentscheidung folgt auch § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

33

Da zur Berechnung des Zuschlages bislang keinerlei obergerichtliche Rechtssprechung ersichtlich ist, war die Berufung gemäß § 144 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zuzulassen.