Sozialgericht Oldenburg
Urt. v. 02.12.2011, Az.: S 21 SO 231/09
Pflicht zur Übernahme von Bestattungskosten durch den Landkreis wegen des Todes des Lebensgefährten bei Bezug von Leistungen nach dem SGB II
Bibliographie
- Gericht
- SG Oldenburg
- Datum
- 02.12.2011
- Aktenzeichen
- S 21 SO 231/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2011, 34815
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGOLDBG:2011:1202.S21SO231.09.0A
Rechtsgrundlage
- § 74 SGB XII
Tenor:
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 29. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Oktober 2010 verurteilt, an die Klägerin die Kosten für die Bestattung von Herrn E. in Höhe von 2.128,62 EUR gemäߧ 74 SGB XII zu zahlen. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Übernahme von Bestattungskosten.
Die am F. geborene Klägerin hat gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten, G. E., als Bedarfsgemeinschaft Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II vom Landkreis H. bezogen. Am 25. April 2006 verstarb Herr E. nach schwerer Krankheit (Krebserkrankung) im Krankenhaus in I ... Die Klägerin veranlasste dessen Bestattung, wobei für die Bestattung durch die Firma J. zuzüglich Gebühren für ein Urnenwahlgrab und die Friedhofsgebühren Gesamtkosten in Höhe von 2.128,62 EUR entstanden. Diese Rechnungen sind nach Angaben der Klägerin derzeit noch offen. Nach einer Mitteilung des Amtsgerichts K., Nachlassgericht, vom 09. Juni 2008 an die Beklagte waren Erben dort unbekannt. Alle als mögliche Erben ermittelten Personen hätten die Erbschaft ausgeschlagen. Hinweise auf Nachlassgegenstände von Wert lägen nicht vor.
Die Klägerin beantragte zunächst (erfolglos) die Übernahme der Bestattungskosten beim Landkreis H ... Dieser lehnte den Antrag mit Widerspruchsbescheid vom 25. April 2008 wegen fehlender örtlicher Zuständigkeit mit der Begründung ab, dass Herr E. in I. verstorben sei Die hiergegen gerichtete Klage (S 2 SO 86/08) wies das erkennende Gericht mit Gerichtsbescheid vom 19. Oktober 2009 unter Hinweis auf die fehlende örtliche Zuständigkeit des Landkreises H. ab.
Am 21. Mai 2008 beantragte die Klägerin die Übernahme der Bestattungskosten bei der Beklagten, die diesen Antrag mit Bescheid vom 29. September 2008 ablehnte. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 2009 zurück, wobei sie zur Begründung darauf abstellte, dass die Klägerin nicht "Verpflichtete" im Sinne von§ 74 SGB XII sei. Eine sittliche Verpflichtung als Lebenspartner die Bestattung vorzunehmen, reiche für den geltend gemachten Anspruch nicht aus.
Die Klägerin hat sodann am 01. Dezember 2009 Klage erhoben. Sie macht geltend, dass sie mit Herrn E. fünf Jahre fest liiert gewesen sei und die Absicht bestanden habe, die Ehe miteinander einzugehen, sobald dies der Gesundheitszustand von Herrn E. zugelassen hätte. Wegen der beabsichtigten Eheschließung habe sie auch bereits beim Standesamt der Gemeinde L. vorgesprochen gehabt. Aufgrund seiner schweren Erkrankung sei es dann aber nicht mehr zur Eheschließung gekommen. Kurz vor seinem Tode während seines Aufenthaltes im M. Krankenhaus im Frühjahr 2006 habe sie mit Herrn E. ausdrücklich vereinbart, dass sie im Falle seines (drohenden) Todes für die Bestattung sorgen sollte. Es sei eine einfache Bestattung nach Maßstab der Sozialhilfe festgelegt worden. Hintergrund sei gewesen, dass Herr E. zu seinen insgesamt sechs Kindern keinerlei Kontakt unterhalten habe. Zum Zeitpunkt des Todes von Herrn E. seien ihr noch nicht einmal die vollständigen Namen, geschweige denn die Adressen der Kinder bekannt gewesen. Aufgrund der ausdrücklichen Vereinbarung mit ihrem Verlobten und langjährigen Lebensgefährten habe sie sich um die Bestattung gekümmert und das Beerdigungsinstitut J. beauftragt. Ihre Rechtsstellung als "Verpflichtete" im Sinne von§ 74 SGB XII ergebe sich sowohl aufgrund der getroffenen vertraglichen Vereinbarung als auch aus familienrechtlichen Vorschriften.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 29. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Oktober 2009 zu verurteilen, die ungedeckten Bestattungskosten nach dem Tod des Herrn N. in Höhe von 2.128,62 EUR zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass der geltend gemachte Anspruch auf Übernahme der Bestattungskosten nicht bestehe, weil die Klägerin nicht Anspruchsinhaberin im Sinne von § 74 SGB XII sei. Eine sittliche bzw. moralische Verpflichtung reiche für diesen Anspruch nicht aus.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands sowie des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren und in dem Verfahren S 2 SO 86/08 sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 29. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Oktober 2009 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Übernahme der beantragten Bestattungskosten in Höhe von insgesamt 2.128,62 EUR gemäß § 74 SGB XII. Hierzu im Einzelnen:
Nach § 74 SGB XII werden die erforderlichen Kosten einer Bestattung übernommen, soweit den hierzu Verpflichteten nicht zugemutet werden kann, die Kosten zu tragen. Der Anspruch auf Kostenübernahme gemäß § 74 SGB XII steht damit nicht dem Verstorbenen, sondern demjenigen zu, der verpflichtet ist, die Bestattungskosten zu tragen( LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25. März 2010, L 7 SO 4476/08, zit. nach [...]). Wer Anspruchsinhaber nach § 74 SGB XII ist, ergibt sich aus der Norm selbst allerdings nicht. Nach allgemeiner Auffassung ist Verpflichteter im Sinne dieser Bestimmung nicht schon derjenige, der als Bestattungsberechtigter oder- verpflichteter in Durchführung einer Bestattung Kostenverpflichtungen eingeht, sondern nur derjenige, der der Kostenlast von vornherein nicht ausweichen kann, weil sie ihn rechtlich notwendig trifft (Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29. Juli 2009, L 12 SO 10/08 mit Hinweis auf die Rechtssprechung zur inhaltsgleichen Vorgängervorschrift des § 15 BSHG: BVerwG, Urteil vom 30. Mai 2002, 5 C 14/01 und BVerwG, Urteil vom 13. März 2003, 5 C 2/02; Bundessozialgericht, Urteil vom 29. September 2009, B 8 SO 23/08 R, alle zit. nach [...]; Schellhorn, SGB XII, Kommentar, 18. Auflage 2010, § 74 Randnummer 7; Grube/Wahrendorf, SGB XII, Kommentar, 3. Auflage 2010, § 74 Randnummer 11; Fichtner, Wenzel, SGB XII, Kommentar, 4. Auflage 2009, § 74 Randnummer 2). Die Pflicht zur Übernahme der Bestattungskosten kann sich dabei aus erbrechtlichen (§ 1968 BGB), familienrechtlichen (§§ 1615 Abs. 2, 1360 a Abs. 3, 1361 Abs. 4 und 1615 m BGB), ferner aus bestattungsrechtlichen Vorschriften (in den landesrechtlichen Bestattungsgesetzen) und schließlich auch aus vertraglicher Verpflichtung ergeben.
Vorrangig verpflichtet sind demnach die Erben, die nach § 1968 BGB die Kosten derstandesmäßigen Beerdigung des Erblassers zu tragen haben. Die Klägerin selbst ist nicht Erbin. Nach einer Auskunft des Amtsgerichts K., Nachlassgericht, Geschäftsnummer: NZS O., vom 09. Juni 2008, haben alle als mögliche Erben ermittelten Personen die Erbschaft ausgeschlagen. An zweiter Stelle haben die Unterhaltsverpflichteten des Verstorbenen nach § 1615 BGB die Bestattungskosten zu tragen. Zu diesem Kreis zählt die Klägerin als langjährige Lebensgefährtin und Verlobte des Verstorbenen allerdings ebenfalls nicht. Vorliegend ergibt sich die Verpflichtung zur Tragung der Bestattungskosten schließlich auch nicht aus bestattungsrechtlichen Vorschriften. Nach § 8 des Niedersächsischen Gesetzes über das Leichen-, Bestattungs- und Friedhofswesen (BestattGNds) vom 08. Dezember 2005 haben für die Bestattung der verstorbenen Person in nachfolgender Rangfolge die Ehegattin oder der Ehegatte oder die eingetragene Lebenspartnerin oder der eingetragene Lebenspartner, die Kinder, die Enkelkinder, die Eltern, die Großeltern und die Geschwister zu sorgen. Die Lebensgefährtin oder Verlobte ist in der niedersächsischen Bestattungsvorschrift nicht genannt
Die Klägerin ist aber Verpflichtete im Sinne der Vorschrift aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung mit dem Verstorbenen geworden. So ist anerkannt, dass sich eine vertragliche Verpflichtung beispielsweise aus einem Heimvertrag, einem Altenteilsvertrag oder aus einem Leibgedinge ergeben kann (Schellhorn, SGB XII, Kommentar, 18. Auflage 2010, § 74 Randnummer 5; Grube/Wahrendorf, SGB XII, Kommentar, 3. Auflage 2010, § 74 Randnummer 25; Fichtner/Wenzel, SGB XII, Kommentar, 4. Auflage 2009, § 74 Randnummer 4 mit Hinweis aufBundesverwaltungsgericht, Urteil vom 30. Mai 2002, 5 C 14/01, zit. nach [...]). Abzugrenzen ist die vertragliche Verpflichtung zur Tragung der Bestattungskosten von einer rein sittliche bzw. moralische Verpflichtung, die nicht ausreicht. Bei einer vertraglich begründeten Kostentragungspflicht kann Verpflichteter im Sinne von § 74 SGB XII daher nur derjenige sein, der der Kostenlast nicht ausweichen kann, weil sie ihn rechtlich notwendig trifft (Schellhorn a.a.O., § 74 Randnummer 7; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteile vom 29. Juli 2009, L 12 SO 10/08 und vom 30. Oktober 2008, L 9 SO 22/07, zit. nach [...]). Verpflichteter im Sinne der Vorschrift ist demnach nicht schon, wer als Vertragspartner in Durchführung einer Bestattung mit dem Bestattungsunternehmen eine Kostenverpflichtung eingeht, sondern nur derjenige der der Kostenlast von vornherein nicht ausweichen kann, weil sie ihn rechtlich notwendig trifft (vgl.Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 30. Mai 2002, 5 C 14/01; Schellhorn a.a.O., § 74 SGB XII Randnummer 5; jurisPK SGB XII, Stand 02.11.1011, § 74 Rn 24).
Vorliegend ergibt sich die Stellung der Klägerin als "Verpflichtete" im Sinne des § 74 SGB XII aus der zu Lebzeiten mit Herrn E. geschlossenen ausdrücklichen Vereinbarung über die Tragung der Bestattungskosten. Zwar handelt es sich hierbei nur um eine mündliche Abrede, an die die Kammer hinsichtlich des entscheidungserheblichen Inhalts besondere Anforderungen gestellt hat. Der Klägerin ist es aber insoweit gelungen, die Vereinbarung detailreich, überzeugend und glaubhaft darzulegen. Sie hat in der mündlichen Verhandlung am 02. Dezember 2011 im einzelnen ausführlich und glaubwürdig geschildert, dass sie sich im Frühjahr 2006 im Krankenhaus in I. gegenüber Herrn E. zur Durchführung der Bestattung einschließlich der Kostentragung verpflichtet hat. Die Klägerin war eigenen Angaben zufolge zu diesem Zeitpunkt bereits rund fünf Jahre mit Herrn E. liiert. Nach ihrem glaubhaften Vorbringen stand im Februar 2006 konkret die Eheschließung bevor. Die Klägerin hatte zu diesem Zweck im Januar 2006 beim Standesamt der Gemeinde L. vorgesprochen und entsprechende Unterlagen in Empfang genommen. Nur aufgrund des sich plötzlich verschlechternden Gesundheitszustandes von Herrn E. ist es dann nicht mehr zur beabsichtigten Eheschließung gekommen. Das Gericht ist ferner davon überzeugt, dass sich die Klägerin in der damaligen Zeit in einer Zwangslage befunden hat. Aufgrund der besonderen Umstände des Falles war sie gezwungen, allein für die Bestattung von Herrn E. Sorge zu tragen, da keine andere Person hierfür in Betracht kam. Dies war Herrn E. und auch der Klägerin Anfang 2006, als sie die maßgebliche Vereinbarung schlossen, eingehend bewusst. Herr E. hatte zu seinen Kindern keinerlei Kontakt. Die aktuellen Anschriften seiner Kinder waren nach den glaubhaften Bekundungen der Klägerin weder ihm noch der Klägerin bekannt. Die Klägerin musste damit als langjährige Lebensgefährtin und Verlobte die Bestattung selbst verbindlich organisieren und abwickeln. Angesichts der fortschreitenden und dann tödlich verlaufenden Krebserkrankung des Herrn E. ist das Vorbringen der Klägerin zu der vertraglichen Vereinbarung nachvollziehbar und entspricht nach Auffassung der Kammer auch der Lebensrealität. Die Kammer versteht die von der Klägerin erläuterte Vereinbarung zwischen ihr und Herrn E. auch nicht so, dass sie lediglich die Verpflichtung zur würdigen Bestattung übernommen hat. Sie hat vielmehr als - einzig in Betracht kommende Person - bewusst auch die Kosten der Bestattung bzw. das Risiko diese Kosten letztlich tragen zu müssen übernommen, obwohl sie selbst lediglich Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II bezog. Sie hat in diesem Zusammenhang überzeugend darauf hingewiesen, dass sie mit Herrn E. zu Lebzeiten vereinbart habe, dass die Kosten der Bestattung möglichst gering gehalten werden sollten und es sich um eine einfache Bestattung handeln müsse. Eine solche Bestattung hat die Klägerin dann auch bei der Firma J. in Auftrag gegeben. Die Klägerin ist nach wie vor dieser Kostenforderung ausgesetzt. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Klägerin aufgrund der besonderen Umstände sowohl der Verpflichtung zur Durchführung der Bestattung als auch der Übernahme der damit verbundenen Kostenlast - entsprechend der mit Herrn E. geschlossenen Vereinbarung - nicht ausweichen konnte.
Die übrigen Voraussetzungen des § 74 SGB XII sind erfüllt. Bei den geltend gemachten Kosten handelt es sich um erforderliche Bestattungskosten im Sinne des§ 74 SGB XII. Die Rechnung der Firma J. vom 01. Juni 2006 belegt, dass nur eine einfache Beerdigung erfolgte. Gleiches gilt für den Gebührenbescheid über das Urnenwahlgrab im Rasenfeld. Schließlich kann der Klägerin auch nicht zugemutet werden, die bislang von der Beklagten nicht übernommenen Kosten der Bestattung selbst zu tragen. Die Klägerin als Bezieherin von Leistungen nach dem SGB II ist nicht in der Lage, die Bestattungskosten aus eigenem Einkommen oder Vermögen aufzubringen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.