Sozialgericht Oldenburg
Urt. v. 17.06.2011, Az.: S 61 KR 229/10
Unmittelbar vor Krankengeldbeginn gewährtes Übergangsgeld ist Grundlage für die Berechnung des Krankengeldes; Unmittelbar vor Krankengeldbeginn gewährtes Übergangsgeld als Grundlage für die Berechnung des Krankengeldes
Bibliographie
- Gericht
- SG Oldenburg
- Datum
- 17.06.2011
- Aktenzeichen
- S 61 KR 229/10
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2011, 21603
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGOLDBG:2011:0617.S61KR229.10.0A
Rechtsgrundlagen
- § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V
- § 50 SGB IX
Fundstelle
- NZS 2011, 668
Tenor:
- 1.
Der Bescheid der Beklagten vom 09.06.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.08.2010 wird geändert.
- 2.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ab dem 29.05.2010 Krankengeld auf der Grundlage des zuletzt gewährten Übergangsgeldes von ungekürzt 63,93 EUR zu bewilligen, längstens bis zum Erschöpfen der Anspruchshöchstdauer.
- 3.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Neuberechnung des Krankengeldes anhand eines erhöhten Satzes Übergangsgeld.
Der 1968 geborene Kläger führte 2008 eine Maßnahme zur beruflichen Rehabilitation durch. Mit Bescheid vom 04.02.2008 gewährte der Rentenversicherungsträger für die Zeit vom 31.01.2008 bis zum 14.02.2008 Übergangsgeld in Höhe von 46,81 EUR auf einer Berechnungsgrundlage von 62,41 EUR täglich. Der Kläger war dann ab dem 22.08.2008 wegen Schulterbeschwerden längere Zeit arbeitsunfähig krank und unterbrach die Maßnahme.
Mit Bescheid vom 16.09.2008 gewährte die Beklagte dem Kläger ab dem 12.09.2008 Krankengeld in Höhe von 47,19 EUR - auf der Grundlage von ungekürzt 62,41 EUR.
Am 16.01.2009 bewilligte der Rentenversicherungsträger die Fortführung der Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form einer Umschulung zum Feinwerkmechaniker und gewährte Übergangsgeld.
Mit Bescheid vom 15.01.2010 setzte der Rentenversicherungsträger das Übergangsgeld entsprechend der Veränderung der Bruttolöhne je Arbeitnehmer vom vorangegangenen Kalenderjahr ab dem 01.02.2010 neu fest - ungekürzt auf 63,93 EUR und gekürzt auf den Auszahlbetrag in Höhe von 47,95 EUR täglich.
Seit dem 26.04.2010 ist der Kläger erneut arbeitsunfähig erkrankt. Deshalb hob der Rentenversicherungsträger mit Bescheid vom 20.05.2010 die Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Wirkung vom 29.05.2010 auf und stellte die Übergangszahlung mit dem 28.05.2010 ein. Zur Begründung führte er aus, es sei nicht abzusehen, wann die Arbeitsunfähigkeit beendet werde und die Maßnahme fortgeführt werden könne.
Mit Bescheid vom 09.06.2010 bewilligte die Beklagte Krankengeld ab dem 29.05.2010 in Höhe von 36,63 EUR täglich, abzüglich Renten- und Pflegeversicherung wurden 32,63 EUR täglich ausbezahlt.
Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 17.06.2010 Widerspruch ein. Er begehrte eine Berechnung parallel zu der Bewilligung aus dem Jahre 2008.
Mit Widerspruchsbescheid vom 03.08.2010 (Absendevermerk am 06.08.2010) wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie führte aus, aus dem Bewilligungsbescheid für Übergangsgeld des Rentenversicherungsträgers gingen als Berechnungsgrundlage 62,41 EUR Regelentgelt hervor. Das Krankengeld sei daher aus dem der Übergangsgeldberechnung zugrunde liegenden Arbeitsentgelt berechnet worden. 80% dieses Arbeitsent-geltes seien maßgeblich. Das Krankengeld betrage 70% des so ermittelten Regelentgeltes, somit 36,63 EUR. Netto würden ausgezahlt 32,63 EUR.
Der Kläger hat am 08.08.2010 Klage erhoben. Er begehrt eine Neuberechnung anhand des ab Februar 2010 gezahlten Übergangsgeldes, das sich an 63,93 EUR orientierte und rügte die Berechnung anhand des zuvor gezahlten Übergangsgeldes, das sich an 62,41 EUR orientierte. Daraus ergebe sich ein täglicher Krankengeldanspruch in Höhe von 37,55 EUR (monatlich 27,60 EUR mehr).
Der Kläger beantragt,
- 1.
den Bescheid der Beklagten vom 09.06.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.08.2010 zu ändern,
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ab dem 29.05.2010 Krankengeld auf der Grundlage des zuletzt gewährten Übergangsgeldes von ungekürzt 63,93 EUR zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie wiederholt und vertieft ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsbescheid.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung war.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat Erfolg. Sie ist zulässig und begründet.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Neuberechnung der Höhe seines Krankengeldes auf der Grundlage des zuletzt gewährten Übergangsgeldes von ungekürzt 63,93 EUR statt 62,41 EUR. Dies ergibt sich aus dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes. Nach § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V gilt für Versicherte, die nicht Arbeitnehmer sind, als Regelentgelt der kalendertägliche Betrag, der zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Beitragsbemessung aus Arbeitseinkommen maßgebend war. Der Kläger ist seit dem 26.04.2010 arbeitsunfähig krank. Seit Februar 2010, also seit über zwei Monaten vor Beginn seiner Arbeitsunfähigkeit, erhielt er Übergangsgeld in Höhe von 63,93 EUR. Dieser Betrag ist damit als das zuletzt maßgebende Einkommen anzusehen. Die Krankenversicherung hat sich an diesem letzten gezahlten Übergangsgeld zu orientieren, nicht an einer früher festgesetzten Höhe. Denn es ist das unmittelbar vor Krankengeldbeginn gewährte Übergangsgeld zugrunde zu legen (so auch: BSG v. 05.05.2009 - B 1 KR 16/08 R, zitiert nach [...]).
Es besteht kein Bedürfnis, dass eine Krankenversicherung eine Dynamisierung der Krankengeldsätze für die Vergangenheit selbst durchführt. Es ist auch nicht sinnvoll, wenn jeder Sozialversicherungsträger die von § 50 SGB IX vorgesehene Dynamisierung ohne Rücksicht auf bereits erfolgte Dynamisierungen durch einen anderen Leistungsträger selbst vornimmt und es dadurch zu variierenden Ergebnissen kommt. Die Krankenkasse hat die bereits erfolgte Dynamisierung nicht rückgängig zu machen und selbst neu zu berechnen. Es ist auch keine Rechtsgrundlage dafür gegeben, den Fall, dass bereits eine Dynamisierung stattgefunden hat, anders zu behandeln, als den Fall, dass erst so kurz Übergangsgeld bezogen wird, dass eine jährliche Dynamisierung noch nicht stattfinden konnte. Im letzteren Fall legt die Krankenversicherung zur Berechnung des Übergangsgeldes ebenfalls das Übergangsgeld in der zuletzt gezahlten Höhe zugrunde.
Eine eigene Dynamisierung durch die Krankenversicherung für die Vergangenheit ist auch von dem Sinn und Zweck der Norm nicht gewollt. § 47 SGB V ist insgesamt so ausgerichtet, dass die Krankenversicherung grundsätzlich das direkt vor der Arbeitsunfähigkeit erzielte Einkommen für die Berechnung des Krankengeldes zugrunde legt. So ist nach § 47 Abs. 1 SGB V auch bei Arbeitnehmern das letzte vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit erzielte Monatseinkommen maßgeblich. Etwaige Lohnerhöhungen sind ebenso hinzunehmen, wie bei Abs. 4 Satz 2 etwaige Erhöhungen des Übergangsgeldes durch Anpassung an die Bruttoarbeitsentgelte. Die Krankenversicherung soll in der Vergangenheit erhaltenes Einkommen nicht erst berechnen, sondern als gegeben ansehen und der Krankengeldberechnung zugrunde legen. Das Krankengeld hat Einkommensersatzfunktion. Dieser Aufgabe wird es nur gerecht, wenn es sich am zuletzt tatsächlich erzielten Einkommen orientiert.
Der Klage war daher stattzugeben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.