Sozialgericht Oldenburg
Urt. v. 06.07.2011, Az.: S 61 KR 28/11
Einmalige Kapitalzahlungen aus einer betrieblichen Altersvorsorge unterliegen der Beitragspflicht zur gesetzlichen Krankenversicherung und Rentenversicherung; Beitragserhebung zur gesetzlichen Krankenversicherung und Pflegeversicherung auf eine Kapitalzahlung einer betrieblichen Altersvorsorge
Bibliographie
- Gericht
- SG Oldenburg
- Datum
- 06.07.2011
- Aktenzeichen
- S 61 KR 28/11
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2011, 24173
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGOLDBG:2011:0706.S61KR28.11.0A
Rechtsgrundlagen
- § 226 Abs. 1 Nr. 2,3 SGB V
- § 229 Abs. 1 Nr. 5 SGB V
Fundstelle
- NZS 2011, 904
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Beitragserhebung zur Kranken- und Pflegeversicherung auf eine Kapitalzahlung einer betrieblichen Altersvorsorge.
Der Kläger war selbständiger Versicherungsmakler. Er arbeitete als Handelsvertreter (Ausschließlichkeitsvertreter) für die E. und betrieb zudem eine landwirtschaftliche Nebenerwerbsstelle. Im Jahre 1988 wurde seitens der Versicherung, für die er arbeitete, ein Kapitallebensversicherungsvertrag bei der F. für den Kläger abgeschlossen.
Laut Allgemeinen Versicherungsbedingungen diente der Vertrag der Alters- und Hinterbliebenenversorgung der selbständigen hauptberuflichen Versicherungsvertreter der E. Versicherungsnehmer war nach § 2 und nach den Eintragungen im Versicherungsschein das Versicherungsunternehmen, die E. Versicherter war der Kläger. Die Beitragszahlung wurde nach § 4 teilweise von der E. übernommen, teilweise von dem Kläger selbst, jeweils in Höhe von 9% des Einkommens. Die vom Kläger zu leistenden Beiträge wurden nach § 5 von der E. einbehalten und direkt mit den Bezügen verrechnet. Nach § 7 konnte der Versicherte in die Rechtsstellung des Versicherungsnehmers eintreten, wenn der Vertretervertrag aufgegeben worden wäre.
Der Kläger ist Mitglied der beklagten gesetzlichen Krankenversicherung. Er erhielt am 01.04.2008 eine Kapitalzahlung der G. in Höhe von 197.121,30 EUR. Mit Schreiben vom 17.03.2008 teilte die H. der Beklagten diesen Versorgungsbezug mit.
Mit Bescheid vom 16.06.2008 setzte die Beklagte Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung auf die Kapitalzahlung fest, in Höhe von monatlich 271,05 EUR seit dem 01.05.2008. Sie legte bei der Berechnung des monatlichen Beitrags 1/120 des gesamten Betrags der Kapitalzahlung zugrunde.
Der Kläger legte mit Schreiben vom 25.06.2008 Widerspruch ein. Er trug vor, die Lebensversicherung sei zu 50% von ihm und zu 50% von der K. gezahlt worden. Letzterer Beitrag sei nicht freiwillig erbracht worden, sondern hätte ihm zugestanden. Wenigstens auf den von ihm selbst geleisteten Teil wolle er keine Beiträge zahlen, da er diesen aus seinem versteuerten Einkommen geleistet habe. Es seien damals auch bereits Sozialversicherungsbeiträge nach der höchsten Beitragsstufe abgeführt worden, in der erneuten Verbeitragung liege eine Doppelbelastung. Der Kläger könne es sich auch finanziell nicht leisten, die Beiträge abzuführen.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 05.08.2008 zurück. Die Kapitalzahlung sei eine betriebliche Altersvorsorge und damit ein Versorgungsbezug. Sie unterliege als der Rente vergleichbare Einnahme der Beitragspflicht.
Der Kläger hat am 04.09.2008 Klage erhoben.
Das Verfahren ist zunächst bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der Sache 1 BvR 739/08 ruhend gestellt worden.
Der Kläger hat am 04.02.2011 beantragt, das Verfahren wieder aufzunehmen. Er bezieht sich dabei auf die mittlerweile ergangene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wonach eine Beitragspflicht bejaht wurde. Der vorliegende Fall sei aber anders gelagert, da bei ihm keine betriebliche Alterssicherung vorliege, sondern der Vertrag allein der privaten Altersvorsorge diene. Es handele sich um eine beitragsfreie private Lebensversicherung. Es liege ein Sonderfall vor, da der von der H. gezahlte Teil ein Vorgriff auf seinen Ausgleichsanspruch bei Ausscheiden als Versicherungsvertreter gewesen sei, er also einen Anspruch darauf gehabt habe. Die Beiträge zur Versicherung seien zudem voll versteuert und verbeitragt gewesen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 16.06.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.08.2008 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nach ihrer Auffassung ist der betriebliche Zusammenhang gegeben, da der Vertragsabschluss eine Tätigkeit des Klägers als Versicherungsvertreter der E. voraussetzte. Ohne diese Zugehörigkeit habe der Kläger den Anspruch auf die Kapitalzahlung nicht erlangen können.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig aber unbegründet.
Die Bescheide der Beklagten verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Denn die Kapitalzahlung der Versicherung unterfällt als betriebliche Altersvorsorge der Beitragspflicht gem. § 229 Abs. 1 Nr. 5 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V).
1.
Der Zahlbetrag der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung unterliegt nach § 226 Abs. 1 Nr. 2 SGB V der Beitragsbemessung zur Kranken- und Pflegeversicherung. Gleiches gilt nach § 226 Abs. 1 Nr. 3 SGB V für den Zahlbetrag von solchen Einnahmen, die der Rente vergleichbar sind (Versorgungsbezüge). Als Versorgungsbezüge gelten gemäß § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V auch Renten der betrieblichen Altersversorgung. Zu den Renten der betrieblichen Altersversorgung gehören auch Renten, die aus einer Direktversicherung gezahlt werden (BSG Urteil vom 25.04.2007 - B 12 KR 25/05 R -; Urteil vom 12.11.2008 - B 12 KR 6/08 R -).
2.
Einmalige Kapitalzahlungen aus betrieblichen Direktversicherungen stehen Versorgungsbezügen gleich und unterliegen ebenfalls der Beitragspflicht. Denn die im Beschäftigungsverhältnis wurzelnde, auf einer bestimmten Ansparleistung während des Erwerbslebens beruhende einmalige Zahlung von Kapital ist nicht grundsätzlich anders zu bewerten, als eine laufende Rentenleistung. Es ist verhältnismäßig und damit verfassungsgemäß, wenn der Gesetzgeber jüngere Krankenversicherte von der Finanzierung des höheren Aufwands für die Rentner zu entlastet und Rentner entsprechend ihrem Einkommen verstärkt zur Finanzierung heranzieht. (BVerfG, Beschl. v. 06.09.2010 - 1 BvR 739/08)
3.
Eine zweifache Beitragserhebung - einmal auf den Lohn, aus dem die Altersvorsorge (teilweise) finanziert wurde und einmal auf die spätere Kapitalauszahlung der Altersovorsorge - ist zulässig. Die Beitragserhebung verstößt nicht gegen Grundrechte, selbst wenn die Versicherungsbeiträge aus Einkommen geleistet wurden, das bereits der Beitragspflicht zur Sozialversicherung unterlag. Denn es ist in diesem Fall nicht der steuerrechtliche Grundsatz anwendbar, dass steuerbares Einkommen nur beim ersten Zufluss zu versteuern sei. Für die Finanzierung der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung als eines Versicherungssystems gelten andere Grundsätze. Die Beitragserhebung ist hinsichtlich der berufsbezogenen Einkünfte auf die Beitragsbemessungsgrenze begrenzt. Diesem Beitrag steht der umfassende Versicherungsschutz der gesetzlichen Krankenversicherung gegenüber. Dieser Versicherungsschutz wird auch im Ruhestand zur Verfügung gestellt. Er wird durch Beiträge finanziert, die wiederum auf Einkommen beruhen. Zu jenen Einkommen gehören auch Versorgungsbezüge. (BVerfG, Beschl. v. 06.09.2010 - 1 BvR 739/08; zitiert nach [...])
4.
Die Beiträge sind auch auf den Teil der Altersvorsorge zu erheben, die auf einer Eigenleistung des Versicherten beruhen. (BSG Urteil vom 25.04.2007 - B 12 KR 25/05 R; Urteil vom 12.11.2008 - B 12 KR 6/08 R, zitiert nach [...]) Die Kapitalzahlung verliert ihren Charakter als Versorgungsbezug nicht durch eine (teilweise) Eigenleistung des Versicherten (vgl. BSG Urteil vom 26.03.1996 -12 RK 21/95, zitiert nach [...]). Diese Regelung ist verfassungsgemäß (vgl. BVerfG, Beschl. v. 28.09.2010 - 1 BvR 1660/08, zitiert nach [...]).
5.
Obwohl der Kläger selbständig und kein abhängig beschäftigter Arbeitnehmer war, ist die Kapitalzahlung als eine betriebliche Altersvorsorge zu qualifizieren und unterliegt der Beitragspflicht. Auch im Falle eines selbständig Tätigen zählen solche Kapitalzahlungen, die aus einer Direktversicherung stammen und vom alleinigen Auftraggeber abgeschlossen wurden als Versorgungsbezüge. Wie das BSG zur früheren aber insofern vergleichbaren Rechtslage bereits entschieden hat, gehören zu den beitragspflichtigen Versorgungsbezügen auch Bezüge aus der betrieblichen Altersversorgung von Versicherungsunternehmen für ihre selbständigen Versicherungsvertreter. Dies gilt auch, wenn die von der Versicherung geleisteten Beiträge zur Altersvorsorge einen Ausgleichsanspruch eines Handelsvertreters nach dem HGB ersetzen. (BSG, Urt. v. 10.03.1994 - 12 RK 30/91, zitiert nach [...]) Das BSG hatte sich in dieser Entscheidung ebenfalls mit dem Fall eines Versicherungsmaklers auseinandergesetzt, dessen Ausgleichsanspruch für den Fall des Ausscheidens in eine Altersvorsorgeversicherung investiert wurde. Der Betriebsbezug wurde hier ebenfalls als gegeben angesehen, weil die Leistungen aus der Vorsorgeversicherung einen Bezug zum bisherigen Arbeitsleben hatte und von der Zielsetzung den Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung vergleichbar war.
Die Eigenschaft "betrieblich" ist nach dem Willen des Gesetzgebers so auszulegen, dass auch Altersvorsorgeprogramme durch Direktversicherung des einzigen Auftraggebers eines selbständigen Handelsvertreters darunter fallen. Die Interessenlage ist vergleichbar mit der von Arbeitnehmern. Maßgeblich ist, dass die Altersvorsorge im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit erworben wurde. Auch bei Selbständigen sollen nach dem Sinn des Gesetzes der Rente vergleichbare Einnahmen nicht von der Beitragspflicht ausgenommen werden, wie sich etwa aus § 229 Abs. 1 Nr. 3 SGB V ergibt, wonach z.B. Rechtsanwälte aus ihrer Altersvorsorge Beiträge abführen müssen.
Das Altersvorsorgeprogramm der E. im vorliegenden Fall ist vergleichbar mit üblichen Direktversicherungen von Arbeitgebern für angestellte Arbeitnehmer. Ziel ist in beiden Fällen die Altersvorsorge. Der Zugang ist in beiden Fällen nur für einen begrenzten Mitgliederkreis und nur aufgrund einer bestimmten beruflichen Tätigkeit gegeben, hier nur für selbständige Versicherungsvertreter der E. Versicherungsnehmer war der E. Da der Kläger nur für diesen einen Auftraggeber gearbeitet hat, liegt in gewisser Weise ein arbeitnehmerähnlich geprägtes Verhältnis vor. Die Beiträge des Klägers wurden aus seinen Bezügen abgeführt, ebenso wie bei Arbeitnehmern aus dem Gehalt. Weiterhin gab es ein Eintrittsrecht durch den Versicherten bei Aufgabe des Vertretervertrages, parallel zu dem sonst üblichen Eintrittsrecht des Arbeitnehmers bei Kündigung des Arbeitsvertrages.
Es handelt sich nicht um eine rein private Altersvorsorge, da ein klarer Bezug zur beruflichen Tätigkeit des Klägers gegeben ist. Auch formell liegt ein solcher Bezug vor, da Versicherungsnehmer die E. war.
6.
Auch wenn der vom Auftraggeber getragene Beitrag nicht z.B. als Bezügeerhöhung oder Bonus freiwillig gezahlt wurde, sondern ein Anspruch auf eine entsprechende Zahlung schon bestand, sind ein Versorgungsbezug und der erforderliche betriebliche Zusammenhang gegeben, wenn Versicherungsnehmer der Arbeitgeber bzw. bei einem Selbständigen der Auftraggeber war. Auch wenn der Auftraggeber selbst keinerlei Anteil geleistet hätte, wäre die Kapitalzahlung durch den formellen betrieblichen Zusammenhang als Versorgungsbezug zu werten. Sogar ausschließlich Versichertenfinanzierte Direktversicherungen sind als betriebliche Altersvorsorge zu werten, wenn der Versicherungsvertrag durch den Betrieb geschlossen wurde und dieser - anders als beim privaten Lebensversicherungsvertrag - Versicherungsnehmer ist (BVerfG, Beschl. v. 06.09.2010 - 1 BvR 739/08, zitiert nach [...]).
7.
Auch die Berechnung nach und Verteilung der Beiträge auf 120 Monate ist nicht zu beanstanden. Tritt an die Stelle der Versorgungsbezüge eine einmalige Leistung, gilt nach § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V ein Einhundertzwanzigstel der Leistung als monatlicher Zahlbetrag der Versorgungsbezüge, längstens jedoch für 120 Monate.
8.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).