Sozialgericht Oldenburg
Urt. v. 24.05.2011, Az.: S 62 KR 223/09

Bibliographie

Gericht
SG Oldenburg
Datum
24.05.2011
Aktenzeichen
S 62 KR 223/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 45157
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Der Bescheid vom 11. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juli 2009 wird aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten für die Durchführung einer Liposuktion im Rahmen einer stationären Behandlung zu übernehmen.

Die Beklagte hat der Klägerin die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Übernahme der Kosten für die Durchführung einer Liposuktion.

Die im Jahre 1969 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Bei ihr bestehen u.a. Lip-Phleb-Lymphödeme beider Beine, massiv ausgeprägte Lipohypertrophie der Beine vom Becken-Oberschenkeltyp mit Beteiligung der proximalen Unterschenkel beidseits, chronische venöse Insuffizienz der Beine, Adipositas, rezidivierendes LWS-Syndrom sowie eine reaktive Depression. Aus diesem Grunde soll im Rahmen einer stationären Behandlung in der E. F. in G. eine Liposuktion durchgeführt werden. Die zu erwartenden Kosten beziffert die Klinik mit etwa 4.100,00 €. Insoweit wird auf Blatt 2 der Verwaltungsakte verwiesen. Am 06. April 2009 beantragte die Klägerin die Übernahme der Kosten. Die Beklagte schaltete den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein, der in seinem Gutachten vom 06. Mai 2009 ausführte, die Durchführung einer Liposuktion sei nicht angezeigt. Dementsprechend lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 11. Mai 2009 den Antrag auf Kostenübernahme ab. Zur Begründung führte sie aus, die Liposuktion sei noch keine anerkannte Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung. Bislang lägen keine wissenschaftlichen Langzeitstudien zur sicheren Beurteilung vor. Eine Kostenübernahem sei daher nicht möglich. Die Klägerin sei auf andere Maßnahmen wie z.B. Lymphdrainagebehandlungen zu verweisen. Gegen den Bescheid vom 11. Mai 2009 erhob die Klägerin am 20. Mai 2009 Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juli 2009 als unbegründet zurückwies. Hiergegen richtet sich die Klage vom 24. August 2009.

Die Klägerin trägt vor, sie leide seit der Pubertät an der Lipödem-Erkrankung. Sie habe Hemmungen, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen und sei aus diesem Grunde seit geraumer Zeit in psychotherapeutischer Behandlung. Aus gesundheitlichen Gründen habe sie auch ihren Beruf als Zahnarzthelferin aufgeben müssen. Sie beziehe Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II. Sie habe dreimal pro Woche Lymphdrainagebehandlung für jeweils eine Stunde. Grundsätzlich trage sie auch Kompressionsstrümpfe. Ein Erfolg habe sich nicht eingestellt. Vor diesem Hintergrund sei die Durchführung einer Liposuktion im Rahmen einer stationären Krankenhausbehandlung dringend angezeigt. Sie sei nach der Einschätzung ihrer behandelnden Ärzte die einzige Möglichkeit, das Beschwerdebild zu verbessern.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 11. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom  23. Juli 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die Durchführung einer Liposuktion im Rahmen einer stationären Behandlung zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält an dem Inhalt des angefochtenen Bescheides fest.

Das Gericht hat zur Aufklärung des medizinischen Sachverhalts zwei Befundberichte eingeholt. Auf den Inhalt wird verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 11. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juli 2009 ist rechtswidrig. Durch ihn ist die Klägerin beschwert im Sinne von § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), denn die Klägerin hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Gewährung einer Liposuktion zur Behandlung der Lymphödeme als Sachleistung im Rahmen einer stationären Krankenbehandlung.

Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Der Anspruch unterliegt, wie jeder Anspruch der gesetzlichen Krankenversicherung, den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst folglich nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Dies ist bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V nur dann der Fall, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat. Die Versicherten erhalten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen, soweit das SGB V nichts Abweichendes vorsieht (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V). Die Krankenbehandlung umfasst nach § 27 Abs. 1 Satz 2 SGB V u.a. die ärztliche Behandlung (Nr. 1) und die Krankenhausbehandlung (Nr. 5).

Gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V haben Versicherte Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem Krankenhaus, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlungen einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Voraussetzung ist, dass die stationäre Behandlung aus medizinischen Gründen notwendig ist.

Dabei kommt es - im Gegensatz zum ambulanten Bereich - bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nicht auf eine positive Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V an. Denn während für den Bereich der ambulanten Versorgung bezüglich neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt gilt, sind die rechtlichen Rahmenbedingungen für den stationären Bereich durch § 137 SGB V so ausgestaltet, dass neue Behandlungsverfahren im Rahmen einer Krankenhausbehandlung keiner besonderen Zulassung bedürfen und nur dann ausgeschlossen sind, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss eine negative Stellungnahme abgegeben hat. Dies ist für die hier in Rede stehende Liposuktion nicht der Fall. Maßgeblich ist daher nur auf das Kriterium der medizinischen Notwendigkeit der Behandlung abzustellen (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23.03.2011 - L 4 KR 228/10 -).

Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben. Bei der Klägerin besteht eine behandlungsbedürftige Erkrankung in Form einer Lipodystrophie bzw. Lipödems beider Beine. Diese kann nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse mit einer Liposuktion behandelt werden. Insoweit wird auf die Ausführungen der E. vom 03. April 2009 (Bl. 2 Verwaltungsakte) verwiesen. Auch die behandelnde Internistin C. H. unterstützt das Klagebegehren der Klägerin. Auf den Inhalt ihres Befundberichtes vom 31. Januar 2010 (Bl. 58 ff. Gerichtsakte) wird ausdrücklich Bezug genommen. Insgesamt ergibt sich nicht zuletzt aus der Gesamtschau aller über die Klägerin vorliegenden medizinischen Unterlagen die medizinische Notwendigkeit der hier in Rede stehenden Behandlung. Insbesondere ist in diesem Zusammenhang auf die bereits im Verwaltungsverfahren vorgelegten Fotos zu verwiesen sowie auf den Umstand, dass die bisher durchgeführten Behandlungen zu keinem nennenswerten Erfolg geführt haben.

Soweit die Beklagte auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 16. Dezember 2008 (B 1 KR 11/08 R) hinweist, ist dem entgegenzuhalten, dass sich jene Entscheidung lediglich mit der Sperrwirkung der im ambulanten Bereich nicht anerkannten Liposuktionsbehandlung auseinandersetzt. Da die dortige Klägerin die Liposuktionsbehandlungen im Rahmen ambulantärztlicher Behandlungen bereits hatte vornehmen lassen, kam nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts eine Kostenerstattung nicht in Betracht. Im vorliegenden Fall ist die Behandlung jedoch im Rahmen einer stationären Krankenhausbehandlung durchzuführen. Der Klage ist daher stattzugeben (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen) Urteil vom 23.03.2011 (L 4 KR 228/10).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.