Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 26.02.2018, Az.: 6 A 6292/16

Alleinerziehende; Alleinstehende Frau; Geschiedene; Irak; sexuelle Belästigung; soziale Gruppe

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
26.02.2018
Aktenzeichen
6 A 6292/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 74364
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Alleinstehende oder alleinerziehende Frauen, welche nicht auf den Schutz eines Familienverbandes zurückgreifen können, bilden im Irak eine bestimmte soziale Gruppe im Sinne des § 3 b Abs. 1 Nr. 4 AsylG.

Tenor:

Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom D. wird aufgehoben, soweit sie dem vorgenannten Verpflichtungsausspruch entgegensteht.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand:

Die Klägerin, irakische Staatsangehörige, kurdischer Volkszugehörigkeit sowie islamischen Glaubens, begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

Sie reiste am E. gemeinsam mit ihren Kindern, ehemals die Kläger zu 2. und 3., nunmehr die Kläger im Verfahren 6 A 1799/18, auf dem Landweg aus Österreich kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am F. bei der zuständigen Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) für sämtliche Familienangehörige Asylanträge.

Im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung beim Bundesamt am G. gab die Klägerin an, sie habe den Irak aus Furcht vor der Bedrohung durch eine islamistische Gruppierung verlassen.

Auf ihre persönlichen Verhältnisse angesprochen, gab die Klägerin an, sie habe bis zu ihrer Ausreise aus dem Irak am H. in Bagdad in der I. -Siedlung gewohnt. Ihr Vater sei verstorben; ihre Mutter lebe noch in Bagdad. Ihre zwei Brüder und drei Schwestern lebten ebenfalls noch im Irak. Zudem habe sie eine Nichte in Deutschland, zu der sie jedoch keinen Kontakt habe.

Zu ihrem beruflichen Werdegang führte die Klägerin aus, sie habe das Studium der IJ. an der Universität K. abgeschlossen. Nach dem Sturz Saddam Husseins habe sie bis zu ihrer Hochzeit im Jahr 2004 als Informatikerin für die L. Partei gearbeitet. Bis zum Jahr 2009, dem Jahr ihrer Scheidung, sei sie sodann M. gewesen, bis ihr eine Freundin eine Stelle vermittelt habe. Von 2009 bis 2015 habe sie sodann in dem N. von Bagdad gearbeitet, der sogenannten O.. Dort habe sie für die P. alles erledigt, was mit Computern zusammenhänge, d.h. Rechner repariert, E-Mails und Ausdrucke erstellt. Ebenso habe sie Protokolle geschrieben und Versammlungen organisiert. Monatlich habe sie ca. zwei Millionen irakische Dinar (ca. 1.500,00 EUR) verdient. Gewohnt habe sie in der Nähe ihres Arbeitsplatzes, jedoch außerhalb der militärisch gesicherten grünen Zone.

Zu den Gründen ihrer Flucht aus dem Irak befragt, erklärte die Klägerin, sie habe lange Zeit ein normales Leben geführt. Kurz vor ihrer Flucht hätten sie zwei Mitglieder einer islamistischen Gruppierung zuhause aufgesucht. Dieses hätten ihr mitgeteilt, sie seit einigen Tagen zu beobachten und alles über sie zu wissen, d.h. wo sie arbeite, dass sie Kinder habe, alleine mit ihrer Mutter wohne und niemanden habe, der sie beschützen könne. Diese Personen hätten sie aufgefordert, mit ihnen zusammenzuarbeiten und Informationen aus der grünen Zone nach draußen schmuggeln. Sofern sie nein sagen würde, so die ihr unbekannten Männer, würden sie die Klägerin oder ihre Kinder töten. Daraufhin habe sie aus Angst zugesagt, mit der Gruppierung zusammenzuarbeiten.

Am nächsten Tag sei sie ganz normal zur Arbeit gegangen und habe sich unter Schilderung des Geschehens vom Vortag hilfesuchend an ihre Vorgesetzten gewandt. Diese hätten ihr in Aussicht gestellt, sie in der grünen Zone unterzubringen und ihr Schutz zu gewähren, zu ihrer eigenen Überraschung jedoch unter der Bedingung, dass sie mit ihnen schlafe und viele andere Sachen tun würde, die sie persönlich ablehne. Schon in der Vergangenheit hätten sie Vorgesetzte und Mitarbeiter verbal sexuell belästigt. Sie habe die Einstellung dieser Menschen gekannt, deshalb habe sie auch abgesehen von diesem einen Mal niemals um Hilfe gebeten.

Sodann habe sie versucht, jemanden anderes zu finden, der ihr helfen könne. Der Vater ihrer Kinder habe ihr jedoch lediglich mitgeteilt, sie solle die Kinder zu ihm bringen, da sie seiner Auffassung zufolge nicht in der Lage sei, die Kinder zu schützen. Noch am gleichen Abend sei sie zuerst nachhause zurückgekehrt und sei dann mit ihren Kindern zu ihrer besten Freundin gegangen. Diese habe ihr geholfen, noch in der Nacht ein Flugticket zu besorgen. Finanziert habe sie die Ausreise durch ihre Ersparnisse. Am 10. September 2015 sei sie sodann legal von Bagdad nach Istanbul geflogen; das erforderliche Visum habe sie in der Türkei bei der Einreise bekommen. Im Falle einer Rückkehr in den Irak, so die Klägerin weiter, befürchte sie, ihre Kinder an ihren Ex-Mann zu verlieren. Wenn die Mitglieder der islamistischen Gruppierung in Erfahrung brächten, dass sie zurück sei, würden sie mit ihr machen, was sie wollten.

Mit Bescheid vom D., den Klägern am Q. zugestellt, erkannte das Bundesamt der Klägerin und ihren beiden Kindern den subsidiären Schutzstatus zu (Ziffer 1) und lehnte die Asylanträge im Übrigen ab (Ziffer 2).

Zur Begründung führte es aus, aufgrund des ermittelten Sachverhalts sei davon auszugehen, dass der Klägerin und ihren Kindern in ihrem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 3 Asylgesetz (AsylG) drohe.

Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigte lägen demgegenüber nicht vor. Bei der Prüfung des Flüchtlingsstatus nach § 3 AsylG seien alle Übergriffe, Repressalien, Diskriminierungen, Nachteile und Beeinträchtigungen festzustellen, denen ein Antragsteller ausgesetzt worden sei. Diese Maßnahmen seien danach zu bewerten, ob sie in ihrer Gesamtwirkung als schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte anzusehen seien.

Auf Basis dieses Maßstabs fehle es aus dem Vorbringen der Klägerin an der Intensität der Bedrohung. Sie sei von unbekannten Islamisten einmal mündlich bedroht worden. Ein weiterer Übergriff bzw. eine weitere Drohung sei nicht erfolgt. Des Weiteren sei die Klägerin sexuellen Belästigungen ausgesetzt gewesen, deren Intensität jedoch nicht so erheblich sei, dass sie zur Gewährung eines internationalen Schutzes führe. Nach Ablehnung des Flüchtlingsschutzes lägen auch die enger gefassten Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigte nicht vor.

Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin mit Schriftsatz vom R. Klage erhoben, soweit die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG in Rede steht. Zur Begründung führt sie aus, die vom Bundesamt zutreffend für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus getroffenen Feststellungen reichten aus, um ihr und ihren Kindern auch den Flüchtlingsstatus zuzuerkennen. Die Klägerin habe die Drohungen der Milizen in ihrer Anhörung sehr plastisch beschrieben; im Falle der Weigerung habe ihr und ihren Kindern der Tod gedroht. Die Intensität der Drohung zeige sich auch daran, dass die Kläger das Land unter Aufwendung ihrer Ersparnisse kurzfristig und fluchtartig verlassen hätten. Auch die Intensität der sexuellen Belästigungen habe die Klägerin hinreichend dargelegt. Als geschiedene Frau ohne neuen Ehemann sehe man die Klägerin im Irak prinzipiell als Freiwild an, insbesondere dann, wenn sie sich infolge einer Bedrohung durch Dritte in einer ausweglosen Lage befinde. Zu ihrer eigenen Person führt die Klägerin ergänzend aus, sie stamme aus einer ursprünglich kurdischen Familie, die Anfang der siebziger Jahre unter Saddam Hussein zwangsweise arabisiert worden sei. Infolgedessen spreche sie selbst kein Kurdisch, weil ihre Familie dies zu Zeiten der Herrschaft Saddam Husseins als zu gefährlich angesehen habe.

Mit Schriftsatz vom S. hat die Klägerin zudem eine Kopie ihres Angestelltenausweises des T. sowie ihres Eintrittsausweises für die U. nebst Übersetzungen der Dokumente vorgelegt.

Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 29. Januar 2018 auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung von Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom D. zu verpflichten, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Hinsichtlich der persönlichen Anhörung der Klägerin wird verwiesen auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom V..

Das Gericht hat die Verfahren der (ehemaligen) Kläger zu 2. und 3. mit Beschluss vom 6. März 2018 abgetrennt und unter dem Aktenzeichen 6 A 1799/18 fortgeführt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage, über die der Berichterstatter gemäß § 76 Abs. 1 Asylgesetz (AsylG) anstelle der Kammer als Einzelrichter entscheidet, hat Erfolg. Sie ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

Der Einzelrichter ist dabei nicht daran gehindert, auf Basis der mündlichen Verhandlung vom 26. Februar 2018 über die Klage zu entscheiden, obgleich kein Vertreter der Beklagten erschienen ist. Das Gericht hat die Beteiligten nämlich mit der Ladung darauf hingewiesen, dass auch in ihrer Abwesenheit mündlich verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)).

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Der Bescheid des Bundesamtes vom 24. August 2016, mit dem dieses Begehren abgelehnt worden ist, verletzt die Klägerin in ihren Rechten und ist aufzuheben, soweit er dem vorgenannten Anspruch entgegensteht (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO).

Nach § 3 Abs. 4 AsylG in der Fassung des Gesetzes vom 11.03.2016 (BGBl. I S. 394) wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, grundsätzlich die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. § 3 Abs. 1 AsylG bestimmt dazu, dass ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560) ist, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Diese Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind in der Person der Klägerin erfüllt.

Eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG kann vom Staat, staatsähnlichen Organisationen oder auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat oder nichtstaatliche Träger faktischer Staatsgewalt einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten (§ 3c f. AsylG) und soweit nicht eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht (§ 3e AsylG).

Eine „begründete Furcht“ vor Verfolgung (vgl. auch Art. 1 GFK, Art. 2 RL 2011/95/EU) liegt vor, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich drohen, d. h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit (BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67, Rn. 19). Der danach maßgebliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Zu bewerten ist letztlich, ob aus Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Schutzsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in das Herkunftsland als unzumutbar erscheint. Zu begutachten ist die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat (BVerwG, Urteil vom 06.03.1990 - 9 C 14.89 -, juris). Dabei entspricht die zunächst zum nationalen Recht entwickelte Rechtsdogmatik zur Frage der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ auch dem neueren europäischen Recht (BVerwG, Urteil vom 01.06.2011 - 10 C 25.10 -, BVerwGE 140, 22; Nds. OVG, Urteil vom 27.06.2017 – 2 LB 91/17, BeckRS 2017, 118678, Rn. 29).

Bei der Bewertung, ob die im Einzelfall festgestellten Umstände eine die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz nach § 3 AsylG rechtfertigende Verfolgungsgefahr begründen, ist zu unterscheiden zwischen der Frage, ob dem Ausländer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungshandlung gemäß den § 3 Abs. 1, § 3a AsylG droht, und der Frage einer ebenfalls beachtlich wahrscheinlichen Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund (Nds. OVG, Urteil vom 27.06.2017 – 2 LB 91/17, BeckRS 2017, 118678, Rn. 30).

Beim Flüchtlingsschutz gilt für die Verfolgungsprognose ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Das gilt unabhängig von der Frage, ob der Ausländer vorverfolgt ausgereist ist oder nicht. Die Privilegierung des Vorverfolgten erfolgt durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU (sog. Qualifikationsrichtlinie), nicht (mehr) durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.06.2011 - 10 C 25.10 -, BVerwGE 140, 22, Rnr. 21 f.; Nds. OVG, Urteil vom 27.06.2017 – 2 LB 91/17, BeckRS 2017, 118678, Rn. 31).

Hinsichtlich der Anforderungen an den Klägervortrag muss unterschieden werden zwischen den in die eigene Sphäre des Asylsuchenden (bzw. hier: des um Flüchtlingsschutz Nachsuchenden) fallenden Ereignissen, insbesondere seiner persönlichen Erlebnisse, und den in den allgemeinen Verhältnissen seines Herkunftslandes liegenden Umständen, die seine Furcht vor Verfolgung rechtfertigen sollen. Lediglich in Bezug auf erstere muss er eine Schilderung geben, die geeignet ist, seinen Anspruch lückenlos zu tragen, wobei dem persönlichen Vorbringen des materiell beweisbelasteten Klägers und dessen Würdigung nach § 108 VwGO im Hinblick auf die regelmäßig bestehende Not an anderen Beweismitteln gesteigerte Bedeutung zukommt. Zur Anerkennung kann schon allein sein Tatsachenvortrag führen, sofern seine Behauptungen unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände in dem Sinne „glaubhaft“ sind, dass sich das Tatsachengericht von ihrer Wahrheit überzeugen kann (Nds. OVG, Urteil vom 27.06.2017 – 2 LB 91/17, BeckRS 2017, 118678, Rn. 33). Hinsichtlich der allgemeinen politischen Verhältnisse im Herkunftsland reicht es hingegen wegen seiner zumeist auf einen engeren Lebenskreis beschränkten Erfahrungen und Kenntnisse aus, wenn der Kläger Tatsachen vorträgt, aus denen sich - ihre Wahrheit unterstellt - hinreichende Anhaltspunkte für eine nicht entfernt liegende Möglichkeit politischer Verfolgung für den Fall einer Rückkehr in das Herkunftsland ergeben (BVerwG, Urteil vom 04.11.1981 - 9 C 251/81 -, juris; Urteil vom 22.03.1983 - 9 C 68.81 -, juris). Hier ist es Aufgabe der Beklagten und der Gerichte, unter vollständiger Ausschöpfung aller verfügbaren Erkenntnisquellen, die Gegebenheiten im Herkunftsstaat aufzuklären und darauf aufbauend eine in besonderem Maße von Rationalität und Plausibilität getragene Prognose zu treffen (Nds. OVG, Urteil vom 27.06.2017 – 2 LB 91/17, BeckRS 2017, 118678, Rn. 34 f.).

Führt dies für sich genommen zu keinem für den Schutzsuchenden günstigen Ergebnis, verbleibt es bei allgemeinen Beweislastregeln. Allgemein gilt, dass die humanitäre Schutzrichtung des Asyl- und Flüchtlingsrechts weder eine Umkehr der objektiven Beweislast noch eine Folgenabwägung im Sinne eines „better safe than sorry“ gebietet (vgl. hierzu Ellerbrok/Hartmann, NVwZ 2017, S. 522 (523)). Das gilt erst recht, wenn es allein um die genaue Ausprägung des Schutzstatus geht, nicht aber um das „Ob“ der Schutzgewährung (Nds. OVG, Urteil vom 27.06.2017 – 2 LB 91/17, BeckRS 2017, 118678, Rn. 36).

Auf Basis dieses rechtlichen Maßstabs haben im vorliegenden Fall die für die Verfolgung der Klägerin sprechenden Umstände bei einer zusammenfassenden Bewertung größeres Gewicht als die dagegen sprechenden Umstände. Das Gericht kommt aufgrund des aus dem Inbegriff der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks zu der Überzeugung, dass der Klägerin im Falle der Rückkehr in den Irak aus individuellen, nur in ihrer Person liegenden Gründen im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG Verfolgung droht.

Der Klägerin kommt bei der Beurteilung der Frage, ob ihr weiterhin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsgefahren im Irak drohen (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - juris Rn. 32; Urteil vom 01.03.2012 - 10 C 7.11 - juris Rn. 12) die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie zugute. Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde bzw. von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung bedroht wird. Ersteres ist hier der Fall. Die Klägerin ist vorverfolgt aus dem Irak ausgereist. Sie war nach Überzeugung des Gerichts vor ihrer Ausreise aus dem Irak aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Var. 5 AsylG) von Verfolgungsmaßnahmen bedroht, die nach § 3 Abs. 1 AsylG geeignet sind, Flüchtlingsschutz zu begründen.

Nach § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG gilt eine Gruppe insbesondere dann als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund haben, der nicht verändert werden kann (lit. a) und die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird (lit. b). Eine Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch dann vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft (§ 3b Abs. 1 Nr. 4 letzter HS AsylG). Letzteres ist bei der Klägerin als alleinerziehende, geschiedene Frau im Irak der Fall.

Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln bilden junge, alleinstehende Frauen ebenso wie junge, alleinerziehende Frauen im Irak eine eigene soziale Gruppe im Sinne des § 3b Abs. 1 Nr. 4 letzter HS AsylG.

In dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes (AA) über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 7. Februar 2017 (Stand: Dezember 2016) heißt es zur Lage der Frauen im Irak (S. 13 f.), dass die in der Verfassung festgeschriebene Gleichstellung der Geschlechter und das verfassungsrechtlich verankerte Verbot jeder Art von Diskriminierung (vgl. Art. 14 und 20 der irakischen Verfassung) in niederrangigen Rechtsnormen keine Entsprechung finde und in der Praxis durch erhebliche Defizite gekennzeichnet sei. Die Stellung der Frau habe sich im Vergleich zur Zeit des Saddam-Regimes teilweise deutlich verschlechtert. Die prekäre Sicherheitslage und wachsende fundamentalistische Tendenzen in Teilen der irakischen Gesellschaft hätten negative Auswirkungen auf das Alltagsleben und die politischen Freiheiten der Frauen. Vor allem im schiitisch geprägten Südirak würden islamische Regeln, z.B. Kopftuchzwang an Schulen und Universitäten, stärker durchgesetzt. Frauen würden unter Druck gesetzt, ihre Freizügigkeit und Teilnahme am öffentlichen Leben einzuschränken (VG Gelsenkirchen, Urt. v. 08.06.2017 – 8a K 1971/16.A -, juris Rn. 52).

Middle East Online hebt in einem Artikel aus Dezember 2011 hervor, nach Angaben der irakischen Parlamentsabgeordneten Safia al-Souhail sei in statistischer Hinsicht eine von fünf irakischen Frauen körperlicher oder psychischer Gewalt ausgesetzt, die oft von Familienangehörigen ausgehe (Middle East Online, Hidden victims of Iraq conflict: Women expect little change for better, 21.12.2011).

Human Rights Watch berichtete im Februar 2014, die Rechten der Frauen im Irak hätten sich seit dem Golfkrieg 1991 dramatisch verschlechtert. Mit der Erosion von Sicherheit und Stabilität einhergehend, hätten frauenfeindliche Ideologien propagierende Milizen Frauen und Mädchen zur Zielscheibe von Angriffen gemacht und sie eingeschüchtert, sich aus dem öffentlichen Leben fernzuhalten. Frauen sähen sich dem Risiko ausgesetzt, von Mitgliedern der ausschließlich männlichen Polizei oder anderen Sicherheitskräften belästigt und misshandelt zu werden, was ihre fortwährende Viktimisierung im häuslichen Bereich konsolidiere. Die größten Opfer der fortdauernden Unsicherheit seien junge Frauen. Sie würden verwitwet, versklavt, zur frühen Heirat gezwungen, häuslicher Gewalt ausgesetzt oder sexuell belästigt, sobald sie das Haus verließen. Letzteres sei ein neues Phänomen im Irak (Human Rights Watch, No one is safe. Abuses of women in Iraq’s criminal justice system, Februar 2014).

Nach den Förderungsrichtlinien für die Bewertung der internationalen Schutzbedürfnisse von Asylsuchenden aus dem Irak des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) vom 31. Mai 2012 ist die Gewalt gegen Frauen und Mädchen seit 2003 gestiegen und setzt sich unvermindert fort. Frauen und Mädchen seien im Irak Opfer von gesellschaftlichen, rechtlichen und wirtschaftlichen Diskriminierungen, Entführungen und Tötungen aus politischen, religiösen oder kriminellen Gründen, sexueller Gewalt, erzwungener Umsiedlung, häuslicher Gewalt, "Ehrenmorden" und anderen schädlichen traditionellen Praktiken, wie etwa (Sex-)Handel und erzwungener Prostitution. Frauen ohne männliche Unterstützung, einschließlich Witwen, Frauen, deren Ehemänner vermisst würden oder inhaftiert seien, und geschiedenen Frauen seien am meisten betroffen. Traditionell würden sie nach dem Verlust ihrer Ehemänner mit ihren Familien oder ihren Schwiegereltern mitgehen. Allerdings seien diese Verwandten oft wegen ihrer eigenen wirtschaftlichen Not nicht in der Lage, eine beträchtliche Unterstützung zu bieten (UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Iraq, 31.05.2012, S. 34 f.; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 08.06.2017 – 8a K 1971/16.A -, juris Rn. 60).

Einer Schnellrecherche der Länderanalyse der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) zufolge gelten alleinlebende Frauen zu den verletzlichsten Personengruppen des Landes. Ohne Unterstützung und Schutz von Verwandten seien sie besonders anfällig für Belästigungen, Entführungen oder sexuelle Übergriffe. Viele seien zur Sicherung ihres Lebensunterhalts gezwungen, sich zu prostituieren, Ehen mit älteren Männern oder Zeitehen („pleasure marriages“) einzugehen (SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 15. Januar 2015 zu Irak: Zwangsheirat, S. 2, 8).

Auch Unami Human Rights stellt in einem Bericht aus Juni/Juli 2014 fest, einzelne Frauen und weibliche Haushaltsvorstände seien besonders anfällig für Drohungen von sexuellen und anderen Formen der physischen Gewalt, Tötungen und den beeinträchtigten Zugang zu ohnehin bereits begrenzter humanitärer Hilfe (Unami Rights Report on the Protection of Civilians in the Non International Armed Conflict in Iraq, 5 June - 5 July 2014, S. 21; VG Gelsenkirchen, a.a.O., Rn. 60).

Des Weiteren hebt das Britische Innenministerium in seinem Länderbericht 2015 in Bezug auf den Irak hervor, dass einzelne Frauen und Kinder, die in den Irak zurückkehrten, aufgrund ihres Geschlechts und ihres Alters besonders anfällig seien und wahrscheinlich die Schwelle für die Zuerkennung internationalen Schutzes erreicht sein dürfte, sofern sie keine Unterstützungsnetze hätten oder sich nicht finanziell unterstützen könnten (UK Home Office, Country Information and Guidance. Iraq: humanitarian situation in Baghdad, the south (including Babil) and the Kurdistan Region of Iraq, Version 1.0., Juni 2015, S. 7, Rn. 2.4.8).

Auf Basis dieser Erkenntnismittellage steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass junge, alleinstehende oder alleinerziehende Frauen, welche nicht auf den Schutz ihres Familienverbundes zurückgreifen können, als bestimmte soziale Gruppe im Sinne des § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG anzusehen sind. Sie weisen aufgrund ihres Geschlechts in Kombination mit ihrem Familienstand und ihrer fehlenden Einbindung in einen schützenden Familienverbund eine besondere Identität auf, derentwegen sie die irakische Gesellschaft als andersartig betrachtet, d.h. als gesellschaftlichen Fremdkörper. Hiermit einher geht eine besondere Verletzlichkeit bzw. Anfälligkeit gegenüber den in § 3a AsylG bezeichneten Verfolgungshandlungen.

Das Gericht ist darüber hinaus aufgrund der glaubhaften und substantiierten Ausführungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung sowie auf Basis der vorliegenden Erkenntnismittel zu der Überzeugung gelangt, dass sie als junge, alleinerziehende und geschiedene Frau im Irak sich von nichtstaatlicher wie staatlicher Seite Verfolgungsmaßnahmen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Var. 4 AsylG ausgesetzt sah.

Als Verfolgungen im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 1 gelten dabei gemäß § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen (Nr. 1), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt.

Die Klägerin ist nach ihren glaubhaften Angaben gegenüber dem Bundesamt geschieden und alleinerziehende Mutter von zwei Kindern. Sie hatte im Irak im Wesentlichen nur noch Kontakt zu ihrer Mutter. Zwei ihrer Schwestern leben mittlerweile im Oman; in den Familienverband ihrer beiden im Irak lebenden Brüder und ihrer verbleibenden Schwester wurde sie nicht aufgenommen.

Es steht überdies zur Überzeugung des Einzelrichters fest, dass die Klägerin zwei Tage vor ihrer Ausreise aus dem Irak Opfer von psychischer Gewalt im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG wurde, namentlich Opfer einer gegen das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 3 EMRK) gerichteten Drohung. Zwei Mitglieder einer islamistischen Gruppierung suchten die Klägerin nämlich zuhause auf und forderten sie auf, Informationen aus der gesicherten O., dem N. Bagdads, herauszuschmuggeln, wobei diese Männer ihr für den Fall des Nichtkooperierens drohten, sie, ihre Kinder und ihre Mutter zu töten. Der diesbezügliche Vortrag der Klägerin in der mündlichen Verhandlung wies hinreichende Realitätskennzeichen im Sinne der Glaubhaftigkeitsanalyse von Aussagen auf, welche aus Sicht des Einzelrichters für die Wiedergabe eines real erlebten Geschehens sprechen.

So schilderte die Klägerin im Detail den Gesprächsverlauf mit den Tätern, indem sie davon berichtete, dass die Männer ihr zunächst nur abstrakt gedroht hätten, sie im Falle des Zuwiderhandelns „zu benachteiligen“, woraufhin sie nachgefragt habe, was ihre Gegenüber hierunter verstehen würden. Entsprechendes gilt für die Wiedergabe der Aussage, die Klägerin solle „keinen Fehler machen“, d.h. sich nicht an die Polizei wenden. Ebenso konnte die Klägerin räumlich-situative Details der Rahmenhandlung schildern, indem sie belegte, dass die beiden Männer nach Öffnen der Tür sofort eingetreten seien. Zudem vermochte sie das Gesamtgeschehen auch bei späteren Nachfragen noch räumlich situativ einordnen, indem sie schilderte, wo sich zum Zeitpunkt der Bedrohung ihre Kinder sowie ihre zum damaligen Zeitpunkt kranke Mutter befunden hätten und wie letztere auf die nachträgliche Schilderung des Ereignisses reagiert habe. Schließlich erörterte die Klägerin plastisch die Emotionen, die sie bei diesem Vorfall durchlebte („Gefühlschaos“) sowie ihre Sorge um ihre zurückgebliebene Mutter, die gemeinsam mit ihr die Wohnung am folgenden Tag fluchtartig verlassen habe und seitdem in verschiedenen (Not-)Unterkünften schlafe, um schwerer auffindbar zu sein. Gleichermaßen legte die Klägerin auch in Teilbereichen unverstandene Handlungselemente dar, indem sie auf die Frage, weshalb die Männer gerade zu ihr gekommen seien, angab, sie sei ggf. von einer ebenfalls in der grünen Zone arbeitenden Nachbarin verraten worden, wisse dieses jedoch nicht genau. Nicht zuletzt decken sich die Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung in den entscheidenden Bereichen mit ihren Aussagen vor dem Bundesamt.

Die festgestellte nichtstaatliche Verfolgungshandlung beruht auch kausal auf dem Verfolgungsgrund. Nach § 3a Abs. 3 AsylG muss zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit den in § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den in § 3a Abs. 1, Abs. 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen. Die Verfolgung muss mit anderen Worten „wegen“ bestimmter Verfolgungsgründe drohen, anderenfalls kann eventuell nur subsidiärer Schutz nach § 4 AsylG zuerkannt werden. Auf die subjektive Motivation des Verfolgers kommt es dabei nicht an, sondern auf die objektiven Auswirkungen für den/die Betroffenen. Auch genügt es, wenn ein Verfolgungsgrund nach § 3b einen wesentlichen Faktor für die Verfolgungshandlung darstellt und die Maßnahme nach ihrem Charakter und den jeweiligen Umständen des Einzelfalls objektiv erkennbar zielgerichtet ist (Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Auflage 2018, § 3a AsylG, Rn. 7; BVerwG, Urteil vom 19.01.2009 - 10 C 52.07 -, BVerwGE 133, 55, Rn. 22, 24; Nds. OVG, Urteil vom 27.06.2017 – 2 LB 91/17, BeckRS 2017, 118678; VGH München, Urteil vom 23.03.2017 – 13 a B 17.30011 -, NVwZ-RR 2017, S. 986 [VGH Bayern 23.03.2017 - 13a B 17.30011] für die Zwangsrekrutierung von Kindersoldaten als kinderspezifische Verfolgung). Maßgebend ist im Sinne einer objektiven Gerichtetheit die Zielrichtung, die der Maßnahme unter den jeweiligen Umständen ihrem Charakter nach zukommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.1.2009 - 10 C 52.07 -, BVerwGE 133, 55, Rn. 22, 24, Marx, AsylG, 2017, § 3a Rn. 50 ff.). Dieses ist hier der Fall. Die Angehörigen der islamistischen Gruppe traten nach den Feststellungen in der mündlichen Verhandlung nicht nur deshalb an die Klägerin heran, weil sie als Informatikerin und Beschäftigte des irakischen Parlaments Zugang zur grüne Zone hatte, sondern auch und gerade deshalb, weil sie sich als alleinerziehende Frau ohne Einbindung in einen schützenden Familienverband in einer besonders verletzlichen Lage befand, die es objektiv wahrscheinlich machte, dass sie den Drohungen der Gruppierung keinen nennenswerten Widerstand würde entgegensetzen können.

Es sprechen derzeit auch keine stichhaltigen Gründe im Sinne von Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie gegen die Vermutung, dass die Klägerin im Falle einer Rückkehr erneut von solcher Verfolgung bedroht wird.

Bei der Beurteilung der Frage, ob stichhaltige Gründe gegen die Wiederholung einer gleichartigen Verfolgung sprechen, sind insbesondere die Schwere der drohenden Rechtsgutverletzungen und das Ausmaß der drohenden Gefahr zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 - juris Rn. 19; Nds. OVG, Urteil vom 28.07.2014 - 9 LB 2/13 - juris Rn. 30). Der Nachweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie liegt dabei der Gedanke zugrunde, dass es einem vor seiner Ausreise unmittelbar von Verfolgung bedrohten Ausländer nicht zuzumuten ist, das Risiko einer Verfolgungswiederholung zu tragen (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 07.03.2013 - A 9 S 1873/12 - juris Rn. 26; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 08.03.2017 - 15a K 5929/16.A - juris Rn. 38). Das VG Gelsenkirchen hat dazu im Urteil vom 8. März 2017 (a.a.O., Rn. 32 - 37) ausgeführt:

„Die Nachweiserleichterung, die einen inneren Zusammenhang zwischen erlittener Vorverfolgung und befürchteter erneuter Verfolgung voraussetzt,

vgl. BVerwG, Urteile vom 27. April 2010 - 10 C 5/09 - und vom 18. Februar 1997 - 9 C 9.96 -, BVerwGE 104, 97 (101 ff.), juris,

beruht zum einen auf der tatsächlichen Erfahrung, dass sich Verfolgung nicht selten und Pogrome sogar typischerweise in gleicher oder ähnlicher Form wiederholen.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 27. April 2010 - 10 C 5/09 - und vom 27. April 1982 - 9 C 308.81 -, BVerwGE 65, 250 (252), juris.

Zum anderen widerspricht es dem humanitären Charakter des Asyls, demjenigen, der das Schicksal der Verfolgung bereits erlitten hat, wegen der meist schweren und bleibenden - auch seelischen - Folgen das Risiko einer Wiederholung aufzubürden.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 27. April 2010 - 10 C 5/09 - und vom 18. Februar 1997 - 9 C 9.96 -, BVerwGE 104, 97 (99), juris.

Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Sie misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für Ihre Wiederholung bei und begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bei der Rückkehr in ihr Heimatland bedroht werden und entlastet sie von der Notwendigkeit, stichhaltige Gründe dafür vorzulegen, dass sich die vorverfolgungsbegründenden oder einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in das Heimatland erneut realisiert werden.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 5/09 -; Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 28. Februar 2008 - 37201/06 -, Saadi, Rn. 128 m.w.N., juris.“

In Anwendung dieses rechtlichen Maßstabs liegen derzeit keine stichhaltigen Gründe vor, welche die Annahme rechtfertigen könnten, dass die Klägerin im Falle der Rückkehr in den Irak nicht mehr Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt sein würde, die an ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe anknüpfen.

Der Klägerin kann sich nicht auf wirksamen staatlichen Schutz vor der Verfolgung durch die islamistische Gruppierung berufen. Über die Frage staatlichen Schutzes ist im Rahmen der Verfolgungsprognose in dem nach Art. 4 Abs. 3 lit. a) bzw. Art. 8 Abs. 2 Qualifikationsrichtlinie maßgebenden Entscheidungszeitpunkt zu entscheiden. Entscheidend ist insoweit ausschließlich, ob der Ausländer bei Rückkehr in den Zielstaat dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auch tatsächlich individuellen Zugang zu diesem effektiven Schutz hat (Bergmann/Dienelt/Bergmann, Ausländerrecht, § 3d AsylG Rn. 3). Nach § 3d Abs. 1 Nr. 1 AsylG kann Schutz vor der Verfolgung u.a. vom Staat geboten werden, sofern dieser willens und in der Lage ist, Schutz gemäß § 3d Abs. 2 AsylG zu leisten. Hiernach muss der Schutz vor Verfolgung wirksam und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in § 3d Abs. 1 AsylG genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat. Letzteres setzt voraus, dass die Betroffenen einen realistischen Zugang zu den Schutzmaßnahmen haben, was insbesondere erfordert, dass sie den Schutz gefahrenfrei in Anspruch nehmen können (Kluth, in: BeckOK AuslR, Stand: November 2017, § 3d AsylG, Rn. 3). Diese Voraussetzungen sind im Falle der Klägerin nicht erfüllt. Der Klägerin ist es nicht möglich, im Falle ihrer Rückkehr auf eine für sie zumutbare Weise wirksamen Schutz vor der fortwährenden Bedrohung durch Islamisten zu erlangen.

Die Klägerin kann sich zum einen nicht schutzsuchend an die irakische Polizei wenden. Nach dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes (AA) sind die irakischen Sicherheitskräfte nicht in der Lage, landesweit den Schutz der Bürger zu gewährleisten. Die Anwendung bestehender Gesetze sei nicht gesichert, zumal es ohnehin kein Polizeigesetz gebe. Personelle Unterbesetzung, mangelnde Ausbildung, mangelndes rechtsstaatliches Bewusstsein vor dem Hintergrund einer über Jahrzehnte gewachsenen Tradition von Unrecht und Korruption auf allen Ebenen seien hierfür die Hauptursachen (AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Dezember 2016), 07.02.2017, S. 9). Nach dem bereits zitierten Bericht von Human Rights Watch aus Februar 2014 besteht für Frauen zudem ein erhebliches Risiko, von Mitgliedern der ausschließlich männlichen Polizei oder anderen Sicherheitskräften belästigt und misshandelt zu werden (Human Rights Watch, No one is safe. Abuses of wo-men in Iraq’s criminal justice system, Februar 2014). Diese Erkenntnismittellage deckt sich mit den Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung. Hier hat die Klägerin glaubhaft ausgeführt, sie habe es von vornherein nicht versucht, vor ihrer Ausreise bei der Polizei Schutz zu suchen, weil sie mit dieser überaus schlechte Erfahrungen gemacht habe. In diesem Kontext schilderte sie eingehend und unter Angabe der wesentlichen Gesprächsverläufe einen Vorfall, bei dem sie in der Vergangenheit versucht habe, zwei Jungen anzuzeigen, die ihrem Sohn beide Schneidezähne ausgeschlagen hätten. Selbst bei diesem Vorfall hätten die handelnden Beamten immer wieder die Anzeigeunterlagen absichtlich verlegt, um sie immer wieder zu einer Anzeige aufs Revier zu bitten und ihr dabei indirekte Avancen zu machen.

Zum anderen kann die Klägerin im Falle ihrer Rückkehr auch keinen effektiven Schutz von ihrem ehemaligen Arbeitgeber erlangen, dem irakischen Parlament. Es ist bereits fraglich, ob sich die Klägerin bereits im Grundsatz überhaupt wieder an ihren ehemaligen Arbeitgeber wenden kann, da sie in ihrer Anhörung glaubhaft schilderte, den Irak völlig überstürzt verlassen zu haben, d.h. ohne überhaupt eine Kündigung einzureichen oder sich von der Arbeit abzumelden. Selbst wenn man im Übrigen unterstellte, dass das Parlament ungeachtet ihres überstürzten Wegganges dem Grunde nach gegenüber der Klägerin schutzbereit sei, so hätte die Klägerin unter normativen Gesichtspunkten keinen Zugang zu diesem Schutz im Sinne des § 3d Abs. 2 letzter HS AsylG, da sie ihn nicht ohne schwerwiegende Beeinträchtigung ihres Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung nach Art. 8 Abs. 1 Var. 1 EMRK in Anspruch nehmen könnte.

In diesem Zusammenhang hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung eindrucksvoll ein Bild von ihrem bisherigen Arbeitsplatz im Wirtschaftsausschuss des irakischen Parlaments gezeichnet. Hiernach war die dortige Arbeit gekennzeichnet durch ein Klima permanenter sexueller Belästigung, in dem Vorgesetzte und Abgeordnete unter Ausnutzung ihrer Machtposition hartnäckig sexuelle Gefälligkeiten von den ledigen Mitarbeiterinnen einforderten, etwaige Hilfen nur gegen sexuelle Dienste gewährten und infolgedessen diejenigen benachteiligten, die sich – wie die Klägerin – diesen Forderungen nach dem Eingehen einer „heimlichen Heirat“ o.ä. verwehrten. Eine ältere Kollegin habe hierbei eine Art Mittlerfunktion zwischen der Gruppe der Abgeordneten und derjenigen der jungen Frauen eingenommen und habe diesen – geradezu nach Art einer Leiterin einer „Escortagentur“ – auf Wunschbestellung hin junge Frauen zugeführt oder vermittelt. Beschwerden der Klägerin gegen diese Kollegin seien erfolglos geblieben. Die diesbezüglichen Schilderungen der Klägerin wertet der Einzelrichter als glaubhaft, da sie Beispiele der Belästigungen plastisch schildern konnte, wobei sie auch im Zuge nachträglicher, spontaner Ergänzungen ihres bisherigen Vortrages in der Lage war, personelle (Quer-)Verbindungen zwischen den handelnden Beteiligten zu ziehen.

In Übereinstimmung mit dieser allgemeinen Schilderung zur Arbeitssituation im irakischen Parlament hat die Klägerin des Weiteren in der mündlichen Verhandlung eingehend dargelegt, dass sie am Tag nach der Bedrohung durch die islamistische Gruppierung zur Arbeit gegangen und einen Abgeordneten um Hilfe gebeten habe, der ihr personellen Schutz vor Rachemaßnahmen der Gruppierung lediglich unter der Bedingung angeboten habe, dass sie ihm sexuell zu Diensten sei. Auch diese Angabe wertet der Einzelrichter als in jeglicher Hinsicht glaubhaft, da die Klägerin dieses Ereignis auch noch im Nachgang sichtlich emotional betroffen und empört schilderte und zudem in der Lage war, einzelne Aussagen der Unterhaltung plastisch wiederzugeben.

Es bieten sich für das erkennende Gericht keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass sich die dargestellte Situation im Falle ihrer jetzigen Rückkehr in den Irak anders darstellen würde. Dass aber ein staatlicher Schutz, der seinerseits nur durch sexuelle Ausbeutung im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 1 AsylG „erkauft“ werden kann, keinen wirksamen Schutz im Sinne des § 3d Abs. 2 S. 1 AsylG darstellt, liegt auf der Hand. Im Gegenteil: In der hier gegebenen Ausnutzung einer bestehenden unmittelbaren Todesdrohung durch private Dritte, um sexuelle Dienste zu erlangen, lag ihrerseits eine staatliche (Vor-)Verfolgung im Sinne des § 3c Abs. 1 Nr. 1, § 3b Abs. 2 Nr. 1 AsylG. Es macht unter normativen Gesichtspunkten keinen Unterschied, ob ein staatlicher Bediensteter der Klägerin seinerseits tödliche Gewalt androhte, um sexuelle Handlungen zu erzwingen, oder ob er – wie im vorliegenden Fall – unter Missachtung seiner staatlichen Schutzpflicht eine anderweitig bestehende Todesdrohung ausnutze, um seine eigenen Ziele zu erreichen.

Schließlich kann sich die Klägerin der weiterhin drohenden Verfolgungsgefahr durch staatliche und private Akteure nicht durch eine Flucht in sonstige Landesteile des Irak entziehen, d.h. in Provinzen außerhalb der kurdischen Autonomieregion. Die Kammer nimmt diesbezüglich in ständiger Rechtsprechung (vgl. zuletzt Urteil v. 26.10.2017 - 6 A 7844/17 und 6 A 9126/17) an, dass sich Flüchtlinge im Irak aufgrund der vorherrschenden humanitären Verhältnisse in aller Regel nicht dauerhaft in andere Landesteile begeben können. Dazu heißt es im Urteil vom 26. Oktober 2017 (6 A 9126/17):

„Eine inländische Fluchtalternative im Sinne des § 3 e Abs. 1 AsylG besteht nicht. Es fehlt den Flüchtlingen die Möglichkeit sicher in vergleichsweise sichere Landesteile zu reisen und dort aufgenommen zu werden, vgl. § 3 e Abs. 1 Nr. 2 AsylG. Denn Personen, die aus den vom IS kontrollierten Gebieten im Nord- und Zentralirak fliehen, haben nur eingeschränkten Zugang zu diesen Gebieten in anderen Landesteilen, da strenge Einreise- und Niederlassungsbeschränkungen bestehen, die u.a. an den Nachweis eines Bürgen, eine Meldung bei den örtlichen Behörden und eine erfolgreiche Sicherheitsprüfung durch verschiedene Sicherheitsbehörden geknüpft sind. Die Zugangs- und Niederlassungsvoraussetzungen sind in den Provinzen unterschiedlich ausgestaltet, und mitunter gibt es sogar innerhalb einer Provinz je nach (Unter-)Distrikt unterschiedliche Regelungen. Teilweise werden vollständige Einreisestopps für Flüchtlinge aus Konfliktgebieten verhängt, einschließlich der Provinzen Bagdad, Babel und Karbala. Die Sicherheitsüberprüfungen betreffen vor allem sunnitische Araber und sunnitische Turkmenen, die aus den vom IS kontrollierten Gebieten fliehen und als Sicherheitsrisiko angesehen werden.

Zugangsbeschränkungen an Kontrollpunkten sind nicht immer klar definiert und können je nach Sicherheitslage unterschiedlich angewandt bzw. willkürlich geändert werden. Die Voraussetzungen für eine Bürgschaft entbehren einer Rechtsgrundlage und werden oftmals willkürlich geändert. Sie können an den einzelnen Kontrollpunkten und je nach diensthabendem Personal unterschiedlich gehandhabt werden. Auch wenn Personen alle angegebenen Voraussetzungen an die Bürgschaft erfüllen, ist der Zugang zu einem relativ sicheren Gebiet nicht garantiert, und selbst Menschen mit ernsthaften gesundheitlichen Problemen wurde schon der Zugang verwehrt. Insbesondere ethnische und religiöse Erwägungen können darüber entscheiden, ob der Zugang gewährt oder verwehrt wird. Es besteht das Risiko einer Ausbeutung und Misshandlung, einschließlich sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt, da einige Bürgen Geld oder „Dienste“ für die Übernahme der Bürgschaft verlangen. Es kann passieren, dass Schutz suchende Personen ohne Zugang zu grundlegender Versorgung an den Kontrollpunkten festsitzen, weil diese geschlossen sind oder ihnen der Zutritt zu bestimmten Orten verwehrt wird.

Binnenvertriebene werden zunehmend daran gehindert, städtische Gebiete zu betreten, und – bisweilen gegen ihren Willen – in Lager verbracht, in denen ihre Freizügigkeit in unangemessener Weise und ohne legitime sicherheitsbezogene oder sonstige Gründe beschränkt wird. Infolgedessen müssen Flüchtlinge oft in den Konfliktgebieten bzw. in deren Umgebung bleiben (vgl. zum Vorstehenden UNHCR-Position zur Rückkehr in den Irak vom 14.11.2016, S. 4; Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7.2.2017, S. 10-12). Auch das Auswärtige Amt geht davon aus, dass Rückkehrer aus dem Ausland, die derzeit nicht in ihre noch vom IS kontrollierte Heimat zurückkehren können, kaum eine Möglichkeit haben, einen sicheren Aufnahmeplatz zu finden. Ausnahmen stellten ggf. Familienangehörige in nicht umkämpften Landesteilen dar.“

Es ist vorliegend weder ersichtlich noch vorgetragen worden, dass im Fall der Klägerin besondere Umstände vorliegen, welche die Annahme rechtfertigen, die Lage der Klägerin könne von der vorgenannten Situation abweichen. Im Gegenteil: Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung glaubhaft geschildert, dass sie bereits vor der Bedrohung durch die islamistische Gruppierung erfolglos versucht habe, im Bagdader Büro der kurdischen Regionalregierung eine Aufenthaltserlaubnis für die kurdische Autonomieregion zu erhalten. Hiermit sei sie gescheitert, weil sie aufgrund der Zwangsarabisierung ihrer Familie in den 70er Jahren nicht mehr als Kurdin gelte und zudem nicht in Kurdistan geboren sei. Im Übrigen lassen auch die spezifisch zur Situation alleinstehender Frauen im Irak bestehenden Erkenntnismittel erhebliche Zweifel daran aufkommen, dass die Klägerin nunmehr in der Lage wäre, in die Autonomieregion einzureisen und ihren Lebensunterhalt zu sichern. Nach Erkenntnissen von Unami Human Rights aus Juni/Juli 2014 bestehen Hinweise darauf, dass Mitarbeiter an Checkpoints der kurdischen Autonomieregion jungen Frauen ohne männliche Begleitung die Einreise verwehren (Unami Rights Report on the Protection of Civilians in the Non International Armed Conflict in Iraq, 5 June - 5 July 2014, S. 21). Nach einem Gutachten des Europäischen Zentrums für Kurdische Studien (EZKS) aus November 2011 sei es für alleinstehende Frauen ohne familiäre Kontakt insbesondere wegen der Knappheit des Angebots an Arbeitsstellen für Frauen sehr schwierig, sich dauerhaft in Kurdistan aufzuhalten (EZKS, Gutachten an das Verwaltungsgericht München zu Irak (Kurdistan), Aktenzeichen M 4 K 10.30095, 9. November 2011, S. 8). Dieses gilt erst recht im vorliegenden Fall für die Klägerin als nicht kurdisch sprechende Mutter zweier betreuungsbedürftiger Kinder.

Anhaltspunkte für Ausschlussgründe gegenüber der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 2, Abs. 3 AsylG sowie § 60 Abs. 8 S. 1 AufenthG bestehen nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 S. 1, S. 2 ZPO.