Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 15.02.2018, Az.: 12 A 4313/15

Klagebefugnis; rechtsmissbräuchlich; Treu und Glauben; venire contra factum proprium; Vergleich

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
15.02.2018
Aktenzeichen
12 A 4313/15
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 73915
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind erstattungsfähig.

Die Entscheidung über die Kosten ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zum Anbau eines Schweinemaststalls.

Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks A-Straße in A-Stadt (Flurstück G. Flur H. der Gemarkung I.). Unmittelbar nördlich angrenzend befindet sich das Grundstück des Beigeladenen C-Straße (Flurstücke J. und K. Flur H. der Gemarkung I.), auf dem der Beigeladene in vier Ställen Schweine hält. Mit Bescheid vom 02.10.2003 erteilte der Beklagte dem Beigeladenen eine Baugenehmigung zum Anbau eines Schweinemaststalls mit Biofilter zur Haltung von 180 Ferkeln (bis 20 kg) und 294 Mastschweinen (über 40 kg bis 110 kg). Sie enthält u. a. verschiedene Auflagen zum Betrieb des Biofilters (Nrn. 11-18).

Der Standort des Biofilters liegt ca. 50 m vom Wohnhaus des Klägers entfernt auf der von diesem Wohnhaus abgewandten Seite des Stalls. Im Genehmigungsverfahren legte der Beigeladene ein Gutachten des L. vom 20.03.2003 vor, welches auf S. 11 zu dem Ergebnis kommt, dass durch das Vorhaben bei Verwendung eines Biofilters nach dem sog. Oldenburger System eine relevante Zusatzbelastung von Geruchsimmissionen aufgrund der räumlichen Lage und der im Nahbereich des Wohnhauses liegenden weiteren Stallanlagen ohne Abluftreinigung nicht zu erwarten sei.

Gegen den Genehmigungsbescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 22.10.2003 Widerspruch ein. Nach Fertigstellung und Inbetriebnahme des Schweinestalls Anfang Oktober 2004 begründete der Kläger seinen Widerspruch im Wesentlichen damit, dass auf seinem Grundstück trotz der installierten Filteranlage selbst bei mäßigen Temperaturen erhebliche Geruchsbelästigungen durch Rohgasgerüche festzustellen seien.

Im November 2008 leitete der Kläger ein selbstständiges Beweissicherungsverfahren bei dem Landgericht Verden M. ein. In diesem erstellte Herr Dipl.-Ing. agr. N. ein Gutachten zu den von sämtlichen Stallungen des Beigeladenen ausgehenden Gerüchen und schlug „Maßnahmen zur Beseitigung (Minimierung) der Beeinträchtigungen“ vor. In dem sich anschließenden Klageverfahren vor dem Landgericht Verden O. beantragte der Kläger, den Beigeladenen zu verurteilen, es zu unterlassen, durch Gerüche, die von dem [2003 genehmigten] Schweinestall auf dem Grundstück des Beigeladenen ausgehen, das Grundstück des Klägers wesentlich zu beeinträchtigen, hilfsweise den Beigeladenen zu verurteilen, an den Kläger 20.000,00 Euro zu zahlen. Aufgrund des Beweisbeschlusses vom 14.09.2011 erstellte Frau Dipl.-Met. P. in diesem Verfahren unter dem 20.06.2012 ein Gutachten zu den Geruchsemissionen und -immissionen der gesamten Tierhaltung auf der Hofstelle des Beigeladenen. Sie kam zu dem Ergebnis, dass auf dem Grundstück des Klägers je nach Lage Werte zwischen 14 und 31 % der Jahresgeruchsstunden erreicht würden. Nach der vor Ort durchgeführten mündlichen Verhandlung vom 26.09.2012 wies das Landgericht die Klage ab, woraufhin der Kläger Berufung bei dem Oberlandesgericht Celle einlegte. Dieses wies darauf hin, dass das Prozessrisiko nach überschlägiger Prüfung für beide Parteien als gleichwertig eingestuft werde und zudem nur durch eine vergleichsweise Einigung konkrete Maßnahmen festgelegt werden könnten, während bei einer Verurteilung die Vollstreckung des Unterlassungsanspruchs in der Praxis zu erheblichen Problemen führe. Der schließlich unter dem 29.11.2013 vor dem Oberlandesgericht Celle geschlossene gerichtliche Vergleich lautet:

„1. Der Beklagte [Beigeladener in diesem Verfahren] verpflichtet sich zur Durchführung folgender Maßnahmen bis zum 1. Juli 2014:

a) Die Abluftschächte werden bei den Ställen 1, 2 und 3 jeweils auf 1,5 m über First erhöht, bei dem Stall 4 auf 3,0 m über First. Die Abdeckungen der Schächte werden abmontiert, sodass der Luftstrom ungehindert das Stallgebäude verlassen kann. Es werden dem Stand der Technik entsprechende Diffusoren eingebaut.

b) Entlang der Grenze zu dem klägerischen Grundstück werden in Verlängerung des vorhandenen Baumbestands vier Obstbäume gepflanzt.

2. Damit ist der vorliegende Rechtsstreit erledigt.

3. Die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der des selbständigen Beweisverfahrens sowie des Vergleichs werden gegeneinander aufgehoben.“

Am 31.08.2015 hat der Kläger wegen der noch ausstehenden Bescheidung seines Widerspruchs Untätigkeitsklage erhoben.

Nachdem eine Ortsbesichtigung des Beklagten am 21.01.2016 ergab, dass die Maßnahmen an den Abluftschächten augenscheinlich vollständig umgesetzt worden waren, hat der Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Bescheid vom 27.01.2016 zurückgewiesen. Der Kläger hat diesen in seine Klage einbezogen.

Seine Klage begründet er im Wesentlichen damit, dass von der streitgegenständlichen Stallerweiterung erhebliche Geruchsbelästigungen ausgingen. Dies ergebe sich u. a. aus den im zivilrechtlichen Verfahren eingeholten Gutachten. Die Umsetzung des vor dem OLG Celle geschlossenen Vergleichs habe an der Situation nichts geändert. Die von dem Gutachter N. vorgeschlagenen Maßnahmen zur Beseitigung der Immissionsproblematik seien nicht abschließend und auch nicht sämtlich Gegenstand des Vergleichs gewesen. Die zivilrechtliche Behandlung des Rechtsstreits könne sich nicht auf die Beurteilung des Rechtsstreits aus verwaltungsrechtlicher Sicht auswirken.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 02.10.2003 (Baugenehmigung) und den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 27.01.2016 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, dass die Baugenehmigung dem Gebot der Rücksichtnahme durch verschiedene Auflagen Rechnung trage, die der Beigeladene erfüllt habe. Zuletzt habe er bei der Ortsbesichtigung am 21.01.2016 festgestellt, dass die Biofilteranlage einwandfrei funktioniere. Ein typischer Schweinestallgeruch sei nicht wahrnehmbar gewesen. Die Verletzung von subjektiv öffentlichen Rechten könne sich nur aus der angefochtenen Baugenehmigung ergeben, die übrigen Ställe und Gebäude seien bestandskräftig genehmigt. Dies verkenne der Kläger, wenn er in seiner Argumentation den Betrieb des Beigeladenen als Ganzes für die Beurteilung heranziehe. Die in den zivilgerichtlichen Verfahren erstellten Gutachten aus den Jahren 2009 und 2012, die ebenfalls die gesamte Hofstelle des Beigeladenen betrachteten, seien daher nicht geeignet zu belegen, dass nachbarschützender Rechte allein durch die streitgegenständliche Baugenehmigung beeinträchtigt würden. Sie seien zudem überholt, da sich die Ausgangssituation durch die Umsetzung der Maßnahmen zur Geruchsminderung aus dem Vergleich verändert habe.

Der Beigeladene beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung schließt er sich im Wesentlichen der Argumentation des Beklagten an.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen; ihr Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist bereits unzulässig.

Dem Kläger fehlt es an der erforderlichen Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO. Danach ist die Klage, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt - hier die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung - in seinen Rechten verletzt zu sein. Die Zulassung des Bauvorhabens durch die Bauaufsicht verletzt einen Nachbarn dann in seinen Rechten, wenn sie mit Vorschriften nicht vereinbar ist, die - zumindest auch - die Funktion haben, nachbarliche Rechte zu schützen. Die behauptete Rechtsverletzung muss zumindest möglich erscheinen. Darüber hinaus muss die geschützte Rechtsposition jedoch auch im konkreten Fall schutzwürdig sein (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 42 Rdnr. 89). Das ist beispielsweise dann nicht der Fall, wenn der Kläger zuvor auf das geltend gemachte Recht verzichtet hat oder wenn seine Klageerhebung im Widerspruch zu seinem früheren Verhalten steht. Insoweit ist anerkannt, dass subjektiv-öffentliche Abwehrrechte gegen ein Bauvorhaben auch dann entfallen, wenn sich der betreffende Nachbar dem Bauherrn gegenüber im Rahmen einer privatrechtlichen Vereinbarung verpflichtet hat, keine Einwendungen gegen die beabsichtigte Baumaßnahme zu erheben. In einem derartigen Fall stellt sich, wenn die Erklärung ein ganz konkretes Bauprojekt betrifft, ein abredewidriges Vorgehen gegen die Zulassung dieses Vorhabens als Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben in der Fallgruppe des „venire contra factum proprium“ dar, weil der Nachbar auf diese Weise im Widerspruch zu seinem vorherigen Verhalten handelt (vgl. OVG Saarland, Urt. v. 28.05.1996 - 2 R 24/95 -, juris Rdnr. 34).

Von einem entsprechenden Verstoß gegen Treu und Glauben ist hier auszugehen. Denn der Kläger hat zur Erledigung des zivilrechtlichen Rechtsstreits, in dem er sich gegen die angebliche Geruchsbeeinträchtigung seines Grundstücks durch den aufgrund der hier streitgegenständlichen Baugenehmigung errichteten Stall wandte, mit dem Beigeladenen einen Vergleich geschlossen. Mit diesem hat sich der Beigeladene zu zahlreichen emissionsmindernden Maßnahmen an anderen auf seinem Grundstück befindlichen und bestandskräftig genehmigten Stallanlagen sowie der Pflanzung von vier Obstbäumen an der Grenze zum Grundstück des Klägers verpflichtet. Mit diesem Vergleich sollte der zivilrechtliche Rechtsstreit erledigt sein. Damit hat sich der Kläger verpflichtet, bei unverändertem Sachverhalt keine Einwendungen mehr gegen das streitgegenständliche Bauvorhaben zu erheben. Wenn der Kläger nunmehr, nachdem der Beigeladenen seinen Verpflichtungen aus dem Vergleich nachgekommen ist, vor dem Verwaltungsgericht die Aufhebung der Baugenehmigung mit der Begründung begehrt, er sei aufgrund der Gerüche schädlichen Umwelteinwirkungen ausgesetzt, ist dies rechtsmissbräuchlich und steht im Widerspruch zu seinem Verhalten im zivilrechtlichen Verfahren. Zwar hatte das zivilrechtliche Verfahren nicht die Aufhebung der streitgegenständlichen Baugenehmigung, sondern die Unterlassung von Geruchsbeeinträchtigungen zum Ziel, jedoch richtet sich die Beurteilung des zivilrechtlichen Unterlassungsanspruchs gem. § 1004 i. V. m. § 906 BGB im Hinblick auf Geruchsimmissionen nach denselben Vorschriften, die auch für die Beurteilung des vorliegenden Rechtsstreites heranzuziehen sind. So verweisen § 906 Abs. 1 Sätze 2 und 3 BGB auf die in Gesetzen, Rechtsverordnungen oder in allgemeinen Verwaltungsvorschriften festgelegten Grenz- oder Richtwerte. Der Sachverhalt ist im Zivilprozess nach diesen Vorschriften begutachtet und bewertet worden. In Kenntnis des Ergebnisses der Begutachtung hat der Kläger einer vergleichsweisen Einigung zugestimmt. Macht er nun denselben - tatsächlich sogar wegen des umgesetzten Vergleichs zu seinen Gunsten veränderten - Sachverhalt, wenn auch in einem anderen Gerichtszweig, geltend, verhält er sich widersprüchlich. Dem dürfte auch nicht entgegenstehen, dass die Nr. 2 des Vergleichs nicht die ursprünglich unter dem 28.01.2013 vorgeschlagene „Stillhalteverpflichtung“ des Klägers für die Zukunft enthält („Der Kläger wird den Beklagten so lange nicht auf Unterlassung wegen Immissionsbeeinträchtigungen in Anspruch nehmen, wie der Betrieb nicht durch weitere Gebäude erweitert wird oder sich die Zahl der Tiere nicht um mehr als 10 % gemessen an den im Gutachten N. vom 10. September 2009 genannten Zahlen erhöht.“, s. Q., Bl. 168 der Gerichtsakte). Denn der Wegfall dieser Regelung, mit der der Kläger sich verpflichtet hätte, zukünftige moderate Betriebserweiterungen zu akzeptieren, eröffnet gerade nicht zwangsläufig die Möglichkeit, gegen die bestehende Situation, die durch den Vergleich geregelt werden sollte, erneut vorzugehen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 3, § 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten des notwendig Beigeladenen dem Kläger aufzuerlegen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.