Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 08.02.2018, Az.: 19 B 8797/17

Anhörung; Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz; ausreichender Wohnraum; Besuchervisum; Kindernachzug; Kindeswohl; minderjährig; nationales Visum; Niedersachsen; ordre public; Personensorge; Schengen-Visum; Schengenvisum; Türkei; türkische Sorgerechtsentscheidung; Vater; Verfahrensmangel; Visumsverstoß; Visumverfahren; wesentlicher Verfahrensmangel; Wohnungsgröße

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
08.02.2018
Aktenzeichen
19 B 8797/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2018, 74431
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Sorgerechtsentscheidung eines türkischen Amtsgerichts verstößt gegen wesentliche Grundprinzipien des deutschen Familien- und Kindschaftsrechts und den ordre public, wenn das betroffene Kind und der Vater vor der Übertragung des Sorgerechts nicht persönlich angehört wurden.

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der am C. 2001 geborene minderjährige Antragsteller ist türkischer Staatsangehöriger. Er reiste am 8. August 2016 mit einem D. vom 1. August 2016 bis 14. September 2016 gültigen Besuchervisum in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ein.

Unter dem 2. Februar 2017 wurde die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Familiennachzugs beantragt. Der Antragsteller wolle dauerhaft bei seinem Vater E. leben, der seit 2001 in Deutschland lebe und über eine Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 AufenthG verfüge. In der Türkei sei eine Betreuung des Antragstellers nicht mehr sichergestellt. Der Antragsteller sei bei seinen Großeltern aufgewachsen, diese seien aber nicht mehr in der Lage und auch nicht mehr bereit für den Antragsteller zu sorgen.

Nach vorheriger Anhörung lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis mit Bescheid vom 5. April 2017 ab, forderte den Antragsteller auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland binnen 14 Tagen nach Zustellung des Bescheides zu verlassen und drohte ihm für den Fall, dass er seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb der Ausreisefrist nachkommen sollte, seine Abschiebung in die Türkei an.

Der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sei abzulehnen, weil die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen. Der Antragsteller sei nicht mit dem für den längerfristigen Aufenthalt erforderlichen nationalen Visum eingereist. Von dem Visumserfordernis könne auch nicht im Wege der Ermessensentscheidung nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgesehen werden. Die Voraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 2, 1. Alt. oder 2. Alt. AufenthG lägen nicht vor. Der Antragsteller habe keinen Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 32 AufenthG. Es sei bereits nicht nachgewiesen, dass es sich bei dem türkischen Staatsangehörigen E. tatsächlich um den Vater des Antragstellers handele. Zudem habe der Antragsteller den erforderlichen Nachweis, dass das Sorgerecht (auch) dem angegebenen Vater übertragen worden sei, trotz Aufforderung nicht erbracht. Auch besondere Umstände im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 2 2. Alt. AufenthG, aufgrund derer es dem Antragsteller unzumutbar sei, das Visumverfahren vom Ausland aus nachzuholen, lägen nicht vor. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt des Bescheides Bezug genommen, der dem Prozessbevollmächtigten am 24. April 2017 zugestellt wurde.

Der Antragsteller hat am 24. Mai 2017 F. Klage erhoben.

Trotz mehrfacher Aufforderung hat der Prozessbevollmächtigte die Klage erst am 29. September 2017 begründet und am selben Tag um vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht.

Dem Antragsteller stehe ein Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Familiennachzugs zu. Mit Beschluss vom 26. Juli 2017 habe das türkische Amtsgericht G. die elterliche Sorge auf den Vater des Antragstellers E. übertragen. In der Türkei sei eine Betreuung und finanzielle Versorgung des minderjährigen Antragstellers nicht länger sichergestellt. Zur Glaubhaftmachung hat der Antragsteller unter anderem den Beschluss des türkischen Amtsgerichts G. vom 26. Juli 2017, nebst deutscher Übersetzung sowie Erklärungen der Großeltern des Antragstellers H. vom 27. Februar 2017 und der Kindesmutter vom 27. Juni 2017 vorgelegt.

Der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid

vom 5. April 2017 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO sei unzulässig und auch in der Sache unbegründet. Dem Antragsteller stehe ein Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 32 AufenthG nicht zu. Der Anspruch scheitere bereits daran, dass die Anspruchsvoraussetzungen, namentlich eine wirksame Übertragung der Personensorge auf den Kindesvater, nicht spätestens zum maßgeblichen Zeitpunkt der Vollendung des 16. Lebensjahres (I. Mai 2017) des Antragstellers vorlagen. Auch könne nicht von einer wirksamen Übertragung des Sorgerechts auf den Kindesvater ausgegangen werden. Die Entscheidung des türkischen Amtsgerichts sei mit der öffentlichen Ordnung offensichtlich nicht vereinbar (ordre public); sie leide an einem grundlegenden Verfahrensmangel, denn der Antragsteller sei im Verfahren der Sorgerechtsübertragung nicht persönlich angehört worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

II.

Über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz entscheidet die Berichterstatterin als Einzelrichterin, nachdem ihr die Kammer die Rechtssache zur Entscheidung übertragen hat (§ 6 VwGO).

Zu Recht weist die Antragsgegnerin darauf hin, dass der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO unstatthaft und damit unzulässig ist, soweit er auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ablehnung der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gerichtet ist (zu 1.). Insoweit scheidet auch eine Umdeutung des Antrags in einen allein zulässigen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO aus, weil auch der so umgedeutete Antrag in der Sache ohne Erfolg bliebe (zu 2.). Soweit der Antrag auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die mit dem streitgegenständlichen Bescheid verfügte Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung gerichtet ist, ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zwar statthaft und auch im Übrigen zulässig, in der Sache aber nicht begründet (zu 3.).

Im Einzelnen gilt folgendes:

zu 1. Soweit der Antrag auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ablehnung der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gerichtet ist, liegt ein Fall des § 80 Abs. 5 VwGO nicht vor. Der Antragsteller ist nur mit einem kurzzeitigen Besuchervisum (Schengen-Visum) eingereist, und er hat den Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis erst mehrere Monate nach dem Ablauf der Gültigkeit des Visums gestellt. Der Antrag entfaltet mithin keine Erlaubnis- bzw. Fortbestandswirkung nach § 81 Abs. 3 oder 4 Satz 1 AufenthG, die im Zuge einer gerichtlichen Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage „wiederaufleben“ oder sonst die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht hemmen könnte. Dies hat zur Folge, dass die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht nach § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG bereits mit dem Ablauf der Geltungsdauer des Schengen-Visums eintritt (vgl. VG Hannover, Beschlüsse vom 19. Juli 2017 19 B 3397/17-; 28. Juni 2017 - 19 B 3762/17 -; Nds. OVG, Beschluss vom 12. November 2013 - 13 ME 190/13 -, juris Rdnr. 6; Bay. VGH, Beschluss vom 22. Juli 2014 - 10 CS 14.1534, 10 C 14.1535 - juris Rdnr. 4).

zu 2. Eine Umdeutung des insoweit unstatthaften Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO in einen statthaften Antrag auf Erlass einer Sicherungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kommt nicht in Betracht, denn auch der so umgedeutete Antrag hätte in der Sache aus den nachfolgenden Gründen keine Aussicht auf Erfolg.

a) Für die Dauer des Verfahrens zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis kann ausnahmsweise im Wege einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO eine Aussetzung der Abschiebung erwirkt werden, wenn nur so sichergestellt werden kann, dass dem Betroffenen eine ihn begünstigende ausländerrechtliche Regelung zugutekommt.

Derartige ausländerrechtliche Regelungen sind aber nur solche, nach denen der Ausländer den angestrebten aufenthaltsrechtlichen Status auch vom Inland aus verfolgten kann. In diesem Fall ist zur Sicherung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) eine Ausnahme von dem Grundsatz zu machen, wonach die Erteilung einer Duldung für die Dauer eines Aufenthaltsgenehmigungsverfahrens aus gesetzessystematischen Gründen ausscheidet, wenn ein vorläufiges Bleiberecht nach § 81 AufenthG nicht eingetreten ist (Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 22. November 2017 - 8 ME 132/17 -). Die Annahme der rechtlichen Unmöglichkeit der Abschiebung im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist aber in einer solchen Situation dann nicht gerechtfertigt, wenn bereits zum Zeitpunkt der Prüfung eines Anspruchs auf Erteilung einer Duldung feststeht, dass die Erteilung der angestrebten Aufenthaltserlaubnis ausgeschlossen ist (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 22. November 2017 - 8 ME 132/17 -; Beschluss vom 11. August 2008 - 13 ME 128/08 -, juris Rn. 2 f.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12. Februar 2008 - 18 B 230/08 -, InfAuslR 2008, S. 211, juris Rn. 3).

Ausgehend von diesem Prüfungsrahmen bleibt der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nach § 123 VwGO ohne Erfolg, denn der Antragsteller hat einen sicherungsfähigen Anspruch auf einen weiteren Verbleib im Bundesgebiet bis zu einer Entscheidung der Klage in der Hauptsache nicht glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).

b) Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (§ 60a Abs. 2 AufenthG) liegen nicht vor. Die Abschiebung des Antragstellers ist nicht wegen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, der vom Inland aus geltend gemacht werden kann, rechtlich unmöglich und daher auszusetzen.

Ein Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 32 AufenthG besteht nicht

Der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 32 AufenthG stehen bereits die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 2 AufenthG und § 29 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 2 Abs. 4 AufenthG entgegen.

Nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG muss für den Familiennachzug zu einem Ausländer ausreichender Wohnraum zur Verfügung stehen. Als ausreichender Wohnraum wird nicht mehr gefordert als für die Unterbringung eines Wohnungssuchenden in einer öffentlich geförderten Sozialwohnung genügt. Der Wohnraum ist nicht ausreichend, wenn er den auch für Deutsche geltenden Rechtsvorschriften über die Beschaffung und Belegung nicht genügt (§ 2 Abs. 4 AufenthG). In Niedersachsen richtet sich die Bemessung der angemessenen Wohnungsgrößen nach den landesrechtlichen Durchführungsvorschriften zu § 10 des Gesetzes über die soziale Wohnraumförderung (WofG). Die angemessene Größe der Wohnung bestimmt sich nach den vom Sozialministerium erlassenen Wohnraumförderungsbestimmungen - WFB (Nds. MBl. 2000 Nr. 27, S. 580), zuletzt geändert durch Verwaltungsvorschrift vom 01.08.2008 (Nds. MBl. 2008 Nr. 32, S. 862). Diese geben in Ziffer 11.2 die förderfähige bzw. angemessene Wohnfläche wie folgt an:

11.2 Bei Mietwohnungen gelten folgende Wohnflächen als angemessen:

– für Alleinstehende bis 50 m²,

– für zwei Haushaltsmitglieder bis 60 m²,

– für drei Haushaltsmitglieder bis 75 m²,

– für vier Haushaltsmitglieder bis 85 m²;

– für jedes weitere Haushaltsmitglied bis 10 m² zusätzlich.

Nach Ziffer 2.4.2. der allgemeinen Verwaltungsvorschriften (VV-AufenthG) zu § 2 AufenthG ist dagegen ausreichender Wohnraum dann vorhanden, wenn für jedes Familienmitglied über 6 Jahren 12 m² Wohnfläche zur Verfügung stehen und Nebenräume (Küche, Bad, WC) in angemessenem Umfang mitbenutzt werden können. Eine Unterschreitung dieser Wohnungsgröße um etwa 10 % ist unschädlich. Wohnräume, die von Dritten mitbenutzt werden, bleiben grundsätzlich außer Betracht.

Der Nachweis ausreichenden Wohnraums erfordert im Regelfall hinreichende Belege aus denen sich ergibt, dass dem in Deutschland lebenden Ausländer eine Wohnung rechtlich und tatsächlich gesichert zusteht und dass diese für die Wohnzwecke der Familienangehörigen genutzt werden kann (vgl. Dienelt in Bergmann/Dienelt Ausländerrecht, Kommentar 12. Auflage, § 2 Rn 143).

Das dem Antragsteller entsprechender Wohnraum zur Verfügung steht, ist danach nicht glaubhaft gemacht.

Nach seinen eigenen Angaben wohnt er bei seinem Vater, der seinerseits bei seiner Lebensgefährtin zur Untermiete wohnt. Nach dem vorgelegten Untermietvertrag J. steht dem Vater in der Wohnung der Lebensgefährtin, die eine Wohnfläche von insgesamt 44,12 m² hat und aus zwei Zimmern, Küche und Bad besteht, lediglich ein Zimmer mit einer Größe von 22 m² zur alleinigen Nutzung zur Verfügung. Zusätzlich ist dem Vater eine Mitbenutzung (nur) von Bad und WC, nicht aber eine Mitbenutzung der Küche vertraglich eingeräumt.

Es kann hier offenbleiben, ob dieser Wohnraum (noch) ausreichend ist oder ob der dem Antragsteller augenscheinlich gemeinsam mit seinem Vater zur Verfügung stehende Wohnraum von nur einem Zimmer mit 22 m² nebst Bad- und WC-Mitbenutzung zu klein und damit unzureichend ist. Denn es ist bereits nicht ersichtlich, dass der Wohnraum dem Antragsteller in rechtlich gesicherter Weise zur Verfügung steht.

Nach § 553 BGB ist eine Untervermietung nur mit der Zustimmung des Vermieters K. zulässig. Dass der Vermieter, der Lebensgefährtin des Vaters und Hauptmieterin die nach § 553 BGB erforderliche Erlaubnis für eine Untervermietung an den Antragsteller zugestimmt hat, ist nicht vorgetragen und auch sonst nicht aus dem vorgelegten Untermietvertrag ersichtlich.

Von den Anforderungen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG kann hier auch nicht ausnahmsweise nach § 29 Abs. 2 AufenthG abgesehen werden, denn der Vater des Antragstellers verfügt nicht über die erforderliche Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 oder 4 AufenthG.

Zudem liegt auch die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht vor. Danach setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis voraus, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist. Welches Visum erforderlich ist, ergibt sich aus § 6 AufenthG. Ein Schengen-Visum kann nach § 6 Abs. 1 AufenthG nur für die Durchreise oder für kurzfristige Aufenthalte erteilt werden. Für längerfristige Aufenthalte ist nach § 6 Abs. 3 AufenthG ein Visum für das Bundesgebiet (sog. nationales Visum) erforderlich, das vor der Einreise erteilt wird. Die Frage welches Visum erforderlich ist, beantwortet sich nach dem Aufenthaltstitel, dessen Erteilung beantragt ist; es kommt bei § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht auf einen früheren, sondern auf den aktuell angestrebten Aufenthaltszweck an (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Januar 2011 - 1 C 23/09 -, juris Rn. 20).

Der Antragsteller ist nicht mit dem für den aktuell angestrebten längerfristigen Aufenthalt im Bundesgebiet erforderlichen nationalen Visum (§ 6 Abs. 3 AufenthG) eingereist.

Eine Einholung des Aufenthaltstitels vom Bundesgebiet aus, ist dem Antragsteller auch nach der Sonderregelung des § 39 Nr. 3 AufenthV nicht eröffnet. Nach der auf § 99 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG beruhenden Bestimmung des § 39 Nr. 3 AufenthV kann ein Ausländer zwar über die im Aufenthaltsgesetz geregelten Fälle hinaus einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen, wenn er Staatsangehöriger eines im Anhang II der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 aufgeführten Staates ist und sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder über ein gültiges Schengen-Visum für kurzfristige Aufenthalte (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG) verfügt, sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Einreise entstanden sind.

Der Antragsteller erfüllt diese Voraussetzungen aber nicht.

Er ist türkischer Staatsangehöriger und die Türkei zählt nicht zu den in der Anlage II der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 aufgeführten Staaten (§ 39 Nr. 3 1. Alternative AufenthV). Vielmehr gehört die Türkei nach der Anlage I der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 zu den Staaten deren Staatsangehörige bei Überschreiten der Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Besitz eines Visums sein müssen. Zudem hielt sich der Antragsteller zum Zeitpunkt der Beantragung der Aufenthaltserlaubnis am 2. Februar 2017 nicht mehr rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Sein Aufenthalt war unrechtmäßig, weil sein Besuchervisum bereits am 14. September 2016 abgelaufen war.

Zu Recht ist die Antragsgegnerin auch im Wege der Ermessensentscheidung nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG zu dem Ergebnis gelangt, dass von einer Einhaltung der Visavorschriften hier nicht ausnahmsweise abgesehen werden kann.

Nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG kann von den Anforderungen des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels erfüllt sind oder es aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumsverfahren nachzuholen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 10. Dezember 2014 - 1 C 15/14 -, juris Rn. 15, 18 ff.; Urteil vom 16. November 2010 - 1 C 17/09 -, juris Rn. 23 ff.; Urteil vom 25. August 2009 – 1 C 30/08 – (offen gelassen für Regelansprüche oder Ansprüche aus einer „Sollvorschrift“ (§ 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG)) ist unter einem „Anspruch“ im Sinne von § 39 Nr. 3 AufenthV ebenso wie bei anderen vergleichbaren Formulierungen im Aufenthaltsgesetz - etwa in § 5 Abs. 2 AufenthG oder § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG - grundsätzlich nur ein strikter Rechtsanspruch zu verstehen. Ein strikter Rechtsanspruch liegt dann vor, wenn alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind und die Behörde kein Ermessen mehr auszuüben hat. Ein Anspruch aufgrund einer Ermessensvorschrift genügt auch dann nicht, wenn das Ermessen im Einzelfall „auf Null reduziert“ ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 2008 - 1 C 37/07 -, juris Rn. 20).

Für die Beurteilung der Sach-und Rechtslage ist bei Verpflichtungsklagen, die auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gerichtet sind, grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz maßgeblich (vgl. st. Rspr. BVerwG, Urteil vom 29 November 2012 - 10 C 4/12 -, juris Rn. 12 m.w.N.). Der Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist daher an dem AufenthG vom 25. Februar 2008, zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 20. Juli 2017 (BGBl. I Seite 2780) zu messen.

Sind aufenthaltsrechtliche Ansprüche an eine Höchstaltersgrenze geknüpft - wie beim Kindernachzug die Vollendung des 16. Lebensjahres -, ist für die Einhaltung der Altersgrenze ausnahmsweise auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen. Wird die Altersgrenze im Laufe des Verfahrens überschritten, folgt daraus, dass die übrigen Anspruchsvoraussetzungen spätestens auch im Zeitpunkt des Erreichens der Altersgrenze – beim Kindernachzug mit der Vollendung des 16. Lebensjahres - vorgelegen haben müssen. Danach eingetretene Sachverhaltsänderungen zugunsten des betroffenen Ausländers können grundsätzlich nicht berücksichtigt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 29 November 2012 - 10 C 4/12 -, juris Rn. 13; BVerwG, Urteil vom 18. November 1997 - 1 C 22.96 -, InfAuslR 1998, 161 ff.).).

Davon ausgehend liegen die Voraussetzungen eines Anspruchs auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Kindernachzugs nach § 32 AufenthG nicht vor.

Nach § 32 Abs. 1 AufenthG ist dem minderjährigen ledigen Kind eines Ausländers eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn beide Eltern oder der allein personensorgeberechtigte Elternteil eine Aufenthaltserlaubnis, eine Blaue Karte EU, eine ICT-Karte, eine Mobiler-ICT-Karte, eine Niederlassungserlaubnis oder eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt - EU besitzen.

Hat das minderjährige ledige Kind bereits das 16. Lebensjahr vollendet und verlegt es seinen Lebensmittelpunkt nicht zusammen mit seinen Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in das Bundesgebiet, gilt § 32 Abs. 1 AufenthG nur, wenn es die deutsche Sprache beherrscht oder gewährleistet erscheint, dass es sich aufgrund seiner bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland einfügen kann (§ 32 Abs. 2 AufenthG).

Zu Recht weist die Antragsgegnerin darauf hin, dass die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 AufenthG im maßgeblichen Zeitpunkt der Vollendung des 16. Lebensjahres des Antragstellers nicht vorlagen. Es kann offenbleiben, ob der Antragsteller glaubhaft machen konnte, dass es sich bei dem E. tatsächlich um seinen leiblichen Vater handelt oder ob sich erhebliche Zweifel an der Glaubhaftigkeit daraus ergeben, dass die Ehe zwischen der Mutter des Antragstellers und dem E. bereits L. 1998 geschieden wurde und der E. bereits seit dem 1. Februar 2001 und mithin zum Zeitpunkt der Geburt des Antragstellers (I. Mai 2001) nicht nur in einer anderweitigen Beziehung stand sondern bereits verheiratet war.

Selbst wenn zugunsten des Antragstellers unterstellt würde, dass es sich bei dem E. um seinen leiblichen Vater handelt, lagen die weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 AufenthG, namentlich die alleinige Personensorgeberechtigung des Vaters, im maßgeblichen Zeitpunkt der Vollendung des 16. Lebensjahres (I. Mai 2017) nicht vor. Nach dem erst im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Urteil des türkischen Amtsgerichts G. wurde die alleinige Personensorge erst am 26. Juli 2017 und mithin nach der Vollendung des 16. Lebensjahres des Antragstellers auf den E. übertragen.

Zu Recht weist die Antragsgegnerin auch darauf hin, dass die Sorgerechtsentscheidung des türkischen Amtsgerichts vom 26. Juli 2017 unter Beachtung des ordre public nicht anerkannt werden kann.

Die Anerkennung ausländischer Urteile im verwaltungsgerichtlichen Verfahren richtet sich grundsätzlich nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 328 ZPO. Für die Anerkennung ausländischer Sorgerechtsentscheidungen enthält § 108 Abs. 1 i.V.m. § 109 FamFG allerdings eine Sonderregelung, die der Regelung des § 328 ZPO vorgeht. Nach § 108 Abs. 1 FamFG ist für die Anerkennung von Sorgerechtsentscheidungen ausländischer Gerichte kein besonderes Verfahren vor deutschen Gerichten oder Behörden vorgesehen, sondern es gilt der Grundsatz der Inzidentanerkennung (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. November 2012 - 10 C 14/12 -, juris, Rn 17 ff. (19) m.w.N.). Nach § 97 Abs. 1 FamFG gehen allerdings Regelungen in völkerrechtlichen Vereinbarungen, soweit sie unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind, den Vorschriften des FamFG vor. Das Übereinkommen über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern vom 19. Oktober 1996 (BGBl 2009 II S. 602) - Haager Kinderschutzübereinkommen (KSÜ) - ist allerdings mangels Ratifizierung des Übereinkommens durch die Türkei nicht anwendbar (BVerwG, Urteil vom 29. November 2012 - 10 C 14/12 -, aaO Rn 20; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. Juli 2017 - 11 B 5.16 -, juris Rn. 16 ff.). Daher kommen im vorliegenden Fall als vorrangig anzuwendende völkerrechtliche Vereinbarungen i.S.d. § 97 Abs. 1 FamFG nur das Haager Minderjährigenschutzabkommen (MSA) und das europäische Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgerechtsverhältnisses vom 20. Mai 1980 (BGBl 1990 II S. 220) - europäisches Sorgerechtsübereinkommen (ESÜ) - in Betracht.

Es spricht einiges dafür, dass sich die Anerkennung einer ausländischen Sorgerechtsentscheidung als Vorfrage für den Kindernachzug vorrangig nach dem auf jeden Fall anwendbaren Haager Minderjährigenschutzabkommen (MSA) bestimmt (BVerwG, Urteil vom 29. November 2012 - 10 C 14/12 -, aaO, Rn 20; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. Juli 2017 - 11 B 5.16 -, aaO., Rn.18). Denn dieses Vertragswerk regelt die behördliche Zuständigkeit und das anzuwendende Recht zum Schutz von Minderjährigen ganz allgemein, während das Europäische Sorgerechtsübereinkommen (ESÜ) spezifische, zwischenstaatlich koordinierte Interventionsregelungen bei gestörten Sorgerechtsverhältnissen enthält. Das kann aber letztlich offenbleiben, denn keines der beiden Übereinkommen enthält eine abschließende Regelung für die Anerkennung ausländischer Sorgerechtsentscheidungen; insbesondere schließt Art. 19 ESÜ die Anwendung anderer internationaler Übereinkünfte nicht aus, um die Anerkennung oder Vollstreckung einer Entscheidung zu erwirken (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. November 2012 – 10 C 14/12 –, Rn. 17, juris, m.w.N.; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. Juli 2017 - 11 B 5.16 -, aaO., Rn.18). Zudem führen die jeweiligen Reglungen, die die Anerkennung ausländischer Sorgerechtsentscheidungen betreffen, hier zu identischen Ergebnissen.

Das Minderjährigenschutzabkommen findet auf Minderjährige, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Türkei haben, Anwendung (vgl. Art. 12, 13 MSA). Gemäß Art. 7 Satz 1 MSA sind die Maßnahmen, die die nach den vorstehenden Artikeln zuständigen Behörden getroffen haben, in allen Vertragsstaaten anzuerkennen; Maßnahmen in diesem Sinne sind auch gerichtliche Sorgerechtsentscheidungen. Ein förmliches Anerkennungsverfahren sieht das Abkommen nicht vor.

Als Grenze der gegenseitigen Anerkennung enthält Art. 16 MSA nur den Vorbehalt, dass die Bestimmungen des Übereinkommens in den Vertragsstaaten unbeachtet bleiben dürfen, wenn ihre Anwendung mit der öffentlichen Ordnung offensichtlich unvereinbar ist – ordre public – (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. November 2012 – 10 C 14/12 –, aaO, Rn. 18; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. Juli 2017- 11 B 5.16 -, aaO., Rn.19). Vergleichbare Vorschriften enthalten Art. 7 ESÜ (Anerkennung in einem Vertragsstaat ergangener Sorgerechtsentscheidungen) und Art. 10 Abs. 1 a) ESÜ. Danach können Anerkennung und Vollstreckung einer Sorgerechtsentscheidung versagt werden, wenn die Wirkungen der Entscheidung mit den Grundwerten des Familien- und Kindschaftsrechts im ersuchten Staat offensichtlich unvereinbar sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. November 2012 – 10 C 14/12 – aaO. Rn. 18, juris, m.w.N.; OVG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 12. Juli 2017 - 11 B 5.16 -, aaO. Rn.19 und vom 29. September 2010 – 12 B 21.09 –, juris Rn. 20;).

Abzustellen ist dabei nicht auf Art. 6 EGBGB, sondern auf den anerkennungsrechtlichen ordre public international. Mit diesem ist eine ausländische Entscheidung nicht schon dann unvereinbar, wenn der deutsche Richter - hätte er die zur Anerkennung stehende Entscheidung getroffen - aufgrund zwingenden deutschen Rechts zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Maßgeblich ist vielmehr, ob das Ergebnis der ausländischen Entscheidung zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steht, dass es nach deutscher Vorstellung untragbar erscheint. Prüfungsmaßstab sind dabei vor allem die Grundrechte. Die ausländische Entscheidung ist nicht auf ihre Rechtmäßigkeit am Maßstab des ausländischen Rechts zu überprüfen (Verbot der révision au fond). Bei der Anerkennung ausländischer Sorgerechtsentscheidungen liegt in materieller Hinsicht ein Verstoß gegen den ordre public erst dann vor, wenn die Hinnahme der Entscheidung wegen ihres Inhalts im Ergebnis mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Familien- und Kindschaftsrechts offensichtlich unvereinbar ist (materiell rechtlicher ordre public). Dabei steht das Wohl des Kindes im Mittelpunkt der Prüfung. Jede Regelung des Sorgerechts wirkt sich auf das Wohl des Kindes aus und muss daher das Kind in seiner Individualität als Grundrechtsträger berücksichtigen.

Ein Verstoß gegen den ordre public kann sich auch aus dem der anzuerkennenden Entscheidung vorangegangenen Verfahren ergeben, also der Art und Weise ihres Zustandekommens. Das ist der Fall, wenn die ausländische Entscheidung aufgrund eines Verfahrens ergangen ist, das von den Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts in einem solchen Maße abweicht, dass sie nach der deutschen Rechtsordnung nicht als in einem geordneten, rechtsstaatlichen Verfahren ergangen angesehen werden kann (verfahrensrechtlicher ordre public). Eine am Kindeswohl orientierte Sorgerechtsentscheidung erfordert daher auch eine Verfahrensgestaltung, die eine hinreichende Berücksichtigung der grundrechtlichen Stellung des betroffenen Kindes garantiert. Das Sorgerechtsverfahren ist unter Berücksichtigung des Alters des Kindes, seines Entwicklungsstandes und seiner seelischen Verfassung so zu gestalten, dass der Entscheidungsträger möglichst zuverlässig die Grundlagen einer am Kindeswohl orientierten Entscheidung erkennen kann. Das erfordert jedenfalls bei Jugendlichen grundsätzlich eine persönliche Anhörung und bei jüngeren Kindern zumindest ein funktionales Äquivalent, durch das ihnen Gelegenheit gegeben wird, ihre Interessen auf altersgerechte Weise zu formulieren und in das Verfahren einzubringen (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. November 2012 – 10 C 14/12 –, aaO Rn 19 m.w.N.; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. Juli 2017 - 11 B 5.16 -, aaO. Rn. 20).

Nach diesen Maßstäben steht der verfahrensrechtliche ordre public der Anerkennung des Urteils des türkischen Amtsgerichts G. vom 26. Juli 2017 entgegen.

Der Antragsteller ist in dem türkischen Sorgerechtsübertragungsverfahren unstreitig nicht persönlich angehört worden. Auch ist ihm nicht in gleichwertiger Weise Gelegenheit gegeben worden, seine Interessen auf altersgerechte Weise zu formulieren und in das Verfahren einzubringen. Dabei ist es rechtlich unerheblich, ob eine solche persönliche Anhörung im türkischen Verfahrensrecht vorgesehen ist, denn der verfahrensrechtliche ordre public dient der Wahrung des Kindeswohls und damit der höchstpersönlichen Rechte des Antragstellers.

Zudem verstößt die Sorgerechtsentscheidung des türkischen Amtsgerichts auch deshalb gegen den ordre public, weil die Entscheidung der grundrechtlichen Stellung des Vaters im Sorgerechtsverfahren nicht hinreichend Rechnung trägt. Die (grund-)rechtliche Stellung des Vaters, auf den das Sorgerecht übertragen werden soll, erfordert, dass auch er im Verfahren der Sorgerechtsübertragung persönlich angehört wird oder in adäquater Weise Gelegenheit erhält, seine Interessen zu formulieren und dass er der Übertragung uneingeschränkt zustimmt (vgl. auch OLG Koblenz, Beschluss vom 18. August 2015 – 11 UF 353/15 –, juris Rn.5 ff.). Dies gilt umso mehr, als die Interessen und Haltung des Elternteils auf den die Personensorge übertragen werden soll – hier des Vaters -, auch für die Beurteilung des Kindeswohls von wesentlicher Bedeutung sind. Auch die persönliche Anhörung oder eine gleichwertige Beteiligung des Vaters im Verfahren vor dem türkischen Amtsgericht ist unterblieben.

Auch eine ausnahmsweise Anerkennung der Sorgerechtsentscheidung des türkischen Amtsgerichts, die gegen den ordre public verstößt, kommt hier nicht in Betracht.

Zwar kann eine Sorgerechtsentscheidung, die den ordre public verletzt, ausnahmsweise anerkannt werden, wenn die Nichtanerkennung anderenfalls das Kindeswohl gefährdet. Diese Ausnahme vom Grundsatz der Nichtanerkennung ist geboten, weil im Rahmen der Prüfung eines Verstoßes gegen elementare Wertvorstellungen der deutschen Rechtsordnung mögliches kollidierendes Verfassungsrecht (hier: Art. 6 Abs. 2 GG) zu berücksichtigen ist. Damit ist keine vollständige Prüfung des Kindeswohls gefordert, sondern allein als Grenze der Nichtanerkennung die Gefährdung des Kindeswohls zu beachten (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. November 2012 – 10 C 11/12 –, aaO Rn. 23).

Im vorliegenden Fall ist eine solche Gefährdung des Kindeswohls im Falle der Nichtanerkennung der türkischen Sorgerechtsentscheidung, auch unter Berücksichtigung des Vortrags des Antragstellers im Verwaltungsverfahren und im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht glaubhaft gemacht und auch sonst nicht ersichtlich.

Aus der Sorgerechtsentscheidung ergeben sie dafür keine durchgreifenden Anhaltspunkte. Vielmehr ergibt sich aus den Gründen der Entscheidung, dass die Sorgerechtsübertragung in erster Linie darauf abzielt, dem Antragsteller einen Aufenthalt und Aufenthaltstitel in Deutschland zu verschaffen. Tragend waren danach sichtlich nicht Erwägungen die sich vorrangig an dem Kindeswohl des Antragstellers orientierten, wie eine familiäre Notlage und besondere Härte, die ein Verbleiben des Antragstellers in der Türkei unmöglich machen und eine vorrangige familiäre Bindung des Antragstellers zu dem im Bundesgebiet lebenden Vater, sondern unzweifelhaft Erwägungen der Erlangung eines Aufenthaltstitels in der Bundesrepublik Deutschland mit der daran geknüpften Erwartung einer Ausbildung.

Auch dass der Antragsteller nicht bei seiner Mutter und oder den Großeltern in der Türkei leben kann, ist weder glaubhaft noch substantiiert vorgetragen. Aus den Gründen der türkischen Sorgerechtsentscheidung ergibt sich dazu nichts. Vielmehr hat die Mutter des Antragstellers dort lediglich vorgetragen, dass sie der Übertragung des Sorgerechts auf den Vater zustimme, um dem Antragsteller in Deutschland einen Aufenthalt und eine Ausbildung zu ermöglichen. Zudem haben die Großeltern in ihrer schriftlichen Stellungnahme erklärt, dass der Antragsteller (nur) in den letzten 10 Jahren bei ihnen gelebt habe. Augenscheinlich hat der Antragsteller in der übrigen Zeit bei seiner Mutter oder anderen Verwandten in der Türkei gelebt. Der Vortrag der Mutter im Sorgerechtsverfahren legt zudem den Schluss nahe, dass der Antragsteller auch zu ihr eine persönliche Bindung hat. Die Mutter des Antragstellers lebt zudem in demselben Dorf wie die Großeltern, so dass auch insoweit von einem Kontakt zwischen dem Antragsteller und seiner Mutter auszugehen ist. Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, dass die Nichtanerkennung der türkischen Sorgerechtsentscheidung das Kindeswohl gefährdet.

Schließlich ist es dem Vater auch möglich, die Schul- und Berufsausbildung des Antragstellers in der Türkei durch eine entsprechende finanzielle Unterstützung sicherzustellen.

Damit scheidet auch ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 32 Abs. 2 AufenthG aus. Ungeachtet der fehlenden Personensorgeberechtigung des Vaters, erfüllt der Antragsteller auch die weiteren Voraussetzungen eines Anspruchs nach § 32 Abs. 2 AufenthG nicht.

Selbst wenn zugunsten des Antragstellers unterstellt würde, dass die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 32 AufenthG erfüllt sind, so liegen die weiteren Voraussetzungen der Ausnahmeregelung des § 5 Abs. 2 AufenthG nicht vor.

Die Antragsgegnerin ist im Wege der Ermessensentscheidung nach § 5 Abs. 2 AufenthG in nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gelangt, dass von der Einhaltung der Visa Vorschriften nicht abgesehen werden kann und dass es dem Antragsteller auch nicht aus besonderen Gründen unzumutbar ist, das Visumverfahren vom Ausland aus nachzuholen.

Bei der Prüfung der Zumutbarkeit im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ist eine Güterabwägung unter Beachtung des Grundsatzes der Verhaltensmäßigkeit anzustellen. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Einhaltung des Visumsverfahrens und die persönlichen und familiären Belange des Ausländers gegeneinander abzuwägen, wobei auch die Grundrechte zu beachten sind. Für das öffentliche Interesse streitet insbesondere die Erwägung, dass das Visumverfahren ein wichtiges Steuerungsinstrument der Zuwanderung ist (vgl. Bundestagsdrucksache - BT-Drs 15/420, Seite 70), von dem nur ausnahmsweise abgewichen werden soll. Auch aus generalpräventiven Gründen ist es gerechtfertigt, dem Eindruck anderer Ausländerinnen und Ausländer entgegen zu wirken, durch die Einreise mit einem Schengen-Visum, das eigentlich nur zu Besuchszwecken und damit für einen vorübergehenden Aufenthaltszweck erteilt wird, könnten letztlich vollendete Tatsachen für einen Daueraufenthalt im Bundesgebiet geschaffen werden (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 11. Januar 2011 - 1 C 23/09 -, BVerwGE 138, 353, juris Rn. 34).

Von dem Ermessen hat die Antragsgegnerin hilfsweise Gebrauch gemacht.

Die Grenzen des Ermessens hat sie dabei nicht überschritten und auch ein Ermessensfehlgebrauch liegt nicht vor. Die angestellten Erwägungen sind vom Zweck der Ermächtigungsgrundlage (§ 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG) gedeckt. Die Antragsgegnerin hat auf Seiten des öffentlichen Interesses zutreffend die Bedeutung des Visumverfahrens und die genannten Belange berücksichtigt. Dem öffentlichen Interesse hat sie in zulässiger Weise eine geringere Belastung des Antragstellers, auch in Ansehung der Dauer seines Aufenthalts, der Festigung seiner sozialen, kulturellen und familiären Bindungen im Bundesgebiet und andererseits in seinem Heimatland gegenübergestellt.

Auch sonstige besondere Umstände, die eine Nachholung des erforderlichen Visumverfahrens vom Ausland aus unzumutbar erscheinen lassen könnten, hat die Antragsgegnerin zu Recht verneint.

3. Soweit der Antrag auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage darüber hinaus gegen die mit dem Bescheid verfügte Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung gerichtet ist, ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zwar statthaft, in der Sache aber nicht begründet.

Das öffentliche Interesse an einem sofortigen Vollzug der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung überwiegt das Interesse des Antragstellers, bis zu einer Entscheidung des Gerichts über seine Anfechtungsklage im Bundesgebiet zu bleiben, denn die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung ist augenscheinlich rechtmäßig. Die rechtlichen Voraussetzungen der §§ 58 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2, 59 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AufenthG liegen vor.

Der Antragsteller ist bereits seit dem Ablauf seines Schengen-Visums vollziehbar ausreisepflichtig, weil die Fortgeltungsfiktion des § 81 AufenthG nicht gilt. Die Antragsgegnerin hat den Antragsteller zu Recht unter Hinweis auf seine vollziehbare Ausreisepflicht (§ 58 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 AufenthG) und die Bestimmung einer 14tägigen Ausreisefrist zur Ausreise aufgefordert und ihm für den Fall, dass er seine Ausreisepflicht nicht innerhalb der Ausreisefrist nachkommen sollte, die Abschiebung in die Türkei angedroht.

Die Einzelrichterin folgt auch insoweit und im Übrigen den zutreffenden Gründen des angefochtenen Bescheides und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Gründe ab (§ 117 Abs. 5 VwGO).

Auch der Umstand, dass der Antragsteller minderjährig und unbegleitet ist steht seiner Abschiebung nicht entgegen. Nach dem im Verwaltungsvorgang enthaltenen Vermerk der Antragsgegnerin vom M. Februar 2017 und der Erklärung vom N. Februar 2018 ist davon auszugehen, dass bei der Abschiebung des Antragstellers die Regelungen der §§ 80 Abs. 2, 58 Abs. 1a AufenthG beachtet werden und sichergestellt wird, dass der Antragsteller bei seiner Rückkehr in die Türkei seiner Mutter bzw. einer sorgeberechtigten Person oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung übergeben wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertentscheidung basiert auf §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG, wobei der für das Hauptsacheverfahren in Ansatz zu bringenden Streitwert von 5.000,00 Euro mit Blick auf Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. Kopp, VwGO, Kommentar, 21. Auflage, Anhang zu § 164 Rn. 14) nur zur Hälfte in Ansatz zu bringen ist.