Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 08.02.2018, Az.: 1 B 1111/18

Beanstandung; Kommunalaufsicht; Stadtbezirksrat; Straßenumbenennung

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
08.02.2018
Aktenzeichen
1 B 1111/18
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2018, 74310
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die abschließende Entscheidung, ob gegen einen Bescheid der Kommunalaufsichtsbehörde Klage erhoben werden soll, fällt nicht in den Zuständigkeitsbereich eines Stadtbezirksrates (vgl. aber auch Nds. OVG, Beschl. v. 26.06.2018 – 10 ME 265/18 –, juris).

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 EURO festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt die Verpflichtung des Antragsgegners, gegen einen Bescheid der Kommunalaufsicht Klage zu erheben.

Bei dem Antragsteller handelt es sich um einen G. im Gemeindegebiet der H. A-Stadt, deren D. der Antragsgegner ist. Der Antragsteller beschloss am 10. Mai 2017 die Benennung eines Platzes im Stadtbezirk als I.. J. war ein Flüchtling und Aktivist kurdischer Herkunft, der am Abend des K. erschossen wurde. Am zu benennenden Platz sollte auch eine Legendentafel mit Hinweistext zu der geehrten Persönlichkeit angebracht werden. Gegen diesen Beschluss legte der Verwaltungsausschuss der H. am 17. Mai 2017 gem. § 79 NKomVG Einspruch ein, da er das Wohl der Stadt als gefährdet ansah. Es sei zu befürchten, dass sich durch die Benennung der Konflikt zwischen den türkischen Bevölkerungsgruppen in A-Stadt verschärfe und sich der Platz zu einem Ort für gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der PKK und türkischen Nationalisten entwickele. Der Antragsgegner legte mit Schreiben vom selben Tag ebenfalls Einspruch gegen den Beschluss des Antragstellers gem.   § 88 NKomVG ein, da er die dem Antragsteller obliegende Rechtspflicht der „Beachtung der Belange der gesamten Stadt“ als missachtet ansah. Der Antragsteller habe die gesamtstädtische Haltung unberücksichtigt gelassen, in Bezug auf die Entwicklungen in der Türkei zur Sicherstellung des friedlichen Zusammenlebens der türkischstämmigen Bevölkerungsgruppen strikte Neutralität zu wahren. Der Antragsteller befasste sich aufgrund der Einsprüche erneut mit der Angelegenheit und bestätigte die Platzbenennung am 7. Juli 2017.

Der Antragsgegner unterrichtete daraufhin das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport als zuständige Kommunalaufsichtsbehörde ein und teilte mit, dass er die Beschlussfassung des Antragstellers für rechtswidrig halte. Nach Anhörung der Beteiligten beanstandete das Innenministerium unter dem 2. Januar 2018 gegenüber der Stadt den Beschluss des Antragstellers als offensichtlich rechtswidrig. Er verstoße gegen § 93 Abs. 1 Satz 2 NKomVG. Der Bescheid wurde ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 8. Januar 2018 zugestellt (Blatt 464 des Verwaltungsvorgangs). Der Verwaltungsausschuss der H. beschloss am 1. Februar 2018, kein Rechtsmittel gegen den Bescheid der Kommunalaufsicht einzulegen.

Der Antragsteller hat am 8. Februar 2018 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt, mit welchem er die Verpflichtung des Antragsgegners zur Klageerhebung gegen den Bescheid der Kommunalaufsicht begehrt. Zugleich hat er gegen den Bescheid auch im eigenen Namen Klage erhoben (Az. 1 A 1116/18) und die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage beantragt (Az. 1 B 1117/18). Zur Begründung trägt er vor, der Bescheid sei rechtswidrig. Der Antragsteller sei für die Benennung des Platzes gem. § 93 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 NKomVG zuständig. Sofern der Antragsgegner keine Klage erhebe, würde das Recht der Platzbenennung vereitelt. Im Verwaltungsverfahren hätte der Antragsteller als Beteiligter hinzugezogen werden müssen, was er gegenüber der Kommunalaufsicht auch beantragt habe. Die Kommunalaufsicht habe das in rechtswidriger Weise abgelehnt, sodass ein Verfahrensfehler vorliege. Daher sei der Antragsgegner auch verpflichtet, gegen den Bescheid Klage zu erheben.

Der Antragsteller beantragt,

den Antragsgegner zu verpflichten, gegen die Beanstandung des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport vom 2. Januar 2018 bezüglich des Beschlusses des Antragstellers, einen Platz im Stadtbezirk als „I.“ zu benennen, Klage einzureichen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er hat sich bereits durch eine Schutzschrift vom 5. Februar 2018 geäußert und trägt vor, dem Antragsteller fehle die Antragsbefugnis. Es sei einzig Aufgabe der H., zu entscheiden, ob gegen eine kommunalaufsichtsrechtliche Verfügung Klage erhoben wird. Es fehle auch ein Anordnungsanspruch. Der Antragsgegner sei an die Entscheidung des Verwaltungsausschusses gebunden. Dieser sei für die Prüfung, ob ein Rechtsmittel gegen den Bescheid des Innenministeriums eingelegt werden soll, zuständig. Daran ändere auch das Recht des Antragstellers nichts, über die Benennung des Platzes zu entscheiden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

II.

Der Antrag hat keinen Erfolg. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Antragsteller antragsbefugt ist. Es fehlt bereits ein Anordnungsanspruch.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist begründet, wenn aufgrund einer summarischen Prüfung der in § 123 Abs. 1 VwGO genannten Voraussetzungen grundsätzlich eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Bestehen eines Anordnungsanspruches und ein Anordnungsgrund besteht, d.h. die Gefahr vorliegt, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechtes des Antragstellers vereitelt oder erschwert werden kann oder die Regelung, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gefahren zu verhindern oder aus anderen Gründen notwendig erscheint. Die Tatsachen, auf welche der Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund gestützt werden sollen, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen. Ein Anordnungsanspruch ist zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung überwiegende Erfolgsaussichten in der Hauptsache bestehen. Für das Vorliegen eines Anordnungsgrundes ist Voraussetzung, dass es dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen, aber auch der öffentlichen Interessen und der Interessen anderer Personen nicht zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten (Kopp/Schenke, VwGO, 23. Auflage 2017, § 123 Rn. 23-26).

Der Antragsteller hat keinen Anspruch darauf, dass der Antragsgegner im Wege des kommunalverfassungsrechtlichen Eilverfahrens verpflichtet wird, entgegen der Beschlussfassung des Verwaltungsausschusses gegen die kommunalaufsichtsrechtliche Beanstandung vom 2. Januar 2018 Klage im Namen der H. A-Stadt zu erheben. Zutreffend führt der Antragsgegner aus, dass es im Zuständigkeitsbereich des Verwaltungausschusses liegt, darüber zu entscheiden, ob gegen den Bescheid der Kommunalaufsicht Klage erhoben werden soll, § 76 Abs. 2 Satz 1 NKomVG. Die Kammer hat bereits durch Urteil vom 17. März 2014 – 1 A 240/13 –, Rn. 35, juris, Folgendes ausgeführt:

„Grundsätzlich ist der Rechtsweg nur der Kommune als juristischer Person selbst eröffnet, wenn die Kommunalaufsichtsbehörde ihr gegenüber eine Beanstandung als belastende Maßnahme tatsächlich ausgesprochen hat. Nach § 173 Abs. 1 Satz 1 NKomVG kann die Kommunalaufsichtsbehörde Beschlüsse und andere Maßnahmen einer Kommune sowie Bürgerentscheide beanstanden, wenn sie das Gesetz verletzen. Adressat einer Beanstandung ist dabei die Kommune als solche, nicht das kommunalverfassungsrechtliche Organ, das die Maßnahme getroffen hat. Dementsprechend steht der Kommune gegenüber der Beanstandung, die einen belastenden Verwaltungsakt darstellt, die Möglichkeit der verwaltungsgerichtlichen Anfechtungsklage offen. Darauf ist der denkbare Rechtsschutz der Kommune aber zugleich auch beschränkt. Es ist damit ausgeschlossen, dass im Falle einer Beanstandung verschiedene Organe der Kommune jeweils eigenständig gegen die Kommunalaufsichtsbehörde - möglicherweise noch mit voneinander abweichenden Zielrichtungen - im Klagewege vorgehen. Es muss vielmehr nach den allgemeinen kommunalverfassungsrechtlichen "Spielregeln" die Entscheidung darüber herbeigeführt werden, ob gegen eine ausgesprochene Beanstandung eine Klage der Kommune erhoben werden soll. Handelt es sich dabei nicht um ein Geschäft der laufenden Verwaltung (§ 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 NKomVG) und hat sich die Vertretung nicht die Beschlussfassung vorbehalten (§ 58 Abs. 3 NKomVG), ist für diese Entscheidung nach § 76 Abs. 2 Satz 1 NKomVG der Hauptausschuss zuständig.“

An dieser Rechtsauffassung hält die Kammer fest. Der Verwaltungsausschuss hat in seiner Sitzung vom 1. Februar 2018 beschlossen, keinen Rechtsbehelf gegen den Bescheid vom 2. Januar 2018 einzulegen. Dies hat der Antragsteller hinzunehmen. Die Kammer folgt auch nicht der Auffassung des Antragstellers, dass durch die Entscheidung des Verwaltungsausschusses sein Recht zur Straßenbenennung vereitelt werde. Der Antragsteller stellt hier offensichtlich darauf ab, dass ihm die Möglichkeit verweigert werde, seine Rechtsposition gerichtlich überprüfen zu lassen. Der effektive Rechtsschutz gem. Art. 19 Abs. 4 GG hat indessen schon nicht in erster Linie organschaftliche Beziehungen innerhalb einer juristischen Person im Blick (Urteil der Kammer vom 17. März 2014, a.a.O., Rn. 40, juris), sodass nicht etwa jeder Sachkompetenz auch ein Klagerecht innewohnen würde.

Da die Zuständigkeit zur Entscheidung über eine Klageerhebung beim Verwaltungsausschuss liegt, kann nicht angenommen werden, der Antragsteller könne als „Annex“ aus § 93 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 NKomVG darüber befinden, ob er gegen die streitgegenständliche kommunalaufsichtsrechtliche Verfügung Klage erheben will. Ebenso wenig kann aus dem Grundsatz der Organtreue darauf geschlossen werden, dass der Antragsgegner zur Klagerhebung verpflichtet wäre (vgl. zu diesem Grundsatz Nds. OVG, Beschluss vom 8. Februar 2011 – 10 ME 43/10 –, Rn. 18, juris). Die Pflicht zur Organtreue wurzelt in dem verfassungsrechtlichen Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme sowie in dem auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben. Daraus folgt namentlich die Unzulässigkeit rechtsmissbräuchlichen Handelns (Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19. August 2011 – 15 A 1555/11 –, Rn. 16, juris). Ein solches rechtsmissbräuchliches Verhalten ist nicht erkennbar. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Verwaltungsausschuss die Ausführungen der Kommunalaufsicht teilt und daher – in eigener Zuständigkeit – entscheidet, diese hinzunehmen. An dieses Votum ist der Antragsgegner gebunden, § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 NKomVG.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß § 52 Abs. 1 GKG und entspricht Nrn. 1.5, 22.7 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. NordÖR 2014, 11).