Sozialgericht Osnabrück
Urt. v. 16.04.2019, Az.: S 16 AS 245/18

Nachweispflicht oder Auskunftspflicht eines Leistungsberechtigten durch Vorlage von Unterlagen zum tatsächlichen Einkommen i.R.e. Anspruchs auf Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes

Bibliographie

Gericht
SG Osnabrück
Datum
16.04.2019
Aktenzeichen
S 16 AS 245/18
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2019, 19181
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich mit dem vorliegenden Verfahren gegen eine endgültige Festsetzung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 01.06.2014 bis 29.02.2016.

Der Kläger ist seit dem 04.01.2011 mit dem Gewerbe "Onlinehandel, Eventmanagement, Akquise und Aufnahme von Daten" selbständig tätig. Er stellte bei dem Beklagten erstmals am 14.03.2014 einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Der Beklagte bewilligte dem Kläger die begehrten Leistungen seit dem 01.03.2014 jeweils für drei Monate vorläufig (Bescheide vom 26.03.2014, 03.06.2014, 26.08.2014, 27.11.2014, 05.03.2015, 01.07.2015, 03.09.2015, 27.11.2015).

Mit Schreiben vom 06.01.2016 und 02.03.2016 forderte der Beklagte den Kläger auf, sein tatsächliches Einkommen für die Zeit vom 01.09.2014 bis 30.11.2015 (Schreiben vom 06.01.2016, Frist bis zum 21.01.2015) bzw. 01.12.2015 bis 29.02.2016 (Schreiben vom 02.03.2016, Frist bis zum 30.04.2016) anhand einzelner aufgeführter Unterlagen nachzuweisen (siehe zu den Einzelheiten Bl. 403, 405 und Bl. 411). Für den Fall, dass dies nicht geschehe wurde eine Schätzung der Einnahmen nach § 3 Abs. 6 Alg-II-V in der zu diesem Zeitpunkt geltenden Fassung angedroht. Für einzelne Zeiträume hatte der Beklagte auch bereits vorher zur Vorlage von Unterlagen aufgefordert (Schreiben vom 11.06.2014 und 06.08.2014 für den Zeitraum vom 01.03.2014 bis 31.05.2014, Frist bis zum 02.07.2014 bzw. 15.08.2014; Schreiben vom 10.10.2014 und 06.03.2015 für den Zeitraum vom 01.06.2014 bis 31.08.2014, Frist bis zum 31.10.2014 bzw. 13.03.2015; Schreiben vom 11.12.2014 für den Zeitraum vom 01.09.2014 bis 30.11.2014, Frist bis zum 12.01.2015; Schreiben vom 02.03.2015 für den Zeitraum vom 01.12.2014 bis 28.02.2015, Frist bis zum 16.03.2015).

Mit weiterem Schreiben vom 26.06.2017 forderte der Beklagte den Kläger erneut zur Einreichung bestimmter Unterlagen für die gesamte streitgegenständliche Zeit vom 01.06.2014 bis 29.02.2016 auf und belehrte ihn über seine Nachweis- und Auskunftspflicht nach § 41a Abs. 3 SGB II (Bl. 413 f. der VA). Zur Vorlage wurde eine Frist bis zum 11.07.2017 gesetzt. Zudem heißt es unter der Überschrift "Hinweis" in diesem Schreiben wie folgt:

"Sollten die Nachweise nicht, nicht vollständig oder nicht fristgerecht erbracht oder anderweitig ermittelbar sein, wird gemäß § 41a Abs. 3 S. 3 und 4 SGB II festgestellt, dass ein Leitungsanspruch für einzelne Kalendermonate oder den ganzen Gewährungszeitraum ganz oder teilweise nicht bestand. Die vorläufig erbrachten Leistungen sind für die Zeiten vollständig von Ihnen zu erstatten (§ 41a Absatz 6 SGB II)."

Der Kläger legte keine Unterlagen vor.

Mit (sieben) Bescheiden vom 12.07.2017 setze der Beklagte die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.06.2014 bis zum 29.02.2016 endgültig auf Null fest. Über den Leistungsanspruch sei gem. § 41a SGB II vorläufig entschieden worden und nun aufgrund der Erfüllung der Voraussetzungen des § 41a Abs. 3 SGB II abschließend zu entscheiden. Insbesondere sei die Frist von einem Jahr nach Ablauf des Bewilligungszeitraumes gewahrt (§ 41a Abs. 5 SGB II i.V.m. § 80 SGB II). Der Kläger sei mit Schreiben vom 10.10.2014, 06.01.2016 und 26.06.2017 aufgefordert worden, die notwendigen Unterlagen/maßgebenden Informationen vorzulegen. Dieser Pflicht sei der Kläger nicht nachgekommen. Daher bestehe für den Zeitraum vom 01.06.2014 bis zum 29.02.2016 kein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, weshalb die vorläufig erbrachten Leistungen i.H.v. 1.173,00 EUR gem. § 41a Abs. 6 SGB II zu erstatten seien.

Mit Schreiben vom 27.10.2017 stellte der Kläger bezüglich des Bescheides vom 12.07.2017 einen Überprüfungsantrag gem. § 44 SGB X.

Mit Bescheid vom 21.12.2017 wies die Beklagte den Überprüfungsantrag des Klägers vom 27.10.2017 zurück. Die Voraussetzungen des § 44 SGB X lägen nicht vor. Der Kläger habe ein Gewerbe angemeldet, welches die Tätigkeit "Akquise und Aufnahme von Daten, Onlinehandel sowie Eventmanagement" umfasst habe. Er sei somit in allen streitgegenständlichen Zeiträumen Gewerbetreibender i.S.d. § 3 Alg-II-V gewesen. Somit träfe die Regelung des § 41a SGB II für ihn zu, dass die abschließende abzulehnende Entscheidung auf den gesamten Bewilligungszeitraum zu erstrecken sei. Der Kläger sei mit Schreiben vom 31.10.2014, 11.12.2014, 02.03.2015, 06.01.2016, 02.03.2016 aufgefordert worden, entscheidende Unterlagen für die Bewilligungszeiträume einzureichen. Mit Schreiben vom 26.06.2017 sei der Kläger über seine Nachweis- und Auskunftspflicht gem. § 41a Abs. 3 SGB II aufgeklärt und über die Rechtsfolgen der Nichtmitwirkung belehrt worden. Ihm sei trotz der Aufforderungen mit Schreiben vom 26.06.2017 nochmals eine Nachfrist von zwei Wochen eingeräumt worden, die gem. § 41a SGB II angemessen sei, auf die der Kläger aber ebenfalls nicht reagiert habe. Er habe für die genannten Zeiträume bis heute keine Erklärung über die tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben aus selbständiger Tätigkeit im Form der Vordrucke EKS abgegeben. Betriebseinnahmen seien nur zum Teil abgegeben worden, Belege über die Tätigkeit bei der Firma E. lägen nicht vor. Belege bzw. Erklärungen zu den weiteren Tätigkeiten und Kontoauszüge seien für bestimmte Zeiträume nicht vorgelegt worden.

Gegen den Bescheid des Beklagten vom 21.12.2017 legte der Kläger mit Schreiben vom 29.12.2017 Widerspruch ein. Eine ordnungsgemäße Belehrung gem. § 41a Abs. 3 SGB II sei nicht erfolgt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 26.03.2018 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers vom 29.12.2017 zurück. Obwohl der Kläger im Rahmen des Widerspruchsverfahren auf das Schreiben vom 26.06.2017 hingewiesen worden sei und um Auseinandersetzung gebeten worden sei, habe er nicht darauf reagiert. Insofern gehe die Widerspruchsbegründung, dass er nicht ordnungsgemäß über die Rechtsfolgen belehrt worden sei, ins Leere.

Mit Schreiben vom 29.03.2018 reichte der Kläger Unterlagen nach. Der Beklagte fragte mit Schreiben vom 11.04.2018 bei dem Kläger nach, ob die eingereichten Unterlagen als Klage gegen den Bescheid vom 21.12.2017 zu werten seien.

Gegen den Bescheid vom 21.12.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2018 hat der Kläger am 10.04.2018 (Eingangsdatum) Klage erhoben. Es müsse in Abrede gestellt werden, dass eine ordnungsgemäße Rechtsfolgenbelehrung stattgefunden habe. Die schriftliche Rechtsfolgenbelehrung dürfe sich nicht in der formelhaften Wiederholung des Gesetzestextes in einem allgemeinen Merkblatt erschöpfen. Sie müsse dem Leistungsberechtigten konkret, eindeutig, verständlich, verbindlich und rechtlich zutreffend die unmittelbaren und konkreten Auswirkungen eines bestimmten Handelns vor Augen führen und erkennen lassen, welche Handlung von einem Leistungsberechtigten verlangt werde. Die mit Schreiben vom 26.06.2017 enthaltene Rechtfolgenbelehrung genüge diesen Anforderungen nicht, denn sie sei als "Hinweis" und nicht als Rechtsfolgenbelehrung bezeichnet. Sie sei darüber hinaus auch nicht vollständig. Darüber hinaus sei die Aufforderung vom 26.06.2017 auch widersprüchlich. Der Beklagte habe ihn Anfang 2016 zur Vorlage von Unterlagen aufgefordert und habe sodann erklärt, dass für den Fall der Nichtvorlage eine Schätzung erfolgen würde, worauf er sich habe verlassen können und dürfen. Der Bescheid sei auch deshalb rechtswidrig, weil der Beklagte nicht entsprechend der Vorgaben in § 41a SGB II verfahren sei. Der Beklagte sei aufgrund der gesetzlichen Vorschriften nicht berechtigt gewesen, die gewährten Leistungen im Bewilligungszeitraum aufzuheben. Der Beklagte sei nach § 41a Abs. 3 SGB II nur dann berechtigt, den Leistungsanspruch vollständig aufzuheben, wenn und soweit es ihm nicht möglich gewesen sei, ohne die angeforderten Unterlagen über den Leistungsanspruch abschließend zu entscheiden. Aus § 41a Abs. 3 Satz 2 SGB II ergebe sich, dass u. a. § 65 SGB I entsprechend anzuwenden sei. Danach würden die Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 64 SGB I nicht gelten, soweit der Leistungsträger sich durch einen geringeren Aufwand als der Antragsteller oder Leistungsberechtigte die erforderlichen Kenntnisse selbst beschaffen könne. Der Beklagte habe im Schreiben vom 26.06.2017 angekündigt, selbst Auskünfte einzuholen. Dieses Vorgehen entspräche den fachlichen Hinweisen zu § 41a SGB II. Unter Randziffer 23 sei explizit der Amtsermittlungsgrundsatz aufgrund des Untersuchungsgrundsatzes festgeschrieben. Bemühungen, Vorkehrungen, Anfragen etc. des Beklagten habe es ganz offensichtlich nicht gegeben.

Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,

  1. 1.

    den Bescheid des Beklagten vom 21.12.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2018 aufzuheben,

  2. 2.

    den Beklagten zu verpflichten, die Bescheide vom 12.07.2017 zurückzunehmen,

  3. 3.

    den Beklagten zu verurteilen, Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchen unter Berücksichtigung der tatsächlichen Einnahmen für die Zeit vom 01.06.2014 bis 29.02.2016 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen,

die Klage abzuweisen.

Er hält seine Bescheide für rechtmäßig. Das Schreiben vom 26.06.2017 genüge den formellen Anforderungen. Der Kläger sei umfangreich über seine Pflichten und die Rechtsfolgen der fehlenden Mitwirkung belehrt worden. Insbesondere sei er darauf hingewiesen worden, dass die Leistungen nach dem SGB II ansonsten vollständig zu erstatten seien. Die Aufforderungen zur Vorlage von Einkommensnachweisen aus 2016 und 2017 seien nicht widersprüchlich. Mit Schreiben in 2017 und 2018 sei das 9. Änderungsgesetz SGB II umgesetzt worden. Zudem entfalte der vorläufige Bescheid keinen Vertrauensschutz. Bezüglich der Amtsermittlung sei mitzuteilen, dass keine Kenntnisse über die geschäftlichen Vorgänge des Klägers vorgelegen hätten. Eine Amtsermittlung "ins Blaue" sei nicht möglich gewesen.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Ergänzend wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakte verwiesen. Die Akten sind Gegenstand der Beratung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die Kammer konnte über den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da beide Beteiligten dieser Vorgehensweise zugestimmt haben, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Die angegriffenen Bescheide erweisen sich nicht als rechtswidrig. Die Voraussetzungen des § 44 SGB X liegen in Bezug auf die Bescheide vom 12.07.2016 nicht vor.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Dies ist vorliegend in Bezug auf die oben genannten Bescheide nicht der Fall.

Der Beklagte hatte die Leistungen hier endgültig auf Null festzusetzen. Nach § 41a Abs. 3 Satz 1 SGB II in der Fassung vom 26.07.2016 entscheiden die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende abschließend über den monatlichen Leistungsanspruch, sofern die vorläufig bewilligte Leistung nicht der abschließend festzustellenden entspricht oder die leistungsberechtigte Person eine abschließende Entscheidung beantragt. Nach Satz 2 sind die leistungsberechtigte Person und die mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nach Ablauf des Bewilligungszeitraums verpflichtet, die von den Trägern der Grundsicherung für Arbeitsuchende zum Erlass einer abschließenden Entscheidung geforderten leistungserheblichen Tatsachen nachzuweisen; die §§ 60, 61, 65 und 65a SGB I gelten entsprechend. Kommen die leistungsberechtigte Person oder die mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen ihrer Nachweis- oder Auskunftspflicht bis zur abschließenden Entscheidung nicht, nicht vollständig oder trotz angemessener Fristsetzung und schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen nicht fristgemäß nach, setzen die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende den Leistungsanspruch nach Satz 3 der Vorschrift für diejenigen Kalendermonate nur in der Höhe abschließend fest, in welcher seine Voraussetzungen ganz oder teilweise nachgewiesen wurden. Für die übrigen Kalendermonate wird nach Satz 4 festgestellt, dass ein Leistungsanspruch nicht bestand. § 41a SGB II findet auf den vorliegenden Fall Anwendung (dazu unter 1). Die Voraussetzungen der Festsetzung auf Null lagen hier vor (dazu unter 2). Die nach Erlass des Widerspruchsbescheids vorgelegten Unterlagen waren nicht zu berücksichtigen (dazu unter 3).

1. Auf den vorliegenden Fall findet die zum 01.08.2016 eingeführte Vorschrift des § 41a SGB II Anwendung. Die Anwendung folgt aus § 80 Abs. 2 Nr. 1 SGB II (dazu unter a). Etwas Anderes ergibt sich nicht aus verfassungsrechtlichen Erwägungen (dazu unter b).

a) Die Möglichkeit der Festsetzung auf Null bei nicht hinreichender Mitwirkung ist auf die vorliegenden Bewilligungszeiträume, die vor dem 01.08.2016 geendet haben, nach § 80 Abs. 2 Nr. 1 SGB II anwendbar.

Dem steht die Entscheidung des BSG vom 12.09.2018 (B 4 AS 39/17 R) nicht entgegen, in der dieses für Konstellationen wie der vorliegenden noch das alte Recht nach § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II in der Fassung vom 21.07.2014 (gültig vom 01.01.2016 bis 31.07.2016) i.V.m. § 328 Abs. 3 SGB III in der Fassung vom 20.12.2011 (gültig ab 01.04.2012) i.V.m. § 3 Abs. 6 Alg-II-V in der Fassung vom 21.06.2011 (gültig vom 01.06.2011 bis 31.07.2016) anwendet hat (Schätzung statt Nullfestsetzung). Dieser Rechtsprechung folgt die Kammer nicht, denn § 80 Abs. 2 Nr. 1 SGB II in der Fassung vom 26.07.2016 ist nach Wortlaut, Gesetzgebungsmaterien und Sinn und Zweck der Norm so auszulegen, dass § 41a SGB II auch für vor dem 01.08.2016 abgeschlossene Bewilligungszeiträume grundsätzlich vollständig anwendbar ist. Nach § 80 Abs. 2 Nr. 1 SGB II in der Fassung vom 26.07.2016 gilt für die abschließende Entscheidung über zunächst vorläufig beschiedene Leistungsansprüche für derartige Bewilligungszeiträume, die vor dem 01.08.2016 beendet waren, § 41a Abs. 5 Satz 1 SGB II mit der Maßgabe, dass die Jahresfrist mit dem 01.08.2016 beginnt.

aa) Die Kammer versteht den Wortlaut der Norm so, dass die Anwendbarkeit der neuen Vorschrift (des § 41a SGB II) grundsätzlich vollumfänglich erfolgt, allerdings bezüglich der genannten Frist eine Modifikation angeordnet wird (so auch: SG Augsburg, Urteil vom 03.07.2017, S8 AS 400/17, Rn. 20; ähnlich: SG Dortmund, Urteil vom 08.12.2017, S 58 AS 2170/17, Rn. 24; andere Ansicht: BSG, Urteil vom 12.09.2018, B 4 AS 39/17 R, Rn. 23 f.; SG Dresden, Urteil vom 14.06.2018, S 52 AS 4307/17, Rn. 72). Die Kammer versteht die Vorschrift also gerade nicht so, dass nur die Anwendung der modifizierten Frist aus dem neuen Recht angeordnet wurde. Zwar ist nur diese Modifikation explizit geregelt. Die Modifikation knüpft nach Ansicht der Kammer aber an die grundsätzliche Anwendbarkeit der Norm auch im Übrigen an.

Diese Auslegung hält sich zumindest im möglichen Wortsinn. Auch wenn die seitens des BSG vorgenommene Auslegung ebenfalls mit dem möglichen Wortsinn vereinbar ist, so ergebt sich aus den weiteren Auslegungsmethoden (hier Sinn und Zweck und insbesondere dem Willen des historischen Gesetzgebers), dass die seitens der Kammer vorgenommene Auslegung vorzugswürdig ist.

bb) Durch die Auslegung des BSG würde sich eine Anwendung von altem und neuem Recht auf den gleichen Sachverhalt ergeben. Das Verfahren der endgültigen Festsetzung selbst würde sich nach § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II in der Fassung vom 21.07.2014 i.V.m. § 328 Abs. 3 SGB III in der Fassung vom 20.12.2011 i.V.m. § 3 Abs. 6 Alg-II-V in der Fassung vom 21.06.2011 richten, die Fiktion einer abschließenden Entscheidung ergäbe sich aber aus dem neuen Recht. Dies stünde mit Sinn und Zweck einer Übergangsregelung, eine klare intertemporale Rechtsanwendung zu garantieren, nicht im Einklang (ähnlich: SG Leipzig, Urteil vom 29.05.2018, S 7 AS 2665/17, Rn. 65). Außerdem kann nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber einen solchen "Mischzustand" gewollt hat.

cc) Zudem ergibt sich ein eindeutiges Votum für eine gesamte Anwendung der neuen Vorschrift auch explizit aus den Gesetzgebungsmaterialien. Im Gesetzgebungsentwurf der Bundesregierung vom 06.04.2016 heißt es:

"Soweit nach bisherigem Recht vorläufig entschieden wurde und die Bewilligungszeiträume vor Inkrafttreten dieses Gesetzes beendet waren, sind häufig noch keine abschließenden Entscheidungen getroffen worden. § 41a soll auch für diese Entscheidungen angewandt werden. Die für die Jobcenter geltende Jahresfrist für die abschließende Entscheidung beginnt mit Inkrafttreten dieses Gesetzes, weil die vorläufigen Entscheidungen, die bei Inkrafttreten dieses Gesetzes länger als ein Jahr zurückliegen, sonst automatisch bereits als abschließend festgestellt gelten würden. Den Jobcentern bleibt so ausreichend Zeit, die bisherigen vorläufigen Entscheidungen zu prüfen.

Für Bewilligungszeiträume, die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes begonnen haben, aber nach dem Inkrafttreten enden, wird klargestellt, dass § 41a anzuwenden ist."

BT-Drucks. 18/8041, Seite 62

Daraus ergibt sich gerade keine Beschränkung der Anwendbarkeit des § 41a SGB II bei Bewilligungszeiträumen, die vor dem 01.08.2016 geendet haben.

Die Gesetzgebungsmaterialien sind in der Auslegung - zumindest ergänzend - heranzuziehen. Zwar gilt nach der wohl überwiegenden Ansicht in der Rechtsprechung des BSG die sog. objektiv-historische Auslegung, nach der nicht allein der subjektive Wille des Gesetzgebers, sondern der in der Vorschrift objektivierte Wille entscheidend ist (siehe dazu die Ausführungen in: BSG, Urteil vom 30.09.2009, B 9 V 1/08 R, Rn. 49 mit weiteren Nachweisen; so im Ergebnis auch: BSG, Urteil vom 12.09.2018, B 4 AS 39/17 R, Rn. 23). Auch nach dieser Ansicht werden jedoch "wichtige Hinweise auf den Sinn und Zweck einer Vorschrift aus ihrer Vor- und Entstehungsgeschichte gewonnen. Die Regelungsabsicht des Gesetzgebers und die von ihm erkennbar getroffenen Wertentscheidungen stellen daher in jedem Falle eine maßgebliche Richtschnur für die am Gesetzeszweck orientierte Auslegung einer Vorschrift dar" (BSG, Urteil vom 30.09.2009, B 9 V 1/08 R, Rn. 49). Zwar hat das BVerfG im Jahr 1980 ausgeführt, dass konkrete Vorstellungen, die von Ausschüssen oder einzelnen Mitgliedern der gesetzgebenden Körperschaften über die nähere Bedeutung oder Reichweite einer einzelnen Bestimmung, eines Normbestandteils oder eines Begriffs und ihrer Handhabung wie Wirkung geäußert werden, für die Gerichte keine bindende Anleitung darstellen (BVerfG, Beschluss vom 11.06.1980, 1 PBvU 1/79, Rn. 60). Für die Beantwortung der Frage, welche Regelungskonzeption dem Gesetz zugrunde liegt, kommt aber - ebenfalls nach Rechtsprechung des BVerfG - neben Wortlaut und Systematik den Gesetzesmaterialien eine Indizwirkung zu (BVerfG, Beschluss vom 06.06.2018, 1 BvL 7/14, Rn. 74; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 26.11.2018, 1 BvR 318/17, Rn. 32). In Betracht zu ziehen sind die Begründung eines Gesetzentwurfes, der unverändert verabschiedet worden ist, die darauf bezogenen Stellungnahmen von Bundesrat (Art. 76 Abs. 2 Satz 2 GG) und Bundesregierung (Art. 76 Abs. 3 Satz 2 GG) und die Stellungnahmen, Beschlussempfehlungen und Berichte der Ausschüsse. In solchen Materialien finden sich regelmäßig die im Verfahren als wesentlich erachteten Vorstellungen der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe und Personen (BVerfG, Beschluss vom 06.06.2018, 1 BvL 7/14, Rn. 74).

In der zitierten Bundestagsdrucksache hat die Bundesregierung ihre Ansicht unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Es handelt sich nicht um die Aussage einzelne Personen im Plenum des Bundestags oder einem Ausschuss, wie dies im zitierten Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht aus dem Jahr 1980 der Fall war, sondern um den Regierungsentwurf. Die hier relevanten Normen sind zudem unverändert verabschiedet worden. Der Gesetzgeber hat diesen Willen nach Ansicht der Kammer zudem im Wortlaut des Weiteren hinreichend deutlich gemacht.

dd) Ein anderes Ergebnis ergibt sich nach Ansicht der Kammer auch nicht aus der systematischen Auslegung (andere Ansicht: BSG, Urteil vom 12.09.2018, B 4 AS 39/17 R, Rn. 24). Das BSG schließt aus der Binnensystematik der Vorschrift, dass § 80 Abs. 2 Nr. 1 SGB II eine Anwendung des § 41a SGB II auf Bewilligungszeiträume, die vor dem 01.08.2016 geendet haben, nur bezüglich des konkret genannten § 41a Abs. 5 SGB II anordnet. Dies schließt das BSG aus der Regelung des § 80 Abs. 2 Nr. 2 SGB II. Danach ist § 41a SGB II für Bewilligungszeiträume, die vor dem 01.08.2016 begonnen haben, aber noch nicht beendet sind, vollständig anwendbar. Dieser Regelung hätte es - so das BSG - bei der Auslegung, wie sie hier vorgenommen wird, nicht bedurft. Dem ist nicht zuzustimmen. Nach Ansicht der Kammer haben beide Regelungen des § 80 Abs. 2 SGB II auch bei der diesseitigen Auslegung einen Regelungsgehalt: § 80 Abs. 2 Nr. 1 SGB II ordnet die (grundsätzlich vollständige) Anwendung des § 41a SGB II an, modifiziert aber die Fiktionsregelung des § 41a Abs. 5 SGB II. § 80 Abs. 2 Nr. 2 SGB

II ordnet eine (vollständige) Anwendung des § 41a SGB II - ohne Modifikation - an.

b) Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus einer verfassungskonformen Auslegung.

Ist eine einschränkende verfassungskonforme Auslegung möglich und geboten, dann kommt es zwar nicht darauf an, ob dem subjektiven Willen des Gesetzgebers die weitergehende, mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbarende Auslegung eher entsprochen hätte (BVerfG, Urteil vom 09.02.1982, 1 BvR 845/79, Rn. 87; siehe auch: Greiser in: jM 2016, 156, 159). Auch eine verfassungskonforme Auslegung darf aber das gesetzgeberische Ziel nicht in einem wesentlichen Punkte verfehlen oder verfälschen (BVerfG, Beschluss vom 11.06.1958, 1 BvL 149/52, Rn. 22). Dabei kann die Kammer offen lassen, ob ein solcher wesentlicher Punkt hier mit der intertemporalen Anwendbarkeit gegeben ist, denn es liegen keine verfassungsrechtlichen Gesichtspunkte vor, die eine Anwendung des alten Rechts gebieten (im Ergebnis ebenso: SG Leipzig, Urteil vom 29.05.2018, S 7 AS 2665/17, Rn. 67 ff.).

Aus den Grundsätzen des intertemporalen Rechts ergibt sich keine Notwendigkeit, das alte Recht anzuwenden. Die streitgegenständlichen Bescheide sind bereits unter der Geltung des neuen Rechts ergangen. Auf diese Entscheidung bereits neues Recht anzuwenden steht mit dem ersten Grundsatz oder Gesichtspunkt des intertemporalen Rechts, der Sofortwirkung des neuen Rechts (siehe dazu: BSG, Urteil vom 24.08.2004, B 2 U 12/03 R; Hessisches LSG, Urteil vom 14.12.2007, L 7 AL 183/06), im Einklang. Eine neue Vorschrift gilt grundsätzlich ab ihrem Inkrafttreten. Etwas Anderes ergibt sich hier nicht aus dem zweiten Grundsatz des intertemporalen Rechts, wonach in Bezug auf materiell-rechtliche Regelungen aus Vertrauensschutzgesichtspunkten grundsätzlich das Recht anzuwenden ist, das im Zeitpunkt des zu beurteilenden Sachverhalts in Geltung war - "tempus regit actum" (vgl. dazu im Sozialhilferecht: BSG, Urteil vom 24.03.2009, B 8/9b SO 17/07 R; BSG, Urteil vom 24.03.2009, B 8 SO 34/07 R; zum Sperrzeitrecht: BSG, Urteil vom 06.05.2009, B 11 AL 10/08 R; zum Krankengeldrecht: BSG, Urteil vom 26.11.1991, 1/3 RK 25/90). Da es sich um eine verfahrensrechtliche Regelung handelt, kommt hier der dritte Grundsatz oder Gesichtspunkt des intertemporalen Rechts zur Anwendung, dass das neue Recht bereits dann Anwendung findet, wenn der aus der Vergangenheit herrührende Sachverhalt noch "aktuell" und "anhängig" ist - "negotia pendentia" (vgl. allgemein: BSG, Urteil vom 27.08.1998, B 10 AL 7/97 R; siehe zu dem gesamten Abschnitt auch: Greiser/Eicher in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 116a SGB XII, Rn. 33 f.).

Die Kammer stuft die Regelungen zur Nullfestsetzung als verfahrensrechtliche Regelung ein (letztlich offen gelassen von: BSG, Urteil vom 12.09.2018, B 4 AS 39/17 R, Rn. 26). Auch wenn die Regelung Auswirkung auf materiell-rechtliche Positionen haben kann - wie alle verfahrensrechtlichen Regelungen - steht bei § 41a Abs. 3 SGB II nach Ansicht der Kammer der (verwaltungs)verfahrensrechtliche Charakter im Vordergrund. Danach gilt diese verfahrensrechtliche Vorschrift nach den allgemeinen Grundsätzen mit der Einführung zum 01.08.2016 für Entscheidungen nach der Rechtsänderung auch dann, wenn über Bewilligungszeiträume entscheiden wird, die vor der Einführung des § 41a SGB II geendet haben.

Verfahrensrecht richtet sich grundsätzlich nach dem oben genannten dritten Grundsatz des intertemporalen Rechts (siehe dazu: BSG, Urteil vom 19.02.1992, GS 1/89), da das Vertrauen in den Fortbestand verfahrensrechtlicher Regelungen von Verfassungs wegen weniger geschützt ist als das Vertrauen in die Aufrechterhaltung materieller Rechtspositionen. Nur im Einzelfall können verfahrensrechtliche Regelungen ihrer Bedeutung und ihres Gewichts wegen in gleichem Maße schutzwürdig sein wie Positionen des materiellen Rechts (BVerfG, Beschluss vom 07.07.1992, 2 BvR 1631/90, Rn. 42). Dies ist der Fall, wenn die Beteiligten nach bisherigem Verfahrensrecht eine schutzwürdige Position erlangt haben, die es nach dem neuen Verfahrensrecht nicht mehr gibt (BSG, Urteil vom 14.04.2011, B 8 SO 18/09 R; BSG, Urteil vom 01.07.2010, B 11 AL 6/09 R; BSG, Urteil vom 03.12.2009, B 11 AL 28/08 R; BSG, Urteil vom 19.03.1998, B 7 AL 44/97 R; BSG, Urteil vom 13.03.1997, 11 RAr 51/96).

Eine solche schutzwürdige Position, die aus Vertrauensschutzgesichtspunkten eine Anwendung des alten Rechts gebieten würde, liegt nicht vor (andere Ansicht: BSG, Urteil vom 12.09.2018, B 4 AS 39/17 R, Rn. 25). Die insoweit vom BSG zitierte Entscheidung des BVerfG bezieht sich auf einen Rechtsmittelausschluss (BVerfG, Beschluss vom 07.07.1992, 2 BvR 1631/90; siehe zum Zitat: BSG, Urteil vom 12.09.2018, B 4 AS 39/17 R, Rn. 25). Ein unter altem Recht noch existentes Rechtsmittel, das noch unter Geltung dieses Rechtszustands erhoben wurde, bleibt auch dann zulässig, wenn dieses Rechtsmittel während des Verfahrens vom Gesetzgeber zukünftig ausgeschlossen wird. Dieser Fall ist mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. Auch über diesen konkreten Vergleich mit der Entscheidung des BVerfG vom 07.07.1992 (2 BvR 1631/90) hinaus ergibt sich im vorliegenden Fall keine schutzwürdige Position.

Das Vertrauen darauf, dass den Leistungsempfänger die Folgen eines Mitwirkungsverstoßes "nicht so hart" treffen werden (Schätzung statt Nullfestsetzung) ist nach Ansicht der Kammer weit weniger schutzbedürftig als das Vertrauen in den Fortbestand eines im Zeitpunkt der Einlegung noch in Geltung stehenden Rechtsmittels. Im ersten Fall hat es der Leistungsberechtigte es selbst in der Hand durch Erfüllung seiner Obliegenheit die unliebsame Rechtsfolge nicht eintreten zu lassen. Im vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall ist das Vertrauen in den Fortbestand eines bereits eingelegten Rechtsmittels betroffen.

Auch über den konkreten Vergleich hinaus liegt keine schutzwürdige Position vor. Auch wenn vorliegend das Existenzminimum betroffen ist, worauf das BSG zu Recht hinweist (BSG, Urteil vom 12.09.2018, B 4 AS 39/17 R, Rn. 26), liegt keine dem materiellen Recht vergleichbar schutzwürdige Position vor. Dabei ist zum einen zu berücksichtigen, dass über die Leistungen unter Geltung des alten Rechts nur vorläufig entschieden wurde. Der Kläger hatte also noch keine abschließende Entscheidung über die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende erhalten. Zudem ist auch insoweit zu berücksichtigen, dass es sich hier um die Folgen eines Obliegenheitsverstoßes geht. Der Charakter der Leistungen nach dem SGB II als Leistungen zur Deckung des Existenzminimums gebietet aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht, jegliche Verfahrensvorschriften und Vorschriften über die intertemporale Anwendbarkeit solcher Vorschriften zugunsten des Leistungsempfängers auszulegen.

2. Die Voraussetzungen der Nullfestsetzung aus § 41a Abs. 3 SGB II lagen hier vor. Der Kläger wurde zur Vorlage von Unterlagen aufgefordert (dazu unter a) und hat diese Unterlagen bis zur "abschließenden Entscheidung" nicht vorgelegt (dazu unter b).

a) Der Kläger wurde hinreichend zur Vorlage von Unterlagen aufgefordert. Die Rechtsfolgenbelehrung im Schreiben vom 26.06.2017 ist ausreichend detailliert. Soweit die in diesem Schreiben gesetzte Frist zur Vorlage von Unterlagen nicht hinreichend war, kann sich der Kläger hierauf zumindest nicht berufen. Die Mitwirkungshandlung war auch nicht nach § 41a Abs. 3 Satz 2 SGB II i.V.m. § 65 Abs. 1 SGB I unzumutbar.

aa) Der Beklagte hat zur Vorlage von Unterlagen aufgefordert (Schreiben vom 06.01.2016 und 02.03.2016, sowie weitere Aufforderungen zu einzelnen Zeiträumen) und mit Schreiben vom 26.06.2017 unter Belehrung über die Rechtsfolgen eine Frist bis zum 11.07.2017 zur Vorlage der Unterlagen gesetzt. Dabei lässt die Kammer offen, ob die Frist zur Vorlage hier angemessen im Sinne der Vorschrift war. Welche Frist angemessen ist, ist eine Frage des Einzelfalls (siehe dazu: SG C-Stadt, Urteil vom 29.01.2018, S 24 AS 586/17, Rn. 15). Dabei sind der notwendige Bearbeitungsumfang des Klägers, aber auch die bisherige Verfahrensführung durch die Beklagte und das bisherige Verhalten des Klägers mit einzubeziehen (SG C-Stadt, Urteil vom 29.01.2018, S 24 AS 586/17, Rn. 20 ff.). Wegen der vorherigen langen Zeit, in der der Kläger trotz diverser Aufforderungen keine Unterlagen vorgelegt hat, war hier grundsätzlich eine kürzere Frist (als im Normalfall) möglich. Bei einer Postlaufzeit von einem Tag hätte der Kläger zwei Wochen Zeit gehabt, die Unterlagen einzureichen. Soweit dies als nicht angemessen angesehen würde, könnte sich der Kläger hierauf zumindest nicht berufen, da er die Unterlagen erst nach Erlass des Widerspruchsbescheids (des sich anschließenden Verfahrens nach § 44 SGB X) vorgelegt hat. Tatsächlich hat sich der Kläger hierauf auch nicht berufen. Ein Berufen darauf, dass die Frist von ca. zwei Wochen bis zum 11.07.2017 zu kurz gewesen sei, wäre bei Einreichung der Unterlagen erst am 29.03.2018 treuwidrig. Ein Fristverlängerungsantrag nach § 26 Abs. 7 SGB X wurde nicht gestellt. Der Kläger hatte die Möglichkeit, die Unterlagen im Verfahren nach § 44 SGB X vorzulegen. Ein ggf. zu kurze Frist wurde durch diese Möglichkeit der Nachholung zumindest "geheilt".

bb) Der Kläger wurde auch hinreichend belehrt. Zwar ist es richtig, dass die ersten beiden Schreiben bei der Rechtsfolgenbelehrung noch auf die alte Rechtslage hinweisen. Allerdings wurde der Kläger in der (entscheidenden) letzten Aufforderung korrekt nach neuem Recht belehrt. Dies stellt sich nach Ansicht der Kammer nicht als widersprüchlich dar. Es wurde jeweils nach der geltenden Rechtslage belehrt. Soweit diese sich ändert, muss die Verwaltung auf die neue Rechtslage hinweisen. Ein Hinweis darauf, dass sich die Rechtslage geändert hat, wäre zwar insoweit hilfreich gewesen. Aus dem Fehlen dieser Klarstellung folgt aber nicht, dass die Belehrung nicht ausreichend oder missverständlich wäre.

Die Belehrung ist auch hinreichend ausführlich. Die Eventualitäten (keine Vorlage, keine vollständige Vorlage, verspätete Vorlage) werden ebenso aufgeführt, wie die unterschiedlichen Rechtsfolgen (teilweise und vollständige Festsetzung auf Null). Dies stellt sich hinreichend detailliert dar. Dass diese Rechtsfolgenbelehrung als Hinweis überschrieben war, führt ebenfalls nicht dazu, dass der Kläger nicht ausreichend belehrt wurde. Aus dem "Hinweis" ergeben sich die angekündigten Rechtsfolgen hinreichend klar, so dass der Kläger dies als Rechtsfolgenbelehrung verstehen konnte und musste.

cc) Die Mitwirkungshandlungen - Unterlagen über die tatsächlichen Einnahmen vorzulegen - war auch nicht nach § 41a Abs. 3 Satz 2 SGB II i.V.m. § 65 Abs. 1 SGB I unzumutbar. § 65 Abs. 1 SGB I, der neben §§ 60, 61 und 65a SGB I in § 41a Abs. 3 Satz 2 SGB II in Bezug genommen wird, bestehen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 64 SGB I nicht, soweit ihre Erfüllung nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der in Anspruch genommenen Sozialleistung oder ihrer Erstattung steht oder ihre Erfüllung dem Betroffenen aus einem wichtigen Grund nicht zugemutet werden kann oder der Leistungsträger sich durch einen geringeren Aufwand als der Antragsteller oder Leistungsberechtigte die erforderlichen Kenntnisse selbst beschaffen kann. Diese Fälle - insbesondere der letztgenannte - liegen nicht vor. Der Beklagte hat keine Möglichkeit, die Einnahmen des Klägers mit geringerem Aufwand selbst zu ermitteln. Ohne Zustimmung des Klägers kann der Beklagte beispielswiese keine Kontobewegungen des Klägers einsehen. Das Kontoabrufverfahren nach § 93 Abs. 8 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a Abgabenordnung (AO) bezieht sich nur auf das Bestehen von Konten, nicht auf die Kontobewegungen selbst. Auch die übrigen geforderten Unterlagen konnte der Beklagte nicht selbst ermitteln.

b) Der Kläger hat die Unterlagen im Verwaltungsverfahren nicht vorgelegt.

Dabei kann die Kammer dahinstehen lassen, ob die Rechtsprechung des BSG, dass eine Vorlage der Unterlagen im Widerspruchsverfahren noch ausreichend ist (BSG, Urteil vom 12.09.2018, B 4 AS 39/17 R, Rn. 35 ff.), vorliegend auch bei einer Vorlage im Widerspruchverfahrens im Rahmen eines Verfahrens nach § 44 SGB X gilt. Die Unterlagen gingen bei dem Beklagten am 29.03.2018 ein, nachdem dieser den Widerspruchsbescheid (im Verfahren nach § 44 SGB X) am 26.03.2018 erstellt hatte. Am 29.03.2018 galt der Bescheid mangels entgegenstehenden Vortrags nach § 37 Abs. 2 SGB X als zugegangen. Mit diesem Widerspruchsbescheid liegt (spätestens) eine "abschließende Entscheidung" vor. Das BSG hat zwar in der oben genannten Entscheidung eine Nachholung während des Widerspruchsverfahrens zugelassen, dieser Fall ist hier indes nicht gegeben.

3. Die nach Fertigung des Widerspruchsbescheids eingegangenen Unterlagen waren nicht zu berücksichtigen.

Soweit Unterlagen nach Erlass des Widerspruchsbescheids vorgelegt werden, sind die Unterlagen nicht zu berücksichtigen. Die Vorschrift entfaltet insoweit eine materielle Präklusionswirkung (andere Ansicht angedeutet, aber letztlich offen gelassen: BSG, Urteil vom 12.09.2018, B 4 AS 39/17 R, Rn. 37 ff.). Nur mit einer solchen Präklusionswirkung erfüllt die Vorschrift nach Ansicht der Kammer ihren Sinn und Zweck der Straffung der Verfahren (dazu unter a). Die vom BSG obiter ausgeführten Einwände gegen eine solche Auslegung überzeugen nicht (dazu unter b).

a) Nur eine Auslegung, die zu einem Ausschluss des Nachreichens von Unterlagen während des Klageverfahrens führt, entspricht dem Sinn und Zweck der Verfahrensvereinfachung- und -beschleunigung.

Dieser Zweck findet sich in der Bundestagsdrucksache zu § 41a Abs. 3 SGB II zwar nicht explizit (BT-Drucks. 18/8041, 53), allerdings ist die Rechts- und Verwaltungsvereinfachung Sinn und Zweck des gesamten Änderungsgesetzes gewesen. Der Begriff Rechtsvereinfachung findet sich bereits im Titel des Gesetzes. Auf Seite 1 des Regierungsentwurfs (BT-Drucks. 18/8041) heißt es:

"Ziel dieses Gesetzes ist es daher, dass leistungsberechtigte Personen künftig schneller und einfacher Klarheit über das Bestehen und den Umfang von Rechtsansprüchen erhalten und die von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Jobcentern anzuwendenden Verfahrensvorschriften vereinfacht werden."

Die Verwaltungsvereinfachung ist zudem an vielen Stellen im Gesetzesentwurf als Sinn und Zweck einzelner Normen genannt (etwa direkt unter der Begründung des § 41a Abs. 3 SGB II zu § 41a Abs. 4 SGB II: BT-Drucks. 18/8041, 53; aber auch Seiten 42, 47, 50, 98). In das Ziel der Verwaltungsvereinfachung hat der Gesetzgeber das sich an Verwaltungsverfahren anschließende Klageverfahren mit eingeschlossen. Sie heißt es auf Seite 1 der zitierten Drucksache (BT-Drucks. 18/8041):

"In der Praxis haben die für die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (passive Leistungen) im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) anzuwendenden Vorschriften teilweise zu umfangreichen Verwaltungsabläufen und in einigen Punkten zu einer Vielzahl von Widersprüchen und Klagen geführt. [ ]"

Diesem Sinn würde es zuwider laufen, wenn der Leistungsberechtigte die Unterlagen auch in einem - ggf. längere Zeit in Anspruch nehmenden - Klageverfahren noch nachreichen könnte. Die Frist hätte damit nahezu keine Wirkung.

b) Eine andere Auslegung ergibt sich auch nicht aus den seitens des BSG im vorgenannten Urteil obiter ausgeführten Erwägungen (BSG, Urteil vom 12.09.2018, B 4 AS 39/17 R, Rn. 40).

Der Vergleich zu Präklusionsvorschriften wie § 106a SGG führt nicht weiter. Zwar ist nicht von der Hand zu weisen, dass § 41a SGB II anders aufgebaut ist. Daraus folgt indes nicht, dass die Vorschrift keine ausschließende Wirkung haben kann. Es zeigt viel mehr, dass § 41a Abs. 3 SGB II insgesamt völlig anders angelegt ist (SG C-Stadt, Urteil vom 14.03.2018, S 24 AS 713/17, Rn. 15 ff.). § 41a Abs. 3 SGB II stellt in seinen Tatbestandsvoraussetzungen gerade nicht explizit auf eine (positiv festgestellte) Verzögerung des Verfahrens ab. Derartige Verzögerungen zu verhindern ist zwar Sinn und Zweck der Regelung (siehe oben), im Gegensatz zum gerichtlichen Verfahren (§ 106a SGG) muss die Behörde aber nicht feststellen, dass sich das Verfahren bei Berücksichtigung der vorgelegten Unterlagen verzögern würde.

Das BSG führt zudem aus, es müsse bei einer ausschließlich an den Fristablauf anknüpfenden Nullfeststellung sichergestellt sein, dass nicht zu vertretende Fristversäumnisse keine nachteiligen Rechtsfolgen auslösen (BSG, Urteil vom 12.09.2018, B 4 AS 39/17 R, Rn. 40 unter Verweis auf: BVerfG vom 21.02.1990, 1 BvR 1117/89). Diese Problematik ist über § 26 Abs. 7 Satz 2 SGB X zu lösen. § 26 Abs. 7 Satz 2 SGB X erlaubt die rückwirkende Verlängerung einer bereits abgelaufenen Frist, wenn es unbillig wäre, die durch den Fristablauf eingetretenen Folgen bestehen zu lassen. Die Regelung gilt für alle behördlichen Fristen und mithin auch für die Fristen nach § 41a Abs. 3 SGB II (SG C-Stadt, Urteil vom 29.01.2018, S 24 AS 586/17, Rn. 24). Die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der unbilligen Härte und die Ermessensausübung hat sich an der Rechtsprechung zur Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu § 27 SGB X zu orientieren. Wurde die Frist unverschuldet versäumt und liegen auch die übrigen Voraussetzungen vor, unter denen bei Versäumung einer gesetzlichen Frist Wiedereinsetzung gewährt werden müsste, so kann im Regelfall eine rückwirkende Verlängerung der Frist nicht abgelehnt werden (ähnlich: BSG, Urteil vom 16.10.1986, 12 RK 30/86, Rn. 25). In diesen Fällen ist regelmäßig auch eine Ermessensreduzierung auf Null gegeben (Franz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 26 SGB X, Rn. 63).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Rechtsmittelbelehrung: Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden. Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Georg-Wilhelm-Str. 1, 29223 Celle, oder bei der Zweigstelle des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen schriftlich oder in elektronischer Form oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die elektronische Form wird durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments gewahrt, das für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet ist und - von der verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert ist oder - von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gem. § 65a Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingereicht wird. Weitere Voraussetzungen, insbesondere zu den zugelassenen Dateiformaten und zur qualifizierten elektronischen Signatur, ergeben sich aus der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV) in der jeweils gültigen Fassung. Über das Justizportal des Bundes und der Länder (www.justiz.de) können weitere Informationen über die Rechtsgrundlagen, Bearbeitungsvoraussetzungen und das Verfahren des elektronischen Rechtsverkehrs abgerufen werden. Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Monatsfrist bei dem Sozialgericht Osnabrück, Hakenstraße 15, 49074 Osnabrück, schriftlich oder in elektronischer Form oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. Die Berufungsschrift muss innerhalb der Monatsfrist bei einem der vorgenannten Gerichte eingehen. Sie soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben. Auf Antrag kann vom Sozialgericht durch Beschluss die Revision zum Bundessozialgericht zugelassen werden, wenn der Gegner schriftlich zustimmt. Der Antrag auf Zulassung der Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Sozialgericht Osnabrück, Hakenstraße 15, 49074 Osnabrück, schriftlich oder in elektronischer Form zu stellen. Die Zustimmung des Gegners ist dem Antrag beizufügen. Lehnt das Sozialgericht den Antrag auf Zulassung der Revision durch Beschluss ab, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Berufungsfrist von neuem, sofern der Antrag auf Zulassung der Revision in der gesetzlichen Form und Frist gestellt und die Zustimmungserklärung des Gegners beigefügt war. Der Berufungsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden. Dies gilt nicht bei Einlegung der Berufung in elektronischer Form. Erfolgt die Zustellung im Ausland, so gilt anstelle aller genannten Monatsfristen eine Frist von drei Monaten.

D.