Sozialgericht Osnabrück
Beschl. v. 07.11.2019, Az.: S 44 AY 59/19 ER

Kürzung der Leistungsgewährung an einen Leistungsberechtigten hinsichtlich Verstoßes gegen Mitwirkungspflichten (hier: Vorlage des Passes)

Bibliographie

Gericht
SG Osnabrück
Datum
07.11.2019
Aktenzeichen
S 44 AY 59/19 ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2019, 65109
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Der Antragsgegner wird im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller ab dem 25.09.2019 bis zur Bestandskraft des Bescheids vom 01.08.2019, längstens jedoch für sechs Monate, Leistungen nach § 3 AsylbLG ohne Kürzung nach § 1a AsylbLG zu gewähren. Die Zahlungen erfolgen vorläufig und stehen unter dem Vorbehalt eines anderweitigen Ausgangs eines möglichen Hauptsacheverfahrens. Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragsgegners.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich mit dem vorliegenden Eilrechtsschutzverfahren gegen eine Kürzung nach § 1a Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).

Der Antragsteller ist malischer Staatsangehöriger muslimischer Religionszugehörigkeit. Er reiste am 05.11.2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 06.07.2016 einen Asylantrag. In der Anhörung beim Bundesamt am 21.07.2016 gab der Antragsteller an, dass er keine Personalpapiere habe, da er geflohen sei. Auf Nachfrage erklärte er, dass er bereits in Mali keine Personalpapiere besessen habe, da sie arm gewesen seien, er noch minderjährig gewesen sei und sein Vater sich nie um derartige Papiere gekümmert habe. Mit Bescheid vom 01.09.2016 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag ab und erkannte die Flüchtlingseigenschaft nicht zu. Ebenso erkannte das Bundesamt den subsidiären Schutz nicht zu und stellte fest, dass Abschiebeverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorlägen. Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Die gegen diesen Bescheid erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Osnabrück mit Urteil vom 20.02.2014 (5 A 1060/16) zurück.

Mit Schreiben vom 12.05.2017 forderte der Antragsgegner den Antragsteller auf, einen gültigen Pass oder Passersatz vorzulegen. Die Mitwirkungspflichten nach § 48 Abs. 3 AufenthG, § 49 Abs. 2 AufenthG und § 56 der Aufenthaltsverordnung wurden im Einzelnen dargestellt. Die Adresse der zuständigen Botschaft in Berlin wurde genannt und darüber hinaus wurden vier weitere Möglichkeiten zur Beschaffung von Identitätsdokumenten genannt, die Kontaktaufnahme mit im Heimatland lebenden Verwandten und Bekannten, die Einschaltung kirchlicher Einrichten, das Einschalten des Roten Kreuzes oder anderer Hilfsorganisationen und das Beauftragen eines Vertrauensanwalts im Heimatland.

Mit Schreiben vom 19.06.2017 beantragte der Antragsteller, ihm eine Duldung zu erteilen.

Mit Schreiben vom 11.07.2017 wies der Antragsgegner darauf hin, dass der der Antragsteller am 12.05.2017 zwecks Klärung seiner aufenthaltsrechtlichen Situation vorgesprochen habe. Der Antragsteller habe sich dort geweigert, einen Duldungsantrag auszufüllen. Seitdem sei er beim Antragsgegner nicht mehr erschienen.

Nach einem Vermerk vom 27.07.2017 sprach der Antragsteller an diesem Tag bei dem Antragsgegner vor und teilte mit, dass er sich trotz Aufforderung vom 12.05.2017 nicht um die Ausstellung von Heimreisedokumenten bemüht habe. Der Antragsteller sei erneut mündlich zur Mitwirkung aufgefordert worden. Mit Schreiben vom 01.08.2017 forderte der Antragsgegner den Antragsteller erneut auf, ein gültiges Heimreisedokument vorzulegen. Der Nachweis der Beantragung sei umgehend vorzulegen.

Am 28.08.2017 sprach der Antragsteller nach einem Vermerk des Antragsgegners vor und beantragte die Verlängerung seiner Duldung. Dabei habe er sich geweigert, einen ihm vorgelegten manischen Passersatzpapierantrag zu unterschreiben. Am 26.09.2017 sprach der Antragsteller nach einer von ihm nicht unterschriebenen Niederschrift erneut zur Verlängerung der Duldung vor. Dabei sei der Antragsteller aufgefordert worden, sich intensiv um die Ausstellung von Identitätsdokumenten (Registerauszug, Geburtsurkunde, Personalausweis) über eine Mittelsperson in Mali zu bemühen. Er sei darauf hingewiesen worden, dass es auch zumutbar sei, einen sogenannten Vertrauensanwalt in Mali mit der Klärung der Angelegenheit zu beauftragen.

Mit Schreiben vom 29.09.2017 wandte sich der Antragsgegner mit einem Rücknahmeersuchen und der Beantragung eines malischen Passersatzpapiers an die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen, Außenstelle Lüneburg.

Am 02.11.2017 sprach der Antragsteller bei dem Antragsgegner vor und weigerte sich nach einem Vermerk des Antragsgegners, einen Antrag auf Passersatz zu unterschreiben.

Mit Schreiben vom 22.11.2017 teilte das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport mit, dass eine Eingabe des Antragstellers an die Härtefallkommission zur Beratung angenommen worden sei.

Mit Schreiben vom 15.12.2017 legte der Antragsteller ein Schreiben des Herrn E vor, in dem dieser mitteilte, dass er mit dem Antragsteller "seit einigen Monaten in einer Partnerschaft" lebe. Der Antragsteller habe ihm mitgeteilt, dass er in der letzten Zeit wiederholt versucht habe, eine Urkunde oder ein Pass zu bekommen. Bei einem Anruf bei der Botschaft in Mali sei ihm gesagt worden, dass es nicht möglich sei, in Kidal eine Information zu bekommen, da Terroristen der Tuareg "alles kaputt gemacht" hätten. Mit Schreiben vom 19.12.2017 teilte der Antragsgegner den Antragsteller mit, dass das Unterschreiben des PEP-Antrags nicht ausreichend sei, um die gesetzlichen Mitwirkungspflichten zu erfüllen. Die von Herrn E geschilderten Mitwirkungshandlungen seien nicht durch glaubhafte Unterlagen nachgewiesen.

Mit Schreiben vom 26.01.2018 legte der Antragsteller eine Kopie einer malischen Geburtsurkunde vor. Am 27.02.2018 sprach der Antragsteller vor und legte eine Kopie der Geburtsurkunde vor. Daraufhin wurde er aufgefordert, kurzfristig das Original vorzulegen. Dies erfolgte nach einem Vermerk vom 28.02.2018 an diesem Tag. Zudem wurde der Antragsteller nach dem Vermerk aufgefordert, mit dieser Geburtsurkunde umgehend ein Pass oder Passersatzpapier bei der malischen Botschaft zu beantragen.

Bei einer Vorsprache am 24.04.2018 teilte der Antragsteller mit, dass eine Kontaktaufnahme mit der malischen Botschaft in Berlin ergeben habe, dass die Geburtsurkunde allein nicht ausreichend sei. Er müsse zusätzlich eine Kopie der Pässe seiner Eltern vorlegen oder seine manische Personalnummer. Diese sei nicht auf der Geburtsurkunde vermerkt. Zu einer diesbezüglichen Mitwirkung wurde der Antragsteller nach dieser vom Antragsteller ebenfalls unterschriebenen Niederschrift aufgefordert.

Im Rahmen eines Antrags auf Erteilung einer Ausbildungsduldung teilte der Antragsgegner mit Schreiben vom 20.06.2018 mit, dass der Antragsteller laut Homepage der malischen Botschaft in Berlin für die Beantragung von Rückreisedokumenten unter anderem eine NINA-Nummer brauche, die durch einen NINA-Karte oder mit der Nummer der Registrierung nachgewiesen werde.

Nach einer Niederschrift vom 30.08.2018 sprach der Antragsteller an diesem Tag vor und wurde dort erneut zur Mitwirkung aufgefordert. Er gab dort an, dass er versucht habe, seine Personalnummer bzw. Kopien der Pässe seiner Eltern zu erlangen.

Mit Schreiben vom 06.11.2018 bat der Antragsteller darum, ihm die Geburtsurkunde auszuhändigen, damit er erneut bei der Botschaft Malis vorsprechen könne. Mit Schreiben vom 19.12.2018 forderte der Antragsgegner den Antragsteller dazu auf, die NINA-Nummer zu beschaffen. Dass diese in der vorgelegten Geburtsurkunde nicht genannt sei, werfe Fragen zum wahrheitsgemäßen Inhalt der Urkunde auf. Ohne diese Nummer werde es nicht als erfolgsversprechend angesehen, die Geburtsurkunde für eine erneute Vorsprache auszuhändigen.

Mit einem am 31.01.2019 bei dem Antragsgegner eingegangenen Schreiben des Herrn E an die Härtefallkommission erklärte dieser, der Antragsteller habe Kontakt zu Bekannten in Mali. Insoweit legte er den Ausdruck einer E-Mail vom 13.01.2019 von Herrn F vor, wonach der Vorgenannte sich weiterhin bemühe, Papiere für den Antragsteller zu suchen, einschließlich der NINA-Nummer.

Am 21.02.2019 sprach der Antragsteller bei dem Antragsgegner nach einem Vermerk erneut vor und erklärte sich nunmehr bereit, die malischen Anträge auf Ausstellung eines Passersatzes zu unterschreiben. Mit Schreiben vom 21.02.2019 legte der Antragsgegner der Landesaufnahmebehörde die Geburtsurkunde des Antragstellers vor, mit dem Hinweis, dass die Echtheit wegen der fehlenden NINA-Nummer angezweifelt werde.

Am 11.04.2019 gab der Antragsteller nach einem Vermerk des Antragsgegners die im ausgehändigt der Geburtsurkunde zurück und erklärte, dass er am 01.04.2019 bei der malischen Botschaft vorgesprochen habe. Diese habe aber kein Passantrag aufnehmen können.

Mit Schreiben vom 11.04.2019 listet der Antragsteller seine bisherigen Mitwirkungshandlungen, zwei Besuche bei der malischen Botschaft in Berlin, diverse Telefonate mit Bekannten aus Mali sowie telefonischer und E-Mail-Kontakt mit der Botschaft in Mali, vor.

Mit E-Mail vom 11.04.2019 wandte sich Herr G im Namen des Antragstellers an den deutschen Botschafter in Mali, Herrn H. Der Antragsteller benötige für die Ausstellung von Ersatzpapieren eine NINA-Nummer. Er besitze nur eine Geburtsurkunde, auf der diese Nummer nicht stehe. Es werde um Zusendung einer Liste von Vertrauensanwälten gebeten, die nur dort bei der Botschaft zu bekommen sei. Diese Liste übersandte Frau I mit E-Mail vom 15.04.2019.

Mit E-Mail vom 13.04.2019 wandte sich der Antragsteller an Amnesty International mit der Bitte, ihm bei der Klärung der Identität behilflich zu sein (Blatt 90 der Ausländerakte, Unterordner Passersatz Papierbeschaffung - Unterakte PEP). Nach einer Bescheinigung des Roten Kreuzes sprach der Antragsteller am 16.04.2019 beim Deutschen Roten Kreuz vor und gab dort eine Suchanfrage auf, um Kontakt zu ehemaligen Bekannten herzustellen, um die Identität zu klären.

Mit Schreiben vom 25.04.2019 listet der Antragsteller seine Mitwirkungshandlungen erneut auf. Insoweit wird auf Blatt 68-70 Unterakte PEP verwiesen. In diesen Zusammenhang legte der Antragsteller den Entwurf eines Schreibens vor, mit dem er einen Rechtsanwalt in Mali mit der Beschaffung von Dokumenten beauftragt (Blatt 80 der Unterakte PEP). Des Weiteren legte er eine Übersetzung dieses Schreibens vor (Blatt 86 der Unterakte PEP). Diese sandte er nach einer vorgelegten E-Mail an eine der genannten Adressen aus dem Schreiben der deutschen Botschaft bezüglich der Vertrauensanwälte (vgl. zur E-Mail Blatt 87 der Unterakte PEP, zur Liste der Vertrauensanwälte Blatt 79 der Unterakte PEP).

Mit E-Mail vom 25.04.2019 wandte sich der Antragsteller zudem an das UNHCR.

Mit E-Mail vom 26.04.2019 antwortete der angeschriebene Vertrauensanwalt, dass aufgrund der nicht vorhandenen örtlich ausgestellten Geburtsurkunde ein Nachbeurkundungsbeschluss zur Ausfertigung der Geburtsurkunde notwendig sei. Für dieses Verfahren werde eine Kopie des Personalausweises sowie des Reisepasses und die eidesstattliche Erklärung von zwei Personen benötigt. Mit E-Mail vom 28.04.2019 übersandte der Antragsteller einen Scan seiner Geburtsurkunde und seiner Duldung. Ein Reisepass besitze er nicht. Diesen habe er bei der zuständigen Botschaft in Berlin beantragen wollen, dafür fehle aber die NINA-Nummer.

Mit Schreiben vom 08.05.2019 teilte das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport dem Antragsgegner mit, dass der Antragsteller seine Eingabe bei der Härtefallkommission zurückgenommen habe.

Nach Abschluss des Verfahrens bei der Härtefallkommission forderte der Antragsgegner den Antragsteller mit Schreiben vom 22.05.2019 zur Vorsprache auf, damit die aufenthaltsrechtliche Situation, eine freiwillige Ausreise oder Abschiebung besprochen werden können.

Mit weiterem Schreiben vom 22.05.2019 hörte der Antragsgegner den Antragsteller dazu an, die Leistungen ab dem Monat 7/2019 auf 151,14 EUR zu kürzen. Nach Ende des Verfahrens bei der Härtefallkommission sei der Antragsteller wieder vollziehbar ausreisepflichtig. Er sei von der Ausländerbehörde aufgefordert worden, bis zum 14.06.2019 ein gültiges Heimreisedokument vorzulegen. Insoweit werde auf das Schreiben vom 22.05.2019 Bezug genommen. Es wurde eine Frist bis zum 14.06.2019 gesetzt.

Am 04.06.2019 stellte der Antragsteller beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Asylfolgeantrag, den das BAMF mit Bescheid vom 06.06.2019 als unzulässig ablehnte.

Mit Bescheid vom 19.06.2019 kürzte der Antragsgegner die Leistungsgewährung nach § 1a AsylbLG für den Monat 7/2019 auf 552,00 EUR. Die Regelleistung wurde um 169,00 EUR gekürzt. Es wurden dem Antragsteller nur Leistung nach den Abteilungen 1, 4 und 6 gewährt. Der Antragsteller habe nicht mitgewirkt, sondern stattdessen ein Asylfolgeantrag gestellt, der aber bereits innerhalb der gesetzten Frist abgelehnt worden sei.

Gegen den Bescheid vom 19.06.2019 legte der Antragsteller mit Schreiben vom 18.07.2019 (bei dem Antragsgegner eingegangen ebenfalls am 18.07.2019) Widerspruch ein.

Am 25.09.2019 hat sich der Antragsteller mit dem Ersuchen um einstweiligen Rechtsschutz an das Gericht gewandt. Wegen des derzeit laufenden Eilrechtsschutzverfahrens vor dem Verwaltungsgericht Osnabrück (7 B 29/19) sei derzeit von jeglichen Leistungskürzungen Abstand zu nehmen. Die Gegenseite verkenne offenbar, dass sie die Beweislast dafür habe, nachzuweisen, dass er seinen Mitwirkungspflichten nicht nachkomme. Insoweit müsse der Antragsgegner selbstständig prüfen. Er habe die Botschaft besucht, über Freunde und Bekannte versucht, Dokumente aus Mali zu erhalten, Vertrauensanwälte und die deutsche Botschaft in Mali kontaktiert, PEP-Papiere unterschrieben, eine Originalurkunde beschafft und andere Organisationen und Privatpersonen angeschrieben bzw. Telefonate mit diesem geführt, um Informationen zu erhalten und weitere Wege aufgezeigt zu bekommen. Zu der NINA-Nummer habe man in einem Schriftsatz an das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass die NINA-Karten erst kurz vor der Präsidentschaftswahl 2013 eingeführt worden sein, um als Wahlkarten zu fungieren. Diese seien deshalb nur an volljährige Wähler ausgeteilt worden. Er sei 2013 noch nicht volljährig gewesen, ebenso wenig wie bei seiner Ausreise 2014.

Mit Widerspruchsbescheid vom 07.10.2019 hat der Antragsgegner den Widerspruch des Antragstellers vom 18.07.2019 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 19.06.2019 zurückgewiesen. Der Antragsteller habe auf die Aufforderung der Ausländerbehörde vom 22.05.2019 dort weder identitätsklärende Nachweise vorgelegt, noch beim zuständigen Sozialamt vorgesprochen. Die vorgelegte Geburtsurkunde kläre zwar die Identität, es werde jedoch die sogenannten NINA-Nummer benötigt. Die Herkunft der Geburtsurkunde sei unklar. Auch können die Vorsprache bei der Botschaft lediglich durch Vorlage des Zugtickets nachgewiesen werden. Die Ernsthaftigkeit der Beschaffung der erforderlichen Dokumente könne infrage gestellt werden. Zwar habe der Antragsteller Mitwirkungshandlungen nachgewiesen, allerdings seien diese nur in einem Zeitraum vorgenommen worden, indem er sich durch die Eingabe bei der Härtefallkommission und der damit angeordneten Aussetzung aufenthaltsbeendende Maßnahmen Hoffnung auf einem Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland gemacht habe. Nach Beendigung des Verfahrens vor der Härtefallkommission habe der Antragsteller keine weiteren Mitwirkungshandlungen nachgewiesen.

Der Antragsteller beantragt auch seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,

den Antragsgegner im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm ungekürzte Leistungen nach § 3 AsylbLG zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen.

den Antrag abzuweisen.

Er hält seine Bescheide für rechtmäßig. Es fehle bereits am Rechtsschutzbedürfnis. Darüber hinaus sei der Antrag auch unbegründet. Bezüglich der notwendigen Mitwirkungshandlung wurde auf die Bescheide vom 14.01.2019 und vom 16.07.2019 sowie das Schreiben vom 22.05.2019 verwiesen. Eine aufschiebende Wirkung sei im Rahmen des Eilverfahrens nicht angeordnet worden, sodass auch dies einer Leistungskürzungen nicht entgegenstehen. Insoweit liegt der Antragsgegner ein Schreiben an den Antragssteller vor, in dem erklärt wird, dass keine Bereitschaft besteht, im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutzverfahrens eine Stillhaltezusage abzugeben. Eine eigenständige Prüfung liege vor, es werde zudem an der Echtheit der Urkunde gezweifelt.

Mit Bescheid vom 05.11.2019 hat der Antragsgegner die gekürzte Leistungsgewährung für den Monat 7/2019 aufgehoben. Im Übrigen bleibe die Leistungskürzung (für die Zeit nach dem 01.08.2019) bestehen.

Ergänzend wird auf die beigezogenen Asylbewerber leistungsrechtlichen und ausländerrechtlichen Vorgänge sowie die Gerichtsakte verwiesen. Die Akten sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

II.

Der Antrag ist zulässig und begründet.

Die Voraussetzungen des § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen vor.

Nach § 86b Abs. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Wenn eine Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint, kann das Gericht zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ebenfalls eine einstweilige Anordnung treffen. Hierfür bedarf es der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes durch den Antragsteller (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig, SGG, 12. Aufl. 2017, § 86b, Rn. 27 ff.). Der Anordnungsgrund betrifft die Frage der Eilbedürftigkeit oder Dringlichkeit. Die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs betrifft demgegenüber die Prüfung der Erfolgsaussichten des geltend gemachten Anspruchs, d.h. der Rechtsanspruch muss mit großer Wahrscheinlichkeit begründet sein und aller Voraussicht auch im Klageverfahren bestätigt werden.

Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft machen können. Der Anordnungsgrund ergibt sich dabei unproblematisch aus der deutlichen Unterschreitung des Existenzminimums. Dies gilt auch in Hinblick darauf, dass der Bescheid vom 01.08.2019 ggf. nur noch mit dem hilfsweise gestellten Antrag nach § 44 SGB X angegriffen werden konnte. Zwar gelten bei Bestandskraft eines Bescheides besondere Anforderungen an den Anordnungsgrund, diese sind bei der hier streitigen umfangreichen Kürzung nach § 1a AsylbLG nach Ansicht der Kammer aber erfüllt.

Der Antragssteller hat aber auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft machen können. Die Voraussetzungen des § 1a AsylbLG liegen nach dem derzeitigen Stand des Verfahrens nicht vor.

Nach § 1a Abs. 2 Satz 1 AsylbLG in der Fassung vom 15.08.2019 (gültig ab 01.09.2019) haben Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG, für die ein Ausreisetermin und eine Ausreisemöglichkeit feststehen, ab dem auf den Ausreisetermin folgenden Tag keinen Anspruch auf Leistungen nach den §§ 2, 3 und 6 AsylbLG, es sei denn, die Ausreise konnte aus Gründen, die sie nicht zu vertreten haben, nicht durchgeführt werden. Ihnen werden nach Satz 2 bis zu ihrer Ausreise oder der Durchführung ihrer Abschiebung nur noch Leistungen zur Deckung ihres Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege gewährt. Nur soweit im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, können ihnen nach Satz 3 auch andere Leistungen im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG gewährt werden. Diese Regelungen gelten nach § 1a Abs. 3 Satz 1 AsylbLG entsprechend für Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 und 5 AsylbLG, bei denen aus von ihnen selbst zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können. Für sie endet der Anspruch auf Leistungen nach den §§ 2, 3 und 6 AsylbLG mit dem auf die Vollziehbarkeit einer Abschiebungsandrohung oder Vollziehbarkeit einer Abschiebungsanordnung folgenden Tag.

Dass diese Voraussetzungen hier vorliegen, hat der Antragsgegner nicht glaubhaft machen können. Ob ein Verstoß gegen Mitwirkungspflichten vorliegt, ist nach Ansicht der Kammer derzeit nicht abschließend aufklärbar (dazu unter 1). Damit bedarf es keiner Entscheidung, ob eine Sanktionierung nach § 1a AsylbLG nach der Entscheidung des BVerfG vom 05.11.2019 (1 BvL 7/16) weiterhin möglich ist (dazu unter 2).

1. Ob ein Verstoß gegen Mitwirkungspflichten ist nach Ansicht der Kammer derzeit nicht abschließend aufklärbar.

a) Der Antragssteller hat sich zunächst geweigert, hinreichend mitzuwirken. So hat er nach den Vermerken des Antragsgegners zunächst nicht einmal den Antrag auf Duldung unterschrieben. Auch bezüglich der Unterschrift unter PEP-Anträge lag - soweit ersichtlich - zunächst eine Weigerung vor. Diese Weigerungshaltung hat der Antragsteller aber zwischenzeitlich aufgegeben. Da für § 1a AsylbLG nur der jeweils streitige Zeitraum relevant ist, wirkt der vorherige Verstoß hier auch nicht fort.

b) Die Kammer kann nicht abschließend aufklären, ob dem Antragsteller derzeit weitere (erfolgsversprechende) Mitwirkungshandlungen möglich sind.

aa) Er hat sich nach den vorgelegten Unterlagen im April und Mai um die Beschaffung von Heimreisedokumenten bemüht. Der Antragsteller hat insoweit umfangreiche Versuche unternommen. Er hat die im Aufforderungsschreiben des Antragstellers aufgezeigten Wege zur Aufklärung der Identität beschritten und nach der Vorlage der Geburtsurkunde Kontakt mit einem Vertrauensanwalt, dem Roten Kreuz, Amnesty International und dem UNHCR aufgenommen. Diese Bemühungen blieben bislang erfolglos. Auch wenn nicht abschließend beurteilt werden kann, was in den durch die Verbindungen nachgewiesenen Telefonaten besprochen wurde, so liegen jedoch mit der E-Mail an den vom Antragsgegner benannten Vertrauensanwalt, die Ausschreibung des Roten Kreuzes und den E-Mails an Amnesty und das UNHCR wohl hinreichende Nachweise für Bemühungen des Antragstellers vor.

Die in der Antwort des Vertrauensanwalts aufgezeigte Nachbeurkundungsverfahren kann der Antragsteller mangels Vorliegen eines Reisepasses und eines Personalausweises nicht erfüllen. Die ihm vorliegenden Dokumente hat der Antragsteller anschließend übersandt. Auch der Antragsgegner hat keine konkreten Handlungen genannt, die der Antragsteller nun vornehmen könne.

Zwar ist es möglich, dass der Antragsteller sich nur solange um die Klärung der Identität bemüht hat, wie das Verfahren bei der Härtefallkommission noch lief. Dies ist nach dem aktuellen Stand der Kammer aber deshalb nicht relevant, da derzeit nicht ersichtlich ist, welche weiteren Schritte der Antragsteller unternehmen kann und soll. Eine weitere Aufklärung ist insoweit dem Hauptsachverfahren vorbehalten.

bb) Bereits vorher hat der Antragsteller eine Geburtsurkunde vorgelegt. Ob diese echt ist, kann die Kammer im einstweiligen Rechtsschutz nicht abschließend beurteilen. Nach dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amts sind zwar in Mali zahlreiche Personenstandsurkunden (Geburts- und Heiratsurkunden) mit unwahrem Inhalt im Umlauf (Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 27.08.2019, Seite 17). Gefälschte Dokumente seien aufgrund der weit verbreiteten Korruption in Mali relativ leicht zu beschaffen. Urkundendelikte würden nach Kenntnis der Botschaft kaum geahndet. An echte Dokumente unwahren Inhalts zu gelangen sei relativ einfach (Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 27.08.2019, Seite 18). Daraus folgt aber nicht, dass die vorliegende Urkunde gefälscht ist. Hierauf könnte wohl vor allem die fehlende NINA-Nummer hinweisen.

Allerdings wird in dem zitierten Lagebericht auch ausgeführt, dass die flächendeckende Geburtenerfassung ein Phänomen neueren Datums sei. Gerade aus den Jahrgängen vor 1990 seien Nachbeurkundungen durch Gerichtsbeschluss auf Basis der Aussagen zweier Zeugen häufige Grundlage von Geburtsurkunden. Nachbeurkundungen erfolgten oft erst im Erwachsenenalter (Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 27.08.2019, Seite 17). Der Antragsteller gab insoweit bereits beim Bundesamt an, dass er in Mali keine Personaldokumente gehabt habe, da sich sein Vater hierum nicht gekümmert habe. Das genannte Nachbeurkundungsverfahren (unter Nennung zweier Zeugen) nennt der Vertrauensanwalt ebenfalls. Ob bei fehlender ursprünglicher Beurkundung bei einer späteren Geburtsurkunde (häufig) die genannte Nummer fehlt, ist zwar offen, lässt sich im vorliegenden Eilrechtsschutzverfahren aber nicht klären.

2. Vor diesem Hintergrund musste die Kammer nicht entscheiden, in wie weit die Entscheidung des BVerfG vom 05.11.2019 (1 BvL 7/16) auch Auswirkungen für das AsylbLG hat, soweit eine Kürzung von mehr als 30% der Regelleistung vorgenommen wird.

Die Gesetzeskraft des Tenors nach § 31 Abs. 1 Satz 2 BVerfG bezieht sich zunächst nur auf das SGB II. Eine analoge Anwendung auf § 1a AsylbLG hält die Kammer zwar nicht für ausgeschlossen, allerdings stellt sich die Frage, in wie weit eine Analogie überhaupt möglich ist und, wenn ja, ob es sich eine solche beim AsylbLG rechtfertigen lässt, da die Verhältnismäßigkeitsprüfung hier ggf. anderweitig ausgehen könnte. Die Sanktionierung erfolgt in § 1a AsylbLG nicht zur Eingliederung in Arbeit (wie es bei §§ 31 ff. SGB II der Fall ist), sondern zur Durchsetzung ausländerrechtlicher Pflichten. Hierzu hat sich das BVerfG nicht verhalten. In wie weit die Überlegungen zur fehlenden Eignung der höheren Sanktionen zur Durchsetzung der Pflichten im SGB II übertragen lassen, hält die Kammer derzeit für offen.

3. Im Übrigen gilt Folgendes:

Eine Verpflichtung zu Leistungen nach § 2 AsylbLG war - soweit sie gewollt war - wegen des vorherigen Weigerungsverhaltens nicht geboten.

Weitere Leistungen nach § 3 AsylbLG waren nicht zuzusprechen, da ab dem Verpflichtungsdatum (Antragstellung) bereits die Neuregelung des § 3 AsylbLG gilt. Vor Antragseingang sind Leistungen im Eilrechtsschutz grundsätzlich nicht zuzusprechen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist hier nicht ersichtlich.

Da die ursprünglich angegriffene Entscheidung mittlerweile aufgehoben wurde, wurde bezüglich der Dauer der Verpflichtung an den Folgebescheid, der ebenfalls angegriffen wurde (Widerspruch, hilfsweise Antrag nach § 44 SGB X) abgestellt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Rechtsmittelbelehrung: Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde an das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen zulässig (§ 172 SGG). Sie ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses beim Sozialgericht Osnabrück, Hakenstraße 15, 49074 Osnabrück, schriftlich oder in elektronischer Form oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen (§ 173 SGG). Die elektronische Form wird durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments gewahrt, das für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet ist und - von der verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert ist oder - von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gem. § 65a Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingereicht wird. Weitere Voraussetzungen, insbesondere zu den zugelassenen Dateiformaten und zur qualifizierten elektronischen Signatur, ergeben sich aus der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV) in der jeweils gültigen Fassung. Über das Justizportal des Bundes und der Länder (www.justiz.de) können weitere Informationen über die Rechtsgrundlagen, Bearbeitungsvoraussetzungen und das Verfahren des elektronischen Rechtsverkehrs abgerufen werden. Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Georg-Wilhelm-Str. 1, 29223 Celle oder bei der Zweigstelle des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen, schriftlich oder in elektronischer Form oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.