Sozialgericht Osnabrück
Urt. v. 14.03.2018, Az.: S 24 AS 713/17

Klage gegen die endgültige Festsetzung von Sozialleistungen

Bibliographie

Gericht
SG Osnabrück
Datum
14.03.2018
Aktenzeichen
S 24 AS 713/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 13000
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Der Bescheid vom 13. Oktober 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Oktober 2017 wird ohne Entscheidung in der Sache aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Der Beklagte hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Die Kläger wenden sich gegen eine endgültige Festsetzung von Leistungen für die Monate März 2015 bis einschließlich August 2015. Die für den Beklagten handelnde A. (im Folgenden nur der Beklagte) bewilligte mit Bescheid vom 10. Juni 2015 vorläufig Leistungen nach dem SGB II. Der Kläger war selbständig tätig und die Klägerin hatte schwankendes Einkommen aus einer abhängigen Beschäftigung. Nach Ablauf des Bewilligungszeitraums forderte der Beklagte die Kläger mehrfach zur Mitwirkung an der endgültigen Feststellung des Leistungsanspruchs auf, und zwar mit Schreiben vom 10. September 2015, 17. November 2015, 22. Januar 2016, 11. März 2016 und 25. Juli 2016. Der Beklagte wies auf die Mitwirkungsobliegenheiten nach §§ 60 ff. SGB I hin und teilweise auf die Möglichkeit das Einkommen zu schätzen. Die Kläger legten Gehaltsnachweise vor sowie eine Gegenüberstellung von Einnahmen und Ausgaben. Auf Bl. 249 der Verwaltungsakte wird Bezug genommen. Mit Schreiben vom 5. September 2016 verfügte der Beklagte intern, dass der Leistungsanspruch endgültig festzusetzen sei und das Einkommen gem. § 3 Abs. 6 Alg-II-VO zu schätzen sei, und zwar auf 1.600 EUR. Dementsprechend setzte der Beklagte mit Bescheid vom 13. Oktober 2016 den Leistungsanspruch endgültig auf 0 EUR fest und forderte die Erstattung der gezahlten Leistungen sowie der Sozialversicherungsbeiträge. Insgesamt seien 6.197,18 EUR zu erstatten. Die Kläger legten Widerspruch ein. Unter dem 8. August 2017 (Bl. 7 d. Widerspruchsvorgangs) forderte der Beklagte erneut zur Mitwirkung auf. Ein Hinweis auf bestimmte Rechtsvorschriften war nicht enthalten. Der Beklagte wies jedoch darauf hin, dass nach Aktenlage entschieden würde. Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Oktober 2017 half der Beklagte dem Widerspruch teilweise ab und wies ihn im Übrigen als unbegründet zurück. Der Beklagte stützte seine Entscheidung auf § 41a Abs. 3 SGB II. Da die Kläger nicht mitgewirkt hätten, habe der Beklagte festzustellen, dass ein Leistungsanspruch nicht bestehe. Es sei unschädlich, dass der Ausgangsbescheid auf § 3 Abs. 6 Alg-II-VO gestützt worden sei. Die Gesetzesänderung habe keine Auswirkungen auf den Widerspruch. Allerdings seien die Sozialversicherungsbeiträge nicht zu erstatten, da diese rechtmäßiger Weise erbracht worden seien. Die Kläger haben am 23. November 2017 Klage erhoben. Sie beantragen,

den Bescheid vom 13. Oktober 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Oktober 2016 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen. Die Kammer hat die Verwaltungsakte des Beklagten beigezogen.

Auf die Mitwirkungsaufforderungen auf Bl. 248, 251, 253, 255 und 271 wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist im Sinne einer Zurückverweisung an den Beklagten begründet. Der angegriffene Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten. Der Beklagte durfte nicht feststellen, dass ein Leistungsanspruch nicht bestand. Die Voraussetzungen des § 41a Abs. 3 SGB II sind nicht erfüllt. Der Beklagte darf nach dieser Vorschrift nur dann feststellen, dass ein Leistungsanspruch nicht besteht, wenn er zuvor auf diese Rechtsfolgen unter Fristsetzung hingewiesen hat. Der danach erforderliche Hinweis auf die Rechtsfolgen des § 41a Abs. 3 S. 4 SGB II ist nicht erfolgt. Die Vorschrift des § 41a Abs. 3 S. 4 SGB II ist nämlich in den Hinweisen auf Bl. 248, 251, 253, 255 und 271 nicht erwähnt worden. Es wurde auch nicht sinngemäß auf die Rechtsfolgen des § 41a Abs. 3 S. 4 SGB II hingewiesen. Der Beklagte hat lediglich darauf hingewiesen, dass das Einkommen nach § 3 Abs. 6 Alg-II-VO geschätzt werden könne. § 41a Abs. 3 S. 4 SGB II regelt jedoch etwas Anderes und hat teilweise auch weitreichendere Rechtsfolgen: Nach hier vertretener Auffassung enthält die Vorschrift nämlich eine Ausschlussfrist (SG Duisburg, Gerichtsbescheid vom 02. Januar 2018 - S 49 AS 3349/17 -, juris, Rn. 31 ff.; a. A. SG Berlin, Urteil vom 25. September 2017, Az.: S 179 AS 6737/17 Rn. 75.). Dies ergibt sich bereits aus Wortlaut und Systematik. Werden nach Belehrung über die Rechtsfolgen und Fristsetzung die Unterlagen nicht fristgerecht vorgelegt, so wird festgestellt, dass ein Leistungsanspruch nicht besteht. Rechtsgrundlage für diese Feststellung ist dann § 41a Abs. 3 S. 4 SGB II. Im Rahmen einer Anfechtungsklage kann dann nur noch überprüft werden, ob die Voraussetzungen dieser Norm vorgelegen haben. Auf diese einschneidende Rechtsfolge ist hinzuweisen. Die Gegenauffassung überzeugt nicht. Zunächst ist festzuhalten, dass der in der Diskussion teilweise verwendete Begriff der Präklusionsvorschrift (z. B. SG Berlin, a. a. O., Rn. 75) irreführend ist. Vergleich man § 41a Abs. 3 SGB II mit § 106a SGG, so zeigen sich deutliche Unterschiede: Nach § 106a SGG kann das Gericht dazu auffordern bestimmte Tatsachen vorzutragen oder Beweismittel zu bezeichnen. Nach Fristablauf können diese Tatsachen oder Beweismittel zurückgewiesen werden. § 41a Abs. 3 SGB II ist ganz anders aufgebaut: Auf einzelne Tatsachen oder Unterlagen kommt es gar nicht mehr an. Es wird nicht wie bei § 106a SGG geregelt, dass bestimmte Einkommensnachweise oder Nachweise über Ausgaben bei der Ermittlung des Gewinns nach § 13 SGB II i. V. m. § 3 Alg-II-VO nicht berücksichtigt werden müssen oder dürfen. Vielmehr tritt neben die ansonsten nach §§ 7 ff., 19 ff. i. V. m. § 3 Alg-II-VO erfolgende Feststellung des Leistungsanspruchs eine eigenständige Rechtsgrundlage mit eigenen Voraussetzungen: § 41a Abs. 3 SGB II gebietet die Feststellung, dass ein Leistungsanspruch nicht besteht, wenn angeforderte Unterlagen nach Fristsetzung und Belehrung über die Rechtsfolgen nicht vorliegen (so im Ausgangspunkt zutreffend: Kemper, in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage, § 41a Rn. 47 f.). Maßstab für die Richtigkeit der Feststellung nach § 41a Abs. 3 SGB II ist mithin nur, ob die Unterlagen innerhalb einer angemessenen Frist vorgelegt wurden und ob über die Rechtsfolgen belehrt wurde. Die Nachholung der Mitwirkung kann für sich genommen nicht die Rechtmäßigkeit der Feststellung nach § 41a Abs. 3 SGB II bewirken. Dogmatisch zutreffend muss vielmehr gefragt werden, welche Möglichkeiten der Korrektur dieser Entscheidung bestehen (im Ausganspunkt zutreffend: Kemper, in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage, § 41a Rn. 49). Insbesondere ist fraglich, ob wie bei § 67 SGB I eine Korrektur durch Nachholung der Mitwirkung möglich ist. Dies wird von Kemper bejaht. Dabei stützt er sich auf zwei Erwägungen: Er meint, dass es sich bei § 41a SGB II um eine spezielle Ausprägung des § 66 SGB I handele (a. a. O., Rn. 49). Deswegen sei § 67 SGB I anwendbar. Gegen diese Auffassung spricht, dass nach dem Wortlaut nur bestimmte Vorschriften der §§ 60 ff. SGB I Anwendung finden sollen (§§ 60, 61, 65 und 65a). Der Gesetzgeber hat in der Begründung klargestellt, dass nur einzelne Vorschriften des SGB I gelten sollen (Bt-Drs. 18/8041, S. 53). Deswegen kann auch nicht von einem Redaktionsversehen ausgegangen werden. Richtig ist zwar, dass die Mitwirkungsobliegenheiten auch während des vorläufigen Leistungsbezugs gelten (Kemper, Rn. 44). Denn das Verwaltungsverfahren bezüglich der endgültigen Bewilligung ist noch nicht abgeschlossen. Allerdings können bereits gezahlte Leistungen nicht mehr versagt oder entzogen werden (KassKomm/Seewald, 97. EL Dezember 2017, SGB I § 66 Rn. 26a). Mithin bedurfte es für diesen Fall einer eigenen Rechtsgrundlage. Der Gesetzgeber hat durch die selektive Auswahl der anzuwenden Vorschriften aus dem dritten Titel des dritten Abschnitts zu erkennen gegeben, dass § 66 f. SGB I nicht anwendbar sein sollen. Unzutreffend ist weiterhin sein zweiter Begründungsansatz wonach bei Einlegung von Widerspruch und Klage bzw. bei Stellung eines Antrages nach § 44 SGB X die nachgereichten Unterlagen zu berücksichtigen seien. Dies ist unzutreffend, weil Maßstab der §§ 44 f. SGB X die Rechtswidrigkeit der angegriffenen Entscheidungen ist. Materielle Rechtswidrigkeit liegt jedoch nur vor, soweit die Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage für einen eingreifenden Verwaltungsakt nicht gegeben sind. Die Voraussetzungen des § 41a Abs. 3 S. 4 SGB II bleiben jedoch auch bei nach Fristablauf eingereichten Unterlagen erfüllt. Die Entscheidung war bei ihrem Erlass rechtmäßig (§ 44 SGB X). Es ist nicht ersichtlich, dass sich eine wesentliche Änderung ergeben könnte und der Verwaltungsakt dann nicht mehr oder mit anderem Inhalt erlassen werden müsste (§ 48 SGB X). Was wesentlich im Sinne von § 48 SGB X ist, bestimmt sich nach dem Tatbestand der Rechtsgrundlage für den (Dauer)Verwaltungsakt. § 41a Abs. 3 S. 4 SGB II regelt jedoch nicht, dass die Feststellung nur erfolgen darf, solange die Unterlagen nicht vorgelegt werden. § 41a Abs. 3 SGB II stellt nur auf das Fristversäumnis ab. Die Situation stellt sich nicht anders dar als bei § 66 SGB I. Rechtsschutz wird über die Anfechtungsklage gesucht (KassKomm/Seewald, 97. EL Dezember 2017, SGB I § 66 Rn. 40). Maßgeblich ist nach allgemeinen Grundsätzen der Tatsachenstand im Zeitpunkt als der Widerspruchsbescheid erlassen wurde (Keller, in: Meyer-Ladewig, SGG 12. Auflage, § 54 Rn. 33). Eine nachgeholte Mitwirkung macht die Entscheidung nach § 66 SGB I nicht rechtswidrig. Vielmehr eröffnet sie den Weg über die dort eigens geregelte nachträgliche Leistungserbringung, § 67 SGB I. § 67 SGB I wird dem Wortlaut nach nicht für anwendbar erklärt. Es liegt auch keine planwidrige Regelungslücke für eine analoge Anwendung vor. Dies ergibt sich daraus, dass der Gesetzgeber bewusst nur einige Vorschriften aus dem dritten Titel des dritten Abschnitts für anwendbar erklärt hat. Der Ausgleich der einschneidenden Folgen erfolgt über § 26 Abs. 7 SGB X. Nach dieser Vorschrift kann eine Fristverlängerung beantragt werden, und zwar auch nach Ablauf der Frist. Die Schätzvorschrift des § 3 Abs. 6 Alg-II-VO war nicht anzuwenden, weil aufgrund der Übergangsvorschrift des § 80 SGB II§ 41a SGB II anzuwenden ist. Das Gericht sah sich berechtigt, nach § 131 Abs. 5 SGG zu verfahren. Es ist nicht Sache des Gerichts, umfassend zu ermitteln, wenn von Seiten der Behörde unzutreffend § 41a Abs. 3 S. 4 SGB II angewendet wurde (SG Augsburg, Urteil vom 03. Juli 2017 - S 8 AS 400/17 -, juris, Rn. 29). Das Gericht musste nicht entscheiden, ob hier wie bei Klagen gegen Versagungsbescheide nach § 66 SGB I, nur die reine Anfechtungsklage statthaft ist. Das Ergebnis ist für die Beteiligten jedenfalls das gleiche. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.