Sozialgericht Osnabrück
Beschl. v. 04.09.2019, Az.: S 44 AY 40/19 ER
Freiwilligkeitserklärung; Pflicht zur Lüge
Bibliographie
- Gericht
- SG Osnabrück
- Datum
- 04.09.2019
- Aktenzeichen
- S 44 AY 40/19 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2019, 69523
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 1a Abs 3 AsyblG
- § 2 AsylbLG
- § 49 AufenthG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Die Nichtabgabe einer von der Botschaft des Heimatlandes zur Ausstellung von Passersatzpapieren geforderten sog. Freiwilligkeitserklärung (Erklärung freiwillig in das Heimatland zurückkehren zu wollen) stellt kein Verhalten nach § 1a Abs. 3 AsylbLG dar (Anschluss an: BSG, Urteil vom 30.10.2013, B 7 AY 7/12 R).
2. Zumindest im Zusammenhang mit der Kürzung von Leistungen unterhalb des Existenzminimums kann es keine Obliegenheit des Ausländers geben, gegenüber der Botschaft seines Heimatlands die Unwahrheit zu erklären (anders zu § 25 Abs. 5 AufenthG: BVerwG, Urteil vom 10.11.2009, 1 C 19/08).
3. Die Freiwilligkeitserklärung kann nicht dergestalt ausgelegt werden, dass damit nur erklärt werde, der Ausländer komme seiner Ausreisepflicht nach. Gleiches gilt für eine Auslegung, dass die freiwillige Ausreise einer Abschiebung vorgezogen werde (Anschluss an: BSG, Urteil vom 30.10.2013, B 7 AY 7/12 R; anders zu § 25 Abs. 5 AufenthG: BVerwG, Urteil vom 10.11.2009, 1 C 19/08).
4. Die Nichtabgabe einer Freiwilligkeitserklärung stellt kein rechtsmissbräuchliches Verhalten i.S.d. § 2 Abs. 1 AsylbLG dar.
Tenor:
Der Antragsgegner wird im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für die Zeit vom 31.07.2019 bis zum 31.01.2020, längstens jedoch bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, Leistungen nach § 2 AsylbLG in gesetzlichen Höhe zu gewähren.
Die Leistungsgewährung erfolgt vorläufig unter dem Vorbehalt eines anderweitigen Ausgangs des Hauptsacheverfahrens S 44 AY 43/19.
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich mit dem vorliegenden Verfahren gegen eine Kürzung seiner Leistungen nach § 1a Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) und begehrt stattdessen Leistungen nach § 2 AsylbLG (hilfsweise nach § 3 AsylbLG).
Der Antragsteller ist somalischer Staatsangehöriger. Er reiste am 20.03.2013 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er steht bei dem Antragsgegner in Bezug von Leistungen nach dem AsylbLG. Erstmals gewährte der Antragsgegner dem Antragsteller mit Bescheid vom 21.05.2013 Leistungen nach § 3 AsylbLG für die Zeit „ab dem 18.04.2013“. Mit Bescheid vom 17.02.2015 stellte der Antragsgegner die Leistungsgewährung „ab dem 01.03.2015“ auf Leistungen nach § 2 AsylbLG um.
Mit Bescheid vom 27.05.2015 erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eine Flüchtlingseigenschaft bei dem Antragsteller nicht an, lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab und erkannte auch den subsidiären Schutz nicht zu. Darüber hinaus stellte das Bundesamt fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorlägen. Die dagegen gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht Osnabrück mit Urteil vom 02.02.2016 ab (1 A 253/15).
Mit Schreiben vom 01.09.2016 wies der Antragsgegner den Antragsteller darauf hin, dass er seit dem 15.03.2016 vollziehbar zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland verpflichtet sei. Weiterhin forderte er den Antragsteller auf, am 29.09.2016 bei ihm vorzusprechen. Mit Schreiben vom 11.10.2016 forderte der Antragsgegner den Antragsteller dazu auf, einen gültigen Pass oder Passersatz vorzulegen. Über die Mitwirkungspflichten wurde belehrt. Die Anschrift der zuständigen Botschaft in Berlin wurde genannt.
Mit Bescheid vom 13.10.2016 kürzte der Antragsgegner die Leistungsgewährung erstmalig „ab dem 01.10.2016“ auf Leistungen nach § 1a AsylbLG.
Der Antragsteller sprach bei der Botschaft der Republik Somalia vor. Dies bestätigte die Botschaft (Erklärung vom 21.11.2016) und wies zugleich auf Folgendes hin:
“Die Botschaft der Republik Somalia möchte diese Gelegenheit nutzen, die zuständigen Behörden darüber zu informieren, dass jedem somalischen Staatsangehörigen, der freiwillig und ohne Zwang nach Somalia reisen möchte, auf Antrag unverzüglich ein Passersatzpapier ausgestellt wird.
Es ist der Botschaft allerdings aus technischen Gründen auf unbestimmte Zeit nicht möglich, Nationalpässe auszustellen.“
Mit Schreiben vom 10.03.2017 teilte die vorherige Prozessbevollmächtigte des Antragstellers mit, dass es dem Antragsteller nicht möglich sei, einen Pass zu erhalten.
Mit Schreiben vom 10.05.2017 wandte sich der Antragsgegner an die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen mit der Bitte, ein Rückübernahmeersuchen an die somalische Botschaft zu stellen und die Ausstellung eines Heimreisedokuments zu beantragen. Darauf teilte die vorgenannte Behörde mit E-Mail vom 30.06.2017 mit, dass eine Passersatzpapierbeschaffung aussichtslos sei, da die somalische Botschaft nur für Bürger, die freiwillig und ohne Zwang in ihr Heimatland ausreisen wollten, einen Passersatz ausstelle.
Am 11.08.2017 sprach der Antragsteller bei dem Antragsgegner vor. Nach einer über diese Vorsprache gefertigten Niederschrift des Mitarbeiters des Antragsgegners, Herrn E., wurde der Antragsteller in diesem Gespräch auf seine Ausreisepflicht hingewiesen. Der Antragsteller habe, so der Vermerk weiter, erklärt, dass er nicht bereit sei, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen.
Mit Bescheid vom 02.02.2018 gewährte der Antragsgegner weiterhin Leistungen nach § 1a AsylbLG. Diese Leistungsgewährung erfolgte „für den Monat 2/2018 in Höhe von 151,14 EUR.“
In einer Vorsprache am 03.05.2018 erklärte der Antragsteller nach einer weiteren Niederschrift des vorgenannten Mitarbeiters erneut, nicht freiwillig ausreisen zu wollen.
Mit Bescheid vom 01.08.2018 gewährte der Antragsgegner für den Monat 8/2018 weiterhin Leistungen nach § 1a AsylbLG.
In einem weiteren Vermerk vom 06.09.2018 vermerkte der Mitarbeiter der Beklagten, Herr E., dass der Antragsteller einen Passersatz für eine freiwillige Ausreise nicht vorgelegt habe, da er sich weigere, die erforderliche Freiwilligkeitserklärung abzugeben.
Mit Schreiben vom 03.01.2019 teilte der Antragsgegner mit, dass er beabsichtige, die Leistungen nach dem AsylbLG auch über den 01.02.2019 hinaus auf 151,14 EUR pro Monat zu kürzen. Nach der letzten Kürzung mit Bescheid vom 01.08.2018 habe der Antragsteller zur Verlängerung seiner Duldung am 06.09.2018 vorgesprochen. Ein Passersatzpapier für eine freiwillige Ausreise nach Somalia habe er jedoch nicht vorgelegt. Außerdem habe er sich geweigert, eine Erklärung zur freiwilligen Ausreise abzugeben. Zwar sei die Identität des Antragstellers geklärt, ein Passersatzpapier könne er jedoch nur bei Abgabe einer sogenannten Freiwilligkeitserklärung erhalten. Dies sei möglich und zumutbar.
Mit Bescheid vom 28.01.2019 gewährte der Antragsgegner dem Antragsteller „für den Monat 2/2019“ Leistungen in Höhe von 151,14 EUR. Zur Begründung wurde der Vorwurf aus der vorgenannten Anhörung wiederholt.
Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller mit Schreiben vom 07.03.2019 (bei dem Antragsgegner eingegangen ebenfalls am 07.03.2019) Widerspruch ein und beantragte hilfsweise die Überprüfung der Bescheide in Bezug auf den Zeitraum März 2018 bis einschließlich Januar 2019. Es werde zunächst darauf verwiesen, dass nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10 u.a.) für eine Kürzung unterhalb des sich aus dieser Entscheidung ergebenden Leistungsniveaus kein Raum bestehe. Insbesondere sei es ihm in Ansehung der Situation in Somalia nicht zumutbar, dorthin zurückzukehren. Es liege keine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung des Aufenthalts vor, sodass Leistungen nach § 2 AsylbLG zu gewähren seien. Schließlich seien die Leistungen nach § 3 AsylbLG zu niedrig bemessen worden. Insoweit verwies der Antragsteller auf eine Entscheidung des SG Stade vom 13.11.2018 (S 19 AY 15/18). Der Widerspruch sei nicht unzulässig, da der Bescheid vom 28.01.2019 erst am 07.02.2019 bekannt gegeben worden sei.
Mit Bescheid vom 28.06.2019 wies der Antragsgegner den hilfsweise gestellten Überprüfungsantrag zurück. Leistungen nach § 2 AsylbLG seien nicht zu gewähren, da sich der Antragsteller durch sein Untertauchen 2013/2014 ohne gültiges Ausweisdokument in Deutschland aufgehalten haben dürfte und damit seinen Aufenthalt rechtsmissbräuchlich beeinflusst habe.
Mit Schreiben vom 09.07.2019 (bei dem Antragsgegner eingegangen ebenfalls am 09.07.2019) legte der Antragsteller gegen die Ablehnung des Überprüfungsbescheides vom 28.06.2019 Widerspruch ein. Diesen Widerspruch wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 19.07.2019 zurück.
Mit Widerspruchsbescheid vom 17.07.2019 wies der Antragsgegner den Widerspruch des Antragstellers vom 07.03.2019 gegen den Bescheid vom 28.01.2019 zurück. Der Antragsteller erfülle die Voraussetzungen des § 1a Abs. 3 AsylbLG, da er eine ihm aufgegebene konkrete und zumutbare Mitwirkungshandlung nicht befolgt habe. Dem Antragsteller sei die Abgabe einer sogenannten Freiwilligkeitserklärung möglich und zumutbar. Dies sei selbst dann der Fall, wenn der Antragsteller nicht ausreisen wolle. Die Leistungsgewährung nach § 3 AsylbLG sei verfassungsgemäß. Eine Fortschreibung nach § 3 Abs. 4 AsylbLG sei hier nicht möglich, da zum 01.01.2017 eine neue Ermittlung der Regelsatzhöhe vorgenommen worden sei.
Mit Bescheid vom 19.07.2019 gewährte der Antragsgegner dem Antragsteller, nunmehr unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft, „für den Monat 8/2019“ Leistungen in Höhe von 552,00 EUR. Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller mit Schreiben vom 23.07.2019 (bei dem Antragsgegner eingegangen ebenfalls am 23.07.2019) Widerspruch ein.
Am 31.07.2019 hat sich der Antragsteller mit dem Ersuchen um einstweiligen Rechtsschutz an das Gericht gewandt. Mit gleichem Schriftsatz hat der Antragsteller gegen den Bescheid vom 28.06.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.07.2019 Klage erhoben (S 44 AY 43/19). Ebenfalls am 31.07.2019 hat der Antragsteller gegen den Bescheid vom 28.01.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.07.2019 Klage erhoben (S 44 AY 41/19).
Der Antragsteller beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,
den Antragsgegner im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm Leistungen nach § 2 AsylbLG, hilfsweise zumindest nach § 3 AsylbLG in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,
den Antrag abzuweisen.
Er hält seine Bescheide für rechtmäßig. Der Antragsteller habe gegen seine Mitwirkungspflichten bei der Passbeschaffung verstoßen.
Ergänzend wird auf die beigezogene Verwaltungsakte des Antragsgegners zu der Leistungsgewährung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, den Widerspruchsvorgang und die Ausländerakte verwiesen. Die Akten sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
1.
Der Antrag ist als Antrag nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist die statthafte Antragsart. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage zum Aktenzeichen S 44 AY 41/19 (gegen den Bescheid vom 28.01.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.07.2019) würde das Antragsziel des Antragstellers nicht erreichen, da der Antragsgegner die Leistungsgewährung ab Februar 2018 auf die Gewährung von Leistungen für den jeweiligen Monat umgestellt hat und zudem vorherige Bescheide bestandskräftig sind.
Bei der Leistungsgewährung ab Februar 2018 handelt es sich nicht um Verwaltungsakte mit Dauerwirkung, so dass durch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung keine vorherige Leistungsgewährung ohne Beschränkung wieder in Geltung treten könnte. Die Auslegung, ob Leistungen über den konkreten Monat hinaus gewährt wurden, erfolgt anhand des Empfängerhorizonts (BSG, Urteil vom 17.06.2008, B 8 AY 9/07 R, Rn. 12). Danach wurden hier Leistungen nur für den konkreten Monat gewährt. Es wurden nicht Leistungen „ab“ einem Datum, sondern für einen konkreten Monat gewährt.
Zudem sind die Bescheide vor dem Bescheid vom 28.01.2019 nicht angegriffen worden. Der Antrag nach § 44 SGB X (für die Zeit ab März 2018) hat keine aufschiebende Wirkung. Des Weiteren würde selbst eine aufschiebende Wirkung ab März 2018 nicht zu einer Wiederherstellung der ungekürzten Gewährung vor dem 01.10.2016 führen.
2.
Die Voraussetzungen des § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG liegen vor.
Nach § 86b Abs. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Wenn eine Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint, kann das Gericht zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ebenfalls eine einstweilige Anordnung treffen. Hierfür bedarf es der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes durch den Antragsteller (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig, SGG, 12. Aufl. 2017, § 86b, Rn. 27 ff.). Der Anordnungsgrund betrifft die Frage der Eilbedürftigkeit oder Dringlichkeit. Die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs betrifft demgegenüber die Prüfung der Erfolgsaussichten des geltend gemachten Anspruchs, d.h. der Rechtsanspruch muss mit großer Wahrscheinlichkeit begründet sein und aller Voraussicht auch im Klageverfahren bestätigt werden.
Der Antragsteller hat hier sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Der Anordnungsgrund ergibt sich aus der deutlichen Absenkung der Leistungsgewährung unter das grundsätzlich anerkannte Existenzminimum. Der Anordnungsanspruch ergibt sich aus § 2 AsylbLG. Die Weigerung des Antragstellers, gegenüber der somalischen Botschaft, eine Freiwilligkeitserklärung abzugeben, erfüllt nicht den Tatbestand des § 1a Abs. 3 AsylbLG (dazu unter a). Auch liegt keine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung des Aufenthalts vor (dazu unter b)
a)
Die Voraussetzungen des § 1a AsylbLG liegen nicht vor.
Nach § 1a Abs. 2 Satz 1 AsylbLG in der Fassung vom 31.07.2016 (gültig vom 06.08.2016 bis 20.08.2019) haben Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG, für die ein Ausreisetermin und eine Ausreisemöglichkeit feststehen, ab dem auf den Ausreisetermin folgenden Tag keinen Anspruch auf Leistungen nach den §§ 2, 3 und 6 AsylbLG, es sei denn, die Ausreise konnte aus Gründen, die sie nicht zu vertreten haben, nicht durchgeführt werden. Ihnen werden nach Satz 2 bis zu ihrer Ausreise oder der Durchführung ihrer Abschiebung nur noch Leistungen zur Deckung ihres Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege gewährt. Nur soweit im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, können ihnen nach Satz 3 auch andere Leistungen im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG gewährt werden. Diese Regelungen gelten nach § 1a Abs. 3 Satz 1 AsylbLG entsprechend für Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 und 5 AsylbLG, bei denen aus von ihnen selbst zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können. Für sie endet der Anspruch auf Leistungen nach den §§ 2, 3 und 6 AsylbLG mit dem auf die Vollziehbarkeit einer Abschiebungsandrohung oder Vollziehbarkeit einer Abschiebungsanordnung folgenden Tag.
Es liegen keine durch den Antragsteller zu vertretenden Gründe im Sinne der Vorschrift vor, weshalb aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können. Die Abgabe der Freiwilligkeitserklärung ist dem Antragsteller nicht zumutbar. Nach § 49 Abs. 1 AufenthG ist zwar jeder Ausländer verpflichtet, u.a. die von der Vertretung des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, geforderten Erklärungen im Rahmen der Beschaffung von Heimreisedokumenten abzugeben. Diese gesetzliche Mitwirkungspflicht steht jedoch unter dem ausdrücklichen Vorbehalt, dass die geforderte Erklärung mit dem deutschen Recht in Einklang steht. Eine Obliegenheit zur Abgabe besteht zumindest im Hinblick auf die hier streitige Leistungskürzung unter das physische Existenzminimum (dazu näher: SG Osnabrück, Urteil vom 11.06.2019, S 44 AY 14/17) nicht.
Die Kammer folgt damit nicht der zur vergleichbaren Problematik des § 25 Abs. 5 AufenthG ergangenen Rechtsprechung des BVerwG (Urteil vom 10.11.2009, 1 C 19/08). Ob die Abgabe einer Freiwilligkeitserklärung zumutbar ist, wirkt sich im Ausländerrecht bei der Frage aus, ob dem Ausländer, wenn er eine solche Erklärung nicht abgibt, aber vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG (Unmöglichkeit der Ausreise) erteilt werden kann. Das BVerwG sieht die Abgabe der Erklärung in diesem Zusammenhang als zumutbar an. Die gesetzliche Ausreisepflicht schließe die Obliegenheit ein, sich auf seine Ausreise einzustellen, zur Ausreise bereit zu sein und einen dahingehenden Willen zu bilden. In diesem Rahmen sei es für einen ausreisepflichtigen Ausländer rechtlich grundsätzlich nicht unzumutbar, zur Ausreise nicht nur willens und bereit zu sein, sondern diese Bereitschaft auch zu bekunden und eine "Freiwilligkeitserklärung" in der hier gegebenen Form abzugeben. Ein entgegenstehender innerer Wille sei unbeachtlich (BVerwG, Urteil vom 10.11.2009, 1 C 19/08, Rn. 14). Der Freiwilligkeitserklärung könne zudem kein Inhalt entnommen werden, der darüber hinausgehe, freiwillig der bestehenden Ausreisepflicht nachzukommen (Rn. 15). Zudem sei es nicht unwahr, wenn die Person erkläre, lieber freiwillig auszureisen, als abgeschoben zu werden (Rn. 16).
Dem folgt die Kammer nicht. Der Begriff „Freiwilligkeit“ kann – mit der Rechtsprechung des BSG – nur bedeuten, dass der Ausländer „aus freien Stücken“ in sein Heimatland zurückkehrt (BSG, Urteil vom 30.10.2013, B 7 AY 7/12 R, Rn. 27). Die Unterscheidung zwischen einem rechtlich geforderten und einem inneren Willen ist letztlich nicht zielführend (dazu unter aa). Ein Ausreispflichtiger, der die Freiwilligkeitserklärung trotz entgegenstehendem Willen abgeben muss, wird zum Lügen gezwungen, was vor dem Hintergrund der hier streitigen Leistungskürzung nicht zumutbar ist (dazu unter bb). Eine anderweitige Auslegung der Erklärung, wie sie das BVerwG vorgenommen hat, ist nicht möglich (dazu unter cc).
aa)
Die Unterscheidung zwischen rechtlich gewolltem und innerem Willen ist nicht zielführend.
Bei der Beurteilung der hier zugrunde liegenden Fragen ist zwischen einer Obliegenheit zur Lüge und einer Obliegenheit, sich einen entsprechenden Willen zu bilden, zu unterscheiden. Das BVerwG schließt in gewisser Weise aus der zweiten Obliegenheit darauf, dass die erste Obliegenheit zumutbar ist. Weil der Ausländer sich einen entsprechenden Willen (eigentlich) bilden muss, ist es zumutbar, diesen Willen auch zu erklären, auch wenn es nicht seinem inneren (tatsächlichen) Willen entspricht. Damit wird allerdings der Begriff des Willens verunklart.
Der Wille ist zunächst eine natürliche psychologische Größe. Das Recht kann zwar erklären, dass der Wille bestimmter Personen mit Erkrankungen, die die Willensfreiheit beschränken, rechtlich nicht relevant ist. Der Wille als solcher ist rechtlichen Überlegungen aber zunächst entzogen (ähnlich: BSG, Urteil vom 30.10.2013, B 7 AY 7/12 R, Rn. 28). Der Wille einer Person kann durch Rechtsnormen beeinflusst werden, aber dies ist nicht zwingend. Von einer rechtlichen Pflicht kann also nicht auf den tatsächlichen Willen einer Person geschlossen werden. Von diesen Prämissen geht das BVerwG letztlich ebenfalls aus, wenn es von einem entgegenstehenden inneren Willen spricht (BVerwG, Urteil vom 10.11.2009, 1 C 19/08, Rn. 14).
Dann aber besteht die Obliegenheit, die Unwahrheit zu erklären. Wenn der Wille, freiwillig auszureisen, trotz der Rechtspflicht aus § 50 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG nicht besteht, stellt die Obliegenheit, die Freiwilligkeitserklärung abzugeben, eine Obliegenheit dar, eine falsche Tatsache zu erklären.
bb)
Die Obliegenheit zur Abgabe einer falschen Erklärung besteht zumindest im Zusammenhang mit der hier streitigen Leistungskürzung nicht.
Der BGH hat bereits im Jahr 1962 zum Anspruch auf Widerruf einer objektiv ehrkränkenden Behauptung ausgeführt, dass es das Recht "nicht zulassen [kann], daß jemand durch Richterspruch verpflichtet wird, etwas als unrichtig zu bezeichnen, was möglicherweise wahr ist" (BGH, Urteil vom 05.06.1962, VI ZR 236/61, Rn. 8). Dies gilt auch für den gegenteiligen Fall, dass etwas für wahr erklärt werden soll, was derjenige für unwahr hält (VG Frankfurt, Urteil vom 23.01.2008, 1 E 3668/07, Rn. 25, ebenfalls zur Abgabe einer Freiwilligkeitserklärung). Dabei verkennt die Kammer nicht, dass auch das BVerwG in seiner Entscheidung davon ausgeht, dass die Abgabe der Erklärung selbst nicht durchgesetzt werden könnte (BVerwG, Urteil vom 10.11.2009, 1 C 19/08, Rn. 17), es sich hier also im Gegensatz zu der Konstellation, die der Entscheidung des BGH zugrunde lag, um eine Obliegenheit, also keine Pflicht im engen Sinn dieses Wortes handelt. Auch die geforderte Obliegenheit steht aber, wenn bei Nichterfüllung die Absenkung existenzsichernder Leistungen die Folge ist, mit deutschem Recht nicht im Einklang (BSG, Urteil vom 30.10.2013, B 7 AY 7/12 R, Rn. 27).
Nach Ansicht der Kammer kann eine Obliegenheit, die Freiwilligkeitserklärung auch falsch abzugeben, sich auch nicht aus überwiegenden Allgemeininteresse ergeben. In der Reaktion auf das Urteil des BSG wurde argumentiert, dass das Interesse des Ausländers, nicht lügen zu müssen, hinter den überwiegenden Interessen der Allgemeinheit zurücktreten würden (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15.02.2017, OVG 3 B 9.16, Rn. 30; Deibel in: ZAR 2014, 312, 315). Die Pflicht zur Lüge würde – entgegen der Einordnung des BSG (BSG, Urteil vom 30.10.2013, B 7 AY 7/12 R, Rn. 27) – nicht die unantastbare Intimsphäre (BVerfG, Beschluss vom 09.10.2001, 2 BvR 1523/01, Rn. 19) betreffen (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15.02.2017, OVG 3 B 9.16, Rn. 30; Deibel in: ZAR 2014, 312, 315).
Auch wenn letzterer Einordnung zumindest für die Obliegenheit, eine unwahre Erklärung abzugeben, wohl zu folgen ist, ergeben sich, zumindest im Hinblick auf die hier streitige Leistungskürzung, keine überwiegenden Allgemeininteressen (andere Ansicht: Deibel in: ZAR 2014, 312, 315). Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt neben der Intimsphäre auch die Privat- und die Sozialsphäre. Auch Eingriffe in diese Bereiche stehen unter dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (BVerfG, Beschluss vom 09.10.2001, 2 BvR 1523/01, Rn. 20). In der Abwägung zwischen dem Interesse des Ausländers, nicht zur weiteren Deckung seines Existenzminimums gegenüber der Botschaft seines Heimatlands eine falsche Erklärung abgeben zu müssen und dem staatlichen Interesse, die Ausreisepflicht aus dem Aufenthaltsgesetz durchzusetzen, ist dem Interesse des Ausländers der Vorrang zu gewähren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass neben dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht hier insbesondere das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (dazu näher: BVerfG, Urteil vom 09.02.2010, 1 BvL 1/09 u.a.; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012, 1 BvL 10/10 u.a.) betroffen ist. Zwar kann auch dieses Grundrecht nach Ansicht der Kammer beschränkt werden (SG Osnabrück, Urteil vom 11.06.2019, S 44 AY 14/17; ausführlich: Susnjar/Greiser in: ZfSH/SGB 2018, 256 ff.), eine solche Beschränkung wäre hier jedoch nicht verhältnismäßig. Bezüglich dieser grundrechtlichen Position unterscheidet sich die hier zu beurteilende Situation auch von der ausländerrechtlichen Parallelproblematik. Hier geht es nicht um die „Honorierung“ der Nichtabgabe der Erklärung (dazu: OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15.02.2017, OVG 3 B 9.16, Rn. 26), sondern um die Verhinderung einer deutlichen Kürzung der Leistungsgewährung unter das Existenzminimum.
Der Antragsteller hat hier nach Ansicht der Kammer auch keine Möglichkeit, sich von der Erklärung zu distanzieren. Das BVerfG hat zur Pflicht zum Widerruf von Erklärungen in einem obiter dictum ausgeführt, dass die Erfüllung einer sich aus einem Urteil ergebenden Verpflichtung zur Abgabe einer Erklärung nicht die Menschenwürde verletze, da nicht der Wille gebrochen werden solle. Es müsse nicht ein nicht vorhandener Überzeugungswandel nach außen erklärt werden (BVerfG, Beschluss vom 28.01.1970, 1 BvR 719/68, Rn. 24). Das BVerfG stellte hier aber auf die Möglichkeit ab, in der Erklärung zum Ausdruck bringen, dass der Antragsteller sie in Erfüllung des gegen ihn ergangenen rechtskräftigen Urteils abgebe (BVerfG, Beschluss vom 28.01.1970, 1 BvR 719/68, Rn. 24), sich also davon distanziere. Diese Möglichkeit besteht hier – soweit ersichtlich – nicht (siehe dazu auch: VG Frankfurt, Urteil vom 23.01.2008, 1 E 3668/07, Rn. 25).
Etwas Anderes ergibt sich nicht daraus, dass die vom Heimatstaat geforderte Bedingung für die Rücknahme völkerrechtswidrig sein dürfte. Es ist völkerrechtlich anerkannt, dass aus der Staatsangehörigkeit die völkerrechtliche Pflicht der Staaten folgt, ihre eigenen Staatsgehörigen aufzunehmen und den Aufenthalt darin zu gestatten, insbesondere dann, wenn sie von einem anderen Staat ausgewiesen werden (Hailbronner in: Hailbronner/Maaßen/Hecker/Kau, Staatsangehörigkeitsrecht, 6. Aufl. 2017, Abschnitt D, Rn. 99 m. w. N.; Kokott in: Sachs, GG, 8. Aufl. 2018, At 16, Rn. 12). Aus der völkerrechtswidrigen Bedingung, der Frage nach der Freiwilligkeit der Rückkehr, kann aber keine Pflicht des Staatsangehörigen zur Lüge erwachsen. Das in der Rechtsprechung in gewissen Konstellationen anerkannte Recht zur Lüge auf eine unzulässige Frage (BAG, Urteil vom 06.02.2003, 2 AZR 621/01) kann keine Pflicht zur Lüge begründen.
cc)
Die Kammer sieht auch keine Möglichkeit, die geforderte Erklärung dergestalt umzudeuten, dass sie keine unwahre Erklärung darstellt.
Das BVerwG hat in seiner Entscheidung – wie bereits erwähnt – ausgeführt, dass die dortige Erklärung keine Anhaltspunkte dafür biete, dass ein Mehr an Freiwilligkeit gefordert werde, als dass der Ausländer seiner Ausreisepflicht nachkomme (BVerwG, Urteil vom 10.11.2009, 1 C 19/08). Auch die Vorinstanz des BVerwG, das OVG Nordrhein-Westfalen, argumentierte, dass es keine Hinweise darauf gegeben habe, dass der Freiwilligkeit Motive zugrunde liegen müssten, die über die Bereitschaft zu einem rechtstreuen Verhalten hinausgingen (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18.06.2008, 17 A 2250/07; die Erklärung lautete: "Hiermit erkläre ich, dass ich freiwillig in die Islamische Republik Iran zurückkehren möchte."). Darüber hinaus deutete das BVerwG die Erklärung dahingehend um, dass erklärt werden könne, der Ausländer wolle, um nicht zwangsweise abgeschoben zu werden, sein Ausreisepflicht von sich aus nachkommen (BVerwG, Urteil vom 10.11.2009, 1 C 19/08, Rn. 16).
Dem folgt die Kammer nicht (kritisch zu dieser Umdeutung ebenfalls: Pfaff in: ZAR 2010, 241, 241 [BVerwG 10.11.2009 - BVerwG 1 C 19.08]; Lange, jurisPR-SozR 14/2017, Anm. 1; als Umdeutung bezeichnend ebenfalls: Berlit, jurisPR-SozR 22/2014, Anm. 3). Die Kammer versteht die Anforderung der somalischen Botschaft nach einer freiwilligen Rückkehr so, dass es dem tatsächlichen Willen entspricht, in seine Heimat zurückzukehren. Will der Antragsteller nicht zurückkehren und gibt die Erklärung nur ab, um seiner Obliegenheit nachzukommen (um wieder höhere Leistungen zu bekommen), so entspricht die Erklärung nicht seinem tatsächlichen Willen. Auch ist die Alternative des BVerwG zwischen freiwilliger Ausreise und Abschiebung nach Ansicht der Kammer nicht richtig gebildet. Der Antragsteller des vorliegenden Verfahrens kann nicht abgeschoben werden. Damit kann er sich auch nicht freiwillig bereit erklären, lieber freiwillig auszureisen, statt abgeschoben zu werden. Die Variante Abschiebung ist nicht aktuell.
Allerdings fordert die Kammer keinen völlig unbeeinflussten Willen des Ausländers. Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) etwa definiert freiwillige Rückkehr als das Resultat der „Ausübung des eigenen freien und uneingeschränkten Willens in der sinnvollen Wahl zwischen dem Zurückkehren oder Nichtzurückkehren in das Herkunftsland im Lichte der bestehenden Bedingungen im Herkunftsland und im Asylland“ (UNHCR, Draft, Protection Guidelines on Voluntary Repatriation, Division of International Protection, Genf, 1993, 52). Dies beinhalte, dass Flüchtlinge rechtlich anerkannt seien und ein Recht auf Aufenthalt hätten (UNHCR, Handbook Voluntary Repatriation: International Protection, Genf, 1996, 9 f.). Dies geht nach Ansicht der Kammer zu weit. Insoweit ist auf eine Unterscheidung der Internationalen Organisation für Migration (IOM) abzustellen. Neben dem Begriff der freiwilligen Rückkehr nutzt die IOM den Begriff der unterstützten freiwilligen Rückkehr (assisted voluntary return), bei der dem Rückkehrer organisatorische und finanzielle Unterstützungen zuteil werden. Die IOM unterscheidet weiterhin zwischen freiwillig ohne Zwang (voluntarily without coumpulsion) und freiwillig unter Zwang (voluntarily under compulsion). Bei der letzten Kategorie verbindet sich die freiwillige Entscheidung zur Rückkehr mit der Unmöglichkeit des weiteren Aufenthalts im Zielland (IOM, Return Migration: Policies & Practices in Europe, Genf, 2004, 10; siehe zu alledem auch: Kreienbrink, Freiwillige und zwangsweise Rückkehr von Drittstaatsangehörigen aus Deutschland, in: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Rückkehr aus Deutschland, Forschungsstudie 2006, 44 ff.).
Der Wille, in das Heimatland zurückzukehren, ist nach Ansicht der Kammer auch dann frei, wenn ein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet nicht möglich ist, wenn sich der Ausländer in diese Gegebenheiten „fügt“, also tatsächlich ausreisen will. Der Wille ist nur dann nicht mehr als frei anzusehen, wenn er aufgrund psychiatrischer Erkrankungen eingeschränkt ist oder durch rechtswidrigen Zwang beeinflusst wird. Der sich aus den (behördlichen und gerichtlichen) Entscheidungen des Staates und der Anwendung des Aufenthaltsgesetzes ergebende Zwang hindert eine freiwillige Ausreise nicht.
dd)
Eine andere Auslegung kann auch nicht aus einer sprachphilosophischen Betrachtung.
Zwar hat die Sprachphilosophie des letzten Jahrhunderts, ausgelöst durch Austin (How to do things with words, 1962, deutsch: Zur Theorie der Sprechakte) und Searle (Speech Acts – An essay in philosophy of language, 1969, deutsch: Sprechakte – Ein sprachphilosophischer Essay), die durch Sprache ausgelösten Handlungen deutlich stärker in den Blick genommen. Sprechen bedeutete danach Sprechakte auszuführen (Searle, Sprechakte – Ein philosophischer Essay, 1971). Mit jeder Äußerung wird eine Handlung vollzogen. Insoweit gibt es zwar Sprechakte, bei denen wegen der starken Fokussierung auf die Folge der Aussage wahr und falsch bei der Beurteilung dieser Aussage keine Kategorie ist (was für eine Irrelevanz des tatsächlichen Willens sprechen könnte), eine solcher Sprechakt liegt hier jedoch nicht vor.
Bei der Einteilung der Sprechakte ist zunächst zwischen konstatierenden und performativen Äußerungen (oder Äußerungsgehalt) zu unterscheiden. Die vorgenannten Besonderheiten gelten nur bei performativen Äußerungen. Eine klassische konstatierende Äußerung ist etwa: „Der Himmel ist blau.“ Der Erklärungsgehalt der Aussage steht im Vordergrund (lokutionärer Akt). Bei der Aussage: „Die Sitzung ist eröffnet“, einer klassischen performativen Äußerung, steht im Vordergrund, dass mit dem Aussprechen dieser Worte die Sitzung tatsächlich eröffnet ist, also eine Wirkung eingetreten ist (perlokutionärer Akt). Bei letzterem ist wahr und falsch sprachphilosophisch deshalb keine Kategorie. Die Frage ist viel mehr, ob der Sprechakt geglückt ist (die Sitzung tatsächlich eröffnet ist). Unter Berücksichtigung dieser Überlegungen könnte zugespitzt formuliert werden, dass das BVerwG von dem Ausländer in der oben zitierten Entscheidung einen geglückten Sprechakt fordert und den Fokus auf die Folgen der Aussage legt (perlokutionärer Akt).
Eine solche Einordnung als performative Aussage, bei der wahr und falsch keine Kategorie ist, ist bei der Freiwilligkeitserklärung jedoch nicht möglich. Es handelt sich entweder um die Aussage eines variablen psychischen Zustands (Expressiva) – „Ich habe den Willen freiwillig auszureisen“ – oder eines Wunsches (Direktiva) – „Ich möchte ausreisen“ –, nicht aber um die Herstellung eines Zustands (Deklarativa). Der performative Äußerungsgehalt einer Freiwilligkeitserklärung ist deutlich geringer als dies bei Direktiva der Fall ist.
Wird die Mitteilung der Freiwilligkeit in den Vordergrund gestellt, so ist ohnehin der Aussageinhalt das Entscheidende, nicht die erzielte Wirkung. Auch bei der Einordnung als Wunsch ergibt sich nicht Andres. Die Mitteilung eines Wunsches ist nicht abgekoppelt von dem Erklärungsinhalt. Schließlich ist bei gewissen performativen Akten, wie einem Versprechen (Kommissiva), die Aufrichtigkeit eine Bedingung für das Glücken des Sprechaktes. Ein nicht aufrichtig gegebenes Versprechen ist kein geglücktes Versprechen. Dies ist hier bei der Äußerung eines Wunsches erst recht der Fall. Dementsprechend ist eine Abkopplung vom wirklichen Willen auch bei der stärkeren Fokussierung auf das Ergebnis des Sprechaktes nicht möglich.
b)
Die Voraussetzungen des § 2 AsylbLG liegen nach dem derzeitigen Stand der Akten vor.
Nach § 2 Abs. 1 AsylbLG in der Fassung vom 15.08.2019 ist das SGB XII abweichend von den §§ 3-7 AsylbLG auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 18 Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Die Vorbezugszeit ist hier erfüllt. Eine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung des Aufenthalts liegt nicht vor.
In objektiver Hinsicht setzt das rechtsmissbräuchliche Verhalten ein unredliches, von der Rechtsordnung missbilligtes Verhalten voraus. Dabei genügt angesichts des Sanktionscharakters des § 2 AsylbLG nicht schon jedes irgendwie zu missbilligende Verhalten. Nach der Rechtsprechung des BSG wiegen Art, Ausmaß und Folgen der Pflichtwidrigkeit für den Ausländer so schwer, dass auch der Pflichtverletzung im Rahmen des Verhältnismäßigkeitgrundsatzes ein erhebliches Gewichtzukommen muss. Daher führt nur ein Verhalten, dass unter jeweiliger Berücksichtigung des Einzelfalls, der besonderen Situation eines Ausländers in der Bundesrepublik Deutschland und der besonderen Eigenheiten des AsylbLG unentschuldbar ist (Sozialwidrigkeit), zum Ausschluss von Analog-Leistungen (vgl. BSG, Urteil vom 17.06.2008, B 8/9b AY 1/07 R). Zudem kann ein Rechtsmissbrauch nur vorliegen, wenn der Ausländer sich über die Beeinflussung der Dauer bewusst ist; ein bloß fahrlässiges Verhalten für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs genügt nicht (vgl. BSG, Urteil vom 17.06.2008, B 8/9b AY 1/07 R). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Die fehlende Erklärung der freiwilligen Ausreise stellt nach den obigen Ausführungen kein solchen Verhalten dar. Anders wäre dies bei einem Untertauchen, das dem Antragsteller im Bescheid vom 28.06.2019 vorgeworfen wurde. Diesbezüglich fanden sich allerdings keine (weiteren) Anhaltspunkte in der Akte, so dass die Kammer insoweit beim Antragsgegner um ergänzenden Vortrag gebeten hat. Daraufhin hat dieser erklärt, dass ein Untertauchen nicht vorlag, die Information im genannten Bescheid also falsch gewesen sei. Dementsprechend liegt auch insoweit kein rechtsmissbräuchliches Verhalten vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.