Sozialgericht Osnabrück
Urt. v. 14.01.2019, Az.: S 29 AS 447/17
Berücksichtigung der Zinsen eines Darlehensvertrages zur Finanzierung einer selbstgenutzten Wohnimmobilie als Kosten der Unterkunft im Rahmen des SGB II Bezugs
Bibliographie
- Gericht
- SG Osnabrück
- Datum
- 14.01.2019
- Aktenzeichen
- S 29 AS 447/17
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2019, 10308
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 7 Abs. 1 SGB II
- § 7 Abs. 2 SGB II
Tenor:
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 12.04.2017 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 04.05.2017 und des Widerspruchsbescheides vom 11.07.2017 verurteilt, den Klägern vorläufige Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft in Höhe von weiteren 123,73 EUR monatlich für den Zeitraum vom 01.03.2017 bis 31.08.2017 zu gewähren. Die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger sind von dem Beklagten zu erstatten. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Zinsen eines Darlehensvertrages zur Finanzierung ihrer selbstgenutzten Wohnimmobilie, bei dem nicht die Kläger, sondern die Eltern des Klägers zu 2. Vertragspartner des Darlehensgebers sind, als Kosten der Unterkunft im Rahmen des SGB II Bezugs zu berücksichtigen sind. Die Kläger bilden zusammen mit ihrer Tochter eine Bedarfsgemeinschaft und bewohnen ein selbstgenutztes Eigenheim, dessen Erwerb durch zwei Darlehenskonten bei der Deutschen Bank finanziert wurde. Darlehensnehmer des einen Vertrages mit dem dazugehörigen Konto mit der Nummer 452432477887 sind die Kläger, die im streitgegenständlichen Zeitraum für dieses Konto Zinsen i. H. v. monatlich 52,34 EUR zahlten. Darlehensnehmer des zweiten Darlehensvertrages mit dem dazugehörigen Konto mit der Nummer 452430077889 sind die Eltern des Klägers zu 2 ... Die nach diesem zweiten Darlehensvertrag im streitgegenständlichen Zeitraum zu zahlenden Zinsen betrugen monatlich 123,73 EUR. Nach den eingereichten Kontoauszügen wurden die Zinsen für beide Konten (nunmehr unstreitig) von den Klägern selbst gezahlt. Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 12.04.2017 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 04.05.2017 gewährte der Beklagte vorläufig Leistungen für den Zeitraum vom März 2017 bis August 2017 unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft i. H. v. 52,34 EUR monatlich. Die Kläger legten mit Schreiben vom 04.05.2017 Widerspruch ein, der mit Schriftsatz vom 11.05.2017, 01.06.2017 und 04.07.2017 im Wesentlichen damit begründet wurde, dass auch die Zinslast des zweiten Darlehensvertrages als Kosten der Unterkunft zu berücksichtigen sei, da dieses Darlehen ebenfalls zur Finanzierung des Hauses aufgenommen worden sei. Da die Widerspruchsführer in keinem festen Arbeitsverhältnis gestanden hätten, habe der Darlehensgeber darauf bestanden, dass die Eltern Vertragspartner würden. Jedoch sei das Darlehen immer von den Widerspruchsführern statt von deren Eltern bedient worden und zudem diene das Haus als Sicherheit. Der Beklagte half dem Widerspruch teilweise mit Teilabhilfe- und Widerspruchsbescheid vom 11.07.2017 dahingehend ab, dass Heizkosten i. H. v. 564,26 EUR im April 2017 sowie weitere Fahrtkosten bei der Leistungsberechnung berücksichtigt wurden. Im Übrigen lehnte er den Widerspruch hinsichtlich weiterer Kosten der Unterkunft ab, da die Kläger selbst nicht aus dem zweiten Darlehensvertrag verpflichtete seien, sondern deren Eltern bzw. Schwiegereltern. Die Kläger haben am 10.08.2017 Klage erhoben. Sie wiederholen im Wesentlichen Ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren. Der zweite Darlehensvertrag sei lediglich auf den Namen der Eltern des Klägers zu 2. abgeschlossen worden, da die Kläger zum damaligen Zeitpunkt in keinem festen Beschäftigungsverhältnis gestanden hätten. Die Immobilie diene als Sicherheit für beide Darlehensverträge und die Ratenzahlungen seien immer vom Konto der Kläger abgebucht worden.
Die Kläger haben zunächst sinngemäß beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 12.04.2017 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 04.05.2017 und des Widerspruchsbescheides vom 11.07.2017 zu verurteilen, den Klägern vorläufige Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft in Höhe von weiteren 123,73 EUR monatlich für den Zeitraum vom 01.03.2017 bis 31.08.2017 zu gewähren sowie den Beklagten zu verurteilen, die bewilligten Heizkosten als Vorschuss an die Kläger zu zahlen.
Die Kläger beantragen nunmehr,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 12.04.2017 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 04.05.2017 und des Widerspruchsbescheides vom 11.07.2017 zu verurteilen, den Klägern vorläufige Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft in Höhe von weiteren 123,73 EUR monatlich für den Zeitraum vom 01.03.2017 bis 31.08.2017 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte nimmt im Wesentlichen Bezug auf die angefochtenen Bescheide und weist darauf hin, dass Darlehensnehmer die Eltern seien und deren Konto im Darlehensvertrag aufgeführt sei. Die Kammer hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Eltern des Klägers zu 2. als Zeugen. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung wird Bezug genommen. Bezüglich weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird zudem auf die Gerichts- und die beigezogene Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid vom 12.04.2017 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 04.05.2017 und des Widerspruchsbescheides vom 11.07.2017 ist rechtswidrig. Die Kläger haben für den streitgegenständlichen Zeitraum einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung von weiteren Kosten der Unterkunft i. H. v. 123,73 EUR monatlich. Leistungen nach dem SGB II erhalten nach § 7 Abs. 1 und 2 SGB II Personen, die 1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte) und Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Erwerbsfähige Leistungsberechtigte erhalten Arbeitslosengeld II. Nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben, erhalten Sozialgeld, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII haben. Die Leistungen umfasst den Regelbedarf, Mehrbedarfe und den Bedarf für Unterkunft und Heizung (§ 19 Abs. 1 Satz 1 und 3 SGB II). Nach § 22 Satz 1 SGB II werden als Bedarfe für Unterkunft und Heizung die tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Zu den Kosten der Unterkunft gehören bei einem selbst genutzten Wohneigentum die diesbezüglichen Aufwendungen. Das sind i. d. R. die Ausgaben, die bei der Berechnung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung nach § 7 Abs. 2 der Verordnung zur Durchführung des § 82 SGB XII als Ausgaben abzusetzen sind (siehe u. a. BSG, 24.02.2011, B 14 AS 61/10 R; 03.03.2009, B 4 AS 38/08 R). Zu diesen Ausgaben gehören nach § 7 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 der Verordnung:
1. Schuldzinsen und dauernde Lasten,
2. Steuern vom Grundbesitz, sonstige öffentliche Abgaben und Versicherungsbeiträge,
3. Leistungen auf die Hypothekengewinnabgabe und die Kreditgewinnabgabe, soweit es sich um Zinsen nach § 211 Abs. 1 Nr. 2 des Lastenausgleichsgesetzes handelt,
4. der Erhaltungsaufwand,
5. sonstige Aufwendungen zur Bewirtschaftung des Haus- und Grundbesitzes, ohne besonderen Nachweis Aufwendungen in Höhe von 1 vom Hundert der Jahresroheinnahmen.
Konkretisiert wird diese Aufzählung durch § 7 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung nach dem zum Erhaltungsaufwand im Sinne des Satzes 1 Nr. 4 die Ausgaben für Instandsetzung und Instandhaltung, nicht jedoch die Ausgaben für Verbesserungen gehören. Zudem können ohne Nachweis bei Wohngrundstücken, die vor dem 1. Januar 1925 bezugsfähig geworden sind, 15 vom Hundert, bei Wohngrundstücken, die nach dem 31. Dezember 1924 bezugsfähig geworden sind, 10 vom Hundert der Jahresroheinnahmen als Erhaltungsaufwand berücksichtigt werden. Im vorliegenden Fall handelt es sich bei den Zinsen aus dem zweiten Darlehensvertrag i. H. v. 123,73 EUR monatlich im streitgegenständlichen Zeitraum um Schuldzinsen, die einen hinreichend engen Bezug zum Wohnbedarf der Kläger haben, so dass diese - obwohl nicht die Leistungsberechtigten Schuldner dieser Zinsforderung sind - dennoch als Schuldzinsen i. S. d. § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. der Verordnung zur Durchführung des § 82 SGB XII zu den Kosten der Unterkunft gehören. Das ergibt sich daraus, dass ohne eine Begleichung der Zinsforderung der Wohnbedarf der Kläger dadurch gefährdet wäre, dass die Immobilie als Sicherheit des Darlehensvertrages vom Darlehensgeber verwertet werden könnte. Eine Verwertung der Immobilie z. B. durch Zwangsversteigerung ist bei einer dinglichen Sicherung möglich, obwohl die Kläger nicht Vertragspartner des Darlehensgebers beim zweiten Darlehensvertrag sind. Zweck des § 22 Abs. 1 SGB II ist es, dass Grundbedürfnis "Wohnen" zu schützen (vgl. BSG, 07.11.2006, B 7b AS 23/05 R). Dieser Schutzzweck kann nur erreicht werden, wenn auch Zinsforderung zu den Kosten der Unterkunft gehören, deren Begleichung für die Wohnmöglichkeit der Leistungsberechtigten unumgänglich sind, unabhängig davon, wer Schuldner dieser Zinsforderung ist. Zudem ergibt sich ein enger sachlicher Zusammenhang zwischen der Zinsforderung des Darlehensvertrages und der streitgegenständlichen selbstgenutzten Immobilie, da das Darlehen zur Begleichung der damaligen Kaufpreisforderung verwendet wurde. Lediglich der Umstand, dass die für einen nicht leistungsberechtigten Dritten (im vorliegenden Fall die Zeugen) bestehende Schuld durch Leistungen zur Grundsicherung beglichen wird, spricht nach Ansicht der Kammer im Ergebnis nicht durchschlagend für eine abweichende rechtliche Beurteilung. Die Kammer ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zudem davon überzeugt, dass der Bedarf an Kosten der Unterkunft auch in Höhe der Zinsen des zweiten Darlehensvertrages tatsächlich besteht und nicht dadurch ausgeschlossen ist, dass diese Aufwendungen von den Zeugen im Rahmen der Erfüllung derer vertraglichen Pflichten gegenüber dem Kreditgeber getragen werden. Die Zeugen haben in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass sie obwohl sie Darlehensschuldner sind, die Zinsen bislang nicht gezahlt haben und dieses auch zum Zeitpunkt des damaligen Vertragsschlusses nicht vorhatten, da von Anfang an vereinbart war, dass die Forderungen aus dem Darlehensvertrag von den Klägern getragen werden. Dagegen spricht nicht, dass der Zeuge auf Nachfrage angegeben hat, dass er in dem Fall, dass sein Sohn bzw. seine Schwiegertochter die Forderungen nicht bedienen könnte, versuchen würde, sie im Rahmen seiner Möglichkeiten zu begleichen. Dieser Umstand wird von der Kammer als eine im Rahmen eines familiären Verhältnisses übliche Hilfsbereitschaft gewertet, die auch in dem Fall üblich ist, wenn die Eltern selbst nicht Schuldner eines Darlehensvertrages für die Immobilienfinanzierung wären, sondern grundsätzlich bereit wären, ihren Kindern, die selbst Schuldner von Zinsforderungen bezüglich ihrer selbstgenutzten Immobilie wären, zu helfen, um deren Wohnmöglichkeit zu erhalten. Die Kostenentscheidung ergeht aus § 193 SGG, dabei steht der vollständigen Kostentragungspflicht des Beklagten die Beschränkung des Klageantrags nach § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG aufgrund derer Geringfügigkeit nicht entgegen. Die gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulassungsbedürftige Berufung war nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, da die Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat.