Sozialgericht Osnabrück
Urt. v. 01.08.2019, Az.: S 19 U 251/17

Anerkennung eines Verkehrsunfalls als Wegeunfall eines Versicherten i.R.d. gesetzlichen Unfallversicherung

Bibliographie

Gericht
SG Osnabrück
Datum
01.08.2019
Aktenzeichen
S 19 U 251/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2019, 33500
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

  1. 1.

    Die Klage wird abgewiesen.

  2. 2.

    Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob der Verkehrsunfall, den der Kläger am 20.04.2017 erlitten hat, als Wegeunfall anzuerkennen ist.

Der am 11.06.2000 geborene Kläger war als Auszubildender zum Metallbauer bei der Firma B. in A-Stadt (C. straße 1) beschäftigt. Wohnhaft ist der Kläger unter der im Rubrum benannten Anschrift in A-Stadt (D. -Straße 11 a).

Am 20.04.2017 verunfallte der Kläger gegen 16:15 Uhr, als er mit seinem Motorrad gegen ein abbiegendes Auto, das ihm die Vorfahrt nahm, prallte. Nach dem Bericht des E. -Hospitals F. vom 18.05.2017 erlitt der Kläger eine offene Femurschaftfraktur links, eine Weichteilverletzung im Bereich des linken Fußes und des rechten Sprunggelenkes, eine Sprunggelenksdistorsion rechts sowie eine Prellung des rechten Handgelenkes.

In dem Unfallfragebogen gab der Kläger am 25.05.2017 an, er sei mit seinem Kleinkraftrad auf dem vorfahrtsberechtigten G.-Damm gefahren, als ihm ein von rechts kommender PKW die Vorfahrt genommen habe. Er habe die Arbeitsstätte um 16:10 Uhr verlassen und habe nach Hause fahren wollen. Normalerweise fahre er von der C.-Straße, über die H.-Straße, den I.-Damm sowie den J.-Weg und biege dann in die K.-Straße ein, von der aus er dann in die D. -Straße fahre (Wegstrecke ab Kreuzung K.-Straße: 550 Meter - ca. 2 Minuten Fahrtzeit; Wegstrecke bis zur D.-Straße: ca. 250 Meter). Am Unfalltag sei er nicht die K.-Straße abgebogen, sondern weiter über die L.-Straße, den M.-Damm und den G.-Damm gefahren, bis es in Höhe des N.-Weges zu dem Verkehrsunfall kam (1,4 km - 3 Minuten). Grund hierfür sei ein LKW-Unfall auf der A30 gewesen, infolge dessen die Autobahn gesperrt worden sei, so dass auf allen Hauptstraßen in A-Stadt Stau gewesen sei.

Der Vater des Klägers teilte auf telefonische Nachfrage der Beklagten mit, dass der Kläger wohl versucht habe, den Stau irgendwie zu umgehen, auch wenn dies nicht der direkte Weg gewesen sei. Er habe aber auf jeden Fall nach Hause gewollt (Gesprächsnotiz vom 23.06.2017).

Oberkommissar O. von der Polizeistation P. bestätigte in dem Telefongespräch vom 03.07.2017 den Unfall auf der A30 am 20.04.2017, durch den es zu Verkehrsbehinderungen im Raum A-Stadt gekommen sei. Er teilte aber mit, dass es sich bei der K.-Straße um eine Tempo-30-Zone handele. Nach seinem subjektiven Gefühl dürfte der Verkehr über andere Straßen abgeflossen sein.

Mit Bescheid vom 18.07.2017 lehnte die Beklagte die Feststellung eines Arbeitsunfalls ab. Zwar habe der Unfall auf der A30 bestätigt werden können. Jedoch sei der von dem Kläger gewählte Weg nach Hause verkehrsbedingt nicht nachzuvollziehen. Die gewöhnliche Fahrtstrecke führe durch eine Tempo-30-Zone. Die von den Staus betroffenen Hauptstraßen hätten nicht befahren werden müssen. Es sei nicht erklärbar, warum der Kläger von dem J.-Weg nicht in die K.-Straße abgebogen sei. Damit würden Zweifel verbleiben, dass sich der Kläger tatsächlich auf dem Weg von der Arbeitsstätte nach Hause befunden habe. Damit sei eine versicherte Tätigkeit nicht mit dem erforderlichen Vollbeweis nachgewiesen.

Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Er sei weitergefahren, weil sich auf der K.-Straße ein erheblicher Rückstau gebildet habe. Er habe dann nach der nächsten Möglichkeit Ausschau gehalten, sinnvoll nach rechts abzubiegen. Er sei daher lediglich verkehrsbedingt einen Bogen gefahren, um nach Hause zu kommen. Damit habe er sich weiterhin auf einem versicherten Weg befunden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27.09.2017 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Beim Abbiegen vom J.-Weg in die K.-Straße hätte der weitere Heimweg nur noch wenige hundert Meter betragen. Stattdessen sei der Kläger mit dem gewählten Weg in die entgegengesetzte Richtung gefahren. Eine versicherte Tätigkeit könne damit nicht vollbeweislich gesichert werden.

Hiergegen richtet sich die am 30.10.2017 vor dem Sozialgericht Osnabrück erhobene Klage, mit der der Kläger - vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten - sein Begehren weiterverfolgt.

Der Kläger beantragt,

  1. 1.

    den Bescheid der Beklagten vom 04.07.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.09.2017 aufzuheben,

  2. 2.

    festzustellen, dass er am 20.04.2017 einen Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung erlitten hat.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte verweist auf die Gründe der angefochtenen Bescheide.

Die Kammer hat den Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung angehört. Hinsichtlich des Ergebnisses wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung, Beratung und Entscheidungsfindung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht mit einer Anfechtungsklage verbundene Feststellungsklage ist zulässig. Die grundsätzliche prozessrechtliche Nachrangigkeit der Feststellungsklage steht nach ständiger Rechtsprechung des BSG, der die Kammer folgt, in Fällen der vorliegenden Art nicht entgegen. Begehrt der Versicherte nämlich allein die von dem Unfallversicherungsträger abgelehnte Feststellung des Vorliegens eines Versicherungsfalls, kann er durch die Verbindung einer Anfechtungs- mit einer Feststellungsklage unmittelbar eine rechtskräftige, von der Verwaltung nicht mehr beeinflussbare Feststellung erlangen (vgl. hierzu Urteil des BSG vom 27.04.2010, Az.: B 2 U 23/09 R).

Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Kläger ist durch den angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 04.07.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.09.2017 nicht beschwert. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, den Verkehrsunfall des Klägers am 20.04.2017 als Arbeitsunfall anzuerkennen. Denn der Kläger hat bei dem Unfall nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden.

Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ist danach im Regelfall erforderlich, dass ein Unfallereignis vorliegt, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), diese Verrichtung zu dem Unfallereignis geführt hat (Unfallkausalität) und dass schließlich das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität). Die Merkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung zur Zeit des Unfalls", "Unfallereignis" sowie "Gesundheitserst- bzw. Gesundheitsfolgeschaden" müssen für das Gericht im Wege des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, feststehen (vgl. BSG vom 02.04.2009 - Az.: B 2 U 29/07 R, juris Rdnr. 15 f. m. w. N.). Lassen sich die anspruchsbegründenden Tatsachen nicht nachweisen oder ist der ursächliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfallereignis oder zwischen diesem und der eingetretenen Gesundheitsstörung nicht wahrscheinlich, geht dies nach dem im Sozialrecht geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der hieraus eine ihm günstige Rechtsfolge herleiten will. Dagegen trägt die Beklagte die objektive Beweis- und Feststellungslast für anspruchsverhindernde, -vernichtende sowie -hemmende Gegennormen.

Der Kläger hat am 20.04.2017 einen Unfall (d.h. ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis, vgl. § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII) mit der Folge gesundheitlicher Schäden erlitten, als er mit seinem Motorrad gegen ein abbiegendes Auto prallte und sich hierbei u.a. eine offene Femurschaftfraktur links zuzog.

Der Kläger ist zum Zeitpunkt des Unfallereignisses auch als Ausbildender bei der Firma B. gem. § 2 Abs. 1 SGB VII in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert gewesen. Seine Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses, die weitere Fahrt auf dem M.-Damm, hat jedoch nicht mehr in einem sachlichen Zusammenhang mit seiner versicherten Tätigkeit gestanden.

Gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII zählt zu den versicherten Tätigkeiten auch das Zurücklegen des mit der nach den §§ 2, 3 und 6 SGB VII versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Begründet wird dieser Versicherungsschutz damit, dass diese Wege nicht aus privaten Interessen, sondern wegen der versicherten Tätigkeit, also mit einer auf die versicherte Tätigkeit bezogenen Handlungstendenz unternommen werden (vgl. BSG vom 09.11.2010, Az.: B 2 U 14/10 R, juris Rdnr. 31 m.w.N.).

Der Kläger ist zwar grundsätzlich einer versicherten Tätigkeit nachgegangen, als er sich am 20.04.2017 gegen 16:10 Uhr nach dem Ende seiner Arbeitszeit auf den Weg nach Hause machte. Jedoch hat der Kläger zum Unfallzeitpunkt keinen durch die Wegeunfallversicherung geschützten Weg mehr zurückgelegt. Zwar geht die Kammer davon aus, dass sich der Kläger mit der Handlungstendenz fortbewegt hat, von dem Ort der Tätigkeit nach Hause zu gelangen. Jedoch kann im vorliegenden Fall diese Handlungstendenz alleine den Versicherungsschutz in der Wegeunfallversicherung auf der zum Unfallzeitpunkt zurückgelegten Wegstrecke nicht mehr begründen. Denn der Kläger befand sich zum Unfallzeitpunkt nicht mehr auf dem grundsätzlich dem unter Wegeunfallversicherungsschutz stehenden unmittelbaren Weg von dem Ort der Tätigkeit nach Hause.

Nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII ist nicht der Weg als solcher, sondern dessen Zurücklegen versichert, also der Vorgang des Sichfortbewegens auf einer Strecke, die durch einen Ausgangs- und einen Zielpunkt begrenzt ist. Der Versicherungsschutz besteht, wenn der Weg erkennbar zu dem Zweck zurückgelegt wird, den Ort der Tätigkeit - oder nach deren Beendigung im typischen Fall die eigene Wohnung - zu erreichen. Maßgebliches Kriterium für den sachlichen Zusammenhang ist, ob die anhand objektiver Umstände zu beurteilende Handlungstendenz des Versicherten beim Zurücklegen des Weges darauf gerichtet war, eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Verrichtung auszuüben, d.h. ob sein Handeln zum Zurücklegen des Weges zu oder von der Arbeitsstätte gehört. Maßgebend für die Beurteilung, ob eine konkrete Verrichtung auf dem unmittelbaren Weg noch der Fortbewegung auf das ursprüngliche Ziel hin (hier Wohnort des Klägers) dient, ist die objektivierte Handlungstendenz des Versicherten (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. zuletzt Urteil vom 31.08.2017, Az.: B 2 U 1/16 R, juris Rdnrn. 12 und 19).

Nach dem Gesetzeswortlaut ist nur der "unmittelbare" Weg versichert. Geschützt ist aber nicht nur der direkte, d.h. der entfernungsmäßig kürzeste Weg von und zum Ort der versicherten Tätigkeit. Da dem Versicherten die Wahl des Weges grundsätzlich freigestellt ist, schließt das Zurücklegen eines entfernungsmäßig weiteren Weges den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung im Grundsatz nicht aus. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass es sich unter Beachtung der Handlungstendenz des Versicherten jeweils noch um einen "unmittelbaren" Weg nach und vom Ort der Tätigkeit handelt.

Im vorliegenden Fall hat der Versicherungsschutz nach § 8 Abs. 2 Nr.1 SGB VII bestanden, solange und soweit sich der Kläger auf seinem üblichen Weg von dem Ort seiner Tätigkeit (Firma B., C.-Straße 1 in A-Stadt) zu dem Ort seiner Wohnung (D.-Straße 11a in A-Stadt) befand - hier: Fahrt von der C.Straße, über die H.-Straße, den I.-Damm, den J.-Weg, die K.-Straße sowie in die D.-Straße. Der Versicherungsschutz ist aber dadurch unterbrochen worden, dass der Kläger nicht - wie sonst üblich - in die K.-Straße abgebogen ist, sondern weiter über die L.-Straße, den M.-Damm und den G.-Damm gefahren ist, bis es in Höhe des N.-Weges zu dem streitigen Verkehrsunfall kam. Spätestens ab der Überquerung der S.-Straße und der Weiterfahrt auf dem G.-Damm hat der Kläger nicht mehr unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden.

Zum Unfallzeitpunkt hat sich der Kläger nicht mehr auf dem unmittelbaren Weg nach Hause befunden, sondern sich davon in entgegengesetzter Richtung fortbewegt. Bewegen sich Versicherte nicht auf direktem Weg in Richtung ihrer Arbeitsstätte oder Wohnung, sondern in entgegengesetzter Richtung von diesem Ziel fort, befinden sie sich auf einem Abweg. Wird ein solcher bei einer mehr als geringfügigen Unterbrechung des direkten Weges zurückgelegt, besteht, sobald der direkte Weg verlassen und der Abweg begonnen wird, kein Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung. Erst wenn sich die Versicherten wieder auf dem direkten Weg befinden und der Abweg beendet ist, besteht erneut Versicherungsschutz.

Zwar führt nicht jedes Abweichen vom direkten Weg zu einer Lösung des inneren Zusammenhanges mit der versicherten Tätigkeit und damit zum Verlust des Versicherungsschutzes. Dieser kann ausnahmsweise auch auf einem Abweg bestehen, wenn dieser Abweg selbst im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht. In Betracht kommt, dass sich Versicherte aus betriebsbedingten Gründen fortbewegen, etwa um einen Gegenstand zu holen, den sie für die Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit benötigen (Urteil des BSG vom 19.10.1982, Az.: 2 RU 52/81, juris Rdnr. 17 f.). Wird der unmittelbare Weg verlassen, um eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Verrichtung auszuüben, steht auch der Abweg unter Versicherungsschutz (vgl. hierzu Urteil der erkennenden Kammer vom 16.05.2019, Az.: S 19 U 123/18, juris Rdnr. 31 f.). Ein solcher Fall hat hier jedoch nicht vorgelegen. Denn der Kläger hat den anderen Weg nicht eingeschlagen, um eine dem Ausbildungsbetrieb dienende Verrichtung auszuüben, sondern weil er einen Stau umgehen wollte, als er noch ca. 550 Meter vom Wohnort entfernt war.

Die Kammer geht davon aus, dass es aufgrund der Sperrung der Autobahn A30 zu Verkehrsbehinderungen im Raum A-Stadt gekommen ist, infolge dessen sich auf den Hauptstraßen ein Stau gebildet hat. Die Kammer geht zudem davon aus, dass hiervon auch die S.-Straße betroffen gewesen ist, so dass der von der K.-Straße kommende Verkehr nicht ungehindert in die S.-Straße abfließen konnte. Der Kläger hat angegeben, dass er Rückstau auf der K.-Straße umfahren wollte, indem er weiter geradeaus fuhr, um dann von Norden aus ins Dorf zu fahren. Selbst wenn der Kläger diesen längeren Weg noch mit der Absicht zurückgelegt hat, seinen Wohnort zu erreichen, hat dieser Weg nicht mehr unter Versicherungsschutz gestanden.

Vorliegend hat sich der restliche Nachhauseweg durch das Verhalten des Klägers erheblich verlängert. Bis zur Unfallstelle hatte sich der restliche Weg ab der Kreuzung J.-Weg/K.-Straße fast verdreifacht. Denn der Restweg ab diese Kreuzung hätte bei einer Fahrt über die K.-Straße nur noch ca. 550 Meter betragen; bis zur Unfallstelle ist der Kläger bereits 1,4 km weitergefahren. Wäre er - wie von ihm vorgetragen - weiter bis zur G.-Straße gefahren, um dann von Norden aus kommend zurück in das Dorf zu fahren, hätte er noch weitere ca. 3,2 km - somit insgesamt ca. 4,6 km - zurückgelegt. Damit war der gewählte Weg ab der Kreuzung J.-Weg/K.-Straße mehr als achtmal so lang wie der normale restliche Heimweg.

Zur Überzeugung der Kammer haben für diesen längeren Weg keine Gründe vorgelegen, die es rechtfertigen, dass auch dieser erheblich längere Weg unter dem Schutz der Wegeunfallversicherung gestanden hat.

Eine dem Versicherten uneingeschränkt eingeräumte freie Wahl des Weges mit einer erheblichen Verlängerung des Weges läuft nicht nur der ausdrücklich in § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII normierten Voraussetzung des "unmittelbaren" Weges zuwider, sondern erhöht auch das Risiko eines Wegeunfalls unangemessen, was als ein beachtliches Kriterium bei der Auslegung des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII ist (vgl. hierzu auch das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 20.09.2018, Az.: L 7 U 26/17, juris Rdnr. 27). Daher kann bereits ein um ein Drittel verlängerter Weg infolge verkehrsbedingter Zurücklegung eines Umweges einen bedeutenden, versicherungsschädlichen Umweg darstellen (Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 20.05.2008 - Az.: L 3 U 195/07, juris Rdnr. 19).

Objektive, nicht rein private Gründe, einen nicht unbedeutend längeren Weg zu wählen, führen daher nicht dazu, dass der Versicherte dann unter Beibehaltung des Versicherungsschutzes einen beliebig langen anderen Weg benutzen darf. Vielmehr gilt für den konkret eingeschlagenen längeren Weg, dass er wesentlich der Zurücklegung des Weges nach oder von dem Ort der versicherten Tätigkeit zu dienen bestimmt sein muss und somit für die Wahl dieses Weges keine Gründe maßgebend sind, die wesentlich allein dem privaten Lebensbereich des Versicherten zuzuordnen sind. Bieten sich daher anstelle des kürzesten Weges mehrere zumutbare Wegealternativen, ist zum Erhalt des Versicherungsschutzes in der Regel der nächstkürzere Weg zu wählen, wobei unbedeutende Wege nicht ins Gewicht fallen. Ist aber der gewählte alternative Weg nicht nur unbedeutend länger als ein anderer alternativer Weg, steht ersterer nur unter Versicherungsschutz, wenn die kürzere Alternative aus den oben genannten Gründen nicht zum Erhalt des Versicherungsschutzes benutzt zu werden braucht, weil also der gewählte Weg weniger zeitaufwendig, sicherer, übersichtlicher, besser ausgebaut oder kostengünstiger ist als die nicht gewählte alternative Strecke. Ob ein gewählter längerer Weg noch ein Weg im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (Urteil des BSG vom 11.09.2011, Az.: B 2 U 34/00 R, juris Rdnr. 21).

Ist der gewählte alternative Weg nach und zum Ort der Tätigkeit hinsichtlich Entfernung und Zeit erheblich länger als eine andere alternative Wegstrecke, stellt dies ein Indiz dafür dar, dass für die Wahl des Weges Gründe maßgebend waren, die wesentlich dem privaten Bereich zuzuordnen sind. Je länger und zeitaufwendiger der gewählte alternative Weg daher im Verhältnis zu einem kürzeren und weniger zeitaufwendigeren alternativen Weg ist, um so höhere Anforderungen sind an den Nachweis zu stellen, dass der erforderliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Weg nach oder vom Ort der Tätigkeit noch besteht (Urteil des Bayerischen Landessozialgericht vom 20.09.2018, a.a.O., juris Rdnr. 30; Urteil des BSG vom 11.09.2011, a.a.O., juris Rdnr. 21).

Im vorliegenden Fall kann die Kammer keine Gründe feststellen, die es unter Beachtung dieser Grundsätze rechtfertigen, dass auch der verlängerte Weg noch unter Versicherungsschutz gestanden hat. Der Weg von der Kreuzung J.-Weg/K.-Straße bis zur D.-Straße beträgt ca. 250 Meter. Es handelt sich bei der K.-Straße um eine Tempo-30-Zone. Damit kann der Kläger diese Wegstrecke von ca. 250 Meter mit seinem Motorrad auch ohne Rückstau nur im gemäßigten Tempo zurücklegen. Spätestens an der Kreuzung zur S.-Straße, die ebenfalls vom Stau betroffen gewesen ist, hätte der Kläger erkennen können und müssen, dass er den Heimweg beim Umfahren der 250 Meter Stau so erheblich verlängert, dass er hierdurch keine Zeitersparnis mehr hat - zumal er nicht wissen konnte, ob die Strecke über G.-Straße, um dann von Norden zurück ins Dorf zu fahren, verkehrstechnisch ohne Stau gewesen wäre. Dass er dennoch weiter "ins Ungewisse" geradeaus gefahren und nicht umgekehrt ist, ist seine private Entscheidung gewesen, die überwiegend wesentlich dem privaten Lebensbereich des Klägers zuzuordnen ist, nicht aber mehr der versicherten Tätigkeit.

Es liegt auch keine Vergleichbarkeit zu Fällen vor, in denen ein Versicherter irrtümlich einen nicht nur unbedeutend längeren Weg fährt, weil er sich verfahren hat (vgl. hierzu Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 19.12.2002 - Az.: L 6 U 371/01). Denn in diesen Fällen wird keine bewusste Entscheidung zugunsten des verlängerten Weges getroffen.

Die Klage war daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.