Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 02.05.2012, Az.: 13 MC 22/12

Prüfungsumfang des Bundesamtes und vorläufiger Rechtsschutz bei einer Abschiebungsandrohung nach § 34a AsylVfG (Italien)

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
02.05.2012
Aktenzeichen
13 MC 22/12
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2012, 15042
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2012:0502.13MC22.12.0A

Fundstelle

  • InfAuslR 2012, 298-300

Amtlicher Leitsatz

Zum Prüfungsumfang des Bundesamtes und zum vorläufigen Rechtsschutz bei einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylVfG (Italien)

Gründe

1

Der Antrag der Antragstellerin auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes hat Erfolg.

2

Die Antragstellerin verfolgt mit ihrem Antrag,

"im Wege der einstweiligen Anordnung die Antragsgegnerin zu verpflichten, die zuständige Ausländerbehörde anzuweisen, die Abschiebung der Antragstellerin nach Italien bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, die in dem Bescheid vom 25. Juli 2011 bekannt gegebene Abschiebungsandrohung nicht zu vollziehen",

3

die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes unter Abänderung der diese ablehnenden Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Stade vom 1. September 2011 - 6 B 1070/11 - und vom 26. September 2011 - 6 B 1193/11 - gegen den Vollzug der Abschiebungsanordnung im Bescheid des Bundesamtes vom 25. Juli 2011, mit dem der gestellte Asylantrag als nach § 27a AsylVfG unzulässig verworfen wurde und gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG die Abschiebung in den nach Auffassung der Antragsgegnerin für die Bearbeitung des Asylantrags zuständigen Staat Italien angeordnet wurde. Für diesen Antrag, den der Senat als Abänderungsantrag nach § 80 Abs. 7 VwGO auslegt (vgl. zum zutreffenden Rechtsschutzantrag: OVG NRW, Beschl. v. 1. März 2012 - 1 B 234/12.A -, [...], m.w.N.), ist das Oberverwaltungsgericht als Gericht der Hauptsache zuständig, da über den anhängigen Antrag auf Zulassung der Berufung (13 LA 274/11) gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stade vom 22. November 2011 (6 B 1192/11) mit dem die angefochtene Abschiebungsanordnung bestätigt wurde, noch nicht entschieden ist.

4

Es ist zu beachten, dass in Verfahren dieser Art einstweiliger Rechtsschutz durch die Verwaltungsgerichte grundsätzlich nicht gewährt werden kann. Nach § 34a Abs. 2 AsylVfG darf die Abschiebung nach Abs. 1 nicht nach § 80 oder § 123 VwGO ausgesetzt werden. Der Gesetzgeber hat damit ausdrücklich angeordnet, dass in den Fällen, in denen als Vorfrage der eigentlichen Asylentscheidung darum gestritten wird, welcher Mitgliedstaat nach europäischem Recht für die Bearbeitung zuständig ist, die Abschiebung in den nach Auffassung der Behörde zuständigen Staat nicht durch eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung verhindert werden darf.

5

Europarechtlich sieht Art. 19 Abs. 2 Satz 4 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (Dublin II-VO) vor, dass ein Rechtsbehelf gegen die Entscheidung, einen Asylantrag mangels Zuständigkeit nicht zu prüfen und den Asylbewerber an den zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, keine aufschiebende Wirkung für die Durchführung der Überstellung hat. Dies gilt nur dann nicht, wenn die Gerichte oder zuständigen Stellen im Einzelfall nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts anders entscheiden, sofern dies nach ihrem innerstaatlichen Recht zulässig ist. Eine solche Entscheidung ist aber nach deutschem Recht gemäß § 34a Abs. 2 AsylVfG gerade ausgeschlossen, so dass es in Übereinstimmung mit dem europäischen Recht bei der sofortigen Vollziehbarkeit bleibt. Verfassungsrechtlich bestehen grundsätzlich ebenfalls keine Bedenken gegen den Ausschluss einstweiligen Rechtsschutzes. Denn auch das Grundgesetz sieht diesen Ausschluss vor. Nach Art. 16a Abs. 2 Satz 3 GG können dann, wenn ein Asylbewerber aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften einreist, aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden. Dies deckt grundsätzlich den generellen Ausschluss verwaltungsgerichtlichen einstweiligen Rechtsschutzes ab (vgl. BVerfG, Urt. v. 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938/93 u.a. -, BVerfGE 94, 49, 100 ff.; a.A. Funke-Kaiser in GK-AsylVfG, § 34a, Rdnrn. 73 ff., Loseblatt, Stand: Mai 2011).

6

Da die nach europäischem Recht für die Asylentscheidung zuständigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union (§ 27a AsylVfG) durch den verfassungsändernden Gesetzgeber zugleich zu sicheren Drittstaaten (Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG, § 26a AsylVfG) bestimmt worden sind, einstweiliger Rechtsschutz mithin auch wegen der Einreise aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union nach Art. 16a Abs. 2 Satz 3 GG ausgeschlossen ist, folgt die Auslegung des § 34a Abs. 2 AsylVfG in den Fällen des § 27a AsylVfG den gleichen Grundsätzen wie bei § 26a AsylVfG (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 11. Oktober 2011 - 14 B 1011/11.A -, [...]; a.A. insoweit noch: OVG NRW, Beschl. v. 7. Oktober 2009 - 8 B 1433/09.A -, NVwZ 2009, 1571; vgl. auch: BVerfG ,1. Kammer des Zweiten Senats, Beschl. v.8. Dezember 2009 - 2 BvR 2780/09 -, InfAuslR 2010, 82 sowie Beschl. v. 15. Juli 2010 - 2 BvR 1460/10 -, [...];).

7

Demnach hat die Bundesrepublik Deutschland ausnahmsweise Schutz zu gewähren, wenn Abschiebungshindernisse nach § 51 Abs. 1 oder § 53 AuslG - heute: § 60 AufenthG - durch Umstände begründet werden, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des Konzepts normativer Vergewisserung von Verfassung oder Gesetz berücksichtigt werden können und damit von vornherein außerhalb der Grenzen liegen, die der Durchführung eines solchen Konzepts aus sich selbst heraus gesetzt sind. So kann sich im Hinblick auf Art. 2 Abs. 1 Satz 2 EMRK, wonach die Todesstrafe nicht konventionswidrig ist, ein Ausländer gegenüber einer Zurückweisung oder Rückverbringung in den Drittstaat auf das Abschiebungshindernis des § 53 Abs. 2 AuslG (§§ 60 Abs. 5 Satz 1, 61 Abs. 3 AuslG) - heute: § 60 Abs. 5 AufenthG (§ 57 Abs. 3 AufenthG) - berufen, wenn ihm dort die Todesstrafe drohen sollte. Weiterhin kann er einer Abschiebung in den Drittstaat § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG - heute: § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG - etwa dann entgegenhalten, wenn er eine erhebliche konkrete Gefahr dafür aufzeigt, dass er in unmittelbarem Zusammenhang mit der Zurückweisung oder Rückverbringung in den Drittstaat dort Opfer eines Verbrechens werde, welches zu verhindern nicht in der Macht des Drittstaates steht. Ferner kommt der Fall in Betracht, dass sich die für die Qualifizierung als sicher maßgeblichen Verhältnisse im Drittstaat schlagartig geändert haben und die gebotene Reaktion der Bundesregierung nach § 26a Abs. 3 AsylVfG hierauf noch aussteht. Nicht umfasst vom Konzept normativer Vergewisserung über einen Schutz für Flüchtlinge durch den Drittstaat sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch Ausnahmesituationen, in denen der Drittstaat selbst gegen den Schutzsuchenden zu Maßnahmen politischer Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung (Art. 3 EMRK) greift und dadurch zum Verfolgerstaat wird. Schließlich kann sich - in seltenen Ausnahmefällen - aus allgemein bekannten oder im Einzelfall offen zutage tretenden Umständen ergeben, dass der Drittstaat sich - etwa aus Gründen besonderer politischer Rücksichtnahme gegenüber dem Herkunftsstaat - von seinen mit dem Beitritt zu den beiden Konventionen eingegangenen und von ihm generell auch eingehaltenen Verpflichtungen löst und einem bestimmten Ausländer Schutz dadurch verweigert, dass er sich seiner ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs entledigen wird. Ein solcher Ausnahmefall liegt nicht vor, wenn die ihn begründenden Umstände sich schon im Kontakt zwischen deutschen Behörden und Behörden des Drittstaates ausräumen lassen (vgl. BVerfG, Urt. v. 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938/93 u.a. -, a.a.O., S. 99 f.).

8

Eine Prüfung, ob der Zurückweisung oder sofortigen Rückverbringung in den Drittstaat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen, kann der Ausländer nach dieser Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur erreichen, wenn es sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdrängt, dass er von einem der genannten im normativen Vergewisserungskonzept nicht aufgefangenen Sonderfälle betroffen ist. An diese Darlegung sind strenge Anforderungen zu stellen. Unter den gleichen engen Voraussetzungen ist in verfassungskonformer Auslegung des § 34a Abs. 2 AsylVfG ausnahmsweise einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren.

9

Diese Einschränkungen der Schutzgewährung und des Rechtsschutzes stehen im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Dieser hat in seinem Urteil vom 21. Dezember 2011 (verbundene Rechtssachen C-411/10 und C-493/10) ausgeführt (Rdnrn. 75 - 86):

"Das Gemeinsame Europäische Asylsystem stützt sich auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und die Versicherung, dass niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er Verfolgung ausgesetzt ist. Die Beachtung derGenfer Flüchtlingskonvention und des Protokolls von 1967 ist in Art. 18 der Charta und in Art. 78 AEUV geregelt (vgl. Urteile vom 2. März 2010, Salahadin Abdulla u. a., C-175/08, C-176/08, C-178/08 und C-179/08, Slg. 2010, I-1493, Randnr. 53, und vom 17. Juni 2010, Bolbol, C-31/09, Slg. 2010, I-0000, Randnr. 38).

Wie oben in Randnr. 15 ausgeführt, heißt es in den einzelnen Verordnungen und Richtlinien, die für die Ausgangsverfahren einschlägig sind, dass sie die Grundrechte und die mit der Charta anerkannten Grundsätze achten.

Nach gefestigter Rechtsprechung haben überdies die Mitgliedstaaten nicht nur ihr nationales Recht unionsrechtskonform auszulegen, sondern auch darauf zu achten, dass sie sich nicht auf eine Auslegung einer Vorschrift des abgeleiteten Rechts stützen, die mit den durch die Unionsrechtsordnung geschützten Grundrechten oder den anderen allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts kollidiert (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. November 2003, Lindqvist, C-101/01, Slg. 2003, I-12971, Randnr. 87, und vom 26. Juni 2007, Ordre des barreaux francophones et germanophone u. a., C-305/05, Slg. 2007, I-5305, Randnr. 28).

Die Prüfung der Rechtstexte, die das Gemeinsame Europäische Asylsystem bilden, ergibt, dass dieses in einem Kontext entworfen wurde, der die Annahme zulässt, dass alle daran beteiligten Staaten, ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden, und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen.

Gerade aufgrund dieses Prinzips des gegenseitigen Vertrauens hat der Unionsgesetzgeber die Verordnung Nr. 343/2003 erlassen und die oben in den Randnrn. 24 bis 26 genannten Übereinkommen und Abkommen geschlossen, um die Behandlung der Asylanträge zu rationalisieren und zu verhindern, dass das System dadurch stockt, dass die staatlichen Behörden mehrere Anträge desselben Antragstellers bearbeiten müssen, und um die Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des für die Behandlung des Asylantrags zuständigen Staates zu erhöhen und damit dem "forum shopping" zuvorzukommen, wobei all dies hauptsächlich bezweckt, die Bearbeitung der Anträge im Interesse sowohl der Asylbewerber als auch der teilnehmenden Staaten zu beschleunigen.

Unter diesen Bedingungen muss die Vermutung gelten, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht.

Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist.

Dennoch kann daraus nicht geschlossen werden, dass jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat die Verpflichtungen der übrigen Mitgliedstaaten zur Beachtung der Bestimmungen der Verordnung Nr. 343/2003 berühren würde.

Auf dem Spiel stehen nämlich der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, das auf gegenseitigem Vertrauen und einer Vermutung der Beachtung des Unionsrechts, genauer der Grundrechte, durch die anderen Mitgliedstaaten gründet.

Es wäre auch nicht mit den Zielen und dem System der Verordnung Nr. 343/2003 vereinbar, wenn der geringste Verstoß gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen würde, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. Mit der Verordnung Nr. 343/2003 soll nämlich, ausgehend von der Vermutung, dass die Grundrechte des Asylbewerbers in dem normalerweise für die Entscheidung über seinen Antrag zuständigen Mitgliedstaat beachtet werden, wie in den Nrn. 124 und 125 der Schlussanträge in der Rechtssache C-411/10 ausgeführt worden ist, eine klare und praktikable Methode eingerichtet werden, mit der rasch bestimmt werden kann, welcher Mitgliedstaat für die Entscheidung über einen Asylantrag zuständig ist. Zu diesem Zweck sieht die Verordnung Nr. 343/2003 vor, dass für die Entscheidung über in einem Land der Union gestellte Asylanträge nur ein Mitgliedstaat zuständig ist, der auf der Grundlage objektiver Kriterien bestimmt wird.

Wenn aber jeder Verstoß des zuständigen Mitgliedstaats gegen einzelne Bestimmungen der Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 zur Folge hätte, dass der Mitgliedstaat, in dem ein Asylantrag eingereicht wurde, daran gehindert wäre, den Antragsteller an den erstgenannten Staat zu überstellen, würde damit den in Kapitel III der Verordnung Nr. 343/2003 genannten Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats ein zusätzliches Ausschlusskriterium hinzugefügt, nach dem geringfügige Verstöße gegen die Vorschriften dieser Richtlinien in einem bestimmten Mitgliedstaat dazu führen könnten, dass er von den in dieser Verordnung vorgesehenen Verpflichtungen entbunden wäre. Dies würde die betreffenden Verpflichtungen in ihrem Kern aushöhlen und die Verwirklichung des Ziels gefährden, rasch den Mitgliedstaat zu bestimmen, der für die Entscheidung über einen in der Union gestellten Asylantrag zuständig ist.

Falls dagegen ernsthaft zu befürchten wäre, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren, so wäre die Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar."

10

Auch Art. 47 Abs. 1 GRCh, der einen "wirksamen Rechtsbehelf" gewährleistet, gebietet lediglich im Ausnahmefall einer derartigen ernsthaften Gefahr systematischer Mängel die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes. Anderenfalls bleibt es bei der gesetzlichen Regelung des § 34a Abs. 2 AsylVfG.

11

Bei Anwendung dieser Grundsätze hat die Antragstellerin hinsichtlich Italien keine konkreten Umstände geltend gemacht, die die im Hinblick auf die dortige Behandlung von Flüchtlingen ausnahmsweise Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes rechtfertigen könnten. In seinem Beschluss vom 26. September 2011 hat das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt, es gebe keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin aufgrund ihrer individuellen Verhältnisse in Italien einer konkreten Gefahr für Leib und Leben oder politischer Verfolgung, unmenschlicher Behandlung bzw. einer Schutzverweigerung ausgesetzt wäre. In diesem Zusammenhang hat es darauf verwiesen, dass nach den Erkenntnissen des Bundesamtes jede Person, die in Italien Asyl beantragt habe oder der Schutz gewährt worden sei, unabhängig von einem festen Wohnsitz einen gesetzlichen Anspruch auf Gesundheitsversorgung entsprechend dem Anspruch italienischer Bürger habe. Auch bekämen alle im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Italien zurückgeführten Personen von der zuständigen Questura eine Unterkunft mit der Auflage zugeteilt, sich dort zu melden. Etliche Personen begäben sich jedoch nicht zu der zugewiesenen Adresse. Sei das Asylverfahren noch nicht abgeschlossen, werde der Asylbewerber in einer Aufnahmeeinrichtung untergebracht und das Asylverfahren fortgesetzt. Wie für alle anderen Asylbewerber bestehe dabei ein Anspruch auf soziale Mindestleistungen. Auf diese Ausführungen, die einem im Entscheiderbrief 7/2011 (S. 1 ff.) veröffentlichten Bericht entnommen sind, der seinerseits eine Reaktion auf den von Pro Asyl im Februar 2011 veröffentlichten Bericht von Bethge und Bender zur Situation von Flüchtlingen in Italien ist, ist die Antragstellerin nicht näher eingegangen. Vor diesem Hintergrund ist eine Abänderung der Beschlüsse des Verwaltungsgerichts vom 1. und 26. September 2011 nicht gerechtfertigt. Auch dem Senat liegen gegenwärtig keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass sich Italien von seinen Verpflichtungen gegenüber schutzsuchenden Personen gelöst hätte und§ 34a Abs. 2 AsylVfG deshalb nicht anzuwenden wäre. So werden die vorstehenden Erkenntnisse durch die Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Darmstadt vom 29. November 2011 bestätigt. Auch der Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe über das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Italien vom Mai 2011 weist zwar auf Probleme bei der Unterbringung und der Information über den bestehenden Anspruch auf Gesundheitsversorgung hin, eine grundsätzliche Abkehr Italiens von seinen völker- und europarechtlichen Verpflichtungen gegenüber Flüchtlingen kann darin jedoch nicht gesehen werden. Hinzu kommt, dass offenbar in der Praxis viele Dublin-II-Rückkehrer aus unterschiedlichen Motiven auf einen Asyl- oder Schutzantrag verzichten, so dass ihnen die staatlichen Aufnahmezentren und andere Leistungen nicht mehr offenstehen. In diesem Zusammenhang hat auch die Verteilung der zur Verfügung stehenden Unterkünfte über das gesamte Land und deren Lage in für Flüchtlinge teilweise weniger attraktiven Regionen negativen Einfluss auf die Akzeptanz dieser Unterbringung durch die Schutzsuchenden. Die damit verbundenen, möglicherweise schwierigen Lebensverhältnisse derjenigen Personen, die sich aus diesen Gründen dem staatlichen Hilfssystem (teilweise) entziehen, haben auf die Frage der Beurteilung der grundsätzlichen Behandlung Schutzsuchender durch Italien jedoch keinen Einfluss. Kurzfristige Überforderungserscheinungen aufgrund eines zeitweise stark erhöhten Flüchtlingsaufkommens rechtfertigen die Annahme einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung von Flüchtlingen in Italien ebenso wenig, wie die von einzelnen italienischen Stellen in der Vergangenheit bisweilen öffentlichkeitswirksam betriebene Dramatisierung der tatsächlichen Situation. Der Verurteilung Italiens durch den EGMR wegen der unmittelbaren Zurückschiebung eritreischer und somalischer Bootsflüchtlinge nach Libyen (Entscheidung vom 23.02.2012 - Az. 27765/09 -; vgl. etwa FAZ v. 24. Februar 2012, S. 6) kommt für den vorliegenden Fall keine Bedeutung zu, da sich Italien gerade zur Durchführung des Asylverfahrens der Antragstellerin bereiterklärt hat. Eine Empfehlung des UNHCR, Asylsuchende nicht an Italien zu überstellen, liegt bislang nicht vor.

12

Angesichts dieser Erkenntnislage drängt sich eine Durchbrechung des Systems der normativen Vergewisserung und der europarechtlich vorgegebenen Zuständigkeitsordnung nicht auf. Alleine der Umstand widersprechender erstinstanzlicher Entscheidungen ist nicht geeignet, die gesetzgeberische Entscheidung des § 34a Abs. 2 AsylVfG außer Kraft zu setzen (so aber offenbar OVG NRW, Beschl. v. 1. März 2012 - 1 B 234/12.A -, [...]). Vielmehr spricht gerade der Umstand, dass die Situation der Flüchtlinge in Italien von den Verwaltungsgerichten unterschiedlich eingeschätzt wird, gegen das Vorliegen eines offensichtlichen Ausnahmefalles und für die Respektierung des in Art. 16a Abs. 2 Satz 3 GG, § 34a Abs. 2 AsylVfG zum Ausdruck gekommenen Willen des (Verfassungs)gesetzgebers.

13

Durchgreifende rechtliche Bedenken gegen die Abschiebungsanordnung bestehen jedoch im Hinblick auf die angeführte "Risikoschwangerschaft" der Antragstellerin.

14

Bei Fällen, in denen der Asylbewerber in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) abgeschoben werden soll, hat das Bundesamt vor Erlass einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylVfG auch zu prüfen, ob Abschiebungshindernisse bzw. -verbote oder Duldungsgründe vorliegen. Anders als bei der Entscheidung über Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 AufenthG im Zusammenhang mit dem Erlass einer Abschiebungsandrohung (vgl. dazu BVerwG, Urteile vom25. November 1997 - 9 C 58.96 - BVerwGE 105, 383, und vom 11. November 1997 - 9 C 13.96 - BVerwGE 105, 322) ist es nicht auf die Prüfung von sogenannten "zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen" beschränkt. § 34a AsylVfG bestimmt ausdrücklich, dass das Bundesamt die Abschiebung anordnet "sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann". Die Abschiebungsanordnung darf als Festsetzung eines Zwangsmittels erst dann ergehen, wenn alle Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Abschiebung nach § 26a oder § 27a AsylVfG i.V.m. § 34a AsylVfG erfüllt sind. Das bedeutet, dass das Bundesamt vor Erlass der Abschiebungsanordnung gegebenenfalls sowohl "zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse" als auch der Abschiebung entgegenstehende "inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse" zu berücksichtigen hat. Es ist in diesem Zusammenhang unter anderem verpflichtet zu prüfen, ob die Abschiebung in den Dritt- bzw. Mitgliedstaat aus subjektiven, in der Person des Ausländers liegenden und damit vom System der normativen Vergewisserung nicht erfassten Gründen - wenn auch nur vorübergehend - rechtlich oder tatsächlich unmöglich ist (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 30. August 2011 - 18 B 1060/11-, [...]; VGH BW, Beschl. v. 31. Mai 2011 - A 11 S 1523/11 -, InfAuslR 2011, 310; Hamb. OVG, Beschl. v. 3. Dezember 2010 - 4 Bs 223/10 -, [...]; OVG MV, Beschl. v. 29. November 2004 - 2 M 299/04 -; Funke-Kaiser in GK-AsylVfG, a.a.O., § 34a, Rdnr. 15; Hailbronner, AuslR, § 34a AsylVfG, Rdnrn. 15 f., 43 ff., Loseblatt, Stand August 2006; jew. m.w.N.).

15

Im Hinblick auf die Schwangerschaft der Antragstellerin bestehen Bedenken an ihrer Reisefähigkeit. Ausweislich des von der Antragstellerin vorgelegten Attests des Dr. B. vom 26. Januar 2012 wirkte sie auf den behandelnden Arzt verstört und völlig verängstigt. Die Schwangerschaft wird nach seiner Auffassung in erster Linie durch die labortechnisch nachgewiesene Blutarmut der Antragstellerin gefährdet, die auch durch eine zweiwöchige Behandlung mit einem Eisenpräparat nicht positiv beeinflusst worden sei. Zudem bestehe die Gefahr einer Fehlgeburt durch vorzeitige Wehentätigkeit, die durch Stress hervorgerufen werden könne. Während die Ausländerbehörde des Landkreises Stade mit Schreiben an die Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin vom 26. Januar 2012 noch eine Untersuchung der Antragstellerin im Hinblick auf ihre Reisefähigkeit angekündigt hatte, hat sie mit Schreiben vom 13. März 2012 gegenüber dem Gericht erklärt, eine amtsärztliche Untersuchung der Antragstellerin im Hinblick auf eine Risikoschwangerschaft könne mangels fachärztlichen Personals nicht stattfinden. Nach Empfehlung des Gesundheitsamtes solle die Schwangerschaft abgewartet und nach der Geburt des Kindes ein erneuter Überstellungsversuch nach Italien geprüft werden. Über diese Vorgehensweise sei das Bundesamt informiert worden. Vor diesem Hintergrund kann ohne weitere ärztliche Feststellung nicht von der Reisefähigkeit der Antragstellerin ausgegangen werden, die jedoch Voraussetzung für den Erlass einer Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 AsylVfG ist.