Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 16.05.2012, Az.: 7 LB 213/11
Beanstandung eines Geräts zur automatischen Schmelzpunktbestimmung in einer Apotheke als nicht eichfähig
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 16.05.2012
- Aktenzeichen
- 7 LB 213/11
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2012, 19681
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2012:0516.7LB213.11.0A
Rechtsgrundlage
- § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 EichG
Fundstellen
- DÖV 2012, 817-818
- NVwZ-RR 2013, 47
- NdsVBl 2013, 25-28
- PharmaR 2012, 418-423
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen eine Verfügung des Beklagten, mit der dieser ein Gerät zur automatischen Schmelzpunktbestimmung in ihrer Apotheke beanstandet hat.
Bei einer am 05.11.2007 durchgeführten eichtechnischen Prüfung in der von der Klägerin geführten Apotheke beanstandete der Beklagte mit Verfügung vom selben Tag den Schmelzpunktbestimmer apotec QADS Nr. 9920-11935, weil dieser nicht eichfähig sei. Der Klägerin wurde aufgegeben, diesen Mangel bis zum 05.12.2007 zu beseitigen. In der beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung wurde die Klägerin auf die Möglichkeit eines Widerspruchs hingewiesen.
Ihren mit Schreiben vom 03.12.2007 erhobenen Widerspruch begründete die Klägerin dahingehend, dass sie die für die Überprüfung der Identität von Ausgangsstoffen erforderliche Bestimmung des Schmelzpunktes mittels eines vollautomatischen Schmelzpunktbestimmungsgerätes vornehme. Ihre zuvor zu diesem Zweck verwendeten Anschütz-Thermometer seien noch geeicht und würden derzeit in Quarantäne aufbewahrt. Die ordnungsgemäße Funktionsweise des automatischen Gerätes werde durch die jährliche Kalibrierung mit geeichten Substanzen erreicht. Weil die Bestimmung des Schmelzpunktes mittels eines Anschütz-Thermometers unwirtschaftlich und zeitaufwändig sei, werde eine sich noch in der Vorbereitung befindende Änderung des Europäischen Arzneibuchs (Pharmakopoea Europaea - Ph. Eur.) die Schmelzpunktbestimmung mittels eines vollautomatischen Schmelzpunktbestimmungsgerätes zulassen. Auch die apothekenrechtliche Überwachungsbehörde verzichte seit Änderung der Apothekenbetriebsordnung auf die Forderung, ein Anschütz-Thermometer bereitzuhalten. Die Vorschrift des § 25 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 des Gesetzes über das Mess- und Eichwesen - EichG -, welche unter bestimmten Umständen eine Verwendung nicht geeichter Messgeräte selbst zur Durchführung öffentlicher Überwachungsaufgaben zulasse, müsse auch für die Messungen in Apotheken gelten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23.06.2008 wies der Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, bis zu einer Änderung desEichG könne auf die gesetzlich geforderten geeichten Anschütz-Thermometer nicht verzichtet werden. Solche habe die Klägerin nicht vorlegen können. Auch sei bis zur Änderung des europäischen Arzneibuchs die bisherige Rechtslage maßgeblich. Dieser zufolge bezöge sich die Ausnahmeregelung des § 25 Abs. 1 Satz 2 EichG nur auf die Durchführung öffentlicher Überwachungsaufgaben. Unter dem 03.09.2008, der Klägerin zugestellt am 05.09.2008, erging auf vorherige telefonische Bitte der Klägerin, ein neuer, inhaltsgleich begründeter Widerspruchsbescheid: Darüber hinaus teilte der Beklagte der Klägerin mit gesondertem Schreiben vom 02.10.2008 mit, das Beanstandungsverfahren bis zur endgültigen Klärung der Rechtslage auszusetzen und ihr bis zu dieser Klärung ausnahmsweise die Benutzung des Schmelzpunktbestimmungsgeräts einstweilen zu gestatten.
Am 02.10.2008 hat die Klägerin Klage erhoben und ihr vorprozessuales Vorbringen vertieft, dass neben der Vorhaltung von Anschütz-Thermometern auch andere Methoden zur Bestimmung des Schmelzpunktes zulässig seien; so gelte die Eichpflicht nicht, wenn die Bundesregierung in einer Rechtsverordnung nach § 2 EichG eine neue Regelung treffe. Eine solche liege mit der Apothekenbetriebsordnung vor, deren § 4 Abs. 8 die Verwendung eines vollautomatischen Schmelzpunktbestimmers zulasse. Zudem solle auf europäischer Ebene bei der bevorstehenden Änderung des Europäischen Arzneibuchs die Zulassung von vollautomatischen Schmelzpunktgeräten vorgesehen werden. Das Schreiben des Beklagten vom 02.10.2008 sei insoweit als Anerkenntnis ihres Klagebegehrens anzusehen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Verfügung des Beklagten über beanstandete Messgeräte vom 05.11.2007 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 23.06.2008 und vom 03.09.2008 aufzuheben.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat zur Begründung vorgetragen, die angefochtene Beanstandung sei verhältnismäßig, da sie im Vorfeld weiterer Maßnahmen zur Klärung der Rechtslage habe dienen sollen. In der Verwendung eines automatischen Schmelzpunktbestimmers liege ein Verstoß gegen § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 EichG, da dieser (noch) nicht eichfähig sei. Neuartige Geräte, die dem Stand der Technik entsprächen, müssten ein längeres Prüf- und Auswahlverfahren durchlaufen, damit ihre Eichfähigkeit festgestellt werden könne. Daraus folge eine im Interesse der Produktsicherheit hinzunehmende Verzögerung, mit der sich der Stand der Technik "phasenverzögert" im Eichrecht niederschlage.
Mit Urteil vom 26. Mai 2010 hat das Verwaltungsgericht die angefochtene Verfügung des Beklagten mit Wirkung zum 1. Februar 2009 aufgehoben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die Verfügung sei bis zum Inkrafttreten des 1. Nachtrages zur 6. Auflage des Europäischen Arzneibuches am 1. Februar 2009 rechtmäßig gewesen, da die Klägerin den Schmelzpunktbestimmer ungeeicht verwendet und so bereitgehalten habe, dass er ohne besondere Vorbereitung habe in Gebrauch genommen werden können. Im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung habe das Verbot des § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 EichG ohne Ausnahme bestanden; insbesondere sei eine gemäß § 25 Abs. 1 S. 1, letzter Halbsatz EichG grundsätzlich mögliche neue Regelung in Bezug auf automatische Schmelzpunktbestimmungsgeräte durch die Bundesregierung zum damaligen Zeitpunkt noch nicht in einer Rechtsverordnung nach § 2 EichG festgelegt worden. Eine Analogie zu der Ausnahmebestimmung in § 25 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 EichG sei angesichts der klaren Wortlautdifferenzierung zwischen Messgeräten zur Durchführung öffentlicher Überwachungsaufgaben und Messgeräten zur Herstellung von Arzneimitteln nicht möglich. Auch habe es bei Erlass der Verfügung noch keine Rechtsvorschrift im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 2 EichG gegeben, die sich auf automatische Schmelzpunktbestimmungsgeräte bezogen und eine Eichung von Schmelzpunktbestimmern obsolet gemacht habe. Das Europäische Arzneibuch stelle zwar grundsätzlich eine Rechtsvorschrift im Sinne des § 2 Abs. 1 EichG dar, da es durch § 11 Abs. 1 i.V.m. § 6 Abs. 1 und 3 der Verordnung über den Betrieb von Apotheken - ApBetrO - in Bezug genommen werde, jedoch sei im Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung noch die 5. Ausgabe des Europäischen Arzneibuches gültig gewesen, da die 6. Ausgabe des Europäischen Arzneibuches, Grundwerk 2008, erst am 01.11.2008 in Kraft getreten sei. Erst seit dem 1. Nachtrag zur 6. Ausgabe beinhalte das Europäische Arzneibuch eine Beschreibung zur Messung der Schmelztemperatur mit einer instrumentellen Methode (2.2.60), die sich auch auf den in Rede stehenden Schmelzpunktbestimmer beziehe. Für die formelle Verbindlichkeit des Europäischen Arzneibuches in Deutschland sei die Bekanntmachung der deutschen Übersetzung maßgeblich. Der 1. Nachtrag zur 6. Ausgabe sei daher erst mit Bekanntmachung am 01.02.2009 als geltende Norm in Kraft getreten. Demzufolge habe die Klage nur soweit Erfolg, als die Klägerin eine Aufhebung der Verfügung ab dem 01.02.2009 begehre, denn mit Inkrafttreten des 1. Nachtrags zur 6. Ausgabe des Europäischen Arzneibuches am 01.02.2009 sei die Verfügung rechtswidrig geworden. Als Folge des Inkrafttretens des 1. Nachtrags zur 6. Ausgabe des Europäischen Arzneibuches sei die automatische Schmelzpunktbestimmung nunmehr in einer anderen Rechtsvorschrift im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 2 EichG geregelt, die gemäß § 11 Abs. 1 S. 2 ApBetrO, § 6 Abs. 1 S. 1 und 2 ApBetrO, § 55 Abs. 2 und 7 des Arzneimittelgesetzes - AMG - Anwendung finde. Somit gelte für diese Geräte das Verbot aus § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 EichG nicht mehr.
Gegen diese Entscheidung führt der Beklagte die vom Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 22.12.2011 wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Berufung. Er ist der Ansicht, dass die Klage vollständig abzuweisen gewesen sei, da im Falle einer Anfechtungsklage als maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Bescheides grundsätzlich auf die letzte Behördenentscheidung abzustellen sei. Gegenstand der angefochtenen Verfügung sei lediglich eine Beanstandung, welche sich "denkgesetzlich" nur auf den Erlasszeitpunkt beziehen könne. Soweit der Bescheid zudem die Aufforderung beinhalte, die beanstandeten Messgeräte aus dem Betrieb zu entfernen oder versiegeln zu lassen und für den Fall der gesetzwidrigen Verwendung des Messgerätes Bußgelder androhe, sei dies eine einmalige, sachbezogene Regelung und kein Dauerverwaltungsakt. Eine einheitliche Betrachtung sei geboten, weil die Klägerin auch noch in der mündlichen Verhandlung die uneingeschränkte Aufhebung der Verfügung begehrt und den Streitgegenstand nicht im Wege eines Hilfsantrages auf die Anfechtung ab dem 01.02.2009 beschränkt habe. Dementsprechend hätte auch eine einheitliche Kostenentscheidung getroffen werden müssen. Eichrechtlich sei eine automatische Schmelzzeitpunktbestimmung auch nach Inkrafttreten der 6. Ausgabe des Europäischen Arzneibuchs weiterhin unzulässig, da die technischen Regelungen des Europäischen Arzneibuches, wie diejenigen zur Methode der Schmelztemperaturbestimmung, ohne nationalstaatlichen Umsetzungsakt nicht unmittelbar gültiges Recht geworden seien. Auch wenn die automatische Bestimmung das klassische Verfahren in der pharmazeutischen Praxis weitgehend verdrängt haben möge und vielleicht auch dem Stand der Technik entspreche, sei sie bis zu einer Änderung der Eichordnung im Interesse des Verbraucherschutzes nicht anzuerkennen. Einschlägige europarechtliche Vorgaben gebe es nicht: Die Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 06.11.2011 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel, die als Ermächtigungsgrundlage für den Regelungskreis des Europäischen Arzneibuchs herangezogen werde, gelte gemäß ihrem Titel II, Artikel 3 weder für Arzneimittel, die in einer Apotheke nach ärztlicher Verschreibung für einen bestimmten Patienten zubereitet würden (sog. formular magistralis), noch für Arzneimittel, die in einer Apotheke nach Vorschrift einer Pharmakopöe zubereitet würden, die für die unmittelbare Abgabe an die Patienten bestimmt seien (formular officinalis). Im Unterschied zu einer Kalibrierung führe eine Eichung zu genaueren und länger gültigen Ergebnissen; als ein Resultat der Bauartzulassungsprüfung bei der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig ergebe sich ein Toleranzwert, nach dem sich richte, für welchen Zeitraum ein Eichergebnis Gültigkeit habe. Während eine Kalibrierung jährlich stattfinden müsse, könne eine Eichung regelmäßig Gültigkeit für zwei Jahre beanspruchen.
Der Beklagte beantragt,
unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils vom 26. Mai 2010 die Klage vollständig abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt ergänzend und ihr bisheriges Vorbringen vertiefend vor, dass der beanstandete Schmelzpunktbestimmer zwar nicht eichfähig sei, seine ordnungsgemäße Funktionsweise jedoch durch die jährliche Kalibrierung mit geeichten Substanzen gesichert werde. Solche Messgeräte würden bereits seit mehr als 15 Jahren in deutschen Apotheken verwendet und seien in Europa schon lange anerkannt. Vorliegend sei maßgeblich, dass der angegriffene Verwaltungsakt im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung infolge neuer Umstände rechtwidrig gewesen sei, denn eine eichrechtliche Zulässigkeit des automatischen Schmelzpunktbestimmers sei spätestens seit Inkrafttreten des 1. Nachtrags zur 6. Ausgabe des Europäischen Arzneibuches gegeben. Schon aus der Notwendigkeit seiner Bekanntmachung im Bundesanzeiger sei ersichtlich, dass das Europäische Arzneibuch eine Rechtsvorschrift sei, die ohne nationalstaatlichen Umsetzungsakt Gültigkeit erlange.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
I.
Gegenstand der Berufung ist die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nur insoweit, als sie auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgestellt und die Verfügung des Beklagten vom 05.11.2007 in Gestalt der Widerspruchsbescheide mit Wirkung zum 01.02.2009 aufgehoben hat. Denn soweit das Verwaltungsgericht die Verfügung für den früheren Zeitraum als rechtmäßig angesehen und die Klage insoweit abgewiesen hat, ist der Beklagte durch dieses Urteil als Rechtsmittelführer nicht beschwert. Eine Anschlussberufung nach§ 127 VwGO hat die Klägerin nicht eingelegt, sondern sie hat im Gegenteil mit Schriftsatz vom 04.10.2010 ausdrücklich erklärt, dass sie bereit sei, das erstinstanzliche Urteil "zu akzeptieren, obwohl sie sich gewünscht hätte, dass der Klage vollumfänglich stattgegeben werden würde."
II.
Die angefochtene Verfügung ist seit dem Inkrafttreten des 1. Nachtrags zur 6. Ausgabe des Europäischen Arzneibuches am 01.02.2009 rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
1.
Das Verwaltungsgericht hat für die Prüfung der Sach- und Rechtslage zu Recht (auch) auf den späteren Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abgestellt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gibt es keinen verwaltungsprozessrechtlichen Grundsatz des Inhalts, dass bei einer Anfechtungsklage die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts stets nur nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung zu beurteilen ist. Auf welche Sach- und Rechtslage bei der Beurteilung einer Anfechtungsklage abzustellen ist, bestimmt sich vielmehr in erster Linie nach dem einschlägigen materiellen Recht (BVerwG, Urt. v. 14.02.1975 - IV C 21.74 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 19, S. 1 <3>; BVerwG, Urt. v. 25.11.1981 - 8 C 14.81 -, BVerwGE 64, 218 <221 f.>; BVerwG, Urt. v. 29.09.1982 - 8 C 138.81 -, BVerwGE 66, 178 <182>). Im Zweifel gilt allerdings regelmäßig, dass bei der Anfechtung von Verwaltungsakten ohne Dauerwirkung die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgebend ist (BVerwG, Urt. v. 27.01.1993 — 11 C 35/92—, BVerwGE 92, 32 [BVerwG 27.01.1993 - 11 C 35/92]<35>; BVerwG, Urt. v. 14.12.1994 — 11 C 25/93—, BVerwGE 97, 214 <220 f.>; Nds.OVG, Urt. v. 21.04.2004 - 7 LC 98/02 -, NdsVBl. 2004, S. 301; Nds.OVG, Urt. v. 21.04.2005 - 7 LC 41/03 -, UPR 2006, 37 <38>). Bei Verwaltungsakten mit Dauerwirkung sind hingegen - je nach dem zeitlichen Umfang des Aufhebungsbegehrens - auch spätere Veränderungen der Sachlage bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung des Tatsachengerichts zu berücksichtigen (BVerwG, Urt. v. 14.12.1994 — 11 C 25/93—, BVerwGE 97, 214 [BVerwG 14.12.1994 - BVerwG 11 C 25.93]<220 f.>; Nds.OVG, Urt. v. 28.10.1996 — 3 L 5433/94—, NdsVBl 1997, 113).
Der angefochtene Bescheid beinhaltet nicht lediglich eine einmalige, stichtagsbezogene Regelung. Denn er erschöpft sich nicht nur in der Beanstandung; diese ist nur Folge des Verwendungsverbots nach § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 des Gesetzes über das Meß- und Eichwesen (Eichgesetz) - EichG - i.d.F. der Neubekanntmachung vom 23.03.1992 (BGBl. I S. 711), geändert durch Gesetz vom 02.02.2007( BGBl. I S. 58). Der Bescheid beinhaltet auch die Aufforderung, den beanstandeten Schmelzpunktbestimmer aus dem Betrieb zu entfernen, wie der Beklagte es in seinem Schriftsatz an das Verwaltungsgericht vom 02.03.2009 selbst zutreffend herausgearbeitet hat. Das solchermaßen mit dem Bescheid ausgesprochene Verwendungsverbot stellt einen Dauerverwaltungsakt dar, denn es erschöpft sich nicht in einer einmaligen Untersagung, sondern zeitigt Wirkungen, die nach ihrem Sinn und Zweck und dem insoweit maßgeblichen materiellen Recht wesensgemäß auf Dauer angelegt sind, weil sich die aus ihm folgende Rechtspflicht fortlaufend aktualisiert. Da sich dem Eichgesetz keine Bestimmungen entnehmen lassen, nach denen es abweichend von den vorstehend benannten Maßstäben zur Bestimmung der maßgeblichen Sach- und Rechtslage bei Anfechtungsklagen gegen Dauerverwaltungsakte auf einen früheren Zeitpunkt ankommen soll, sind auch nach Erlass der letzten behördlichen Entscheidung eingetretene Änderungen des materiellen Rechts für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Verfügung zu berücksichtigen.
2.
Die Verfügung des Beklagten, dessen Zuständigkeit sich aus Ziffer 3.7 der Verordnung über Zuständigkeiten auf dem Gebiet des Wirtschaftsrechts sowie in anderen Rechtsgebieten - ZustVO-Wirtschaft - vom 18.11.2004 (Nds.GVBl. S. 482) i.V.m. § 18 EichG und § 11 Nds.SOG ergibt, erweist sich nach der seit dem 01.02.2009 geltenden Rechtslage als rechtswidrig.
a.)
Nach § 18 EichG haben die Beauftragten der zuständigen Behörden die Befugnisse von Polizeibeamten zur Abwehr oder Unterbindung von Zuwiderhandlungen gegen dieses Gesetz oder gegen die aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen. Nach § 11 Nds.SOG i.d.F. vom 19.01.2005 (Nds.GVBl. S. 9) kann die Polizei die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine Gefahr abzuwehren. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
b)
Die Klägerin verstößt nicht gegen die Vorschrift des § 25 Abs. 1 S.1 Nr. 5 EichG. Nach dieser Vorschrift ist es verboten, Messgeräte zur Bestimmung der Masse, des Volumens, des Drucks, der Temperatur, der Dichte oder des Gehalts bei der Herstellung von Arzneimitteln in Apotheken auf Grund ärztlicher Verschreibung oder bei Analysen in pharmazeutischen Laboratorien ungeeicht zu verwenden oder so bereitzuhalten, dass sie ohne besondere Vorbereitung in Gebrauch genommen werden können, soweit nicht die Bundesregierung in einer Rechtsvorordnung nach § 2 eine neue Regelung trifft. Das beanstandete Gerät der Klägerin dient der Messung der Schmelztemperatur, mittels derer die Identität des Stoffes bestimmt werden kann. Eine solche Prüfung auf eine ordnungsgemäße Qualität der Ausgangsstoffe ist gemäß § 11 Abs. 1 S. 1 der Verordnung über den Betrieb von Apotheken (Apothekenbetriebsordnung) - ApBetrO - i.d. F. v. 26.09.1995 (BGBl. I S. 1195, zul. geändert durch Verordnung vom 02.12.2008, BGBl. I S. 2338) bei jeder Lieferung von Stoffen, die zur Herstellung von Arzneimitteln in der Apotheke verwendet werden, erforderlich. Das von der Klägerin hierzu verwendete automatische Schmelzpunktbestimmgerät ist zwar ungeeicht, aber es wird vom Verwendungsverbot des § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 EichG nicht umfasst.
aa)
Dies folgt allerdings nicht aus der "soweit"-Einschränkung im letzten Halbsatz des § 25 Abs. 1 Nr. 5 EichG, derzufolge die Verwendungsverbote des § 25 Abs. 1 S. 1 EichG nicht gelten, soweit nicht die Bundesregierung "in einer Rechtsverordnung nach § 2 eine neue Reglung trifft." Diese Rückverweisung bezieht sich auf die Ermächtigungsgrundlagen zum Rechtsverordnungserlass nach § 2 Abs. 2 und 3 EichG. Nach § 2 Abs. 1 S. 1 EichG müssen Messgeräte, die im geschäftlichen oder amtlichen Verkehr, Arbeitsschutz, Umweltschutz oder Strahlenschutz oder im Verkehrswesen verwendet werden, zugelassen und geeicht sein, sofern dies zur Gewährleistung der Messsicherheit erforderlich ist. Nach § 2 Abs. 2 EichG darf die Bundesregierung zur Gewährleistung der Messsicherheit bestimmten, welche Messgeräte nur in den Verkehr gebracht, in Betrieb genommen, bereitgehalten oder verwendet werden dürfen, wenn sie zugelassen oder geeicht sind. Die auf Grundlage des § 2 Abs. 2 EichG erlassene Eichordnung (EichO) vom 12.08.1988 (BGBl. I S. 1657, zul. geänd. d. VO v. 06.06.2011, BGBl. I S. 1035) füllt damit hinsichtlich der Notwendigkeit einer Zulassung und Eichung von Messgeräten den Rahmen des § 2 Abs. 1 S. 1 EichG näher aus (Ambs, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Stand: 188. EL 2012, § 2 EichG, Rn. 1), indem sie regelt, dass nur durch die Festlegung in dieser Rechtsverordnung das Erfordernis der Eichung eines Gerätes entfallen kann. Ein automatischer Schmelzpunktbestimmer fällt aber nicht unter die gemäß § 8 i.V.m. Anhang A EichO von der Eichpflicht ausgenommenen Messgeräte.
bb)
Das Verbot des § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 EichG gilt für das vorliegend streitgegenständliche automatische Schmelzpunktbestimmgerät aber seit dem Inkrafttreten des 1. Nachtrags zur 6. Ausgabe des Europäischen Arzneibuches in Deutschland nicht mehr, weil es dadurch eine Regelung "in anderen Rechtsvorschriften" im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 2 EichG erfahren hat.
Die vorerwähnte Pflicht des § 2 Abs. 1 S. 1 EichG, nach der Messgeräte zugelassen und geeicht sein müssen, sofern dies zur Gewährleistung der Messsicherheit erforderlich ist, gilt gemäß § 2 Abs. 1 S. 2 EichG auch für Messgeräte im Gesundheitsschutz, soweit sie nicht in anderen Rechtsvorschriften geregelt sind. Automatische Schmelzpunktbestimmungsgeräte sind als Messgeräte im Gesundheitsschutz anzusehen, da ausweislich der Gesetzesbegründung zum Dritten Gesetz zur Änderung des Eichgesetzes zu den in § 2 Abs. 1 EichG genannten Messgeräten im Gesundheitsschutz neben den medizinischen Messgeräten auch Messgeräte gehören, "die bei der Herstellung und Prüfung von Arzneimitteln verwendet werden" (Begr. des RegE, BR-Drs 185/91, S. 21).
Der Zusatz des Satzes 2 für Messgeräte im Gesundheitsschutz wurde durch Art. 7 Nr. 1 Buchst. b) des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Medizinproduktegesetzes (2. MPG-ÄndG) vom 13.12.2001 (BGBl. I S. 3586) eingefügt. Damit sollte der weitgehenden Überführung der ehemals eichrechtlichen Regelungen für medizinische Messgeräte in das Gesetz über Medizinprodukte (Medizinproduktegesetz) - MPG - in der Fassung der Bekanntmachung v. 07.08.2002 (BGBl. I S. 3146, zul. geänd. d. G. v. 24.07.2010 (BGBl. I S. 983) Rechnung getragen werden, während "Messgeräte zur Herstellung und Prüfung von Arzneimitteln" nach der Gesetzesbegründung zunächst weiterhin dem Eichgesetz unterliegen sollten (Begr. des RegE, BT-Drs. 14/6281, S. 40). Dies folgt auch aus§ 3 MPG, welcher Messgeräte zur Herstellung und Prüfung von Arzneimitteln nicht aufführt. Vor diesem entstehungsgeschichtlichen Kontext wird deutlich, dass es zumindest missverständlich ist, wenn das Verwaltungsgericht die Bestimmung des§ 2 Abs. 1 S. 2 EichG in der Weise versteht, dass in anderen Normen außerhalb des Eichgesetzes Bestimmungen hinsichtlich der konkreten Eichpflicht von Messgeräten im Gesundheitsschutz getroffen werden können. Es geht hier nicht lediglich um abweichende Regelungen bezüglich der konkreten Eichpflicht, vor allem mit Blick auf Ausnahmen vom Verwendungsverbot des § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 - 5 EichG. Denn es ist die Intention des Satzes 2, gewisse Messgeräte im Gesundheitsschutz per se aus dem Anwendungsbereich des EichG auszunehmen, da sie an anderer Stelle der Rechtsordnung geregelt sind. Diese Lesart erschließt sich aus dem Kontext zur geschilderten Neuregelung imMPG und ist auch der Systematik sowie dem Wortlaut des Satzes 2 zu entnehmen ("soweit sie [die Messgeräte im Gesundheitsschutz] nicht in anderen Rechtsvorschriften geregelt sind").
Die Funktion, in anderen Normen als dem EichG Bestimmungen hinsichtlich der konkreten Eichpflicht von Geräten (hier bei der Herstellung von Arzneimitteln in Apotheken abweichend von § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 EichG) zu treffen, ist vielmehr dem Abs. 2 zugewiesen; nach Abs. 1 Satz 2 können bestimmte Messgeräte im Gesundheitsschutz hingegen generell aus dem Anwendungsbereich des EichG ausgenommen werden.
Auch wenn der Gesetzgeber bei der Schaffung des Satzes 2 zentral das Medizinproduktegesetz im Blick hatte, ergibt sich aus der offenen Formulierung "andere Rechtsvorschriften" und dem dabei verwendeten Plural, dass die Vorschrift so gestaltet wurde, um eine weitergehende Möglichkeit zur Regelung von Messgeräten im Gesundheitsschutz außerhalb des Eichgesetzes zu eröffnen. Solche anderen "Rechtsvorschriften" im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 2 EichG können allerdings nur rechtsverbindliche staatliche Außenrechtssätze sein, also sowohl Gesetze als auch Rechtsverordnungen. Dies entspricht dem üblichen juristischen Sprachgebrauch und es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, warum es an dieser Stelle anders sein sollte.
Aus diesem Grund geht die Annahme des Verwaltungsgerichts fehl, es handele sich bei dem Europäischen Arzneibuch um eine Rechtsvorschrift im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 2 EichG. Die für die Bestimmung seines Rechtscharakters zentrale Aussage zum Arzneibuch findet sich in § 55 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz) - AMG - in der Fassung der Bekanntmachung v. 17.07.2009 (BGBl. I S. 1990). Nach § 55 Abs. 1 und 2 AMG ist das Arzneibuch eine vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte im Einvernehmen mit dem Paul-Ehrlich-Institut und dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit bekanntgemachte Sammlung anerkannter pharmazeutischer Regeln über die Qualität, Prüfung, Lagerung, Abgabe und Bezeichnung von Arzneimitteln und den bei ihrer Herstellung verwendeten Stoffen, die von der Europäischen Arzneibuch-Kommission oder der Deutschen Arzneibuch-Kommission beschlossen werden. Diese Kommissionen setzen sich wiederum aus sachverständigen Mitgliedern der medizinischen und pharmazeutischen Wissenschaft, der Heilberufe, der beteiligten Wirtschaftskreise und der Arzneimittelüberwachung zusammen (vgl. § 55 Abs. 4 AMG für die Deutsche Arzneibuch-Kommission). "Das" Arzneibuch besteht heutzutage aus mehreren Bestandteilen: dem Deutschen (aktuell: DAB 2011), Europäischen (aktuell: 7. Ausgabe) und dem Homöopathischen Arzneibuch (aktuell: HAB 2010), wobei die Regelungen im Deutschen Arzneibuch diejenigen des Europäischen Arzneibuchs, das den allgemein in Europa üblichen Standard abbildet, ergänzen (vgl. Blattner, in: Kügel/Müller/Hofmann, AMG, 2012, § 55 Rn. 1, 6 f.). Bereits die gesetzliche Umschreibung in § 55 AMG zeigt, dass es sich beim Arzneibuch sachlich lediglich um eine Zusammenstellung sachverständiger Regeln handelt, die arzneimittelrechtlich als ein antizipiertes Sachverständigengutachten aufgefasst werden kann, das - ähnlich den DIN-Normen oder VDI-Richtlinien in anderen Rechtsbereichen - den jeweils allgemein bekannten Stand der Erkenntnisse über die pharmazeutischen Grundregeln zusammenfasst, nicht jedoch die Qualität einer Rechtsvorschrift im oben bezeichneten Sinn aufweist (Rehmann, AMG, 3. Aufl. 2008, § 55 Rn. 1; Heßhaus, in: Spickhoff, Medizinrecht, 2011, § 55 AMG, Rn. 2). Dies zeigt sich insbesondere auch daran, dass die für die formelle Verbindlichkeit des Europäischen Arzneibuchs in Deutschland notwendige Bekanntmachung der jeweils neuesten Fassung und ihrer Nachträge im Bundesanzeiger erfolgt (§ 55 Abs. 7 AMG), während "Rechtsvorschriften" im oben beschriebenen Sinn im Bundesgesetzblatt bzw. den entsprechenden Publikationsorganen der Länder verkündet werden. In der Sache wird das Arzneibuch auch nicht, wie dies bei Rechtsvorschriften der Fall ist, im vollen Wortlaut veröffentlicht, sondern es wird in der Bekanntmachung lediglich auf eine Bezugsmöglichkeit verwiesen (vgl. aktuell die Bekanntmachung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte zum Europäischen Arzneibuch, 7. Ausgabe, 2. Nachtrag, amtliche deutsche Ausgabe vom 25. April 2012 - BAnz AT 10.05.2012 B7 - unter Nr. 7: "Das Europäische Arzneibuch ... kann beim Deutschen Apotheker Verlag bezogen werden"). Mangels Rechtsnormcharakters des Europäischen Arzneibuchs ist ein über die Bekanntmachung hinausgehender weiterer nationalstaatlicher Umsetzungsakt, wie er etwa im Falle von Richtlinien den Unionsrechts (vgl. Art. 288 Abs. 3 AEUV) erforderlich ist, nicht nötig, um den im Arzneibuch getroffenen sachverständigen Festlegungen Geltung zu verschaffen. Die noch in § 55 Abs. 2 AMG a.F. enthaltene Maßgabe, das Arzneibuch durch Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Gesundheit als Rechtsnorm zu erlassen und auf diesem Wege seinen verbindlichen Inhalt zu bestimmen, ist bereits mit dem 5. Änderungsgesetz zum Arzneimittelgesetz vom 09.08.1994 (BGBl. I 1994, S. 2071), also vor rund 18 Jahren, entfallen. Die damalige Begründung des Gesetzentwurfs (BR-Drucks. 565/93, S. 65 f.), stützt das hier gefundene Auslegungsergebnis:
"Das Arzneibuch soll nach dem Vorbild des Deutschen Lebensmittelbuches als amtliche Sammlung von Qualitätsnormen ausgestaltet werden. Eine solche Sammlung der anerkannten pharmazeutischen Regeln ohne Rechtsverordnungscharakter genügt den fachlichen Anforderungen, weil diese Regeln als "präfabrizierte" Sachverständigengutachten fachlich Geltung beanspruchen. Der Verzicht auf den Rechtsverordnungscharakter erlaubt eine raschere Umsetzung von Monographien des Europäischen Arzneibuchs.
In Absatz 8 wird weitgehend übereinstimmend mit dem bisherigen Absatz 3 ein Herstellungs- und Verkehrsverbot für Arzneimittel bestimmt, die nicht den anerkannten pharmazeutischen Regeln entsprechen. Diese Regeln ergeben sich grundsätzlich aus dem Arzneibuch."
Eine Regelung "in anderen Rechtsvorschriften" im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 2 EichG ergibt sich jedoch aus der Verordnung über den Betrieb von Apotheken (Apothekenbetriebsordnung) - ApBetrO - in der Fassung der Bekanntmachung vom 26.09.1995 (BGBl. I, 1195), zuletzt geändert durch Verordnung vom 05.06.2012 (BGBl. I, 1254), in Verbindung mit dem Europäischen Arzneibuch. Die ApBetrO ist als Rechtsverordnung des Bundesgesundheitsministers eine "Rechtsvorschrift" im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 2 EichG. Sie enthält selbst zwar auch keine Bestimmungen, die sich unmittelbar mit Messgeräten zur Herstellung und Prüfung von Arzneimitteln beschäftigen, doch fordert § 11 Abs. 1 S. 1 ApBetrO, dass zur Herstellung von Arzneimitteln nur Ausgangsstoffe verwendet werden dürfen, deren ordnungsgemäße Qualität festgestellt ist. Zur Qualitätsbeurteilung ist die Bestimmung des Schmelzpunktes des Stoffes mit Hilfe eines Schmelzpunktbestimmungsgerätes notwendig, da auf diesem Wege die Identität eines Stoffes ermittelt werden kann. § 11 Abs. 1 S. 2 ApBetrO schreibt vor, dass auf die Prüfung der Ausgangsstoffe die Vorschriften des § 6 Abs. 1 und 3 ApBetrO entsprechende Anwendung finden. Nach § 6 Abs. 1 S. 1 und 2 ApBetrO müssen in einer Apotheke hergestellte Arzneimittel die nach der pharmazeutischen Wissenschaft erforderliche Qualität aufweisen. Sie sind nach den anerkannten pharmazeutischen Regeln herzustellen und zu prüfen; enthält das Arzneibuch entsprechende Regeln, sind die Arzneimittel nach diesen Regeln herzustellen und zu prüfen. Damit sind auch die verwendeten Prüfgeräte erfasst, zu denen auch die Messgeräte zur Bestimmung des Schmelzpunktes gehören. Dies ergibt sich schon aus der Regelung des S. 3 der Vorschrift, nach der für die Prüfung unter näher bestimmten Voraussetzungen auch andere Geräte benutzt werden können als im Deutschen Arzneibuch beschrieben.
Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass das Europäische Arzneibuch früher keine Ausführungen zur Bestimmung der Schmelztemperatur mit Hilfe von Automaten oder Halbautomaten enthielt, sondern lediglich das klassische, mit Heizbad und Thermometer arbeitende Verfahren "Schmelztemperatur - Kapillarmethode" (2.2.14) beschrieb. Erst seit Inkrafttreten des 1. Nachtrags zur 6. Ausgabe am 01.02.2009 enthält es eine Beschreibung der Messung der Schmelztemperatur mit einer instrumentellen Methode, die sich auch auf den beanstandeten Schmelzpunktbestimmer der Klägerin bezieht (vgl. Ziffer "2.2.60 Schmelztemperatur - instrumentelle Methode, Kz. 6.1/2.02.60.00 auf S. 4437 f. der 6. Ausgabe des Europäischen Arzneibuchs). Dabei werden zur Gewährleistung eines sicheren Messergebnisses im Europäischen Arzneibuch strenge Anforderungen an die Kalibrierung und die Eignungsprüfung gestellt (a.a.O., S. 4438). Indem § 6 Abs. 1 ApBetrO auf die im Arzneibuch niedergelegten anerkannten pharmazeutischen Regeln Bezug nimmt, werden diese zwar nicht selbst zu Rechtsvorschriften im oben bezeichneten Sinn, doch inkorporiert er ihren speziellen Regelungsgehalt im Wege der Verweisung als Inhalt der ApBetrVO. Durch diese Inkorporierung der gerätebezogenen Bestimmungen des Europäischen Arzneibuchs werden die §§ 11 Abs. 1, 6 Abs. 1 ApBetrVO zu einer Regelung im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 2 EichG, die Messgeräte im Gesundheitsschutz einer Regelung in anderen Rechtsvorschriften außerhalb des EichG zuführt.
cc)
Eine abweichende Beurteilung ergibt sich nicht aus dem Unionsrecht. Der Beklagte hat zutreffend darauf hingewiesen, dass dieRichtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 06.11.2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. L 311 vom 28.11.2001, S. 67), in der verschiedene Richtlinien aufgegangen sind und die als Grundlage für das Europäischen Arzneibuches dient, in Titel II, Artikel 3 Nr. 1 und 2 die Einschränkung aufweist, dass sie sowohl nicht für Arzneimittel gilt, die in einer Apotheke nach ärztlicher Verschreibung für einen bestimmten Patienten zubereitet werden (sog. formula magistralis) als auch nicht für in der Apotheke nach Vorschrift einer Pharmakopöe zubereitete Arzneimittel, die für die unmittelbare Abgabe an die Patienten bestimmt sind, die Kunden dieser Apotheke sind (sog. formula officinalis). Ebenso dürfte mit dem Beklagten davon auszugehen sein, dass der Hauptanwendungsbereich der Schmelztemperaturbestimmung im Betrieb einer öffentlichen Apotheke bei der individuellen Herstellung von Medikamenten liegt. Für andere (Verkaufs-) Tätigkeiten im Rahmen des Apothekenbetriebs ist ein Schmelzpunktbestimmer nicht notwendig. Aufgrund dieser faktischen Einschränkung läuft die Regelung "Schmelztemperatur - instrumentelle Methode" (2.2.60) des 1. Nachtrags zur 6. Ausgabe des Europäischen Arzneibuches aber nicht leer, da diese Geräte auch in der pharmazeutischen Industrie zur Identifizierung von Ausgangsstoffen verwendet werden (vgl. Albert, Europäisches Arzneibuch - 1. Nachtrag in Kraft getreten, in: Pharmazeutische Zeitung online, http://www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=29012). Die vom Beklagten gezogene Schlussfolgerung, dass somit die Regelung des Europäischen Arzneibuches hinsichtlich der automatischen Schmelzpunktbestimmer in Apotheken keine Anwendung finde, ist jedoch nicht zutreffend. Wenn aufgrund der Einschränkungen in Titel II Artikel 3 der Richtlinie eine Festlegung der erforderlichen Vorschriften zur Qualitätssicherung bei der individuellen Herstellung von Medikamenten in Apotheken allein Sache des nationalen Gesetzgebers ist, kann er seiner Aufgabe nicht nur durch den Erlass eigener Vorschriften nachkommen, sondern auch dadurch, dass er durch Verweisung auf das Europäische Arzneibuch dessen Bestimmungen erweiternd auch für die Herstellung und Prüfung von Arzneimitteln in Apotheken für anwendbar erklärt. Diesen letzteren Weg hat der Deutsche Gesetzgeber mit § 6 Abs. 1 S. 2 ApBetrO gewählt. Anderenfalls würde die Vorschrift des § 6 Abs. 1 ApBetrO, der sich mit der Herstellung und Prüfung von Arzneimitteln in Apotheken beschäftigt und sich dabei auf die Regeln des Arzneibuches bezieht, weitgehend leerlaufen, da genau dieser Bereich bereits durch die Richtlinie ausgeklammert wäre.
dd)
Auch die Kostenentscheidung des Verwaltungsgerichts ist rechtlich nicht zu beanstanden, da sie den Anforderungen des § 155 Abs. 1 S. 1 VwGO Rechnung trägt und die Kostenteilung eine logische Konsequenz aus der in zeitlicher Hinsicht nur teilweisen Aufhebung des Bescheids ist.