Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 21.05.2012, Az.: 10 PA 70/12

Prozesskostenhilfe im Zusammenhang mit der Gewährung einstweiligen Rechtschutzes zur Vorlage einer Eingabe einem Rat in dessen nächster Sitzung zur Bescheidung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
21.05.2012
Aktenzeichen
10 PA 70/12
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2012, 16426
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2012:0521.10PA70.12.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Göttingen - 09.05.2012 - AZ: 1 B 105/12

Fundstelle

  • FStNds 2012, 705-706

Redaktioneller Leitsatz

Aus § 34 NKomVG ergibt sich kein Anspruch darauf, dass die Anregung (Eingabe) eines Petenten gerade in der nächsten Sitzung des Rates zur Bescheidung vorzulegen ist.

Beschluss

1

Die gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe gerichtete Beschwerde des Antragstellers ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.

2

Nach § 166 VwGO in Verbindung mit § 114 Satz 1 ZPO erhält eine bedürftige Partei Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Durch diese Bestimmungen wird eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes gewährleistet. Verfassungsrechtlich unbedenklich ist, die Gewährung von Prozesskostenhilfe von den angeführten Voraussetzungen abhängig zu machen. Die Prüfung der Erfolgsaussicht soll jedoch nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen. Dem genügt das Gesetz in § 114 ZPO, indem es die Gewährung von Prozesskostenhilfe bereits dann vorsieht, wenn nur hinreichende Erfolgsaussichten für den beabsichtigten Rechtsstreit bestehen, ohne dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss. Die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dürfen dabei nicht überspannt werden (BVerfG, Kammerbeschluss vom 7. Februar 2012 - 1 BvR 1263/11 -, [...] mit weiteren Nachweisen der Rechtsprechung des BVerfG). Als Fallgruppe, bei der regelmäßig von einer hinreichenden Aussicht auf Erfolg ausgegangen werden kann, hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung solche Sachlagen anerkannt, bei denen die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung einer schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt. Danach muss Prozesskostenhilfe nicht schon dann gewährt werden, wenn die entscheidungserhebliche Rechtsfrage zwar noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ihre Beantwortung aber im Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung oder die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen nicht in dem genannten Sinne als "schwierig" erscheint. Nur wenn diese Voraussetzungen vorliegen, läuft es dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider, den Unbemittelten wegen fehlender Erfolgsaussicht ihres Begehrens Prozesskostenhilfe vorzuenthalten (BVerfG, Beschluss vom 7. Februar 2012, a.a.O.).

3

Nach Maßgabe dessen hat das Verwaltungsgericht zu Recht den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.

4

Unabhängig davon, dass der Antragsteller seine Bedürftigkeit nicht hinreichend dargelegt hat (die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers ist unvollständig und in wesentlichen Teilen unleserlich), sind die Anforderungen an den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO in der Rechtsprechung geklärt. Auch mit Blick auf den geltend gemachten Anspruch nach § 34 Satz 1 Nds. Kommunalverfassungsgesetz (NKomVG) vom 17. Dezember 2010 (Nds. GVBl. S. 576) stellen sich keine schwierigen Rechtsfragen im o. a. Sinne.

5

Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Voraussetzung hierfür ist, dass der Antragsteller einen Anordnungsanspruch - das Bestehen eines subjektiv-öffentlichen Rechts auf das begehrte Verwaltungshandeln - und einen Anordnungsgrund - die Unzumutbarkeit, eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren abzuwarten - glaubhaft gemacht hat (§§ 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Dem Wesen und dem Zweck einer einstweiligen Anordnung entsprechend kann das Gericht grundsätzlich nur eine vorläufige Regelung treffen und dem Antragsteller nicht schon in vollem Umfang das gewähren, was er nur in einem Hauptsacheverfahren erreichen könnte. Hieraus folgt das Verbot, durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung die Hauptsacheentscheidung endgültig vorwegzunehmen; eine solche Vorwegnahme liegt nur dann vor, wenn die Entscheidung und ihre Folgen aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen auch nach der Hauptsacheentscheidung nicht mehr rückgängig gemacht werden können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. März 2009 - 2 BvR 2347/08 -, [...]; BVerwG, Beschluss vom10. Februar 2011 - BVerwG 7 VR 6.11 -, [...]; Beschluss vom13. August 1999 - BVerwG 2 VR 1.99 -, BVerwGE 109, 258; Beschluss vom 14. Dezember 1989 - BVerwG 2 ER 301.89 -, Buchholz 310 § 123 VwGO Nr. 15; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 17. Aufl. 2011, § 123 Rdnr. 13 ff.; Happ, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 123 Rdnr. 66a). Einem solchen, die Hauptsache vorweg nehmenden Antrag ist im Verfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO nur ausnahmsweise dann stattzugeben, wenn das Abwarten in der Hauptsache für den Antragsteller schwere und unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile zur Folge hätte (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Februar 2011, a.a.O. mit weiteren Nachweisen der Rechtsprechung). Dabei ist dem jeweils betroffenen Grundrecht und den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes Rechnung zu tragen. Weitere Voraussetzung ist, dass das Begehren in der Hauptsache schon aufgrund der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes lediglich anzustellenden summarischen Prüfung bei Anlegung eines strengen Maßstabes an die Prüfung der Erfolgsaussichten erkennbar Erfolg haben muss (BVerwG, Beschlüsse vom 14. Dezember 1989 und vom 13. August 1999, a.a.O.; Schenke, a.a.O., § 123 Rdnr. 13).

6

Mit dem Antrag, der Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung aufzugeben, die Eingabe dem Rat der Antragsgegnerin, hilfsweise dem zuständigen Ausschuss, in seiner nächsten Sitzung zur Bescheidung vorzulegen, begehrt der Antragsteller keine vorläufige Maßnahme, sondern eine endgültige Vorwegnahme der Entscheidung in der Hauptsache. Indes hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, dass ihm bei einem Abwarten auf die Entscheidung in einem etwaigen Hauptsacheverfahren unzumutbare, auch nach einem Erfolg in diesem Verfahren nicht mehr zu beseitigende Nachteile drohen. Allein der Verweis des Antragstellers darauf, dass er aller Voraussicht nach einen Anordnungsanspruch habe, genügt - wie aufgezeigt - nicht. Da nach dem unwidersprochen gebliebenen Vorbringen der Antragsgegnerin keine ihrer Bediensteten eine Ganzkörperverschleierung (Burka) trägt, ist nicht ersichtlich, dass dem Antragsteller bei Abwarten auf die Entscheidung in einem etwaigen Hauptsacheverfahren unzumutbare und im Falle eines Obsiegens irreversible Nachteile drohen. Daneben hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, dass sein Begehren in der Hauptsache bei Anlegen des gebotenen strengen Maßstabes an die Prüfung der Erfolgsaussichten erkennbar Erfolg haben muss. Einen Anspruch darauf, dass die Anregung (Eingabe) eines Petenten gerade in der nächsten Sitzung des Rates zur Bescheidung vorzulegen ist, ergibt sich aus § 34 NKomVG nicht. Weder Art. 17 GG noch § 34 NKomVG enthalten nähere Bestimmungen über das Verfahren, in welcher Weise und welchem Umfang der Rat die Petition zu prüfen hat; dies hängt u.a. von deren Inhalt ab (vgl. Wefelmeier, in: Kommunalverfassungsrecht Niedersachsen, § 22c NGO Rdnr. 20). Zudem erscheint es zweifelhaft, ob es sich bei dem Anliegen des Antragstellers um eine "Angelegenheit der Kommune" handelt (verneinend: VG Koblenz, Beschluss vom 27. März 2012 - 1 L 246/12.KO - und VG Trier, Beschluss vom 3. April 2012 - 1 L 307/12.TR); der vom Antragsteller geltend gemachte Anspruch nach § 34 Satz 1 NKomVG setzt aber voraus, dass es sich um eine Anregung in solchen Angelegenheiten handelt.