Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 01.06.2010, Az.: 13 AR 2/10

Zuständigkeit des Kartellsenats des Oberlandesgerichts für die Zuständigkeitsbestimmung nach§ 36 Zivilprozessordnung (ZPO)

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
01.06.2010
Aktenzeichen
13 AR 2/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 17385
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2010:0601.13AR2.10.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - AZ: 21 O 16/10

Amtlicher Leitsatz

Die ausschließliche Zuständigkeit des landesweit für Kartellzivilsachen zuständigen Kartellsenats des Oberlandesgerichts umfasst in entsprechender Anwendung der § 87 Abs. 1, § 91 GWB auch die Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO und geht insoweit der Zuständigkeit des ansonsten nach § 36 Abs. 2 ZPO berufenen Oberlandesgerichts vor.

Tenor:

Das Amtsgericht Göttingen ist zuständig.

Gründe

1

I. Die Klägerin, ein Energieversorgungsunternehmen, nimmt die Beklagte auf Zahlung von offenen Rechnungsbeträgen in Höhe von 573,17 € aus den Abrechnungen der Jahre 2005 - 2008 in Anspruch.

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Sie stützt ihren Anspruch auf den mit der Beklagten geschlossenen Strom und Gaslieferungsvertrag. Die Beklagte hält die Erhöhungen des Arbeitspreises für Erdgas in dem von der Klägerin vorgenommenen Umfang für unberechtigt und fordert von ihr eine Offenlegung ihrer Kalkulationsgrundlage. Auf die Verfügung des Amtsgerichts Göttingen vom 8. Februar 2010, in der das Gericht die von der Beklagten vorgebrachten Einwände als Geltendmachung kartellrechtlicher Verstöße nach §§ 19, 20 GWB bewertete, die gem. den §§ 87, 89 GWB i. V. m. § 14 Abs. 1 Nr. 1 Nds. ZustVO-Justiz in die ausschließliche Zuständigkeit der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Hannover fielen, hat die Klägerin hilfsweise die Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Hannover beantragt. Zugleich hat sie aber darauf hingewiesen, dass eine kartellrechtliche Zuständigkeit mangels hinreichend substantiierten Tatsachenvortrags nicht in Betracht komme. Ohne weitere Begründung hat das Amtsgericht Göttingen sich mit Beschluss vom 2. März 2010 für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Hannover, 1. Kammer für Handelssachen, verwiesen.

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Die 21. Zivilkammer (1. Kammer für Handelssachen) des Landgerichts Hannover hat sich nach Anhörung der Parteien mit Beschluss vom 1. April 2010 ebenfalls für sachlich unzuständig erklärt und den Kartellsenat des Oberlandesgerichts Celle um Bestimmung des zuständigen Gerichts gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ersucht. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass seine Zuständigkeit nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 der Nds. ZustVO-Justiz (jetzt: § 7 Abs. 1 Nr. 1 Nds. ZustVOJustiz n. F.) nicht gegeben sei, da die Klage weder auf einer kartellrechtlichen Anspruchsgrundlage beruhe, noch kartellrechtliche Fragen von den Parteien zur Begründung ihrer Forderung oder ihrer Einwendung geltend gemacht worden seien. Dem Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Göttingen komme keine Bindungswirkung i. S. des § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO zu, da die Verweisung mangels Parteivorbringens mit kartellrechtlichem Bezug objektiv willkürlich erscheine.

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II. 1. Der Kartellsenat des Oberlandesgerichts Celle ist gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO i. V. m. § 91 GWB entsprechend für die Zuständigkeitsbestimmung zuständig.

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Zwar sieht § 36 Abs. 2 ZPO grundsätzlich vor, dass in den Fällen, in denen nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO der Bundesgerichtshof für die Bestimmung von Landgerichten und Amtsgerichten verschiedener Oberlandesgerichtsbezirke zuständig wäre, an dessen Stelle nunmehr dem Oberlandesgericht die Zuständigkeitsbestimmung obliegt, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befasste Gericht gehört. In Kartellsachen geht die gesetzliche Zuständigkeit des Kartellsenats analog § 87 Satz 1, § 91 GWB aber derjenigen der allgemeinen Zivilsenate auch in Frage der Zuständigkeitsbestimmung vor. Demzufolge hat der Kartellsenat eines Oberlandesgerichts, bei dem die Kartellzivilsachen durch Rechtsverordnung nach § 92 Abs.1 i.V.m. § 93 GWB in einem Land konzentriert sind, als das nächst höhere Gericht auch dann zu entscheiden, wenn zwei Landgerichte desselben Oberlandesgerichtsbezirks über die kartellrechtliche Zuständigkeit streiten und dasübergeordnete (gemeinsame) Oberlandesgericht keinen Kartellsenat hat (Dicks in: Loewenheim/MeessenRiesenkampff, Kartellrecht 2. Aufl. § 87 Rdn. 29 mit Hinweis auf: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18. Juli 2005 - VIW (Kart) 6/05). Dasselbe gilt, wenn - wie hier - die beiden über die kartellrechtliche Zuständigkeit streitenden Gerichte zu unterschiedlichen Oberlandesgerichtsbezirken eines Landes gehören, allerdings bei einem Oberlandesgericht die Kartellsachen landesweit konzentriert sind. Da der erkennende Kartellsenat des Oberlandesgerichts Celle gemäß § 7 Abs. 2 i.V.m Abs.1 Nr. 1 der Niedersächsischen Verordnung zur Regelung der Zuständigkeiten in der Gerichtsbarkeit und der Justizverwaltung vom 18. Dezember 2009 - ZustVOJustiz, (früher:§ 14 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 Nds. ZustVOJustiz a. F.) aufgrund der landesweit erstinstanzlichen Zuständigkeit des in seinem Bezirk gelegenen Landgerichts Hannover in Kartellzivilsachen ausschließlich nach § 95 GWB für diese Entscheidungen in Niedersachsen zuständig ist, geht diese ausschließliche Zuständigkeit nach § 91 GWB i. V. m. § 87 GWB analog der Zuständigkeit des ansonsten nach§ 36 Abs. 2 ZPO berufenen Oberlandesgerichts Braunschweig vor.

6

2. Das für den Rechtsstreit zuständige Gericht ist gem.§ 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu bestimmen, nachdem sich sowohl das Amtsgericht Göttingen als auch das Landgericht Hannover für unzuständig erklärt haben.

7

Das Amtsgericht Göttingen ist gem. § 23 Nr. 1 GVG, § 13 ZPO sachlich und örtlich zuständig, da eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit mit einem unter 5.000 € liegenden Streitwert gegeben ist, für die keine besondere Zuständigkeitsregelung gilt, und die Beklagte im dortigen Gerichtsbezirk wohnt. Die Zuständigkeit des Amtsgerichts ist weder durch§ 87 GWB noch durch § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO ausgeschlossen.

8

a) Die Voraussetzungen für eine ausschließliche Zuständigkeit des Landgerichts Hannover nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 Nds. ZustVOJustiz (früher: § 14 Abs. 1 Nr. 1 Nds. ZustVOJustiz a. F.) ist nicht gegeben. Danach müsste der Rechtsstreit die Anwendung des GWB betreffen (§ 87 Abs. 1 Satz 1 GWB) oder teilweise von einer Entscheidung abhängen, die nach dem GWB zu treffen ist (§ 87 Abs. 1 Satz 2 GWB). Die kartellrechtliche Vorfrage müsste auf einem entsprechenden Tatsachenvortrag beruhen (Karsten Schmidt in: Immenga/Mestmäcker, GWB 4. Aufl., § 87 Rdnr. 24) und zudem entscheidungserheblich sein. Das ist vorliegend nicht der Fall. Die Klägerin stützt sich weder auf kartellrechtliche Anspruchsgrundlagen noch wird das Kartellrecht in irgendeiner Form zur Begründung des geltend gemachten Klageanspruchs herangezogen. Auch die Beklagte beruft sich nicht auf einen Einwand aus dem Kartellrecht. Sie verlangt lediglich eine vollständige und nachvollziehbare Offenlegung der Kalkulationsgrundlagen der Klägerin, um deren Berechtigung zur einseitigen Preisanpassung überprüfen zu können, und macht damit die Unbilligkeit der von der Klägerin vorgenommenen einseitigen Anpassung des Arbeitspreises für Gas nach § 315 Abs. 3 BGB geltend.

9

b) Die Zuständigkeit des Landgerichts Hannover ergibt sich auch nicht aus dem Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Göttingen, weil diesem keine Bindungswirkung zukommt.

10

Zwar sind Verweisungsbeschlüsse grundsätzlich unanfechtbar (§ 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO) und für das Gericht, an das die Verweisung erfolgt, bindend (§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO). Das entzieht auch einen sachlich zu Unrecht erlassenen Verweisungsbeschluss grundsätzlich jeder Nachprüfung (BGHZ 102, 338, 340). Ausnahmsweise besteht aus rechtsstaatlichen Gründen aber dann keine Bindung, wenn der Verweisung jede rechtliche Grundlage fehlt, sodass sie als objektiv willkürlich erscheint (BGH, Beschlüsse vom 10. Juni 2003 - X ARZ 92/03, NJW 2003, 3201, und vom 27. Mai 2008 - X ARZ 45/08, NJWRR 2008, 1309).

11

Nach diesen Grundsätzen entfaltet der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Göttingen keine Bindungswirkung. Das ergibt sich schon daraus, dass der Verweisungsbeschluss keine Begründung enthält und daher nicht erkennen lässt, dass sich das Gericht mit den Voraussetzungen für die Annahme einer kartellrechtlichen Frage überhaupt auseinandergesetzt hat (vgl. OLGR Brandenburg 2007, 277). Auf die von der Klägerin dazu zitierte Rechtsprechung geht das Amtsgericht mit keinem Wort ein. Darüber hinaus sind dem Parteivorbringen keine Anhaltspunkte für einen kartellrechtlichen Bezug zu entnehmen.

Dr. Knoke
Ziemert
Rieke