Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 23.06.2010, Az.: 14 U 23/10
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 23.06.2010
- Aktenzeichen
- 14 U 23/10
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 47943
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG - 21.12.2009 - AZ: 1 O 225/09
- nachfolgend
- BGH - 15.06.2011 - AZ: XII ZR 105/10
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Für Unterhaltsansprüche, die bereits vor dem 1. Januar 2008 fällig waren, bleibt nach § 36 Nr. 7 EGZPO das frühere Recht anwendbar (hier § 1615 l Abs. 2 BGB aF).
Der Unterhaltsberechtigte trägt die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen einer Verlängerung des Betreuungsunterhalts über die Dauer von drei Jahren hinaus. Er hat also darzulegen und zu beweisen, dass keine kindgerechte Einrichtung für die Betreuung des gemeinsamen Kindes zur Verfügung steht oder dass aus besonderen Gründen eine persönliche Betreuung erforderlich ist.
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Einzelrichters der 1. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 21. Dezember 2009 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung wegen der Kosten des Berufungsverfahrens durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Parteien streiten um Kinderbetreuungsunterhalt. Die Klägerin ist die Mutter der am 20. August 2002 geborenen L. F. Ihr Vater, B. E., der mit der Klägerin seit etwa 1996 ehelos zusammen lebte, wurde bei einem von dem Beklagten zu 1 verschuldeten Verkehrsunfall am 14. Dezember 2006 getötet. Bis zu seinem Tod arbeitete der Kindsvater als Angestellter und erzielte dabei ein monatliches Nettoeinkommen von 1.560 €. Die Klägerin war im Unfallzeitpunkt und auch danach abhängig beschäftigt bei der Fa. R. Die Beklagte zu 3 hat den Sachschaden ausgeglichen. Für das Kind zahlt sie eine Unterhaltsrente.
Die Klägerin meint, sie habe aufgrund der langjährigen Lebensgemeinschaft mit dem Getöteten und dem gemeinsamen Kind sowie der Ausrichtung auf diese Verhältnisse gegen den Getöteten einen Unterhaltsanspruch (gehabt) und damit Anspruch auf Zahlung einer Geldrente gegen die Beklagten als Gesamtschuldner aus § 844 Abs. 2 BGB. Das ergebe sich zwar nicht aus der für den Unfallzeitpunkt maßgeblichen Fassung des § 1615 l BGB, müsste aber gelten, weil das Bundesverfassungsgericht die damals geltende Fassung der Norm für verfassungswidrig erklärt habe und aus Gründen der Billigkeit auch für den Zeitpunkt vor Außerkrafttreten der Norm bis zum 31. Dezember 2007 eine Unterhaltspflicht zu bejahen sei. Ihre Tochter bedürfe der Betreuung durch sie (die Klägerin), da sie durch den Unfall und den Tod des Vaters psychisch und traumatisch beeinträchtigt sei. Die berufliche Tätigkeit bei der Fa. R. sei überobligatorisch.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Der Getötete sei gegenüber der Klägerin nicht kraft Gesetzes unterhaltspflichtig gewesen und hätte dies auch nicht werden können. Die in § 1615 l Abs. 1 und Abs. 2 BGB aF genannten Zeiträume seien im Unfallzeitpunkt längst verstrichen gewesen. Eine Verlängerung der Unterhaltspflicht komme nicht in Betracht, weil es nicht grob unbillig gewesen sei, einen Unterhaltsanspruch nach Ablauf der 3-Jahres-Frist gemäß § 1615 l Abs. 2 Satz 3 BGB aF zu versagen. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Februar 2007 wirke nicht zurück.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die an ihrem Klageziel festhält. Der Unterhalt sei aus Billigkeitsgründen zu gewähren. Sie arbeite nur, weil die Beklagten keine Unterhaltsrente an sie zahlten (Bl. 76 d. A.). Die Tochter benötige aber die volle Betreuung durch die Mutter. Bei Anwendung der Neufassung des § 1615 l BGB zum 1. Januar 2008 wäre der Kindsvater unterhaltspflichtig gewesen. Ob aufgrund der Verfassungswidrigkeit des § 1615 BGB a. F. der Anspruch nach den nunmehr gültigen Maßstäben rückwirkend begründet werden könne, sei höchstrichterlich nicht geklärt. Deshalb habe die Sache auch grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 543 Abs. 2 ZPO.
Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie
1. eine monatliche Geldrente in Höhe von 835,50 € beginnend ab dem 1. Oktober 2009 zu zahlen;
2. für die Zeit vom 15. Dezember 2006 bis zum 30. September 2009 27.989,25 € zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, wie im Einzelnen in der Berufungsbegründung ausgeführt, worauf der Senat Bezug nimmt (Bl. 74/75 d. A.);
3. 892,44 € (außergerichtliche Rechtsanwaltskosten) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17. März 2007 zu zahlen.
Die Beklagten verteidigen das angefochtene Urteil und beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf das angefochtene Urteil, das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 15. Juni 2010 nebst den dort erteilten Hinweisen, sowie den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen.
II.
Die Berufung ist erfolglos.
1. Die Voraussetzungen für einen Anspruch aus § 844 Abs. 2 BGB sind nicht erfüllt. Der Getötete war gegenüber der Klägerin nicht kraft Gesetzes unterhaltspflichtig. Der Unfall ereignete sich im Dezember 2006 und damit mehr als vier Jahre nach der Geburt des Kindes im August 2002. Gemäß § 1615 l Abs. 2 Satz 3 BGB aF endete die Unterhaltspflicht jedoch drei Jahre nach der Geburt, wenn es nicht unter Berücksichtigung der Belange des Kindes grob unbillig gewesen wäre, einen Unterhaltsanspruch nach Ablauf dieser Frist zu versagen. Der Anspruch setzte allerdings voraus, dass die Klägerin im Unfallzeitpunkt keiner Erwerbstätigkeit nachging. Das tat sie aber unstreitig. Warum ihre Tätigkeit überobligatorisch gewesen sein soll, vermag der Senat insbesondere in Anbetracht der Einkommensverhältnisse des Getöteten nicht nachzuvollziehen.
Die Klägerin hat darüber hinaus nicht dargelegt, warum es grob unbillig gewesen sein soll, den Unterhaltsanspruch nach Ablauf der drei Jahre zu versagen. Ihr Vortrag erschöpft sich in der allgemeinen Behauptung, es liege Betreuungsbedarf vor, da das Kind durch den Unfall und das Versterben des Vaters psychisch und traumatisch beeinträchtigt und deshalb auf die Betreuung durch die Mutter angewiesen sei (vgl. Bl. 6 und 76 d. A.).
2. Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Verfassungswidrigkeit des § 1615 l BGB aF ergibt sich ebensowenig ein Anspruch der Klägerin. Denn für Unterhaltsansprüche, die vor dem 1. Januar 2008 fällig gewesen wären, bleibt entgegen der Ansicht der Klägerin § 1615 l Abs. 2 BGB aF anwendbar, wie der BGH mit Urteil vom 16. Dezember 2009 (XII ZR 50/08, NJW 2010, 937) entschieden hat. Der Senat nimmt auf diese Ausführungen des BGH (Rdnr. 42 f. des Urteils) Bezug und tritt ihnen bei:
Für Unterhaltsansprüche, die bereits vor dem 1. Januar 2008 fällig waren, bleibt nach § 36 Nr. 7 EGZPO das frühere Recht, hier also § 1615 l Abs. 2 BGB aF, anwendbar. Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin entfällt die Anwendbarkeit des früheren Rechts auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen. Das Bundesverfassungsgericht hat die frühere Regelung des § 1615 l Abs. 2 BGB allein gemäß Art. 6 Abs. 5 GG wegen gleichheitswidriger Behandlung des nachehelichen Betreuungsunterhalts und des Unterhalts wegen Betreuung eines nichtehelich geborenen Kindes für verfassungswidrig erklärt. Es hat dem Gesetzgeber aufgegeben, bis zum 31. Dezember 2008 eine diesem Umstand genügende Regelung zu treffen. Bis zur Neuregelung des verfassungswidrigen Zustands war die frühere Regelung allerdings nach den ausdrücklichen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts hinzunehmen (BVerfGE 118, 45 = FamRZ 2007, 965, 973 Tz. 77). Die frühere Fassung des § 1615 l Abs. 2 BGB, die dem betreuenden Elternteil eines nichtehelichen Kindes einen in der Regel auf drei Jahre begrenzten Unterhaltsanspruch mit der Möglichkeit einer Verlängerung einräumte, verstieß nicht gegen Art. 6 Abs. 2 GG.
Die zeitliche Begrenzung des Unterhaltsanspruchs auf in der Regel drei Jahre ist im Lichte des Art. 6 Abs. 2 GG nicht zu beanstanden. Es liegt in der Einschätzungskompetenz des Gesetzgebers, für wie lange er es aus Kindeswohlgesichtspunkten für erforderlich und dem unterhaltspflichtigen Elternteil zumutbar erachtet, die persönliche Betreuung des Kindes durch einen Elternteil mit Hilfe eines Unterhaltsanspruchs zu ermöglichen. Allerdings geht die frühere Fassung des § 1615 l Abs. 2 BGB auch in der vom BGH geforderten weiten Auslegung nicht über das Maß hinaus, das die Neuregelung des § 1615 l Abs. 2 BGB für Unterhaltsansprüche ab dem 1. Januar 2008 im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts festgelegt hat (vgl. BT-Drucks. 16/6980 S. 8 f., 10). Für die hier relevante Zeit ab Vollendung des dritten Lebensjahres steht dem betreuenden Elternteil nach der gesetzlichen Neuregelung nur noch dann ein fortdauernder Anspruch auf Betreuungsunterhalt zu, wenn dies der Billigkeit entspricht (§ 1615 l Abs. 2 Satz 4 BGB). Dabei ist allerdings stets zu beachten, dass die gesetzliche Regel, wonach der Betreuungsunterhalt grundsätzlich nur für drei Jahre geschuldet ist und eine Verlängerung über diesen Zeitraum hinaus ausdrücklich begründet werden muss, nicht in ihr Gegenteil verkehrt werden darf (BGHZ 177, 272, 305 f. = FamRZ 2008, 1739, 1748 m. w. N.).
Der Unterhaltsberechtigte trägt die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen einer Verlängerung des Betreuungsunterhalts über die Dauer von drei Jahren hinaus. Er hat also darzulegen und zu beweisen, dass keine kindgerechte Einrichtung für die Betreuung des gemeinsamen Kindes zur Verfügung steht oder dass aus besonderen Gründen eine persönliche Betreuung erforderlich ist. Auch Umstände, die aus elternbezogenen Gründen zu einer eingeschränkten Erwerbspflicht und damit zur Verlängerung des Betreuungsunterhalts führen können, hat der Unterhaltsberechtigte darzulegen und zu beweisen (BGH, Urteile vom 17. Juni 2009 - XII ZR 102/08 -, FamRZ 2009, 1391, 1393 m. w. N. und BGHZ 177, 272, 304 = FamRZ 2008, 1739, 1748).
Die Klägerin hat den danach erforderlichen Vortrag besonderer Gründe nicht gehalten. Allein die allgemeine Behauptung, das Kind sei "durch den Unfall" traumatisiert und bedürfe der Betreuung der Mutter, genügt nicht. Auch bei der gebotenen weiten Auslegung des § 1615 l BGB aF und unter Berücksichtigung von eltern- oder kindbezogenen Gründen ist ein Anspruch der Klägerin nicht zu bejahen. Sie ging unstreitig im vierten Jahr nach der Geburt des Kindes und auch im Unfallzeitpunkt einer Erwerbstätigkeit nach. Somit waren bereits vor dem Unfall die Voraussetzungen für einen Unterhaltsanspruch gem. § 1615 l Abs. 2 BGB - sowohl nach der damals gültigen, hier maßgeblichen Fassung als auch der Neufassung - nicht erfüllt. Dementsprechend entfällt auch ein Anspruch aus § 844 Abs. 2 BGB.
III.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Für die Zulassung der Revision besteht kein Grund (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die von der Klägerin aufgeworfene Frage ist vom BGH bereits beantwortet worden.