Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 08.06.2010, Az.: 16 W 43/10
Festlegung des Gerichtstands der unerlaubten Handlung bei Amtspflichtverletzung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 08.06.2010
- Aktenzeichen
- 16 W 43/10
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 43825
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2010:0608.16W43.10.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - AZ: 2 O 380/09
Rechtsgrundlagen
- § 32 ZPO
- § 839 BGB
Fundstellen
- MDR 2010, 1485-1486
- NJW-RR 2011, 535
Amtlicher Leitsatz
Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung bei Ansprüchen aus Amtspflichtverletzung nach § 839 BGB ist (auch) dort gegeben, wo in das geschützte Rechtsgut (Vermögen) des Klägers eingegriffen wird. Das ist regelmäßig der Wohnsitz des Klägers.
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der angefochtene Beschluss des Landgerichts Hannover aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats an das Landgericht zurückgegeben.
Gründe
I. Der Antragsteller begehrt vom Antragsgegner (gemeint ist ersichtlich das Land Nordrhein-Westfalen, vertreten durch den Innenminister; insoweit dürfte das Rubrum zu berichtigen sein) Schadensersatz infolge der Sicherstellung/Beschlagnahme seines Fahrzeuges (VW-Bus T4) im Rahmen eines gegen Andere geführten Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Bielefeld bzw. der Polizei (Landrat als Kreispolizeibehörde G.) am 20. November 2005. Er begehrt Ersatz der seit dem 2. Dezember 2005 bis zur Rückführung des Fahrzeugs vergeblich von ihm aufgewandten Versicherungsbeiträge, Kfz-Steuern und Nutzungsausfall in Höhe von insgesamt 5.900,64 € (Berechnung Bl. 4, 5) und hält den Antragsgegner für ersatzpflichtig, weil er sein Fahrzeug trotz mehrfacher Nachfragen bei der örtlichen Polizei und schließlich bei der später offenbar zuständigen Staatsanwaltschaft in Hannover erst am 21. April 2006 habe zurückerhalten können. Hintergrund war wohl, dass in dem vom Antragsteller zunächst in Hannover zur Reparatur gegebenen Fahrzeug mittlerweile ein aus einer Straftat stammender Motor eingebaut worden war.
Der Antragsgegner ist dem entgegen getreten und hat vorgetragen, die Sicherstellung des Fahrzeugs sei nach weiteren Ermittlungen schließlich an die Staatsanwaltschaft in Hannover abgeben worden. Es sei falsch, dass die Beschlagnahme des Fahrzeugs am 2. Dezember 2005 bereits aufgehoben und der Antragsteller davon versehentlich nicht benachrichtigt worden sei. Insbesondere hält der Antragsgegner das angerufene Landgericht in Hannover örtlich nicht für zuständig und beruft sich auf Verjährung.
Das Landgericht hat die nachgesuchte Prozesskostenhilfe versagt, weil es sich nicht für örtlich zuständig erachtet. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers.
II. Die Beschwerde hat Erfolg. Das Landgericht wird zunächst in der Sache über die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Klage zu entscheiden haben.
1. Der Senat vermag der vom Landgericht vertretenen Auffassung, dass keine örtliche Zuständigkeit bestehe, nicht zu folgen. Er hat bereits in der Entscheidung vom 25. Februar 2010 (DVBl. 2010, 532) im Einzelnen dargelegt, dass für den aus einer Amtspflichtverletzung hergeleiteten Schaden nach § 32 ZPO auch der Ort maßgeblich ist, an dem der Verletzungserfolg der behaupteten Amtspflichtverletzung eingetreten ist. Dies ist vorliegend jedenfalls auch der Wohnsitz des Antragstellers, denn an diesem Ort ist in das von § 839 BGB geschützte Vermögen des Antragstellers durch die streitige Sicherstellung seines Fahrzeugs eingegriffen worden.
Der Senat hat in der oben zitierten Entscheidung (16 U 55/09) Folgendes ausgeführt:
"Als Erfolgsort wird allgemein der Ort verstanden, wo die Verletzung des geschützten Rechtsguts eintritt (BGHZ 124, 237; BGHZ 132, 105). In Abgrenzung dazu soll dagegen der Ort des Schadenseintritts für die Bestimmung des Gerichtsstands nicht maßgebend sein. Auf § 839 BGB angewendet ist folglich darauf abzustellen, wo ein wesentliches Tatbestandsmerkmal der unerlaubten Handlung - hier der behaupteten Amtspflichtverletzung - verwirklicht wird. Im Sinne des soeben dargelegten Erfolgsortes der Amtspflichtverletzung kommt es damit darauf an, wo der mit der Pflichtverletzung verursachte Eingriff in das durch § 839 BGB geschützte Rechtsgut eingetreten ist. Diese Norm schützt allgemein das Vermögen des Geschädigten (und das auch hier in Rede stehende allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers durch das gegen ihn geführte Strafverfahren). Ist somit das Vermögen als solches - wie bei der Amtspflichtverletzung nach § 839 BGB - das geschützte Rechtsgut, so liegt auch dort (Erfolgsort der Pflichtverletzung) ein Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach § 32 ZPO. Dies entspricht auch der herrschenden Lehre, in der ausgeführt wird, dass bei reinen Vermögensschäden neben dem Handlungsort auch der Ort des Schadenseintritts als Begehungsort im Sinne des § 32 ZPO anzusehen ist (Stein/Jonas/Roth ZPO 2003, § 32 Rn. 30; Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl., § 32 Rn. 16; MÜKO/Patzina, § 32 Rn. 20). So hat auch der BGH (BGHZ 132, 105, Rn. 15, zitiert nach juris) für den Fall des § 823 Abs. 2 i. V. m. § 263 StGB einen Gerichtsstand auch dort angenommen, wo in das geschützte Rechtsgut des Klägers (Vermögen) eingegriffen wurde. Für § 839 BGB kann nichts anderes gelten, weil auch dort das Vermögen geschütztes Rechtsgut ist, in das durch die (behauptete) Amtspflichtverletzung eingegriffen wird. Insoweit gehört der Eingriff in das Vermögen (oder das ebenfalls geschützte Persönlichkeitsrecht) bereits zum Tatbestand der unerlaubten Handlung im Sinne des § 839 BGB, so dass Erfolgsort auch der Ort des Vermögens des Klägers und mithin sein Wohnsitz ist. ...
Die - soweit ersichtlich - veröffentliche Rechtsprechung zu dieser Problematik (OLG Frankfurt OLGR 2008, 4; LG Mainz NJW-RR 2000, 588 [LG Mainz 12.03.1999 - 7 O 200/98]) sieht dies ebenso. Der Senat schließt sich der Begründung des OLG Frankfurt auch für diesen Fall an (ebenso auch Stein/Jonas aaO. sowie Zöller/Vollkommer aaO.). Die Kritik bei Baumbach/Lauterbach, ZPO, § 32 Rn. 23 zur Entscheidung des LG Mainz ("in sich widersprüchlich") ist dort nicht weiter begründet und überzeugt im Übrigen auch nicht. Soweit bei Ansprüchen aus § 826 BGB der Erfolgsort (auch) dort angenommen wird, wo der Schaden eingetreten ist (BGH NJW 1995, 1225), vermag der Senat keinen entscheidenden Unterschied zu einer Haftung aus § 839 BGB zu sehen. In beiden Vorschriften ist das Vermögen geschützt und der Eingriff darin (Erfolgsort) gehört hier wie da zum Tatbestand, denn auch der Verletzungserfolg einer Amtspflichtverletzung tritt erst ein, wenn sie auch zu einem Schaden führt (ebenso OLG Frankfurt aaO.)."
Auch im vorliegenden Fall ist daher der Gerichtsstand des § 32 ZPO am Wohnsitz des Antragstellers in H. gegeben.
Soweit das Landgericht in seiner Entscheidung angeblich abweichende Rechtsprechung zitiert (Bl 23: BGH VersR 1990, 500; KG NJW 2006, 2336; OLG Karlsruhe OLGR 2003, 438), ergibt sich daraus auch nichts Anderes. Im Gegenteil: die zitierten Entscheidungen stützen gerade die hier vertretene Rechtsauffassung, weil sie ebenfalls zutreffend auf den Erfolgsort der unerlaubten Handlung abstellen.
2. Das Landgericht wird folglich unter Beachtung der unter Ziffer 1 dargelegten Rechtsauffassung zur örtlichen Zuständigkeit nach Zurückverweisung in der Sache die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Klage gegen das Land Nordrhein-Westfalen zu prüfen haben.
Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass den Antragsgegner eine gesteigerte sekundäre Darlegungslast treffen dürfte, denn der Antragsteller kann als betroffener Dritter zu den Umständen der Sicherstellung seines Fahrzeuges und den Gründen für deren Fortdauer und deren Aufhebung oder der Abgabe des Verfahrens an die Staatsanwaltschaft Hannover (wann?) nichts vortragen. Es ist deshalb verständlich, dass er sich an die ihm durch die Staatsanwaltschaft Hannover mitgeteilten Tatsachen hält, wonach die Sicherstellung bereits am 2. Dezember 2005 aufgehoben wurde, aber versäumt wurde, ihm dies mitzuteilen (Bl. 7). Das Ermittlungsverfahren ist nicht gegen den Antragsteller geführt worden. Es dürfte deshalb naheliegen, dass die wohl zunächst rechtmäßige Sicherstellung des Fahrzeugs zu einem noch unbekannten Zeitpunkt (2. Dezember ) nicht mehr gerechtfertigt war und deshalb auch unverzüglich aufzuheben gewesen wäre. Zu all diesen Umständen kann der Antragsteller indes aus eigener Kenntnis nichts vortragen. Es dürfte deshalb zunächst dem Antragsgegner obliegen, hier Licht ins Dunkel zu bringen und vor allem nachvollziehbar zu erklären, warum die Sicherstellung nicht zügig von der dort zuständigen Polizeibehörde aufgehoben worden ist und stattdessen eine Abgabe oder Abtrennung des Verfahrens stattgefunden hat.