Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 30.09.2002, Az.: 1 K 56/98
Einkommensteuer-Befreiung für Pflegeentgelte
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 30.09.2002
- Aktenzeichen
- 1 K 56/98
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 20537
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2002:0930.1K56.98.0A
Rechtsgrundlage
- § 3 Nr. 11 EStG
Fundstellen
- DStRE 2003, 385
- EFG 2003, 287-288
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Gem. § 3 Nr. 11 EStG steuerbefreit sind nur die wegen Hilfsbedürftigkeit bewilligten Bezüge für den Hilfsbedürftigen selbst, nicht aber für die Betreuungsperson.
- 2.
Hat die Unterstützung Entgeltcharakter, kommt die Steuerbefreiung nicht in Betracht. Es ist nicht Zweck der Befreiungsvorschrift, Gewinne, die ein Unternehmer aus der Betreuung Pflegebedürftiger erzielt, steuerfrei zu belassen.
- 3.
Werden Entgelte aus öffentlichen Mitteln geleistet, dieüber die Aufwendungen des Empfängers hinausgehen, liegen begrifflich keine Beihilfen vor.
Tatbestand
Streitig ist die Frage, ob Entgelte für die Betreuung Behinderter steuerfrei nach § 3 Nr. 11 Einkommensteuergesetz (EStG) sind.
Die Gesellschafter der Klägerin erwarben zum 1. Oktober 1986 einen landwirtschaftlichen Betrieb in O. und gründeten die Klägerin, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Der Hof wird nach den Grundsätzen einer biologisch-dynamischen Bewirtschaftung geführt wird; auf dem Hof erzeugte Produkte werden teilweise in einem "Hofladen" an die Endverbraucher veräußert.
Darüber hinaus werden auf dem Hof jeweils bis zu drei seelisch und geistig behinderte Jugendliche und Erwachsene aufgenommen, die durch Mitarbeit auf dem Hof und Integration in die Familie an Lebens- und Arbeitsprozesse herangeführt und denen später ermöglicht werden soll, ein selbstverantwortliches und eigenständiges Leben in der Gesellschaft zu führen.
Die Klägerin ist Mitglied des "Vereins zur F. e.V.", H. (F-Verein), der dem Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband angehört. Diesem Verein gehören insgesamt zehn Höfe an, die nach den gleichen Grundsätzen arbeiten, die in einer Konzeption für die sozial-therapeutische Arbeit niedergelegt sind.
Der F-Verein schließt mit jedem zu Betreuenden einen"Heimvertrag" ab, in dem er sich verpflichtet, dem Heimbewohner einen Heimplatz zu überlassen, sowie ihm Unterkunft, Verpflegung usw. in geeigneten Wohngruppen zu gewähren. Für diese Leistung ist ein Pflegesatz zu entrichten, der sich auf Grund der Selbstkosten des Heimes nach den Pflegesatzvereinbarungen für Einrichtungen der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege in Schleswig-Holstein errechnet. Weiterhin hat der F-Verein mit der Klägerin eine Vereinbarung geschlossen, in der es heißt:
"Die Familie R. versteht sich als eigenverantwortliche Einsatzstelle des Vereins auf der Grundlage der vorliegenden pädagogischen Konzeption...Die Aufnahme der Betreuten und die Abrechnung der Pflegesätze in voller Höhe abzüglich der Intendanzkosten erfolgt über den o.g. Verein."
Nach Aktenlage wurden täglich ca. 65,00 DM Pflegegeld für eine Person gezahlt. Davon zog der F-Verein seine Verwaltungskosten, die sogenannten Intendanzkosten, von rund 5,00 DM pro Tag und Person ab und überwies den Rest an die Klägerin. Im Wirtschaftsjahr 1986/87 (01.10.1986 - 30.06.1987) betrugen die Nettoerlöse der Klägerin aus der Pflege insgesamt 48.608,00 DM.
Im Anschluss an eine Außenprüfung setzte der Beklagte die Erlöse für die Betreuung, die bisher steuerlich nicht erfasst waren, als Betriebseinnahmen an. Im nach § 164 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) geänderten Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte für den Veranlagungszeitraum 1986 vom 22. Februar 1993 wurden die Einnahmen des Wirtschaftsjahres 1986/87 dementsprechend zeitanteilig mit 16.202,- DM (= 1/3 von 48.608,00 DM) angesetzt; insgesamt betrugen die gesondert und einheitlich festgestellten Einkünfte der Klägerin ./. 15.401,00 DM. Der gegen diesen Bescheid gerichtete Einspruch blieb ohne Erfolg.
Im Klageverfahren vertritt die Klägerin die Auffassung, die Entgelte für die Betreuung der Behinderten seien nicht einkommensteuerpflichtig. Es bestehe ein direktes Auftragsverhältnis zwischen den Sozialbehörden und ihr. Sie sei den Sozialbehörden gegenüber auskunfts- und nachweispflichtig und hätte stets direkten Kontakt mit den Behörden aufgenommen, wenn sich Probleme im Zusammenhang mit der Betreuung ergeben hätten. Der F-Verein sei ausschließlich deshalb gegründet worden, weil die Sozialbehörden die Einschaltung eines derartigen Vereins als erforderlich angesehen hätten.
§ 3 Nr. 11 EStG erfordere nicht, dassöffentliche Leistungen direkt an den Begünstigten ausbezahlt werden. Vielmehr genüge es, dass über die Mittel nur nach Maßgabe haushaltsrechtlicher Vorschriften der öffentlichen Hand verfügt werden könne und ihre Verwendung im einzelnen gesetzlicher Kontrolle unterliege. Diese Voraussetzungen seien im Streitfall erfüllt. Die nach den Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes zu erbringenden Leistungen würden in einem öffentlichen Haushalt ausgewiesen. Im Übrigen erfolge eine Prüfung nach haushaltsrechtlichen und anderen gesetzlichen Grundlagen bei der Festsetzung des Tagessatzes.
Schließlich müssten der F-Verein und die Klägerin in Bezug auf die Leistungen als Einheit angesehen werden. Zum einen sei die Klägerin Mitglied des Vereins, zum anderen sei der Verein lediglich auf Veranlassung der Sozialbehörden gegründet worden.
Es könne im Streitfall davon ausgegangen werden, dass Leistungen an hilfsbedürftige Personen im Sinne des § 3 Nr. 11 EStG bzw. § 53 AO erbracht worden seien.
Die Klägerin beantragt,
unter Änderung des Gewinnfeststellungsbescheides vom 22. Februar 1993 und des Einspruchsbescheides vom 8. Januar 1998 Zuflüsse i.H.v. 16.202,00 DM steuerlich nicht anzusetzen und den Verlust entsprechend zu erhöhen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung, dass die Gestaltung der Rechtsbeziehungen einer Steuerbefreiung der Betreuungsentgelte entgegenstünde. Diese seien nicht von den Sozialhilfeträgern, sondern von dem F-Verein an die Klägerin gezahlt worden. Vertragsbeziehungen unterhielte die Klägerin nur mit dem F-Verein. Deshalb seien die von dem Verein gezahlten Entgelte keine aus öffentlichen Mitteln gezahlten Gelder. Zwar setze der Begriff der öffentlichen Mittel nicht die unmittelbare Zahlung aus einer öffentlichen Kasse voraus. Doch sei es erforderlich, dass über die Mittel nur nach Maßgabe haushaltsrechtlicher Vorschriften des öffentlichen Rechts verfügt werden könne und ihre Verwendung im einzelnen gesetzlich geregelter Kontrolle unterliege. Eine Kontrolle der Zahlung sei aber nur in der Satzung des Vereines verankert; eine haushaltsrechtliche Überprüfung nach Vorschriften desöffentlichen Rechts erfolge nicht. Der Verein sei keiner Institution gegenüber zur Rechnungslegung verpflichtet. Außerdem fehle den Zahlungen im Streitfall auch der Beihilfecharakter, weil sie sämtliche Personal- und Sachkosten, nicht nur einen Teil der Kosten abdecken würden.
Im Übrigen wird auf die im Klageverfahren eingereichten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Die Pflegeentgelte sind nicht steuerfrei.
Nach § 3 Nr. 11 Einkommensteuergesetz (EStG) sind steuerfrei Bezüge aus öffentlichen Mitteln oder aus Mitteln eineröffentlichen Stiftung, die wegen Hilfsbedürftigkeit oder als Beihilfe zu dem Zweck bewilligt werden, die Erziehung oder Ausbildung, die Wissenschaft oder Kunst unmittelbar zu fördern.
Es kann dabei dahin stehen, ob die Pflegeentgelte schon deshalb nicht steuerfrei sind, weil sie von dem F-Verein, einer juristischen Person des Privatrechts, nicht aber von einer Körperschaft des öffentlichen Rechts an die Klägerin gezahlt wurden und deshalb möglicherweise keine Bezüge "aus öffentlichen Mitteln" gem. § 3 Nr. 11 EStG darstellen, wie der Beklagte meint.
Die an die Klägerin ausgezahlten Gelder sind keine Bezüge, die "wegen Hilfsbedürftigkeit" oder als Beihilfe im Sinne des § 3 Nr. 11 EStG gewährt werden.
Steuerbefreit sind die wegen Hilfsbedürftigkeit bewilligten Bezüge nur für den Hilfsbedürftigen selbst, nicht aber für die Betreuungsperson. Hat die Unterstützung Entgeltcharakter, kommt die Steuerbefreiung nicht in Betracht (BFH Urteil vom 19. Juni 1997 IV R 26/96, BFHE 183, 488, BStBl. II 1997, 652; Herrmann/Heuer/Raupach, Kommentar zum EStG, § 3 Nr. 11 Anm. 12). Es ist nicht der Zweck der Befreiungsvorschrift, Gewinne, die ein Unternehmer aus der Betreuung Pflegebedürftiger erzielt, steuerfrei zu belassen. Für eine solche Privilegierung einer bestimmten Branche - so wichtig die Tätigkeit für die Gesellschaft auch sein mag - besteht kein sachlicher Grund. Vielmehr geht es allein darum, zu verhindern, dass der Hilfsbedürftige die ihm zugewandten Mittel versteuern muss, d.h. der Staat mit der einen Hand nimmt, was er mit der anderen gegeben hat. Steuerfrei sind die Mittel im Streitfall deshalb nur für die auf den Hof aufgenommenen Personen selbst, nicht für die Klägerin.
Ebensowenig stellen die Entgelte steuerfreie Beihilfen dar. Der Begriff der Beihilfe setzt voraus, dass lediglich Aufwendungen des Beihilfeempfängers abgedeckt werden (Herrmann/ Heuer/Raupach, Kommentar zum EStG, § 3 Nr. 11 Anm. 8). Werden Entgelte ausöffentlichen Mitteln geleistet, die über die Aufwendungen des Empfängers hinausgehen, so liegen begrifflich keine Beihilfen vor. Soweit im Streitfall der Klägerin Kosten durch die Betreuung der auf den Hof aufgenommenen Personen entstanden sind, ist ihre Berechtigung zum Betriebsausgabenabzug unstreitig; insoweit ist per Saldo auch keine Gewinnerhöhung vorgenommen worden. Die darüber hinausgehenden Einnahmen hingegen haben keinen Beihilfecharakter.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).