Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 03.09.2002, Az.: 1 K 526/01

Berücksichtigung eines Mindestwerts bei der Bewertung von Erbbaurechten; Angemessene Berücksichtigung des Wertes von Grund und Boden; Bedarfsbewertung eines Erbbaurechts

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
03.09.2002
Aktenzeichen
1 K 526/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 21690
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2002:0903.1K526.01.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - 17.05.2006 - AZ: II R 58/02

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Bei der Bewertung von Erbbaurechten ist ein Mindestwert gem. § 146 Abs. 6 BewG nicht zu berücksichtigen.

  2. 2.

    § 146 Abs. 6 BewG hat das Ziel, den (hohen) Wert von Grund und Boden angemessen zu berücksichtigen, wenn dieser den Wert des aufstehenden Gebäudes überschreitet und das Ertragswertverfahren nicht geeignet ist, den Substanzwert des Grundstücks zu erfassen. Vor diesem Hintergrund kann der Wille des Gesetzgebers nur dahin gehen, den übermäßigen Wert des Grund und Bodens beim erbbaurechtsbelasteten Grundstück zu besteuern. Die Verweisung in § 148 Abs. 1 Satz 2 BewG ist daher teleologisch dahin zu reduzieren, dass § 146 Abs. 6 BewG nicht zur Anwendung kommt.

Tatbestand

1

Streitig ist die Bedarfsbewertung eines Erbbaurechts.

2

Die Klägerin (Kl.) erbte am ... von der verstorbenen Frau...das Erbbaurecht mit Gebäude (Einfamilienhaus)...Es ist bebaut mit einem Wohnhaus, Baujahr ...., mit einer Wohnfläche von...qm. Das Erbbaurecht gründet auf einem Erbbaurechtsvertrag vom ..., den die...Erbbaurechtsausgeberin mit...als Rechtsvorgänger der Erblasserin abgeschlossen hatte. Bestellt wurde das Erbbaurecht für eine Laufzeit von 99 Jahren, der Erbbauzins wurde damals auf...DM jährlich festgelegt und inzwischen auf...DM/Jahr angepaßt. Gem. § 7 des Erbbaurechtsvertrages gehen bei Beendigung des Vertrages infolge Fristablaufs die errichteten Gebäude und baulichen Anlagen in das Eigentum der Grundstückseigentümerin über, die als Gegenwert 80 % des gemeinen Wertes, den die Gebäude alsdann besitzen, zu zahlen hat.

3

Die Erblasserin hatte das Gebäude in den Jahren vor ihrem Tod selbst bewohnt. Am...veräußerte die Kl. das Erbbaurecht; der Kaufpreis betrug...DM (Kaufvertrag vom ...).

4

Aufgrund einer Mitteilung der Erbschaftssteuerstelle des Finanzamts...erließ der Beklagte (Finanzamt, FA) am...einen Bescheid über die gesonderte Feststellung des Grundstückswerts für das Erbbaurecht zum.... Darin ging das FA von einer üblichen Jahresmiete von...DM und einem Ertragswert von...DM aus. Dies führte zu einem Ertragswert von...DM. Den Wert für Grund und Boden ermittelte es - unter Ansatz eines Bodenrichtwertes von...DM/qm für die zur Straße gelegene Grundstücksteilfläche von ... qm sowie eines Bodenrichtwertes von...DM/qm für das Hinterland von...qm - gemäß § 146 Abs. 6 Bewertungsgesetz (BewG) in Höhe von...DM. Entsprechend stellte das FA - nach Abzug des 18,6-fachen des jährlichen Erbbauzinses in Höhe von...DM - den Wert des Erbbaurechts auf...DM fest.

5

Im Laufe des sich anschließenden Einspruchsverfahrens errechnete das FA zunächst einen leicht erhöhten Ertragswert: Es ging nunmehr von einer durchschnittlichen Miete von ... DM aus und kam zu einem Ertragswert von...DM (Bl. .... Feststellungsakte). Ferner ermittelte es - unter anderweitiger Aufteilung der Grundstücksfläche in Vorder- und Hinterland - den Mindestwert gem. § 146 Abs. 6 BewG neu und kam auf...DM. Den in dem Verkaufsvertrag vom...enthaltenen Kaufpreis sah es jedoch als Nachweis eines niedrigeren gemeinen Wertes i.S.d. § 146 Abs. 7 BewG an und setzte - nach vorheriger Androhung der Verböserung - den Grundstückswert mit Einspruchsbescheid vom...auf...DM herauf.

6

Hiergegen richtet sich die Klage. Die Kl. weist auf das derzeit anhängige Verfahren zur Verfassungsmäßigkeit der unterschiedlichen erbschaftssteuerlichen Belastung der verschiedenen Vermögensarten hin. Für die Bewertung von Immobilien sei nicht der Verkehrswert, sondern der niedrigere Ertrags- oder Mindestwert maßgebend, soweit es sich um Grundbesitz handele. Ferner müsse im Streitfall berücksichtigt werden, dass sie nur das Gebäude, nicht aber das Grundstück geerbt habe.

7

Die Kl. beantragt,

...

8

Das FA beantragt,

9

Es trägt vor:

10

Nach der ausdrücklichen Regelung in § 148 Abs. 1 BewG sei als Wert des Erbbaurechts der nach § 146 BewG ermittelte Wert des Grundstücks abzüglich des 18,6fachen jährlichen Erbbauzinses, d.h. des pauschalierten Grundstückswerts, anzusetzen. Im Rahmen der Ermittlung des Gesamtwerts nach § 146 BewG sei auch der Mindestwert des § 146 Abs. 6 BewG zu berücksichtigen. Es sei nicht ersichtlich, dass diese Rechtsvorschrift außer Acht gelassen werden könnte. Die verfassungsrechtlichen Bedenken bezüglich des derzeitigen Erbschaftssteuerrechts bezögen sich allein auf die Anwendung eines einheitlichen Steuertarifs auf alle Erwerbsvorgänge und stellten die Bedarfsbewertung als solche nicht in Frage.

11

Im Übrigen wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie vorgelegten Steuerakten Bezug genommen.

Gründe

12

Die Klage ist begründet.

13

Der Wert des streitigen Erbbaurechts ist auf...DM herabzusetzen. Das ergibt sich im Einzelnen aus Folgendem:

14

Das laufende Verfahren zur Verfassungsmäßigkeit der unterschiedlichen erbschaftssteuerlichen Behandlung verschiedener Vermögensarten ist für die Entscheidung des Streitfalles nicht erheblich. Denn im Rahmen der Bedarfsbewertung werden lediglich die Grundstückswerte für Erbschaftssteuerzwecke gesondert festgestellt. Durch das Feststellungsverfahren allein ergibt sich noch kein verfassungsrechtliches Problem, weil die verschiedenen Vermögensgegenstände auf dieser Ebene noch nicht zusammengeführt und eventuell gleichheitswidrig behandelt werden.

15

Bei der Wertermittlung des Erbbaurechts ist ein Mindestwert gemäß § 146 Abs. 6 BewG nicht zu berücksichtigen:

16

Der Senat stimmt dem FA darin zu, dass die in dem angefochtenen Bescheid erfolgte Feststellung des Wertes des Erbbaurechts mit dem Wortlaut der §§ 148 Abs. 1 Satz 1, 2 und § 146 Abs. 6 BewG übereinstimmt. Grundsätzlich sehen die Vorschriften über die Bedarfsbewertung (§§ 138 ff. BewG) vor, dass im Bereich der alten Bundesländer bei der Wertermittlung von Erbbaurechten von einem Gesamtwert auszugehen ist. Dieser Gesamtwert entspricht dem Wert des Grund und Bodens und aufstehender Gebäude ohne die Belastung durch das Erbbaurecht. Der Wert des Erbbaurechts ergibt sich sodann aus der Differenz des nach §§ 146-149 ermittelten Steuerwertes des gesamten Grundstücks abzüglich des 18,6fachen des jährlichen Erbbauzinses. Der Wert eines bebauten Grundstücks ist regelmäßig gemäß § 146 Abs. 2-5 im Ertragswertverfahren zu ermitteln. Jedoch darf der danach für ein bebautes Grundstück anzusetzende Wert gemäß § 146 Abs. 6 BewG nicht geringer sein als der Wert, mit dem der Grund und Boden allein als unbebautes Grundstück - nach § 145 Abs. 3 - zu bewerten wäre (Mindestbewertung).

17

Hieran hat sich das FA gehalten. Es hat den Mindestwert nach § 146 Abs. 6 i.V.m. § 145 Abs. 3 BewG ermittelt, den kapitalisierten Erbbauzins abgezogen und so einen abgerundeten Grundstückswert von...DM festgestellt. Ob die nachfolgende Anwendung des § 146 Abs. 7 BewG und die Berücksichtigung des Verkaufspreises vom...zulässig war, kann offen bleiben.

18

Es ist jedoch offenkundig, dass ein nach diesen Grundsätzen ermittelter Erbbaurechtswert in hohem Maße unrichtig und rechtsstaatlich bedenklich sein kann. So zeigt Rössler/Troll ein (extremes) Beispiel, in dem ein nach der "Mindestbewertung" ermitteltes Erbbaurecht mit einer Restlaufzeit von 1 Tag (womit es praktisch wertlos ist) "gesetzeskonform" mit über 1.5 Mio DM zu bewerten wäre, während sich nach der Regelbewertung (immerhin noch) ein Wert von ca. 120 TDM ergäbe (BewG, § 148 Rdnr. 22). Der BFH hat mit Beschluss vom 22.05.2002 im Aussetzungsverfahren über einen Fall entschieden, in dem das FA den gemeinen Wert eines nach ca. 3 Jahren auslaufenden Erbbaurechts als "Mindestwert" mit 695 TDM festgestellt hat, während der 3 Jahre später vom Grundstückseigentümer für aufstehende Gebäude zu zahlende Entschädigungsanspruch nur ca. 240 TDM betrug (BFH, Beschluss vom 22.05.2002 II B 173/01, DStR 2002, 1217). Dem FG Düsseldorf schließlich lag ein Fall vor, in dem der "Mindestwert" eines Erbbaurecht mehr als drei Mal so hoch war wie der gemeine Wert des belasteten Grundstücks: 1.3 Mio DM zu 400 TDM (FG Düsseldorf, U. vom 20.06.2001 11 K 2119/99 BG, EFG 2001, 1103; Rev. eingelegt). Der Senat geht davon aus, dass derartige Wertermittlungen - wie auch der BFH in seinem o.a. Beschluss angedeutet hat - regelmäßig gegen des Übermaßverbot (Art. 20 Abs. 3 GG, vgl. BFH a.a.O.) verstoßen und unzulässig sind. Dieser Grundrechtsverstoß wird durch die Möglichkeit eines Billigkeitserlasses nicht beseitigt; vielmehr sind entsprechende Wertfeststellungen von Erbbaurechten von vornherein rechtswidrig.

19

Die Klage hat jedoch Erfolg, ohne dass es auf die Verfassungsmäßigkeit von § 148 Abs. 1 Satz 2 BewG ankäme. Denn eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschriften über die Bedarfsbewertung ergibt, dass bei der Bewertung von Erbbaurechten § 146 Abs. 6 nicht anzuwenden ist:

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a)

Dafür spricht bereits die allgemeine Erkenntnis, dass bei Erbbaurechten "erkennbar nur das Gebäude und nicht auch der Grund und Boden besteuert werden sollte" (Rössler/ Troll, Bewb, § 148 Rdnr. 22). Damit stimmt überein, dass dem Erbbaurechtsinhaber die Substanz des Grundstücks nicht gehört und er im Rechtsverkehr nur das - in Ausübung des Erbbaurechts - errichtete Gebäude veräußern kann, nicht das Grundstück.

21

b)

Hinzu kommt, dass bei einem Erbfall - wie hier - der Wert des Erbbaurechts ausschließlich für Zwecke der Erbschaftssteuer gesondert festgestellt wird. Versteuert wird der Nachlaß des Erblassers. Gegenstand des Erbfalls ist das Erbbaurecht, d.h. das veräußerliche und vererbliche Recht, auf oder unter der Oberfläche des belasteten Grundstücks ein Bauwerk zu haben (vgl. § 1 Abs. 1 ErbbaurechtsVO). Nicht geerbt hat der Kl. das belastete Grundstück: Dieses stand nicht im Eigentum des Erblassers und konnte folglich nicht vererbt werden. Kann somit nur das Erbbaurecht der Erbschaftssteuer unterliegen, darf sich auch die Bemessungsgrundlage nur nach dem Erbbaurecht richten.

22

Hiergegen hat das FA verstoßen, als es den Wert des Erbbaurechtes - und damit die Bemessungsgrundlage der Erbschaftssteuer - durch Abzug des nach § 148 Abs. 1 Satz 1 ausgerechneten Grundstückswerts von dem Gesamtwert (§ 146 Abs. 6) für Grundstück und Erbbaurecht feststellte. Dies stellt eine unzulässige Entkoppelung von Besteuerungsgegenstand und Bemessungsgrundlage dar. Denn einerseits ergab sich so der Gesamtwert auf der Grundlage des Mindestwertes von Grund und Boden. Andererseits blieb für den abziehbaren Betrag - nämlich das 18,6fache des Erbbauzinses - der Mindestwert ohne jede Bedeutung, obwohl der Abzugsbetrag systematisch "eigentlich" den Wert des Grund und Bodens wiedergeben soll.

23

Damit würde paradoxerweise der Mindestwert des Grund und Bodens ganz wesentlich die erbschaftssteuerliche Bemessungsgrundlage des Erbbaurechts bestimmen, bei der Berechnung der Erbschaftssteuer für den Grund und Boden aber völlig herausfallen. Das hätte zur Folge, dass das belastete Grundstück - trotz des im Verhältnis zum Gebäudewert hohen Werts des Grund und Bodens - bei dem "Grundstückserben" kaum zu versteuern wäre. Bei dem "Erbbaurechtserben" dagegen wäre das Grundstück in voller Höhe als Bemessungsgrundlage zu berücksichtigen, obwohl es ihm zivilrechtlich gar nicht gehört. Das stellt geradezu eine Verdrehung des Lebenssachverhalts dar und ist zur Überzeugung des Senats aus rechtssystematischen Gründen nicht zulässig.

24

c)

Diesem Ergebnis steht der Wortlaut des § 146 Abs. 6 BewG nicht entgegen. Danach darf der für ein bebautes Grundstück anzusetzende Wert nicht geringer sein als der Wert des Grund und Bodens allein. Von Erbbaurechten ist nichts gesagt, und der Senat kann nicht erkennen, weshalb diese Vorschrift Erbbaurechte einbeziehen müsste. Die Problematik ergibt sich allein daraus, dass § 148 Abs. 1 Satz 2 und § 146 Abs. 6 BewG nicht zusammenpassen.

25

Der Senat geht vielmehr davon aus, dass die Verweisung in § 148 Abs. 1 Satz 2 BewG vor dem Hintergrund des Zwecks des § 146 Abs. 6 BewG fehl geht. § 146 Abs. 6 BewG hat das Ziel, den (hohen) Wert von Grund und Boden angemessen zu berücksichtigen, wenn dieser den Wert des aufstehenden Gebäudes überschreitet und das Ertragswertverfahren nicht geeignet ist, den Substanzwert des Grundstücks zu erfassen. Vor dem Hintergrund dieses Gesetzeszwecks kann der objektivierte Wille des Gesetzgebers nur dahin gehen, den übermäßigen Wert des Grund und Bodens bei dem erbbaurechtsbelasteten Grundstück und nicht bei dem Gebäude zu besteuern. Daher ist die Verwiesung in § 148 Abs. 1 Satz 2 BewG teleologisch dahingehend zu reduzieren, dass § 146 Abs. 6 BewG nicht zur Anwendung kommt.

26

Wendet man im Streitfall § 146 Abs. 6 BewG nicht an, so ist der vom FA im Einspruchsverfahren für das Erbbaurecht ermittelte Ertragswert von...DM nicht zu beanstanden. Darüber sind sich die Beteiligten auch einig.

27

Es kann offen bleiben, ob hiervon noch Abzüge möglich wären. So käme ein Abzug für kapitalisierten Erbbauzins gemäß § 148 Satz 2 BewG in Betracht. Denkbar wäre auch, die reduzierte Restlaufzeit des Erbbaurechts wertmindernd zu berücksichtigen. Darauf kommt es jedoch im Streitfall nicht an. Denn auch so ist der Wert des streitigen Erbbaurechts auf...DM herabzusetzen. Das entspricht dem Klagantrag, über den das Gericht gemäß § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO nicht hinausgehen durfte. Der Klage war somit stattzugeben.

28

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die übrigen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 151 Abs. 3 und 155 FGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.

29

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen, § 115 Abs. 2 FGO.