Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 30.09.2002, Az.: 1 K 352/01
Erfüllung bei Kindergeldzahlung auf gemeinsames Konto der getrennt lebenden Ehegatten
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 30.09.2002
- Aktenzeichen
- 1 K 352/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 14104
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2002:0930.1K352.01.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 16.12.2003 - AZ: VIII B 276/02
Rechtsgrundlagen
- § 64 Abs. 2 EStG
- § 70 Abs. 2 EStG
Fundstelle
- EFG 2003, 470-472
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Tritt in den Verhältnissen, die für den Kindergeldanspruch erheblich sind, eine Änderung ein, ist die Festsetzung des Kindergeldes mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an aufzuheben oder zu ändern.
- 2.
Im so genannten Weiterleitungsverfahren ist es nicht Aufgabe der Familienkasse, Unterhaltsvereinbarungen unter verschiedenen Kindergeldberechtigten zu berücksichtigen und zu überprüfen. Bei Wechsel der Anspruchsvoraussetzungen ist es Sache der Beteiligten, ihre privatrechtlichen Vereinbarungen der Gesetzeslage anzupassen und etwaigeÜberzahlungen auf privater Grundlage auszugleichen.
Tatbestand
Streitig ist die Rückforderung von Kindergeld für den Zeitraum von Januar 1997 bis einschließlich Oktober 2000.
Der Kläger ist Arzt. Seit alters her bezog er das Kindergeld für die drei Kinder Pia, Anna und Christel aus der inzwischen geschiedenen Ehe mit Frau Ulrike S. Das Kindergeld wurde auf ein Konto bei der Kreissparkasse W überwiesen, das bis zum 25. Februar 2000 auf den Namen des Klägers und der Kindesmutter lautete. Erst danach wurde das Konto auf den Namen des Klägers umgeschrieben und war Frau S nicht mehr verfügungsbefugt.
Mit Schreiben vom 10. Oktober 2000 teilte der Kläger dem Beklagten mit, dass "im Rahmen unterhaltsrechtlicher Gegebenheiten" das Kindergeld ab sofort auf das Konto der Ehefrau zu überweisen sei. Daraufhin hob der Beklagte zunächst die Zahlung des Kindergeldes ab November 2000 auf. Auf telefonische Nachfrage bei Frau Ulrike S erfuhr der Beklagte, dass der Kläger seit dem 1. Juni 1995 von seiner Frau getrennt lebt und die Kinder im Haushalt der Ehefrau untergebracht sind. Nachdem sich Frau S gegenüber dem Beklagten geweigert hatte, die Weiterleitung des Kindergeldes durch ihren geschiedenen Ehemann an sich zu bestätigen, weil nach ihrer Ansicht der Kläger lediglich Unterhaltsleistungen, nicht aber Kindergeld an sie gezahlt habe, forderte der Beklagte mit Bescheid vom 26. Januar 2001 das von Januar 1996 bis Oktober 2000 gezahlte Kindergeld in Höhe von insgesamt 44.160,00 DM zurück. Der Einspruch gegen diesen Bescheid blieb ohne Erfolg.
Der Kläger begründet seine Klage damit, dass das Kindergeld bis zum 25. Februar 2000 auf ein Konto überwiesen wurde, für das jeweils beide Ehegatten allein uneingeschränkt verfügungsberechtigt gewesen seien. Mit der Zahlung auf dieses Konto habe der Beklagte seine Verpflichtung zur Zahlung von Kindergeld an die Kindesmutter zumindest bis Februar 2000 erfüllt. Frau S sei auch bekannt gewesen, dass das Kindergeld auf das Konto bei der Kreissparkasse überwiesen wurde. Eine andere rechtliche Würdigung ergebe sich auch nicht aus der Erklärung der Kindesmutter, dass über das Konto nur ihr Unterhalt, nicht aber das Kindergeld geflossen sei. Dieser Behauptung stehe die eindeutige Bestätigung der Sparkasse entgegen, dass die Kindesmutter über das Konto, auf das das Kindergeld überwiesen wurde, verfügungsberechtigt gewesen sei. Sei aber der Kindergeldanspruch der Kindesmutter erfüllt worden, dann sei der Rückforderungsanspruch gegenüber dem Kläger nicht begründet. Im übrigen sei die Erklärung der Kindesmutter zum Gegenstand der Zahlungen auf das Konto bei der Kreissparkasse auch unrichtig. Es habe eine Vereinbarung gegeben, dass der monatlich auf das Konto eingezahlte Betrag den Unterhalt einschließlich des Kindergeldes umfasse. Schließlich verweist der Kläger auf ein Schreiben des Rechtsanwalts F vom 6. Oktober 2000, der Frau Ulrike S im Unterhaltsprozess vertrat. Darin heißt es: "Weiter ist darauf hinzuweisen, dass Ihr Mandant das Kindergeld...in der Vergangenheit für sich eingenommen...[hat]. Es ist auch in dem von ihm gezahlten und von Ihnen insoweit auch ausgerechneten Kindesunterhalt das Kindergeld nicht hälftig mit enthalten. Es wird daher hiermit ihr Mandant aufgefordert, die insoweit vereinnahmten hälftigen Kindergeldbeträge (entgegenkommenderweise erst) rückwirkend ab Dezember 1999 zu zahlen, was bis einschließlich Oktober d.J. einen Gesamtbetrag von 4.600,00 DM ausmacht." In dieser Erklärung sei ein Verzicht der Kindesmutter auf das Kindergeld für den Zeitraum Januar 1996 bis einschließlich November 1999 zu sehen, der auch gegenüber dem Beklagten Wirkung habe mit der Folge, dass der Erstattungsanspruch zumindest für diesen Zeitraum nicht bestehe.
Der Kläger beantragt,
den Rückforderungsbescheid vom 26. Januar 2001 und den Einspruchsbescheid vom 8. Juni 2001 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte verweist auf die Erklärung der Kindesmutter, wonach keine Weiterleitung des Kindergeldes erfolgt sei. Ob der auf das Konto bei der Kreissparkasse eingezahlte Betrag nur den Unterhalt umfasse oder auch das Kindergeld einschließe, könne nur im Rahmen eines zivilrechtlichen Unterhaltsverfahrens geklärt werden.
Auf Nachfrage des Gerichts hat Herr Rechtsanwalt F erklärt, dass in seinem Schreiben vom 6. Oktober 2000 keinesfalls ein Verzicht von Frau Ulrike S auf den Kindergeldanspruch bis November 1999 zu sehen sei. Es beziehe sich nur auf die Höhe des Kindesunterhaltes. Das Kindergeld sei aus dem Unterhaltsverfahren ausgeklammert gewesen, Frau S mache den Anspruch weiterhin gegenüber dem Arbeitsamt geltend.
In der mündlichen Verhandlung vom 30. September 2002 hat der Beklagte den Rückforderungsbescheid für 1996 aufgehoben. Der Senat hat das Verfahren insoweit abgetrennt und unter dem Aktenzeichen 1 K 628/01 eingestellt.
Im Übrigen wird auf die im Klageverfahren eingereichten Schriftsätze sowie die Kindergeldakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Klage ist unbegründet.
Der Bescheid über die Rückforderung von Kindergeld für den Zeitraum Januar 1997 bis Oktober 2000 ist rechtmäßig.
1.
Materiell rechtlich steht dem Kläger für den Zeitraum von Januar 1997 bis Oktober 2000 kein Kindergeld zu. Gem. § 64 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) wird bei mehreren Berechtigten das Kindergeld demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat. Kindergeldberechtigt war somit die geschiedene Ehefrau und nicht der Kläger, weil die Kinder in deren Haushalt lebten.
2.
Verfahrensrechtlich konnte der Beklagte die Kindergeldfestsetzung nach § 70 Abs. 2 EStG ändern. Danach ist, soweit in den Verhältnissen, die für den Anspruch auf Kindergeld erheblich sind, Änderungen eintreten, die Festsetzung des Kindergeldes mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben oder zuändern. Im Streitfall hat sich im Jahre 1995 mit der Auflösung des gemeinsamen Haushalts des Klägers und seiner Frau eine für die Kindergeldfestsetzung maßgebliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen ergeben. Damit konnte der Beklagte, nachdem er von diesem Sachverhalt erfahren hatte, die Kindergeldfestsetzung von dem Zeitpunkt an aufheben, ab dem das Kindergeldrecht verfahrensrechtlich den Rechtsvorschriften der Abgabenordnung unterliegt.
3.
Der Kindergeldanspruch der Frau S ist nicht erloschen. Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers hat der Beklagte durch Überweisung des Kindergeldes auf das Konto bei der Kreissparkasse W nicht den Kindergeldanspruch von Frau Ulrike S erfüllt. Denn der Beklagte wollte eindeutig keine Verbindlichkeit der Ehefrau gegenüber erfüllen, sondern an den Kläger leisten. Dieser hatte seinerzeit den Kindergeldantrag gestellt, er wurde im fraglichen Zeitraum bei dem Beklagten als Berechtigter geführt, auch er war Mitberechtigter des Kontos bei der Kreissparkasse. Eine Leistungsbeziehung bestand somit ausschließlich im Verhältnis zwischen Kläger und Beklagtem.
4.
Es ist auch nicht festzustellen, dass eine Weiterleitung des Kindergeldes von dem Kläger an seine geschiedene Ehefrau erfolgt ist. Dabei kann dahin stehen, ob dieser Einwand schon deshalb ausgeschlossen ist, weil die Konsequenzen der Weiterleitung nur im Rahmen eines Erlass-, nicht aber des Festsetzungsverfahrens geprüft werden können, wie mitunter in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung vertreten wird (vgl. z.B. Hess. Finanzgericht, Urteil vom 7. September 1999 9 K 6413/97, EFG 2000, 2). Nach dieser Rechtsauffassung wäre die Klage unbegründet, weil der Kläger keinen auf Erlass der Rückforderung gerichteten Antrag gestellt hat; Einspruch und Klage haben eindeutig die Überprüfung der Rechtsmäßigkeit des Rückforderungsbescheides im Rahmen des Festsetzungsverfahrens zum Gegenstand. Die möglichen Folgen einer Weiterleitung des Kindergeldes scheitern jedoch schon daran, dass weder feststeht, dass der Kläger das Kindergeld an Frau S weitergeleitet hätte, noch sie eine Verzichtserklärung abgegeben hat:
a)
Ob der Kläger das Kindergeld weitergeleitet hat, ist zweifelhaft und kann von dem erkennenden Senat nicht geklärt werden. Diese Ungewissheit geht zu Lasten des Klägers. Es ist nicht Sache des Finanzgerichts, zu prüfen, ob die über das Konto bei der Sparkasse geflossenen Beträge nur den Unterhalt der Ehefrau umfassten oder das Kindergeld mit einschlossen. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat insoweit klargestellt, dass es nicht Aufgabe der Familienkasse ist, Unterhaltsvereinbarungen unter verschiedenen Kindergeldberechtigten zu berücksichtigen und zu überprüfen. Bei Wechsel der Anspruchsvoraussetzungen sei es vielmehr deren Sache, ihre privatrechtlichen Vereinbarungen der Gesetzeslage anzupassen oder bei verspäteter Anpassung mögliche Überzahlungen auf privater Grundlage auszugleichen (Beschluss des BFH vom 19. Mai 1999, VI B 39/99, veröffentlicht in Juris). Entsprechendes gilt für das Finanzgericht. Wenn der Kläger im Streitfall der Ansicht ist, im Falle der Rückzahlung des Kindergeldes zu hohe Unterhaltsleistungen an seine geschiedene Ehefrau erbracht zu haben, so kann diese Frage nur im Zivilrechtsweg geklärt werden.
b)
Eine Weiterleitung kann auch nicht deshalb unterstellt werden, weil die geschiedenen Ehefrau eine Verzichtserklärung abgegeben hätte. Denn es liegt keine Verzichtserklärung der Frau S dem Beklagten gegenüber vor. Frau S hat sich im Gegenteil ausdrücklich geweigert, auf dem ihr übersandten Vordruck den Erhalt des Kindergeldes zu bestätigen. Ob sie irgendwann dem Kläger gegenüber geäußert hat, keinen Kindergeldanspruch geltend machen zu wollen, ist für dieses Verfahren unerheblich. Aus diesem Grunde ist die beantragte Vernehmung der Frau S als Zeugin nicht erforderlich. Auch das Schreiben des Rechtsanwalts F vom 6. Oktober 2000 bewirkte keinen Anspruchsverzicht. Abgesehen davon, dass die Auslegung des Schreibens als Verzichtserklärung durch den Kläger sehr zweifelhaft ist und einiges dafür spricht, dass nur der Kindesunterhalt gemeint war, hätte ein wirksamer Anspruchsverzicht nur gegenüber der Familienkasse erklärt werden können. Denn der Kindergeldanspruch ist ein öffentlich-rechtlicher Leistungsanspruch,über den nur in dieser öffentlich-rechtlichen Rechtsbeziehung durch Verzicht verfügt werden kann. Der Kläger bzw. sein Prozessbevollmächtigter sind aber nicht Empfangsbevollmächtigte des Beklagten.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.