Landgericht Göttingen
Beschl. v. 21.12.2001, Az.: 10 T 69/01

Hinderung einer Beantragung der Zwangsversteigerung von Grundstücken auf Grund eines geschlossenen Sicherheitenvergleiches; Nutzung der Grundstücke zur Fortführung des Unternehmens; Auslegung eines Vergleiches; Verzicht auf das Recht zur Verwertung der Grundstücke im Zwangsversteigerungsverfahren; Einstweilige Einstellung des Verfahrens auf Antrag des Konkursverwalters

Bibliographie

Gericht
LG Göttingen
Datum
21.12.2001
Aktenzeichen
10 T 69/01
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2001, 29062
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGGOETT:2001:1221.10T69.01.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Göttingen - 12.10.2001 - AZ: 71 K 5/01

Fundstellen

  • NZI 2002, 34
  • ZInsO 2002, 142-144 (Volltext mit amtl. LS)

Verfahrensgegenstand

Im Grundbuch von Wibbecke Band 6 Blatt 173 eingetragenen Grundstücke lfd. Nr. 1 Gemarkung Wibbecke Flur 1, Flurstück 10/2, Gebäude- und Freifläche, An der Straut 1, lfd. Nr. 3 Gemarkung Wibbecke Flur 1, Flurstück 10/6, Gebäude- und Freifläche, An der Straut 1, Gemarkung Wibbecke Flur 1, Flurstück 10/10, Verkehrsfläche, Kommunale Entlastungsstraße, Gemarkung Wibbecke Flur 1, Flurstück 10/11, Waldfläche, Am Klusberge

Die 10. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen hat
durch
die Vorsitzende Richterin am Landgericht Pape,
die Richterin am Landgericht Merrem und
den Richter am Landgericht Dr. Guise-Rübe
auf die sofortige Beschwerde der Gläubigerin vom 12.10.2001
gegen den Beschluss des Amtsgerichts Göttingen vom 21.09.2001 - 71 K 5/01 -
am 21.12.2001
beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Gründe

1

Am 01.02.1995 wurde über das Vermögen der Firma Gebrüder Kühne GmbH Sägewerk und Holzhandel das Konkursverfahren eröffnet und Rechtsanwalt Dr. Richard Foltis zum Konkursverwalter bestellt. In der Gläubigerversammlung vom 21.03.19 und in der außerordentlichen Gläubigerversammlung vom 19.01.1996 / (6 beschlossen die Gläubiger einstimmig die Fortsetzung des Unternehmens der Gemeinschuldnerin und übertrugen die Entscheidung über die Schließung des Unternehmens auf den Konkursverwalter. Im Jahre 1996 schlössen der Konkursverwalter und die am Konkursverfahren beteiligten Gläubiger, unter anderem die Gläubigerin im vorliegenden Verfahren einen Sicherungsvergleich. Darin verpflichtete sich der Konkursverwalter zur Rücknahme von Anfechtungsklagen, die beim Landgericht Göttingen anhängig waren. Die Gläubiger verzichteten im Gegenzug auf Nutzungsentschädigung für die Nutzung von Anlagevermögen durch den Konkursverwalter.

2

Der Konkursverwalter hat in der Folgezeit das Unternehmen der Gemeinschuldnerin fortgeführt und in erheblichem Umfang investiert. Nachdem das Unternehmen in den ersten Jahren der Betriebsfortführung mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten kämpfte erzielte es im Jahre 2000 Gewinn. Der Cash-Flow belief sich auf 10.846.330,57 DM.

3

Auf den o. g. Grundstücken lastet zu Gunsten der Gläubigerin eine Grundschuld über 1.500.000 DM. Nach eigener Darstellung hat die Gläubigerin das zugrunde liegende besicherte Darlehen 1995 vollständig ausgebucht. Am 25.01.2001 hat die Gläubigerin den Antrag auf Anordnung des Zwangsversteigerungsverfahrens über die o. g. Grundstücke gestellt. Mit Beschluss vom 06.02.2001 hat das Amtsgericht die Zwangsversteigerung angeordnet. Der Schuldner hat die einstweilige Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens beantragt und ausgeführt, dass die Grundstücke zur Fortführung des Unternehmens genutzt und für die Vorbereitung der sanierenden Übertragung benötigt würden. Durch die nunmehr positive wirtschaftliche Entwicklung seien die Chancen der Veräußerung wesentlich verbessert, wenngleich es zurzeit keinen konkreten Interessenten gebe. Hinzu komme, dass die EAM Energie-Plus GmbH in unmittelbarer Nähe des Betriebs ein Biomasseheizkraftwerk errichten wolle, in dem der gesamte Restholzanfall verwertet werden solle. Insoweit liefen Verhandlungen mit der EAM. Für den erfolgreichen Abschluss eines entsprechenden Vertrags habe die Gemeinschuldnerin einen Mehrerlös von jährlich 1 Mio. DM zu erwarten. Außerdem führe dieser Vertrag zu einer erheblichen Einsparung von Heizkosten bei der Gemeinschuldnerin, zudem baue die EAM einen eigenen Gleisanschluss, den die Gemeinschuldnerin unentgeltlich mitbenutzen könne.

4

Der Konkursverwalter meint, aufgrund des geschlossenen Sicherheitenvergleichs sei die Gläubigerin gehindert, die Zwangsversteigerung der Grundstücke zu beantragen. Der Vergleich sei dahingehend auszulegen, dass die Gläubigerin auf ihr Recht zur Verwertung der Grundstücke im Zwangsversteigerungsverfahren verzichtet habe. Im Übrigen verstoße die Gläubigerin durch den jetzigen Antrag gegen Treu und Glauben, denn auch aufgrund ihrer Zustimmung sei die Betriebsfortführung beschlossen worden. Darüber hinaus verfolge die Gläubigerin mit dem Zwangsversteigerungsantrag sachfremde Ziele. Der Antrag zum jetzigen Zeitpunkt, in dem die Gemeinschuldnerin erstmals ein positives wirtschaftliches Ergebnis aufzuweisen habe, deute daraufhin, dass es der Gläubigerin darum gehe, das Unternehmen der Gemeinschuldnerin zu zerschlagen. Auf diese Weise wolle die Gläubigerin, die sich durch Kredite bei süddeutschen Sägewerken engagiert habe, diese Sägewerke von unliebsamer Konkurrenz befreien. Insoweit müsse auch berücksichtigt werden, dass die Gemeinschuldnerin in der ohnehin strukturschwachen Gegend der Landkreise Göttingen und Northeim ca. 300 Arbeitsplätze sichere.

5

Die Gläubigerin meint, ihr sein ein weiteres Zuwarten nicht zuzumuten, da das Anlagevermögen ständig an Wert verliere, sodass ihr, der Gläubigerin keine Sicherheiten mehr verblieben. Es gebe auch keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass bei einer freihändigen Verwertung der Grundstücke ein höherer Erlös zu erzielen wäre als bei der Versteigerung. Darüber hinaus sei fraglich, ob es dem Konkursverwalter überhaupt gelingen werde, das Unternehmen zu veräußern, denn in den vergangenen 6 Jahren seien sämtliche Versuche gescheitert.

6

Mit Beschluss vom 21.09.2001 hat das Amtsgericht auf Antrag des Konkursverwalters das Zwangsversteigerungsverfahren gem. § 30 c ZVG (a.F.) einstweilen eingestellt. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, durch die Zwangsversteigerung einzelner zum Betrieb der Gemeinschuldnerin gehörender Grundstücke würde die Veräußerung bzw. sanierende Übertragung des Unternehmens nicht nur wesentlich erschwert sondern möglicherweise verhindert, weil die Bemühungen des Konkursverwalters zur Erhaltung des Betriebs durch Gesamtveräußerung vereitelt würden. Hier bestehe durch die unterschiedlichen Rangpositionen der Rechte, aufgrund derer die Zwangsversteigerungen angeordnet worden seien, nicht die Möglichkeit der Versteigerung im Gesamtangebot. Die Einzelversteigerung der Grundstücke lasse mit Sicherheit einen erheblich geringeren Wert erwarten als bei einer späteren Veräußerung, die nach der derzeitigen wirtschaftlichen Lage des Betriebes der Gemeinschuldnerin erwartet werden könne. Dies sei jedoch nicht im Interesse der Konkursgläubiger-Gesamtheit, das gegenüber dem Interesse der das Verfahren betreibenden Gläubigerin das größere Gewicht habe. In der Gläubigerausschusssitzung vom 23.02.2001 sei der Konkursverwalter gebeten worden, die die Zwangsversteigerung betreibende Gläubigerin zur Rücknahme ihres Zwangsversteigerungsantrags zu bewegen. Daraus sei zu schließen, dass der Gläubigerausschuss mit der Fortführung des Unternehmens einverstanden sei. Die eigenen Interessen der Gläubigerin, die sie mit dem Zwangsversteigerungsantrag verfolge, müssten deshalb gegenüber dem Interesse der Gesamtgläubiger zurücktreten. Hier würde die Durchführung des Zwangsversteigerungsverfahrens unzweifelhaft zur Schließung des Betriebes führen und damit gleichzeitig den Verlust von über 300 Arbeitsplätzen bedeuten. Dieser sozialrelevante Aspekt könne nicht unbeachtet bleiben. Zu berücksichtigen sei auch, dass sich die wirtschaftliche Situation der Gemeinschuldnerin durch den Bau des Biomasseheizkraftwerkes noch erheblich verbessere und dadurch die Chancen für die Veräußerung des Unternehmens erhöht würden. Da die Verhandlungen mit der EAM Energie GmbH vor einem Abschluss stünden würde die Zwangsversteigerung auch dieses Vorhanden zunichte machen.

7

Die einstweilige Einstellung sei für die betreibende Gläubigerin auch nicht unzumutbar. Dies wäre nur dann der Fall, wenn sich die Gläubigerin selbst in einer ernsten Krise befände, was hier jedoch nicht vorgetragen worden sei.

8

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Gläubigerin mit der sofortigen Beschwerde. Sie meint, die Auffassung des Gerichts, dass die Einzelversteigerung mit Sicherheit einen erheblich geringeren Wert erwarten lasse als eine spätere Veräußerung beruhe auf einer unbewiesenen Annahme. Insofern habe das Gericht zunächst einmal ermitteln müssen, welchen Wert das Unternehmen bzw. die einzelnen Unternehmensteile habe. Auch habe das Amtsgericht den Verkehrswert für die einzelnen der Zwangsversteigerung unterliegenden Grundstücke feststellen müssen. Erst dann habe das Amtsgericht einen Wertvergleich durchführen können. Ohne konkrete Grundlage habe das Amtsgericht auch unterstellt, dass der Konkursverwalter in der Lage sei das Unternehmen oder Teile davon freihändig zu veräußern. Im Übrigen sei auch nicht belegt, dass sich das Unternehmen derzeit in einer positiven wirtschaftlichen Lage befinde. Hierzu habe es eines Gutachtens einer renommierten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft bedurft. Lediglich im Jahre 2000 habe das Unternehmen schwarze Zahlen geschrieben und dies nur deshalb, weil die Grundpfandrechtsgläubiger keine Nutzungsentschädigung für die Immobilien und die der Zubehörhaftung unterliegenden Gegenstände forderten. Deshalb sei auch nicht die Annahme gerechtfertigt, dass das Unternehmen dauerhaft Gewinne erzielen werde. Zur Überlebensfähigkeit des Unternehmens müsse deshalb zunächst ein Gutachten eingeholt werden. Ebenfalls nicht belegt sei auch die Behauptung des Konkursverwalters bezüglich des bevorstehenden Verhandlungsabschlusses mit der EAM Energie GmbH, sodass die insoweit ins Auge gefassten Einnahmen für die Prognose nicht herangezogen werden dürften.

9

Die sofortige Beschwerde ist gem. § 30 c Abs. 2 ZVG a.F., § 30 b Abs. 3 ZVG zulässig, sie ist jedoch nicht begründet. Die Entscheidung des Amtsgerichts ist zutreffend. Das Amtsgericht hat zu Recht das Verfahren auf Antrag des Konkursverwalters einstweilen eingestellt, denn die Voraussetzungen des § 30 c Abs. 1 ZVG a.F. liegen vor. Nach dieser Vorschrift ist das Verfahren auf Antrag des Konkursverwalters einstweilen einzustellen, wenn durch die Versteigerung die angemessene Verwertung der Konkursmasse wesentlich erschwert würde und wenn die einstweilige Einstellung dem betreibenden Gläubiger unter Berücksichtigung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse zuzumuten ist. Die Annahme des Amtsgerichts, dass durch die

10

Zwangsversteigerung der in Rede stehenden Grundstücke die Veräußerung des Unternehmens bzw. die sanierende Übertragung wesentlich erschwert und möglicherweise sogar verhindert würde, ist zutreffend. Entgegen der Auffassung der Gläubigerin bedurfte es für diese Feststellung auch nicht der Einholung mehrerer Gutachten. Die Gläubigerin betreibt die Zwangsversteigerung nicht nur bezüglich der o. g. Grundstücke sondern daneben sind weitere 6 Zwangsversteigerungsverfahren in Bezug auf Grundstücke der Gemeinschuldnerin anhängig. Die Rechte der Gläubigerin nehmen unterschiedliche Rangpositionen ein. Die Möglichkeit der Versteigerung im Gesamtangebot besteht damit nicht. Vielmehr ist es nur möglich, die jeweiligen Grundstücke einzeln zu versteigern. Dass die Grundstücke im Rahmen einer Einzelversteigerung einen geringeren Erlös erzielen als bei einer Gesamtverwertung ist allgemein bekannt und bedarf deshalb nicht der Bestätigung durch die Einholung eines Gutachtens. Das gilt insbesondere bei der hier vorliegenden Situation, dass die verschiedenen Grundstücke einheitlich als Betriebsgrundstück der Gemeinschuldnerin genutzt werden. Es wäre deshalb nicht möglich, ein einheitliches Grundstück mit einem darauf befindlichen Holzverarbeitungsbetrieb zu ersteigern, vielmehr bleibt nur die Ersteigerung einzelner Grundstücke. Dass unter diesen Voraussetzungen eine Veräußerung des Betriebs einen höheren Erlös erbringt, liegt auf der Hand. Die Gläubigerin kann sich deshalb auch nicht darauf berufen, dass z. Zt. kein konkreter Kaufinteressent vorhanden ist. Vielmehr ist auch hierbei zu bedenken, dass - unstreitig - das Unternehmen der Gemeinschuldnerin im Jahr 2000 Gewinne erwirtschaftet hat und deshalb die vom Amtsgericht angestellte Prognose der hierdurch verbesserten Veräußerungschancen berechtigt ist. Im Hinblick darauf bestehen hier die nach dem Gesetz geforderten konkreten Anhaltspunkte für eine bessere freihändige Verwertung des gesamten Unternehmens gegenüber der Einzelverwertung durch die Versteigerung der einzelnen Grundstücke. Im Ergebnis kommt es deshalb nicht darauf an, ob es zu dem vom Konkursverwalter in Aussicht gestellten Abschluss des Vertrags mit der EAM Energie GmbH kommt, der jedoch sicherlich die Veräußerungschancen des Unternehmens vergrößern würde.

11

Die einstweilige Einstellung ist der betreibenden Gläubigerin hier auch zuzumuten. Das Interesse der Konkursgläubigergesamtheit überwiegt hier den Einzelinteressen der betreibenden Gläubigerin. Wie das Amtsgericht bereits zutreffend ausgeführt hat, hat der Gläubigerausschuss den Konkursverwalter am 23.02.2001 gebeten, die betreibende Gläubigerin zur Rücknahme ihres Zwangsversteigerungsantrags zu bewegen. Mithin geht das Interesse der Mehrheit der Gläubiger dahin, das Unternehmen fortzuführen und die derzeitige Zerschlagung zu verhindern. Die Gläubigerin hat zudem nicht dargelegt, dass ihr die einstweilige Einstellung deshalb nicht zuzumuten ist, weil sie sich selbst in einer ernsten Krise befindet.

12

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Streitwertbeschluss:

Beschwerdewert: 300.000 DM.

Den Beschwerdewert hat die Kammer gem. § 3 ZPO festgesetzt und ist dabei in ständiger Rechtsprechung in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Braunschweig von 20 % der Grundschuldsforderung ausgegangen.

Pape,
Merrem,
Dr. Guise-Rübe