Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 27.04.2001, Az.: 1 L 3065/00

Fortsetzungsfeststellungsinteresse; Gefahr; Grundschule; Kinder; Kiosk; Prüfungsumfang beim Bauantrag; Straßenverkehr; Verursacher

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
27.04.2001
Aktenzeichen
1 L 3065/00
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2001, 40163
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 20.06.2000 - AZ: 8 A 5679/98

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Die Prüfung von Bauanträgen beschränkt sich nicht darauf, ob die Anlage für sich genommen sicher gebaut ist und genutzt werden kann. Vielmehr muss auch in den Blick genommen werden, ob die bauliche Anlage durch ihre Existenz oder ihre Nutzung Behinderungen oder Gefährdungen des Straßenverkehrs mit sich bringen kann.


2. Eine solche Gefahrenlage, welche die Versagung der Baugenehmigung zu rechtfertigen vermag, kann schon durch einen Kiosk, der unter anderem Süßigkeiten führt, entstehen, der unmittelbar gegenüber einer Grundschule an einer stärker befahrenen Landstraße (Ortsdurchfahrt) errichtet werden soll, ohne dass ein sicherer Überweg geschaffen worden ist.

Gründe

1

Der Kläger begehrt noch die Feststellung, der Beklagte habe ihm die Baugenehmigung zur Errichtung eines Kioskes (Warenangebot u.a.: Getränke und Süßigkeiten sowie Tabakwaren, gebratenes Fleisch, Salate und belegte Brötchen) so lange zu Unrecht verwehrt, wie zwischen dem Baugrundstück an der Westseite der Ortsdurchfahrt der Landesstraße 372 und der an seiner Ostseite stehenden Grundschule ein Fußgängerüberweg mit Ampel noch nicht installiert worden war. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit der angegriffenen Entscheidung, auf deren weitere Begründung verwiesen wird, im Wesentlichen mit den Erwägungen abgewiesen, ohne diese Lichtzeichenanlage habe die Gefahr bestanden, Kinder würden während der Pause trotz Verbots den Kiosk des Klägers aufsuchen und u.a. wegen der hohen Verkehrsfrequenz, dort abgestellter Wagen sowie überhöhter Geschwindigkeit körperlich zu Schaden kommen können.

2

Dagegen richtet sich der rechtzeitig gestellte, auf § 124 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 VwGO gestützte Zulassungsantrag. Dieser hat keinen Erfolg.

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Ernstliche Zweifel i.S. des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen nach ständiger Senatsrechtsprechung (Beschluss vom 31.7.1998 - 1 L 2696/98 -, NVwZ 1999, 431) erst dann vor, wenn für das vom Zulassungsantragsteller favorisierte Entscheidungsergebnis - auf dieses kommt es an und nicht auf einzelne Begründungselemente - "die besseren Gründe sprechen", d.h. wenn ein Obliegen in der Hauptsache wahrscheinlicher ist als ein Unterliegen.

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Dies lässt sich hier nicht schon mit der Begründung verneinen, Amtshaftungsansprüche bestünden offensichtlich nicht, daher sei ein berechtigtes Interesse an der erstrebten Feststellung i.S. des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO nicht (mehr) gegeben. Abgesehen davon, dass der Kläger auch verschuldensunabhängige Aufopferungsansprüche verfolgen kann, kann aus dem erstinstanzlichen Unterliegen nicht hergeleitet werden, ein Amtshaftungsbegehren müsse in jedem Fall am fehlenden Verschulden des Amtswalters scheitern. Richtig ist zwar, dass die Verwaltungsgerichte prüfen dürfen, ob das in Aussicht genommene Amtshaftungsbegehren, dessen Vorbereitung der Fortsetzungsfeststellungsantrag dient, aus anderen Gründen, als sie das Verwaltungsgericht an sich zu prüfen hat, offensichtlich aussichtslos ist. Erforderlich dafür ist jedoch, dass ohne eine ins Einzelne gehende Prüfung erkennbar ist, der behauptete Rechtsanspruch könne unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt bestehen; die Aussichtslosigkeit des Amtshaftungsbegehrens, muss ihm mit anderen Worten gleichsam "auf die Stirn geschrieben" sein (vgl. zum Vorstehenden: BVerwG, Urt. v. 27.3.1998 - 4 C 14.96 -, BVerwGE 106, 295, 301 f.). Das ist hier nicht der Fall. Denn ein Amtshaftungsanspruch scheitert nicht ausnahmslos dann, wenn das erstinstanzliche Verwaltungs- Kollegialgericht die Richtigkeit der Amtshandlung bestätigt hat. Der "Grundsatz", in einem solchen Fall sei die Verweigerung der Amtshandlung jedenfalls nicht i.S. des § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB verschuldet, erleidet nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zahlreiche Ausnahmen (vgl. zum Vorstehenden Staudinger-Karl-Schäfer, BGB 12. Aufl., § 839 Rdnr. 315 ff und 318 ff). Hier macht der Kläger geltend, das Verwaltungsgericht habe den Sachverhalt nicht vollständig aufgeklärt und die Gefahrenlage evident unzutreffend beurteilt. Unter diesen Gesichtspunkten ist der Senat an der Annahme gehindert, das in Aussicht genommene Amtshaftungsbegehren sei jedenfalls wegen fehlenden Verschuldens offensichtlich aussichtslos.

5

Die Rüge kann jedoch in der Sache keinen Erfolg haben. Nach Lage der Dinge sprechen die besseren Gründe für die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Kiosk habe wegen der durch sein Sortiment zu Lasten der Grundschüler ausgelösten Gefahrenlage nicht genehmigt werden können, solange die Lichtzeichenanlage und der gesicherte Überweg nicht hergestellt gewesen waren.

6

Es ist in der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts geklärt, dass sich die Prüfung von Bauanträgen nicht darauf beschränken kann, ob die Anlage "für sich genommen" sicher gebaut ist und genutzt werden kann. Nicht zuletzt § 1 Abs. 1 Satz 2 NBauO hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht vielmehr stets entnommen, die Zulässigkeit einer baulichen Anlage müsse auch im Hinblick darauf untersucht werden, ob sie durch ihre Nutzung oder wegen ihres Vorhandenseins Behinderungen oder Gefährdungen des Verkehres mit sich bringen könne. So hat der 6. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts beispielsweise in seinem Urteil vom 14. November 1997 - 6 L 2934/96 - eine direkt an der Grundstücksbegrenzung und der Straßenbegrenzungslinie errichtete Garage mit Hinblick darauf beanstandet, diese nehme dem Nachbarn die erforderliche Sichtverbindung zum Verkehr und hindere ihn dadurch, sich und sein Fahrzeug gefahrlos in den Verkehrsfluss einzufädeln. Auf derselben Linie liegt die Entscheidung des 6. Senats des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 25. Mai 1998 - 6 L 3142/96 -. Darin hatte der Senat einen Anspruch auf Genehmigung eines Einstellplatzes auf einem sehr breiten Trottoir in Hannover mit der Begründung versagt, zur Benutzung des Einstellplatzes müsse auf der rechten Fahrspur gehalten werden; das habe zur Folge, dass der nachfolgende Verkehr zum Halten oder zu riskanten Manövern gezwungen würde und der Verkehr in einem nahegelegenen Kurvenbereich gefährdet werde.

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Eine dem vergleichbare Sachlage hat das Verwaltungsgericht mit den besseren Gründen zu Lasten des streitigen Bauvorhabens angenommen, solange die zwischenzeitlich installierte Lichtzeichenanlage und der gesicherte Fußgängerüberweg nicht verwirklicht gewesen waren. Dazu hätte es der vom Verwaltungsgericht bemühten Figur des Zweckveranlassers allerdings nicht bedurft. Richtig ist, dass das Bau- ebenso wie das allgemeine Polizeirecht einen baurechtswidrigen Erfolg einer der in § 57 bis 61 NBauO genannten Personen nur dann zurechnet, wenn diese die letzte Ursache für die baurechtswidrige Gefahrenlage unmittelbar verursacht haben. Nur mittelbar verursachte Gefahren können diesen Personen allenfalls über die Figur des Zweckveranlassers zugerechnet werden. Auf die Rechtsfigur des Zweckveranlassers kommt es hier indes nicht an, weil schon das Hinzutreten des Kioskes unmittelbar die Gefahrenlage, nämlich eine Sachlage verursacht, in der Grundschüler zu Schaden kommen können. Zu Unrecht haben das Verwaltungsgericht und auch der Kläger angenommen, erst das Verhalten der Grundschüler müsse als weitere, dann im Rechtssinne "letzte" Ursache hinzugedacht werden, um die Gefahrenlage zu begründen. Tritt ein solches Verhalten zutage, ist sogar schon der Schadensfall gegeben, nicht jedoch die Gefahrenlage, deren Entstehung (schon) § 1 Abs. 1 Sätze 1 und 2 NBauO vorbeugen will. Insofern verhält es sich hier ähnlich wie im Falle "binärer Kampfstoffe". Eine Schule ist für sich eben so wenig gefahrenträchtig wie ein an der Landesstraße stehender Kiosk. Treten jedoch beide einander unmittelbar gegenüber, so setzt derjenige, der als letzter hinzutritt, die letzte Ursache für die dadurch entstehende Gefahrenlage. Dass dieses unmittelbare Gegenüber wegen des Angebots des Kioskes unmittelbar eine gefährliche Situation hervorruft, hat das Verwaltungsgericht, ohne dass der Kläger mit dem triftige Zulassungsangriffe entgegengetreten wäre, mit guten, jedenfalls besseren Gründen dargelegt, als sie im Zulassungsvorbringen enthalten sind. Diese Gesichtspunkte lassen sich etwa wie folgt zusammenfassen: Mit dem Angebot von Tabakwaren und gebratenem Fleisch nebst belegten Brötchen wendet sich der Kiosk u.a. an Pkw- und leichteren Lkw-Verkehr. Vor Erteilung der Baugenehmigung konnte auf beiden Seiten der Landesstraße (Ortsdurchfahrt) auf den Seitenstreifen geparkt werden, ohne dass dem verkehrsbehördliche Anordnungen entgegengestanden hätten. Diese geparkten Autos verursachen gerade für Grundschüler wegen ihrer geringen Körpergröße eine Sichtbarriere. Das Verwaltungsgericht hat des weiteren zutreffend und lebensnah dargelegt, dass sich Grundschüler nicht vollständig von dem Verbot beeindrucken lassen, das Schulgelände während der Schulzeiten, namentlich während der beiden großen Pausen zu verlassen. Es ist des weiteren lebensnah anzunehmen, die Schüler würden häufig in Gruppen die Straße überqueren wollen, um im Kiosk des Klägers Süßigkeiten oder Getränke einzukaufen. Damit geht notwendigerweise eine Verringerung der Aufmerksamkeit einher, weil Schüler untereinander zu kommunizieren pflegen. Es entsprechen die besseren Gründe für die Annahme, sowohl das angeregte Gespräch als auch die geparkten Wagen riefen die Gefahrensituation hervor, deren Entstehung § 1 Abs. 1 Sätze 1 und 2 NBauO vorbeugen will. An die Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintrittes sind nämlich - wie das Verwaltungsgericht ebenfalls zutreffend dargelegt hat - geringere Anforderungen zu stellen angesichts des Gewichts des bedrohten Rechtsguts (Leben und Gesundheit der Grundschüler).

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Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich zugleich, dass es auf die weiteren Ausführungen des Verwaltungsgerichts, welche in dem Zulassungsantrag allein angegriffen werden (heute vorhandene Halteverbotsregelungen) nicht ankommt. Denn diese ist erst zu einem späteren Zeitpunkt installiert worden. Hier geht es allein um den Zeitraum zwischen der Ablehnung des Bauantrages (bzw. dem Zeitpunkt, zu dem er spätestens hätte bearbeitet sein müssen) und der Erteilung der Baugenehmigung. Aus den Ausführungen auf Seite 13 Mitte des Urteilsabdrucks ergibt sich im Übrigen, dass das Verwaltungsgericht auf diese Frage entscheidungserheblich nicht abgestellt habe.

9

Die vorstehenden Ausführungen zeigen zugleich, dass die Berufung nicht auf der Grundlage von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zugelassen werden kann. Denn besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art weist ein Sachverhalt erst dann auf, wenn die Angriffe des Rechtsmittelführers schwierige Fragen aufwerfen, welche sich in Zulassungsverfahren nicht ohne Weiteres beantworten lassen (Senatsbeschluss vom 31.8.1998 - 1 L 3914/98 -, Nds.Rpfl. 1999, 44). Das Gegenteil ist indes nach den vorstehenden Ausführungen zum Nachteil des Klägers der Fall.

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Die erhobenen Grundsatzrügen rechtfertigen die zuzulassende Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ebenfalls nicht. Denn diese beziehen sich auf die Fragen nur mittelbarer Verursachung der Gefahr. Nach den vorstehenden Ausführungen ist die Gefahrenlage durch den Kiosk des Antragstellers jedoch nicht nur mittelbar, sondern unmittelbar hervorgerufen worden. Dementsprechend ist das Berufungsverfahren nicht geeignet, die auf Seite 6 unten der Zulassungsantragsschrift formulierten Fragen zu beantworten.

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Dem Kläger ist jedoch gemäß § 166 VwGO iVm §§ 114, 115, 121 ZPO Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt H. beizuordnen. Die Bedürftigkeit hat der Kläger dargelegt. Der Zulassungsantrag hatte auch i.S. des § 114 ZPO hinreichende Aussicht auf Erfolg. Er dringt zwar - wie aus den vorstehenden Ausführungen ersichtlich - nicht durch. Das Verfahren zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist indes nicht dazu bestimmt, vorwegnehmend die Fragen zu beantworten, die erst im Zulassungsantragsverfahren gelöst werden müssen. Die Ausführungen zum Zulassungsantrag haben gezeigt, dass auch ein Kläger, welcher den Prozess aus eigenen Mitteln bestreiten müsste, dieses Rechtsmittel versucht haben würde. Dementsprechend ist die Rechtsverfolgung auch nicht mutwillig gewesen.