Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 02.05.2001, Az.: 12 LA 1570/01
Aussetzung der Vollstreckung; familiäre Bindung; Regelausweisung; Sozialprognose
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 02.05.2001
- Aktenzeichen
- 12 LA 1570/01
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2001, 39531
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 02.03.2001 - AZ: 13 A 1620/01
Rechtsgrundlagen
- § 47 Abs 2 Nr 1 AuslG
- § 57 Abs 2 StGB
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die Aussetzung der Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung nach § 57 Abs. 2 StGB hindert eine Regelausweisung gem. § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG nicht.
Gründe
Nach diesem Maßstab bestehen entgegen der Auffassung des Klägers keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils des Verwaltungsgerichts.
Der Kläger macht geltend, entgegen der Ansicht der Ausländerbehörde und des Verwaltungsgerichts liege in seinem Fall eine Situation vor, die erheblich von der im Rahmen des § 47 AuslG vorausgesetzten gesetzlichen Normalsituation abweiche, weshalb die gegen ihn verfügte Ausweisung ungerecht und insbesondere unverhältnismäßig erscheine. Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts G. habe nämlich bei ihm - ausnahmsweise - bereits nach der Hälfte des Verbüßens der Freiheitsstrafe gem. § 57 Abs. 2 StGB eine "Strafaussetzung zur Bewährung" ausgesprochen und damit zu seinen Gunsten eine positive Prognose gestellt; hierdurch seien gleichzeitig die im Strafurteil vom ... Juli 1997 zu einer Verweigerung der Strafaussetzung zur Bewährung gezogenen negativen Schlussfolgerungen widerlegt worden, was in dem angefochtenen Urteil nicht berücksichtigt worden sei. Mit diesem Vorbringen berücksichtigt der Kläger aber nicht hinreichend, dass im Falle eine Regelausweisung nach § 47 Abs. 2 AuslG - der Kläger hat hier den Ausweisungsgrund nach § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG erfüllt, weil das Amtsgericht H. im Urteil vom ... Juli 1997 ausdrücklich von einer Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56 Abs. 1 StGB abgesehen und die Vollstreckung der von ihm, dem Gericht, verhängten "empfindlichen Freiheitsstrafe" von einem Jahr und zehn Monaten für geboten erachtet hat - von einer Ausweisung nur dann abgesehen werden kann, wenn im konkreten Einzelfall eine Sondersituation vorliegt (Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: März 2001, RdNr. 13 zu § 47 AuslG), die durch einen atypischen Geschehensablauf gekennzeichnet ist, der so bedeutsam ist, dass er das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regel (Ausweisung) beseitigt (Vormeier, in: GK-AuslR, Stand: April 2001, RdNr. 86 zu § 47 AuslG w. w. Nachw.). Der Kläger hätte daher darlegen müssen, dass bei ihm ein derartiger atypischer Geschehensablauf vorliegt, der es - ausnahmsweise - gerechtfertigt hätte, von der gesetzlichen Regel (Ausweisung angesichts der Verurteilung durch das Amtsgericht H., s. o.) abzuweichen und eine Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde zu eröffnen. Diese Darlegung ist dem Kläger aber auch im Berufungszulassungsverfahren mit dem Hinweis auf die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer nach § 57 Abs. 2 StGB und "enge familiäre Bindungen im Bundesgebiet" nicht gelungen. Bei dem Hinweis auf die Aussetzung des Strafrestes der zeitigen Freiheitsstrafe nach § 57 Abs. 2 StGB hat der Kläger nämlich bereits nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Aussetzung des Strafrestes gem. § 57 StGB an geringere Voraussetzungen anknüpft als die Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung nach § 56 StGB und dass diese Aussetzung der Strafvollstreckung in seinem Fall durch den Strafrichter (Urteil vom ... Juli 1997) gerade abgelehnt worden war. Im Gegensatz zur Aussetzung nach § 56 StGB, bei der die Prognose erforderlich ist, der Verurteilte werde sich bereits die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzuges weitere Straftaten nicht mehr begehen, ist für die Prognose bei einer Aussetzung des Strafrestes - auch nach § 57 Abs. 2 StGB - nur entscheidend, ob es verantwortet werden kann, zu erproben, ob der Verurteilte außerhalb des Strafvollzuges keine Straftaten mehr begehen wird (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.3.1994 - BVerwG 1 B 30.94 - , EZAR 032 Nr. 10 = InfAuslR 1994, 311(312)). Knüpft damit die Aussetzung des Strafrestes an geringere Anforderungen an als die Strafaussetzung zur Bewährung und liegt überdies beim Kläger in Gestalt der Strafzumessungserwägung des Urteils vom ... Juli 1997 eine ungünstige Sozialprognose vor, die zu Recht neben einer in der Tat vom ... Februar 1996 zum Ausdruck gelangten besonderen Gefährlichkeit des Klägers - das Opfer erlitt einen Schädelbasisbruch und weitere lebensbedrohliche Verletzungen - den Umstand hervorhebt, dass der Kläger zuvor bereits wegen vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt worden war, so ist angesichts dieser Umstände des Einzelfalls die Entscheidung nach § 57 Abs. 2 StGB nicht geeignet, eine Atypik zu begründen, mithin eine Ermessensentscheidung zu eröffnen. Außerdem kann vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Entscheidungshorizonte bei den Entscheidungen nach § 56 StGB und nach § 57 StGB keine Rede davon sein kann, die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer habe die (für den Kläger außerordentlich ungünstige) Sozialprognose des Urteils vom ... Juli 1997 "widerlegt". Dies gilt auch für die in das Verfahren eingeführten Stellungnahmen des Bewährungshelfers des Klägers. Hinzu kommt, dass die Ausländerbehörde (und auch das Verwaltungsgericht) an eine (positive) Entscheidung nach § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 StGB nicht gebunden sind, vielmehr eine auf spezialpräventive Gründe gestützte Ausweisung trotz einer Entscheidung nach § 57 StGB erfolgen kann, weil der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer nur tatsächliche Bedeutung i. S. einer Indizwirkung zukommt (BVerfG, 2. Kammer des Zweiten Senats, Beschl. v. 1.3.2000 - 2 BvR 2120/99 - , NVwZ 2001, 67 = DVBl. 2000, 697(698f.)). Hier haben aber die Ausländerbehörde und das Verwaltungsgericht der in der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer zum Ausdruck gekommenen Prognose gegenüber den Erwägungen des Strafrichters zur Strafzumessung - zu Recht - ein derartiges Geweicht beigemessen, dass sie zutreffend das Vorliegen atypischer Umstände verneint haben, die ausnahmsweise ein Absehen von der im Gesetz angeordneten Regel (Ausweisung) hätten rechtfertigen können.
Soweit der Kläger schließlich lediglich auf seine "familiären Bindungen im Bundesgebiet" hinweist, ist dieses Vorbringen ebenfalls nicht geeignet, einen Ausnahmefall zu kennzeichnen und im Berufungszulassungsverfahren ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Urteils hervorzurufen. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Tochter K. und der Sohn E., die über Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet verfügen sollen, volljährig sind, mithin als Minderjährige nicht in besonderem Maße auf die Betreuung durch ihren Vater angewiesen sind - besondere Umstände wie eine intensive Betreuung erforderlich machende Behinderung sind nicht vorgetragen oder ersichtlich. Des weiteren hat das Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil bereits zutreffend darauf hingewiesen, dass den übrigen Familienmitgliedern, die lediglich über Duldungen verfügen, zugemutet werden kann mit dem Kläger in den Kosovo zurückzukehren, und dass darin ein besonderer Ausnahmefall ebenfalls nicht gesehen werden kann.