Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 24.04.2001, Az.: 11 M 4041/00
Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis und Abschiebungsandrohung; Aufenthaltrecht nach Trennung von dem allein aufenthaltsberechtigten Ehegatten vor Ablauf von zwei Jahren des Zusammenlebens im Bundesgebiet; Voraussetzungen einer besonderen Härte; Ordnungsgemäße Eingliederung türkischer Arbeitnehmer in den Arbeitsmarkt der Mitgliedsstaaten der europäischen Union; Arbeitnehmereigenschaft im assoziationsrechtlichen Sinn; Aufenthaltsrecht einer Türkin nach dem Assoziationsabkommen und EuGH- Rechtsprechung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 24.04.2001
- Aktenzeichen
- 11 M 4041/00
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2001, 19008
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2001:0424.11M4041.00.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Hannover - 06.10.2000 - AZ: 10 B 1656/00
Rechtsgrundlage
- Art. 6 Abs. 1 1. Spiegelstrich ARB Nr. 1/80
Fundstellen
- AUAS 2001, 170-173
- DVBl 2001, 1012 (amtl. Leitsatz)
- DÖV 2001, 920 (amtl. Leitsatz)
- InfAuslR 2001, 317-319
- NVwZ 2001, 117-118
- NVwZ (Beilage zu Heft 11/2001) 2001, I 117-I 118 (Volltext mit red. LS)
- NVwZ (Beilage) 2001, 117-118 (Volltext mit red. LS)
Prozessführer
der Frau T. K,
Proz.-Bev.: Rechtsanwälte Kues und andere, Badenstedter Straße 19, 30449 Hannover,
Prozessgegner
die Landeshauptstadt Hannover - Ordnungsamt -, Leinstraße 14, 30159 Hannover,
In der Rechtssache
hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht - 11. Senat -
am 24. April 2001 beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 10. Kammer - vom 6. Oktober 2000 geändert.
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 24. März 2000 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten beider Rechtszüge.
Gründe
I.
Die am 4. Februar 1966 geborene Antragstellerin ist türkische Staatsangehörige. Sie begehrt die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die von der Antragsgegnerin versagte Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis und die Androhung ihrer Abschiebung in die Türkei.
Die Antragstellerin hielt sich erstmals in der Zeit von Dezember 1989 bis Dezember 1990 in Deutschland auf. Nach dem erfolglosen Betreiben eines Asylverfahrens kehrte sie freiwillig in die Türkei zurück. Dort heiratete sie am 26. April 1996 den schwerbehinderten türkischen Staatsangehörigen Serdar K., der im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis ist. Am 29. Juli 1997 reiste die Antragstellerin mit dem erforderlichen Visum im Wege des Ehegattennachzugs nach Deutschland ein. Unter dem 25. August 1997 erteilte die Antragsgegnerin ihr erstmals eine Aufenthaltserlaubnis. Diese war befristet bis zum 24. August 1998 und sollte im Falle der Inanspruchnahme von Sozialhilfe erlöschen. In der Zeit von November 1997 bis Januar 1998 gewährte die Antragsgegnerin der Antragstellerin und deren Ehemann Sozialhilfe in Form von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt. Gleichwohl erteilte sie der Antragstellerin, nachdem diese u.a. einen Arbeitsvertrag als Raumpflegerin mit der Firma M. vorgelegt hatte, am 9. April 1998 wiederum eine bis zum 8. April 1999 gültige Aufenthaltserlaubnis, die sie am 2. März 1999 bis zum 1. März 2000 verlängerte.
Anfang März 1999 verließ der Ehemann der Antragstellerin die gemeinsame Wohnung. Am 17. Februar 2000 beantragte die Antragstellerin die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis. Sie legte dabei eine Arbeitsgenehmigung für die Tätigkeit als Raumpflegerin bei der Firma M. für die Zeit vom 27. November 1999 bis 26. Mai 2000 und eine Gehaltsabrechnung dieser Firma vom 10. Februar 2000, in der als Eintrittsdatum der 3. Mai 1999 angegeben war, vor. Herr K. erklärte unter dem 3. Februar 2000, seit dem 7. März 1999 bei seinem Bruder zu wohnen; Kontakt zu der Antragstellerin habe er seitdem nicht mehr. Die Antragsgegnerin ermittelte bei der Firma M. telefonisch folgende Beschäftigungszeiten für die Antragstellerin:
- 1. Dezember 1997 bis 1. Februar 1998, geringfügige Beschäftigung
- 2. Februar 1998 bis 28. Februar 1998, festes Arbeitsverhältnis, nicht geringfügig
- 1. März 1998 bis 30. April 1998, Aushilfstätigkeit
- 4. Mai 1998 bis 31. März 1999, festes Arbeitsverhältnis, nicht geringfügig
- 3. Mai 1999 fortlaufend, festes Arbeitsverhältnis, nicht geringfügig.
Angehört zu der beabsichtigten Ablehnung des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis, erklärte die Antragstellerin mit anwaltlichem Schriftsatz vom 29. Februar 2000, sie habe unabhängig von der Frage einer Trennung von ihrem Ehemann einen Anspruch auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis aufgrund des Europäischen Gemeinschaftsrechts. Darüber hinaus müsse berücksichtigt werden, dass sie von ihrem Ehemann mehrfach verprügelt worden sei, wobei einer dieser Vorfälle zu einer Fehlgeburt geführt habe.
Mit Bescheid vom 24. März 2000 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ab und drohte der Antragstellerin für den Fall, dass diese ihrer gesetzlichen Ausreisepflicht nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung der Verfügung nachkomme, die Abschiebung an. Zur Begründung dieser Entscheidung führte die Antragsgegnerin aus, die Aufenthaltserlaubnis der Antragstellerin könne nicht gemäß §§ 18 Abs. 1, Nr. 4, 17 AuslG i.V.m. § 18 Abs. 4 AuslG verlängert werden, da die eheliche Lebensgemeinschaft mit ihrem Ehemann nicht mehr bestehe, sie kein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 19 AuslG (a. F.) erlangt habe und ein solches auch nicht aus Art. 6 Abs. 1 1. Spiegelstrich des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ARB Nr. 1/80) herleiten könne, weil sie nach der vorgelegten Gehaltsabrechnung erst seit dem 3. Mai 1999 und mithin noch nicht seit einem Jahr ordnungsgemäß bei dem gleichen Arbeitgeber beschäftigt sei; die vorhergehenden Beschäftigungszeiten bei der gleichen Firma bis zum 31. März 1999 seien insoweit unerheblich.
Am 4. April 2000 legte die Antragstellerin Widerspruch gegen den Bescheid der Antragsgegnerin ein, zu dessen Begründung sie sich u.a. darauf berief, dass sie ausweislich einer beigefügten Bescheinigung seit dem 1. Dezember 1997 ununterbrochen in ungekündigter Stellung - zeitweise geringfügig - bei der Firma M. beschäftigt sei.
Gleichfalls am 4. April 2000 hat die Antragstellerin bei dem Verwaltungsgericht Hannover um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht und zur Begründung dieses Begehrens auf ihr Vorbringen im Verwaltungsverfahren verwiesen. Sie hat überdies Arbeitsgenehmigungen für eine berufliche Tätigkeit jeder Art. für die Zeit vom 27. November 1998 bis 26. Mai 1999 und für eine Tätigkeit als Raumpflegerin bei der Firma M. für die Zeit vom 27. Mai bis 26. November 1999 vorgelegt. Weiterhin hat sie eine Bescheinigung der Firma M. vom 5. Mai 2000, der zufolge sie in der Zeit vom 1. April 1999 bis zum 3. Mai 1999 unbezahlten Urlaub in Anspruch genommen habe, beigebracht. Die Antragsgegnerin hat die Ansicht vertreten, ihr Sonderurlaub müsse wie der Jahresurlaub nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 ARB Nr. 1/80 den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt werden.
Die Antragstellerin hat beantragt,
die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 24. März 2000 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie hat sich auf die Begründung ihres angegriffenen Bescheides berufen, diese konkretisiert und vertieft und darüber hinaus geltend gemacht, der unbezahlte Urlaub der Antragstellerin vom 1. April bis zum 3. Mai 1999 stelle auch in Anbetracht der Regelungen des Art. 6 Abs. 2 ARB Nr. 1/80 eine anspruchsschädliche Unterbrechung der ordnungsgemäßen Beschäftigung der Antragstellerin dar.
Mit Beschluss vom 6. Oktober 2000 hat das Verwaltungsgericht den Eilantrag der Antragstellerin abgelehnt, weil deren Rechtsbehelf in der Hauptsache nicht zum Erfolg führen könne. Sie habe keinen Anspruch auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis. Ein solcher Anspruch folge nicht aus §§ 18 Abs. 1 Nr. 4, 17 Abs. 1 AuslG, weil die Antragstellerin von ihrem Ehemann getrennt lebe. Ein eigenständiges Aufenthaltsrecht komme der Antragstellerin selbst dann nicht zu, wenn die neue Fassung des § 19 Abs. 1 AuslG zugrunde gelegt werde. Weder habe die eheliche Lebensgemeinschaft seit mindestens zwei Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden, noch ergäben sich aus dem Vortrag der Antragstellerin hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich sein könne, der Antragstellerin den weiteren Aufenthalt zu ermöglichen. Die Antragstellerin besitze schließlich kein Aufenthaltsrecht nach Art. 6 Abs. 1, 1. Spiegelstrich ARB Nr. 1/80, weil sie zum maßgeblichen Zeitpunkt des 1. März 2000 nicht ein Jahr lang ununterbrochen ordnungsgemäß beschäftigt gewesen sei. Ihr Sonderurlaub könne nicht dem Jahresurlaub im Sinne des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 ARB Nr. 1/80 gleichgestellt und mithin nicht als Zeit ordnungsgemäßer Beschäftigung gewertet werden. Dies folge daraus, dass grundsätzlich nur die tatsächliche Erwerbstätigkeit der Verfestigung von Ansprüchen dienen könne. Zudem habe sich der Assoziationsrat bei Erlass des Vorgängerbeschlusses Nr. 2/76 in Anbetracht der Entwicklung der gemeinschaftsrechtlichen Regelungen über die Beschäftigungsunterbrechung von freizügigkeitsberechtigten Gemeinschaftsangehörigen bewusst dafür entschieden, nur den Jahresurlaub und nicht auch andere kürzere Unterbrechungen wie etwa einen Sonderurlaub als Beschäftigungszeit gelten zu lassen. Der Sonderurlaub der Antragstellerin lasse auch nicht deren aufgrund der vorangegangenen Beschäftigungszeit entstandenen Ansprüche gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ARB Nr. 1/80 unberührt. Diese Vorschrift könne auch in Anbetracht der Urteile des Europäischen Gerichtshofs in den Fällen Bozkurt (v. 06.06.1995 - Rs C-434/93 -, InfAuslR 1995, 261 ff.) und Nazli (v. 20.02.2000 - Rs C-340/97 -, InfAuslR 2000, 161 ff.) auf urlaubsbedingte Beschäftigungsunterbrechungen keine Anwendung finden.
Mit Beschluss vom 23. November 2000 (Az.: 11 M 3702/00) hat der Senat die Beschwerde der Antragstellerin nach § 146 Abs. 4 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage der Auswirkungen eines unbezahlten Sonderurlaubs auf die Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung nach Art. 6 Abs. 1 und 2 ARB Nr. 1/80 zugelassen.
Die Antragstellerin führt aus, ihr sei es wegen der Gewalttätigkeit ihres Ehemannes unzumutbar gewesen, an der ehelichen Lebensgemeinschaft festzuhalten. Hinsichtlich des assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts habe das Verwaltungsgericht den weiten Anwendungsbereich, den Art. 6 ARB Nr. 1/80 nach der Rechtsprechung des EuGH erlangt habe, verkannt. Ihren Sonderurlaub habe sie wegen Schwangerschaftsbeschwerden genommen. Nach einer Fehlgeburt habe sie die Arbeit wieder aufgenommen.
Die Beteiligten haben nach Zulassung der Beschwerde keine ausdrücklichen Anträge gestellt. Aus dem Vortrag der Antragstellerin ergibt sich ihr Begehren,
den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover vom 6. Oktober 2000 zu ändern und nach ihrem Antrag erster Instanz zu entscheiden.
Die Antragsgegnerin hat den verwaltungsgerichtlichen Beschluss verteidigt.
Auf entsprechende Anforderung des Senats hat die Antragstellerin Arbeitserlaubnisse auch für die Zeiten vom 27. November 1997 bis zum 26. Mai 1998 und vom 27. Mai 1998 bis zum 26. November 1998 - für berufliche Tätigkeit jeder Art. - sowie Verdienstbescheinigungen der Firma M. für die Monate Dezember 1997 bis März 1999 und Juni 1999 bis Februar 2000 vorgelegt. Danach beliefen sich die (Brutto-)Einkünfte der Antragstellerin im Dezember 1997 auf 293,80 DM (pauschal besteuerte geringfügige Beschäftigung) und überschritten erstmals im Juni 1998 die Grenze von 1.000,00 DM, die sie fortan - mit Ausnahme der Monate Oktober und Dezember 1998 sowie März 1999 - nicht mehr unterschritten. In der Abrechnung für Juni 1999 ist ein Vorschuss von 1.000,00 DM - offenbar für Mai 1999 - ausgewiesen. Das Bruttoeinkommen betrug ab diesem Monat in der Regel mehr als 1.400,00 DM. In einer Bescheinigung der Firma M. vom 7. Dezember 2000 heißt es, die Antragstellerin sei auf ihre Bitte wegen eines Frauenleidens in der Zeit vom 1. April bis zum 3. Mai 1999 von der Arbeit freigestellt worden. Da sie nicht krank geschrieben gewesen sei, habe man vereinbart, dass sie unbezahlten Urlaub nehme. Nach dem weiterhin vorgelegten Mutterpass der Antragstellerin war bei dieser am 8. März 1999 eine Schwangerschaft festgestellt worden.
Die Beschwerde der Antragstellerin ist begründet.
Entgegen der Einschätzung des Verwaltungsgerichts muss die im Rahmen der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung zugunsten der Antragstellerin ausgehen. Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung spricht eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Antragstellerin für den hier zu beurteilenden Zeitraum ab dem 1. März 2000 jedenfalls ein Aufenthaltsrecht aus Art. 6 Abs. 1 1. Spiegelstrich ARB Nr. 1/80 zusteht, so dass die Ablehnung einer Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis rechtswidrig ist und auch die ausgesprochene Abschiebungsandrohung keinen Bestand haben kann. Vor diesem Hintergrund muss das öffentliche Interesse an einer sofortigen Durchsetzung des angefochtenen Bescheides der Antragsgegnerin vom 24. März 2000 hinter das private Interesse der Antragstellerin zurücktreten, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache im Bundesgebiet verbleiben zu dürfen.
Für das Eilverfahren ist davon auszugehen, dass die Antragstellerin zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Ablaufs ihrer Aufenthaltserlaubnis am 1. März 2000 als dem regulären deutschen Arbeitsmarkt angehörende türkische Arbeitnehmerin ohne schädliche Unterbrechung länger als ein Jahr bei dem gleichen Arbeitgeber - der Firma M. - ordnungsgemäß beschäftigt war und dort auch weiterhin über einen Arbeitsplatz verfügte.
Nach der einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. etwa: Urteile v. 06.06.1995 -Bozkurt-, a.a.O.; v. 23.01.1997 - Rs C 171/95 -, InfAuslR 1997, 146 ff. -Tetik-; v. 26.11.1998 -Rs C 1/97-, InfAuslR 1999, 6 ff. - Birden -; v. 20.02.2000 - Nasli -, a.a.O. u. v. 11.05.2000 - Rs C 37/98 -, InfAuslR 2000, 326 ff - Savas -; dazu: GK-AuslR, IX - 1 Art. 6, Rn. 1 ff.; Gutmann, Die Assoziationsfreizügigkeit türkischer Staatsangehöriger, 2. Aufl. 1999, S. 31 ff.), der sich das Bundesverwaltungsgericht angeschlossen hat (Urteile v. 23.05.1995 - 1 C 3.94 -, BVerwGE 98, 298 ff.; v. 27.06.1995 - 1 C 5.94 -, BVerwGE 99, 28 ff., v. 17.06.1998 - 1 C 27.96 -, NVwZ 1999, 775 ff. [BVerwG 17.06.1998 - 1 C 27/96] u. v. 19.09.2000 - 1 C 13.00 -, DVBl. 2001, 220 ff.), lässt Art. 6 ARB Nr. 1/80 die Befugnis der Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft unberührt, Vorschriften sowohl über die Einreise türkischer Staatsangehöriger in ihr Hoheitsgebiet, als auch über die Voraussetzungen für deren erste Beschäftigung bis zum Ablauf des ersten Jahres zu erlassen, regelt jedoch die Stellung derjenigen türkischen Arbeitnehmer, die bereits ordnungsgemäß in den Arbeitsmarkt der Mitgliedstaaten eingegliedert sind. Für diese gewährt er mit dem Recht auf (weitere) Beschäftigung zugleich ein ausländerrechtliches Aufenthaltsrecht. Die Vorschrift hat als Europäisches Gemeinschaftsrecht Vorrang vor dem nationalen Recht und wirkt in den Mitgliedsstaaten unmittelbar.
Das in Art. 6 Abs. 1 ARB Nr. 1/80 enthaltene Erfordernis der ordnungsgemäßen Beschäftigung und die damit im wesentlichen inhaltsgleiche (EuGH, Urt. v. 26.11.1998 - Birden -, a.a.O.; BVerwG, Urt. v. 19.09.2000, a.a.O.; Hailbronner, AuslR, D 5.4, Rn. 16) Voraussetzung der Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt besagen, dass die Beschäftigung im Einklang mit den arbeitserlaubnis- und aufenthaltsrechtlichen nationalen Vorschriften erfolgen muss; im Hinblick auf das Aufenthaltsrecht muss eine gesicherte, nicht nur vorläufige Position vorliegen (EuGH, Urt. v. 26.11.1998 - Birden -, a.a.O.; BVerwG, Urteile v. 23.05.1995, v. 27.06.1995 u. v. 19.09.2000, jew. a.a.O.). Die Antragstellerin erfüllte diese Bedingungen, denn sie war von Ende November 1997 bis zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt des 1. März 2000 zum einen ununterbrochen im Besitz von Arbeitserlaubnissen, die ihr teilweise für die ausgeübte Beschäftigung als Reinigungskraft im Dienst der Firma M., teilweise sogar für eine Beschäftigung jeder Art erteilt worden waren. Zum anderen war ihr Aufenthalt durchweg durch die erforderlichen Aufenthaltserlaubnisse gedeckt. Auf die Frage, ob die der Antragstellerin unter dem 25. August 1997 erteilte erste Aufenthaltserlaubnis entsprechend der ihr beigefügten Nebenbestimmung wegen der Inanspruchnahme von Sozialhilfe durch die Antragstellerin um die Jahreswende 1997/1998 erloschen war, kommt es dabei nicht an. Denn mit der Erteilung einer weiteren Aufenthaltserlaubnis am 9. April 1998 hat die Antragsgegnerin zu erkennen gegeben, dass sie die Ordnungsgemäßheit des Aufenthalts der Antragstellerin nicht in Frage stellen wollte.
Die Antragstellerin ist, obwohl sie insbesondere in den ersten Monaten ihrer Tätigkeit als Reinigungskraft bei der Firma M. nur geringfügig beschäftigt war, für die gesamte Zeit ihrer beruflichen Tätigkeit als Arbeitnehmerin im assoziationsrechtlichen Sinne zu qualifizieren. Ein Arbeitsverhältnis ist hier wie im übrigen Gemeinschaftsrecht dadurch gekennzeichnet, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Dabei bleiben nur solche Tätigkeiten außer Betracht, die wegen ihres geringen Umfangs völlig untergeordnet und unwesentlich sind (EuGH, Urt. v. 26.11.1998 - Birden -, a.a.O.; BVerwG, Urt. v. 19.09.2000, a.a.O.; Gutmann, a.a.O., S. 79 ff.). Entsprechend werden in der Rechtsprechung und Literatur (VGH Kassel, Beschl. v. 04.12.1995 - 12 TG 3096/95 -, InfAuslR 1996, 133 ff.; OVG Münster, Beschl. v. 21.10.1998 - 18 B 2762/97 -, AuAS 1999, 38 ff.; Hailbronner, a.a.O. Rn. 18; GK-AuslR, a.a.O., Rn. 45) zu Recht auch geringfügig und sozialversicherungsfrei Beschäftigte zu den Arbeitnehmern im assoziationsrechtlichen Sinne gezählt. Für ein Ausklammern dieser Beschäftigten aus dem Arbeitnehmerbegriff (in diesem Sinne: Allgemeine Anwendungshinweise des BMI zum ARB 1/80 v. 01.10.1998, InfAuslR 1999, 13 ff., Nr. 2.2.1; dem folgend: VGH München, Urt. v. 14.03.2000 - 10 B 99.1383 -, InfAuslR 2000, 269 ff.; in BVerwG, Urt. v. 19.09.2000, a.a.O., nicht entscheidungstragend) ist im Gemeinschafts- und Assoziationsrecht eine Grundlage nicht ersichtlich. Für die Antragstellerin kommt hinzu, dass sie ausweislich der vorgelegten Verdienstbescheinigungen sehr schnell in ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis hineingewachsen ist.
Die ordnungsgemäße Beschäftigung der Antragstellerin ist durch ihren unbezahlten Sonderurlaub bzw. ihre Freistellung von der Arbeitsleistung in der Zeit vom 1. April bis zum 3. Mai 1999 nicht in anspruchsvernichtender Weise unterbrochen worden. Hiervon ist jedenfalls für das Eilverfahren auszugehen.
Es spricht bereits Überwiegendes dafür, dass die fragliche Zeit von nur gut einem Monat dem Begriff des Jahresurlaubs in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 ARB Nr. 1/80 gleichzusetzen ist und damit zu den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung zählt. Die Erwägungen zur Entwicklung der Regelungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer in der Gemeinschaft, mit denen das Verwaltungsgericht seine gegenteilige Einschätzung begründet, erscheinen für sich allein als nicht tragfähig, zumal der ARB Nr. 1/80 ausweislich seiner dritten Begründungserwägung im sozialen Bereich zu einer im Vergleich zu der Vorgängerregelung ARB Nr. 2/76 besseren Regelung für die Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen führen sollte (vgl. dazu: EuGH, Urt. v. 26.11.1998 - Birden -, a.a.O.; GK-AuslR, a.a.O., Rn. 11). Der Normzweck des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 ARB Nr. 1/80 geht ersichtlich dahin, im einzelnen benannte kurze Abwesenheitszeiten bei fortbestehendem Beschäftigungsverhältnis den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichzustellen (in diesem Sinne: GK-AuslR, a.a.O., Rn. 164). Dies spricht dafür, unter Jahresurlaub im assoziationsrechtlichen Sinne den dem jeweiligen Arbeitnehmer konkret zustehenden Urlaub zu verstehen und damit auch Sonderurlaube und andere einvernehmliche Freistellungen von der Arbeitspflicht als Teil der anrechenbaren Beschäftigungsdauer anzusehen (GK-AuslR, a.a.O., Rn. 164; Gutmann, a.a.O., S. 102; Huber, Handbuch des Ausländer- und Asylrechts, Bd. II, 402 B, Beschl. 1/80 EWG-TR, Rn. 52). Die von der Gegenansicht (Renner, Ausländerrecht in Deutschland, 1998, Rn. 201 und AuslR, 7. Aufl. 1999, § 2 AuslG, Rn. 29) angeführte Gefahr, die Arbeitsvertragsparteien könnten frei darüber befinden, dass die Arbeitnehmer auch mit beschäftigungslosen Zeiten - unter Umständen im Ausland verbracht - in die jeweils höhere Stufe hineinwachsen könnten, mag in Missbrauchsfällen einer Gleichstellung entgegenstehen. Ein derartiger Fall liegt hier jedoch nicht vor, denn die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, dass sie wegen Schwangerschaftsbeschwerden von der Arbeit freigestellt worden ist.
Selbst wenn man jedoch den in Rede stehenden Zeitraum nicht gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 1 ARB Nr. 1/80 als Zeit ordnungsgemäßer Beschäftigung werten wollte, ließe die dann anzunehmende Beschäftigungsunterbrechung den bereits zuvor entstandenen Anspruch der Antragstellerin aus Art. 6 Abs. 1 1. Spiegelstrich ARB Nr. 1/80 nach summarischer Prüfung gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ARB Nr. 1/80 unberührt. Zwar lassen sich Sonderurlaubs- bzw. Freistellungszeiten nicht unter die in Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ARB Nr. 1/80 allein verwandten Begriffe der unverschuldeten (bzw. unfreiwilligen, vgl. dazu: GK-AuslR, a.a.O., Rn. 175 ff.; Gutmann, a.a.O., S. 104 ff.) Arbeitslosigkeit und der langen Krankheit subsumieren. Gleichwohl dürfte im vorliegenden Fall der weithin vertretene (BVerwG, Urteile v. 23.05.1995 u. v. 27.06.1995, jew. a.a.O.; Beschl. v. 12.11.1996 - 1 B 195.96 -, InfAuslR 1997, 285 f.; Hailbronner, a.a.O., Rn. 24 ff.; Anwendungshinweise des BMI, a.a.O., Nrn. 2.1.3 und 2.7.3) und auch dem verwaltungsgerichtlichen Beschluss zugrunde liegende Umkehrschluss, Fehlzeiten bzw. Unterbrechungen, die nicht in Art. 6 Abs. 2 ARB Nr. 1/80 ausdrücklich zugunsten der türkischen Arbeitnehmer als unschädlich anerkannt seien, brächten zuvor entstandene Ansprüche nach Art. 6 Abs. 1 ARB Nr. 1/80 stets zum Erlöschen, jedenfalls unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zweifelhaft sein. Denn der Gerichtshof hat bereits im Urteil Tetik (a.a.O.) unter Zurückweisung dieses Umkehrschlusses angenommen, dass die Berechtigung aus Art. 6 Abs. 1 3. Spiegelstrich ARB Nr. 1/80 die freiwillige Arbeitslosigkeit zum Zweck des Stellenwechsels einschließe. Im Urteil Nazli (a.a.O.) hat er dann in der Unterbrechung der Beschäftigung durch Untersuchungshaft, die im konkreten Fall länger als ein Jahr gedauert hatte, unabhängig von den Tatbestandsmerkmalen des Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ARB Nr. 1/80 und in Anlehnung an seine bereits im Urteil Bozkurt (a.a.O.) geprägte Terminologie ein nur vorübergehendes Verlassen des Arbeitsmarktes erblickt, das anders als das endgültige Ausscheiden aus diesem nicht zum Verlust der nach Art. 6 Abs. 1 ARB Nr. 1/80 erworbenen Rechte führe. Obwohl das Urteil Nazli wiederum einen nach Art. 6 Abs. 1 3. Spiegelstrich ARB Nr. 1/80 Anspruchsberechtigten betraf, spricht vieles dafür, dass die Frage der Anspruchsschädlichkeit von Beschäftigungsunterbrechungen nach der Beurteilung des Europäischen Gerichtshofs hinsichtlich sämtlicher Berechtigungen aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 anhand der Unterscheidung zwischen einem nur vorübergehenden oder aber endgültigen Verlassen des Arbeitsmarktes zu beantworten ist (so auch Becker/Glupe, InfAuslR 2000, 165 f).
Da nach alledem im Eilverfahren ein Aufenthaltsrecht der Antragstellerin aus Art. 6 Abs. 1, 1. Spiegelstrich ARB Nr. 1/80 anzunehmen ist, kann dahinstehen, ob der Antragstellerin nach der Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit ihrem Ehemann Serdar K. ein eigenständiges Recht zum Aufenthalt auch aus § 19 AuslG zusteht, der hier im übrigen nach Maßgabe des Beschlusses des Senats vom 6. März 2001 (Az.: 11 MA 690/01; vgl. auch: VGH Kassel, B. v. 01.09.2000 - 12 Zu 2783/00 -, DVBl. 2001, 229) noch in seiner bis zum 1. Juni 2000 geltenden Fassung anwendbar wäre, weil die eheliche Lebensgemeinschaft vor diesem Datum aufgelöst wurde.
Streitwertbeschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 8.000,00 DM festgesetzt.