Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 07.12.2010, Az.: 11 LA 36/09

Gebotenheit der nochmaligen Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines sofort vollziehbaren Untersagungsbescheides gegenüber dem Vermittler von Sportwetten im Vollstreckungsverfahren; Pflicht zur Aussetzung des Rechtsstreits um die Rechtmäßigkeit einer Vollstreckungsmaßnahme bis zum Eintritt der Bestandskraft der zu vollstreckenden Grundverfügung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
07.12.2010
Aktenzeichen
11 LA 36/09
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 29617
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2010:1207.11LA36.09.0A

Amtlicher Leitsatz

Es ist weder geboten, die Rechtmäßigkeit eines sofort vollziehbaren Untersagungsbescheides (gegenüber dem Vermittler von Sportwetten) im Vollstreckungsverfahren nochmals zu überprüfen, noch ist der Rechtsstreit um die Rechtmäßigkeit einer Vollstreckungsmaßnahme zwingend bis zum Eintritt der Bestandskraft der zu vollstreckenden Grundverfügung auszusetzen.

Gründe

1

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

2

Der Beklagte untersagte dem Kläger mit Bescheid vom 24. November 2005, "Sportwetten für in Niedersachsen nicht konzessionierte Veranstalter oder Anbieter" - damals die Fa. topsportwetten und digibet - "zu vermitteln oder zu bewerben". Dem Kläger wurde weiterhin für den Fall des Verstoßes ein Zwangsgeld in Höhe von 10.000,- EUR angedroht. Das Verwaltungsgericht hat die Klage gegen diesen Bescheid mit Urteil vom 19. Juni 2006 abgewiesen. Über die dagegen vom Kläger eingelegte Berufung hat der Senat noch nicht entschieden (vormals: 11 LC 281/06, jetzt: 11 LC 386/10). Unter dem 18. Juli 2006 ordnete der Beklagte die sofortige Vollziehung des Bescheides an. Dagegen gerichtete Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 und 7 VwGO blieben erfolglos; insoweit wird auf den letzten Beschluss des Senats vom 8. Juli 2008 Bezug genommen (-11 MC 71/08 -, Nds.VBl. 2008, 317 ff.). Da der Kläger ungeachtet dessen in Osnabrück und Bad Harzburg weiterhin Sportwetten vermittelte, setzte der Beklagte mit dem hier streitigen Bescheid vom 16. Oktober 2007 das angedrohte Zwangsgeld fest, drohte ein weiteres Zwangsgeld in Höhe von 12.000, - EUR an und erhob dafür Gebühren in Höhe von 355, - EUR. Mit Bescheid vom 18. Januar 2008 wurde ein weiteres Zwangsgeld in Höhe von 12.000, - EUR festgesetzt. Einen dagegen gerichteten Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO wies der Senat mit Beschluss vom 23. April 2009 zurück, ordnete aber auf den Hilfsantrag nach § 123 VwGO wegen fehlender Wiederholungsgefahr die (vorläufige) Einstellung der Zwangsvollstreckung an; wegen der Einzelheiten wird auf diesen Beschluss Bezug genommen (- 11 ME 478/08 -, NdsVBl 2009, 345 ff.). Die Anfechtungsklage gegen den hier streitigen (älteren) Bescheid vom 16. Oktober 2007 hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 12. Dezember 2008 abgewiesen. Die Vollstreckungsvoraussetzungen der §§ 64 Abs. 1 und 3, 65 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, § 70 Nds. SOG seien gegeben, da die Grundverfügung sofort vollziehbar und das nunmehr festgesetzte Zwangsgeld zuvor ordnungsgemäß angedroht worden sei. Die vom Kläger bestrittene Rechtmäßigkeit des sofort vollziehbaren, nicht nichtigen Grundverwaltungsaktes sei im Vollstreckungsverfahren nicht zu überprüfen. Der Kläger habe (noch) im Zeitpunkt der Zwangsgeldfestsetzung gegen die Untersagungsverfügung verstoßen.

3

Der gegen dieses Urteil gerichtete Zulassungsantrag des Klägers entspricht schon nicht den Anforderungen an die Darlegung nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO. Dazu muss sich das Vorbringen zumindest sinngemäß einem oder mehreren der in § 124 Abs. 2 VwGO genannten Zulassungsgründe eindeutig zuordnen lassen; hingegen ist es nicht Aufgabe des Senats, ein Vorbringen, das ungeordnet teilweise ausdrücklich auf Zulassungsgründe Bezug nimmt, im Übrigen ohne klare Bezeichnung sinngemäß anderen Gründen zuzuordnen sein könnte, für den Zulassungsantragsteller erst in eine stimmige Reihenfolge zu bringen und den Zulassungsgründen zuzuordnen, zu denen es objektiv noch am Ehesten passt (vgl. Happ, in: Eyermann (Hrsg.), VwGO, 13. Aufl., § 124a, Rn. 58, m.w.N.). Hieran gemessen ist die Darlegung unzureichend.

4

Denn der Kläger beginnt seine Ausführungen unter Ziffer II. 1. der Begründung mit den Worten, dass die rechtliche Problematik von "besonderer Bedeutung" sei. Daraus wird nicht deutlich, ob der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 2 oder 3 VwGO gemeint ist. Sollte Ersteres der Fall sein, so ist weder ausdrücklich noch sinngemäß zu erkennen, welche der folgenden Ausführungen hierzu oder zu dem unmittelbar danach angeführten Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gehören sollen. Vielmehr folgen ohne klare Trennung Ausführungen, die ggf. hierzu oder auch zu dem erst am Schluss (S. 7) ausdrücklich benannten Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gehören sollen und schließlich noch die "eingestreute" Rüge umfassen, über die vorliegende Klage sei verfahrensfehlerhaft vorab entschieden worden; § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO wird dabei allerdings nicht benannt. Zusätzlich enthält die Begründung des Zulassungsantrages offenbar noch Bestandteile aus anderen Verfahren, soweit auf Seite 6 auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Stuttgart im Hauptsacheverfahren oder auf Seite 4 auf eine hier unerhebliche Bestimmung des Bundesvollstreckungsrechts abgestellt wird.

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Unabhängig von diesen formellen Bedenken vermag der Senat aber auch in der Sache keine Zulassungsgründe zu erkennen.

6

Zunächst greift die denkbare Verfahrensrüge (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) nicht durch, das Verwaltungsgericht habe nicht vorab über den hier streitigen Bescheid entscheiden dürfen. Die vom Kläger gewünschte Verbindung (§ 93 VwGO) mit der Klage gegen die Grundverfügung vom 24. November 2005 schied offensichtlich aus, da diese vom Verwaltungsgericht bei Eingang der neuen Klage gegen den hier streitigen Vollstreckungsbescheid im November 2007 bereits lange abgewiesen, also nicht mehr anhängig war. Eine Aussetzung des Verfahrens nach § 94 VwGO steht selbst bei unterstellter Vorgreiflichkeit ausdrücklich im Ermessen des Gerichts; dieses Ermessen ist nicht allein wegen der Vorgreiflichkeit im Sinne einer Aussetzungspflicht reduziert. Ebenso wenig gibt es für die vorliegende Fallgestaltung eine gegenüber § 94 VwGO speziellere Bestimmung des materiellen oder Prozessrechts, aus der eine solche Aussetzungspflicht folgt. Im Übrigen hat der Kläger im ersten Rechtszug eine entsprechende Aussetzung selbst nicht geltend gemacht. Gemäß § 173 VwGO i.V.m. §§ 295, 534 ZPO kann er sich im Zulassungsverfahren auch deshalb nicht erfolgreich auf einen solchen vermeintlichen Verfahrensfehler berufen (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 27.2.2009 - 5 LA 126/06 -, [...], m.w.N.).

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Ebenso wenig bestehen ernstliche Zweifel i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Der Senat hat bereits in seinem zuvor genannten Beschluss vom 23. April 2009 im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ausführlich begründet, dass Voraussetzung für die Vollstreckung der hier maßgeblichen Grundverfügung nach § 64 Abs. 1 Nds. SOG (i V. m. § 70 NVwVG) allein ihre Wirksam- und sofortige Vollziehbarkeit ist; die Rechtmäßigkeit der Grundverfügung ist hingegen nicht nochmals im Vollstreckungsverfahren zu überprüfen. Auf diese Begründung wird Bezug genommen. Soweit der Kläger meint, aus § 18 VwVG des Bundes ergebe sich eine weitergehende Prüfungspflicht, trifft dies schon deshalb nicht zu, weil die hier maßgebliche Grundverfügung nach dem niedersächsischen und nicht nach dem Bundesrecht zu vollstrecken ist und das niedersächsische Vollstreckungsrecht eine § 18 VwVG entsprechende Norm nicht enthält. Die stattdessen in § 23 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 Alt. 1 NVwVG für die Vollstreckung nach niedersächsischem Landesrecht aus Leistungsbescheiden getroffene Regelung, wonach erst nach "unanfechtbarer" Aufhebung des Leistungsbescheides getroffene Vollstreckungsmaßnahmen aufzuheben sind, unterstreicht die Annahme, dass nach niedersächsischem Landesrecht nur die Vollziehbarkeit des Grundverwaltungsaktes Vollstreckungsvoraussetzung ist. Ebenso wenig folgt aus dem Gebot effektiven Rechtsschutzes eine weitergehende Prüfungspflicht. Vielmehr ist es einem Betroffenen, der - wie der Antragsteller - (mehrfach) erfolglos um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die sofort vollziehbare Grundverfügung nachgesucht hat, zuzumuten, dem Unterlassungsgebot aus der Grundverfügung vorläufig nachzukommen und damit eine Zwangsgeldfestsetzung überhaupt zu vermeiden. Soweit erst nach dem Eintritt der Bestandskraft eines Zwangsgeldbescheides die Grundverfügung (rückwirkend) ihre Wirksamkeit verliert, verbleibt dem Betroffenen die Möglichkeit, das Wiederaufgreifen des Verfahrens hinsichtlich der Festsetzung des Zwangsgeldes zu beantragen, vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.12.2004 - 1 C 30/03 -, BVerwGE 122, 293 ff.) sowie für Leistungsbescheide die dargelegte Sonderregelung in § 23 NVwVG. Auch insoweit ist der Betroffene also nicht rechtsschutzlos. Damit sind die mit dem Schriftsatz vom 3. Dezember 2010 aktualisierten Einwände des Klägers gegen die Rechtswidrigkeit der Grundverfügung - wegen Unions- bzw. Verfassungsrechtswidrigkeit der (jeweiligen) Ermächtigungsgrundlage, unzureichender Begründung sowie fehlerhafter Ermessensausübung - in diesem Verfahren unbeachtlich. Aus dem weiterhin zitierten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22. November 2007 (- 1 BvR 2218/06 -) folgt gleichfalls nicht die hier allein beachtliche Nichtigkeit der mittelbar angegriffenen Grundverfügung, die zwar vor dem 1. Januar 2008 erlassen worden ist, deren Rechtmäßigkeit als Dauerverwaltungsakt sich aber gemäß dem einschlägigen materiellen Recht nunmehr nach dem gegenwärtigen Rechtszustand bemisst und die vom Beklagten aufrechterhalten worden ist (vgl. Senatsbeschl. v. 8.7.2008 - 11 MC 71/08 -, a.a.O.). Erst recht haben die zum Jahresbeginn 2008 erfolgten Rechtsänderungen im Sportwettenbereich nicht in sonstiger Weise (i.S.d. § 43 Abs. 2 VwVfG) zur Erledigung der zuvor erlassenen Grundverfügung geführt. Sollte das weitere Vorbringen des Klägers so zu verstehen sein, dass sich die Untersagungsverfügung vom 24. November 2005 selbst keine inhaltlichen Wirkungen über das Jahr 2007 hinaus beimisst, so trifft auch dies nicht zu. Zudem hat der Beklagte klargestellt, dass er auch aktuell an seiner Grundverfügung festhält. Soweit der Kläger schließlich sinngemäß einwendet, die Voraussetzungen für den Erlass des hier streitigen Zwangsgeldes hätten jedenfalls im Erlasszeitpunkt nicht vorgelegen, kann ihm auch nicht gefolgt werden. Denn Vollstreckungsvoraussetzung ist nicht die vom Kläger bestrittene Rechtmäßigkeit, sondern nur die von Beginn der Einleitung der Vollstreckung bis heute gegebene (sofortige) Vollziehbarkeit der Grundverfügung. Es kann deshalb offen bleiben, auf welchen Zeitpunkt insoweit maßgeblich abzustellen ist.

8

Besondere rechtliche Schwierigkeiten i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO weist das Verfahren nicht auf. Wie in der zitierten Rechtsprechung des Senats geklärt ist, ist die Rechtmäßigkeit eines sofort vollziehbaren Grundverwaltungsaktes im Vollstreckungsverfahren nach §§ 64 ff. Nds. SOG nicht zu überprüfen. Mit dieser ihm bekannten Rechtsprechung und dem zu Grunde liegenden niedersächsischen Recht setzt sich der Kläger nicht auseinander, so dass insoweit keine erneute - besonders schwierige - Überprüfung geboten ist. Demnach sind die auf die Rechtswidrigkeit der Grundverfügung zielenden Einwände des Klägers unerheblich und können dem Rechtsstreit ebenfalls keine Schwierigkeiten vermitteln. Ebenso geklärt ist, dass auch vor dem 1. Januar 2008 erlassene Untersagungsverfügungen gegenüber Vermittlern von privaten Sportwetten jedenfalls nach niedersächsischem Recht, das der Aufsichtsbehörde insoweit (§ 22 Abs. 4 Satz 2 NGlüSpG) kein Ermessen einräumt, nicht allein bedingt durch die nachfolgenden Rechtsänderungen untergegangen sind. Da die Grundverfügung hier weiterhin wirksam ist, stellt sich auch nicht entscheidungserheblich die Frage, ob im Falle der (nachträglich bestandskräftig festgestellten uneingeschränkten) Rechtswidrigkeit und damit der Unwirksamkeit der Grundverfügung auch eine Zwangsgeldfestsetzung als Vollstreckungsmaßnahme rechtswidrig ist. Im Übrigen ergibt sich aus den vorherigen Ausführungen ohne Weiteres, dass in diesem Falle ein Anspruch auf Aufhebung des Zwangsgeldbescheides bestehen kann.

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Aus den vorgenannten Gründen kommt dem Rechtsstreit auch keine grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zu. Soweit der Kläger diesbezüglich ergänzend auf den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes Baden-Württemberg vom 12. Januar 2009 (- 6 S 957/08 -) verweist, verkennt er, dass dieser zu dem hier nicht entscheidungserheblichen dortigen Landesrecht ergangen ist. Zudem übergeht der Verwaltungsgerichtshof die sich gerade auch auf das Landesrecht von Baden-Württemberg beziehende Feststellung des Bundesverwaltungsgerichts, dass nach ständiger Rechtsprechung nach dem Verwaltungsvollstreckungsrecht des Bundes (§ 6 Abs. 1 VwVG) und der Länder (vgl. hier §§ 2, 18 LVwVG) ein Verwaltungsakt, der auf die Vornahme einer Handlung gerichtet ist, mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden, wenn er unanfechtbar geworden ist oder sein sofortiger Vollzug angeordnet bzw. dem Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung beigelegt ist, und dementsprechend unabdingbare Grundlage einer rechtmäßigen Verwaltungsvollstreckung allein die Wirksamkeit, nicht aber die Rechtmäßigkeit der Grundverfügung ist (Urt. v. 25.9.2008 - 7 C 5/08 -, NVwZ 2009, 122, m.w.N.; ebenso aus neuerer Zeit für das jeweilige Landesrecht etwa der Bayr. VGH, Beschl. v. 12.4.2010 - 10 ZB 09.2097 -, sowie Sachs. OVG, Beschl. v. 29.1.2010 - 1 B 580/09 -, [...], jeweils m.w.N.).