Landgericht Göttingen
Beschl. v. 11.08.2008, Az.: 10 T 80/08
Aufhebung einer bewilligten Stundung der Verfahrenskosten eines Insolvenzverfahrens wegen nicht abgeführter pfändbarer Lohnanteile des Schuldners; Versagung einer beantragten Restschuldbefreiung; Anforderungen an den Nachweis der Kausalität der Obliegenheitspflichtverletzung eines Schuldners für eine Beeinträchtigung der Gläubigerbefriedigung
Bibliographie
- Gericht
- LG Göttingen
- Datum
- 11.08.2008
- Aktenzeichen
- 10 T 80/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 37431
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGGOETT:2008:0811.10T80.08.0A
Verfahrensgang
Rechtsgrundlagen
- § 295 InsO
- § 296 Abs. 2 InsO
Fundstellen
- DStR 2008, XIV Heft 40 (red. Leitsatz)
- NZI 2008, 625-626 (Volltext mit red. LS)
- NZI (Beilage) 2009, 31 (red. Leitsatz)
...
hat die 10. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen
durch
S. als Einzelrichterin auf die sofortige Beschwerde des Schuldners vom 30.06.2008
gegen den Beschluss des Amtsgerichts Göttingen vom 12.06.2008 - 71 IN 23/00 -
am 11.08.2008
beschlossen:
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde wird der angefochtene Beschluss des Amtsgerichts Göttingen aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Gründe
Im vorliegenden Insolvenzverfahren hatte das Amtsgericht dem Schuldner die Kosten des Verfahrens gestundet und ihm die Erteilung der Restschuldbefreiung angekündigt. Mit Beschluss vom 31.01.2005 hat das Amtsgericht das Insolvenzverfahren aufgehoben. Bereits mit Schreiben vom 28.04.2005 teilte der Treuhänder dem Amtsgericht mit, der Schuldner erfülle seine Pflichten nicht und führe die pfändbaren Lohnanteile nicht ab. Das Amtsgericht wies den Schuldner auf seine Pflichten und die drohende Aufhebung der Kostenstundung hin. Mit Verfügung vom 11.10.2005 wiederholte das Amtsgericht diese Hinweise.
Nachdem der Treuhänder dem Insolvenzgericht mit Schreiben vom 02.04.2007 mitgeteilt hatte, er habe erst im Dezember 2006 davon Kenntnis erlangt, dass der Schuldner seit dem 01.06.2006 eine neue Beschäftigung habe, hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 14.08.2007 die dem Schuldner bewilligte Stundung der Verfahrenskosten aufgehoben. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde des Schuldners hat die 10. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen mit Beschluss vom 26.09.2007 (10 T 120/07) zurückgewiesen.
Die oben genannten Gläubiger erhielten auf Grund eines Schreibens des Treuhänders Kenntnis von diesem Beschluss. Sie haben daraufhin mit jeweiligem Schreiben vom 26.02.2008, 28.02.2008 und 20.03.2008 beantragt, dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen. Dabei haben sie sich auf den oben genannten Beschluss der 10. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen vom 26.09.2007 (10 T 120/07) bezogen.
Der Schuldner hat die Auffassung vertreten, die Anträge seien nicht zulässig, weil die Gläubiger die Versagungsgründe nicht hinreichend substantiiert vorgetragen und glaubhaft gemacht hätten. Auch fehle Vortrag dazu, dass die Obliegenheitspflichtverletzung des Schuldners eine Beeinträchtigung der Gläubigerbefriedigung zur Folge gehabt habe. Selbst wenn der Schuldner seine Obliegenheiten erfüllt und die pfändbaren Beträge an den Treuhänder abgeführt hätte, wären dadurch die Gläubigerforderungen nicht befriedigt worden, weil zunächst die Verfahrenskosten und Masseverbindlichkeiten getilgt worden wären. Zwischen einer Obliegenheitsverletzung des Schuldners und einer Gläubigerbenachteiligung fehle auch der erforderliche Kausalzusammenhang. Schließlich treffe den Schuldner auch kein Verschulden. Zwar sei ihm der Gesetzestext des §295 InsO mitgeteilt worden, er sei jedoch in Bezug auf die von der Abtretung erfassten Bezüge davon ausgegangen, dass es ausreiche, wenn er entweder das Insolvenzgericht oder aber den Treuhänder hiervon in Kenntnis setze. Tatsächlich habe er den Treuhänder mit Schreiben vom 05.07.2006 darüber unterrichtet, dass er ab Juni 2006 ein neues Arbeitsverhältnis eingegangen sei. Gehe man jedoch davon aus, dass der Schuldner seine Obliegenheiten schuldhaft verletzt habe, handele es sich bei der fehlenden Unterrichtung des Insolvenzgerichts nur um einen unwesentlichen Verstoß, der die Versagung der Restschuldbefreiung nicht rechtfertige.
Mit Beschluss vom 12.06.2008 hat das Amtsgericht dem Schuldner die beantragte Restschuldbefreiung versagt. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, die Versagungsanträge der Gläubiger seien zulässig. Im Hinblick darauf, dass sowohl den Gläubigern als auch dem Schuldner die Entscheidung des Landgerichts vom 26.09.2007 bekannt gewesen sei, habe die Bezugnahme der Gläubiger auf diesen Beschluss ausgereicht, um den Versagungsantrag zu begründen.
Den Schuldner treffe auch eine schuldhafte Obliegenheitsverletzung, denn er habe aufgrund des ihm zugesandten Merkblatts zur Wohlverhaltensperiode erkennen können, dass er zur Anzeige sowohl gegenüber dem Treuhänder als auch gegenüber dem Insolvenzgericht verpflichtet gewesen sei. Er habe sich hier auch nicht darauf verlassen dürfen, dass sein Schreiben vom 05.07.2006 dem Treuhänder zugegangen sei, denn nachdem er innerhalb einer Frist von vier bis sechs Wochen auf dieses Schreiben keine Reaktion des Treuhänders erfahren habe, habe er sich beim Treuhänder nach dem Verbleib seines Schreibens erkundigen müssen. Im Übrigen liege es hier auf der Hand, dass die Gläubiger geschädigt worden seien. Der Schuldner habe nicht dafür gesorgt, dass die von ihm abzuführenden Beträge nachträglich gezahlt wurden. Zahlungen seien nicht geflossen, so dass den Gläubigern ein Schaden entstanden sei.
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Schuldner mit der sofortigen Beschwerde. Er meint nach wie vor, dass die Versagungsanträge der Gläubiger bereits aus formalen Gründen unzulässig seien. Insoweit habe auch lediglich die Gläubigerin zu 3. auf den Beschluss des Landgerichts vom 26.09.2007 Bezug genommen. Die beiden übrigen Gläubiger hätten in ihren Anträgen auch nicht andeutungsweise auf diesen Beschluss verwiesen. Darüber hinaus reiche es für die Glaubhaftmachung nicht aus, auf einen gerichtlichen Beschluss Bezug zu nehmen, denn der Beschluss enthalte keine Ausführungen zur Kausalität und zur messbaren Beeinträchtigung der Befriedigung der Gläubiger.
Das Amtsgericht habe es entgegen §296 Abs. 2 InsO auch unterlassen, die übrigen am Verfahren beteiligten Gläubiger anzuhören. Schließlich werde der Schuldner den Nachzahlungsbetrag in Höhe von 1.486,00 EUR durch Ratenzahlungen der Masse zuführen, wie er dies mit Schreiben vom 08.07.2008 angekündigt habe.
Die sofortige Beschwerde des Schuldners ist gemäß §§6, 296 Abs. 3 InsO zulässig. Sie ist insoweit begründet, als der angefochtene Beschluss aufzuheben und das Verfahren zunächst an das Amtsgericht zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen ist. Das Amtsgericht hat das im Gesetz vorgesehene Verfahren nicht eingehalten. Es hat entgegen §296 Abs. 2 InsO vor der Entscheidung über den Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung nicht die Insolvenzgläubiger gehört. Das Amtsgericht hat hier rechtliches Gehör dem Treuhänder, dem Schuldner und den drei antragstellenden Gläubigern gewährt. §296 Abs. 2 InsO fordert jedoch, dass alle Insolvenzgläubiger vor der Entscheidung über den Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung zu hören sind (Uhlenbruck/Vallender, Insolvenzordnung, 12. Auflage §296 Rdnr. 27; Kübler/Prütting/Wenzel, Kommentar zur Insolvenzordnung, 31. Lfg. 1/08 §296 Rdnr. 6; Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung/Ahrens, 4. Auflage, §296 Rdnr. 29). Das Amtsgericht muss zur Einhaltung des ordnungsgemäßen Verfahrens die Anträge der Gläubiger und die Einlassung des Schuldners allen am Anhörungsverfahren Beteiligten zur Gewährung des rechtlichen Gehörs zusenden.
Ergänzend merkt die Kammer bereits jetzt an:
Bedenken gegen die Zulässigkeit des Antrags auf Versagung der Restschuldbefreiung bestehen jedenfalls nicht in Bezug auf den Antrag der Gläubigerin zu 3. Diese Gläubigerin hat sich für die Begründung und Glaubhaftmachung ihres Antrags auf das Schreiben des Treuhänders vom 22.02.2008 bezogen. Dieses Schreiben, in dem der Treuhänder wiederum auf den Beschluss des Landgerichts vom 26.09.2007 Bezug nimmt, hat die Gläubigerin zu 3. ebenso wie den genannten Beschluss des Landgerichts vom 26.09.2007 dem Antrag beigefügt. Damit hat sie unzweifelhaft die in diesem Beschluss aufgeführten Gründe aufgegriffen und zur Grundlage ihres Antrags gemacht. Dies reicht zur Glaubhaftmachung aus. Der Gläubiger ist befugt, eine schriftliche Erklärung des Treuhänders und - sofern sich wie im vorliegenden Fall - die Gründe aus einem gerichtlichen Beschluss ergeben, einen Gerichtsbeschluss seinem Antragsschreiben beizufügen (vgl. Uhlenbruck/Vallender, Insolvenzordnung, 12. Auflage §296 Rdnr. 11).
Entgegen der Auffassung des Schuldners hat die Gläubigerin zu 3. auch eine auf der Obliegenheitsverletzung des Schuldners beruhende Beeinträchtigung der Befriedigung der Insolvenzgläubiger glaubhaft gemacht. Hier sind an die Glaubhaftmachung dieser Voraussetzung keine strengen Anforderungen zu stellen, denn es ist unstreitig, dass der Schuldner die Aufnahme seiner Beschäftigung ab Juni 2006 dem Insolvenzgericht nicht angezeigt hat. Aufgrund der unterbliebenen Anzeige sind die pfändbaren Anteile seines Einkommens nicht zur Masse gezogen worden. Diese Beträge belaufen sich auf unstreitig 1.486,00 EUR. Wäre dieser Betrag der Masse zugeflossen, stünde er - ganz oder teilweise - zur Befriedigung der Gläubiger zur Verfügung.
Der Schuldner kann sich in diesem Zusammenhang nicht darauf berufen, dass die Beträge - sofern sie der Masse zugeflossen wären - zur Tilgung der Verfahrenskosten und Masseverbindlichkeiten verwendet worden wären. Es reicht jedwede Beeinträchtigung der Befriedigungsmöglichkeiten oder -aussichten der Insolvenzgläubiger aus (Kübler/Prütting/Wenzel, Kommentar zur Insolvenzordnung, 31. Lfg. 1/08 §296 Rdnr. 5; Graf-Schlicker/Kexel, Insolvenzordnung, §296 Rdnr. 2; Uhlenbruck/Vallender, Kommentar zur Insolvenzordnung, 12. Auflage §296 Rdnr. 18). Insoweit kommt es auf eine wirtschaftliche Betrachtungsweise an (BGH ZVI 2006, 257 [BGH 05.04.2006 - IX ZB 50/05]). Die Beeinträchtigung der Gläubigerinteressen ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass pfändbare Bezüge zunächst auf die offenen Verfahrenskosten angerechnet werden müssen (Kübler/Prütting/Wenzel, Kommentar zur Insolvenzordnung, 31. Lfg. 1/08 §296 Rdnr. 5; AG Holzminden ZVI 2006, 260, 261 [AG Holzminden 08.02.2006 - 10 IK 96/02]). Der gegenteiligen Auffassung des Amtsgerichts Göttingen (ZInsO 2007, 1001, 1004) folgt die Kammer nicht. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die in Rede stehenden Zahlungen der Masse tatsächlich fehlen. Die Gläubiger werden in ihren Befriedigungsmöglichkeiten hierdurch beeinträchtigt. Wenn - wie hier - der Schuldner im Laufe der Wohlverhaltensperiode einer Beschäftigung nachgeht und pfändbare Beträge zur Masse gezogen werden können, mehrt sich entsprechend die zur Befriedigung der Gläubiger zur Verfügung stehende Masse, so dass insgesamt Beträge zu erwarten sind, die über die Kosten des Verfahrens hinausgehen. Die vom Schuldner nicht abgeführten 1.486,00 EUR stehen damit letztlich den Gläubigerin nicht zur Verfügung.
Der Schuldner kann sich auch nicht darauf berufen, dass er beabsichtigt, diesen ausstehenden Betrag in Raten der Masse zuzuführen. Zum einen hat der Schuldner bislang keine Raten gezahlt. Zum anderen genügt auch die Verzögerung der Zugriffsmöglichkeit des Treuhänders auf die an ihn abzuführenden Mittel (Kübler/Prütting/Wenzel a.a.O. Rdnr. 5). Entgegen der Auffassung des Schuldners scheitert die Kausalität zwischen der Obliegenheitsverletzung und der Beeinträchtigung der Gläubiger auch nicht daran, dass er - nach seinem Vorbringen - dem Treuhänder mit Schreiben vom 05.07.2006 die Aufnahme der Beschäftigung angezeigt hat. Selbst wenn das Vorbringen des Schuldners zutrifft, ist jedoch ein solches Schreiben beim Treuhänder nicht eingegangen. Infolgedessen hat der Treuhänder die Einziehung der pfändbaren Anteile zur Masse nicht veranlassen können. Hätte jedoch der Schuldner entsprechend seiner Obliegenheitspflicht die Aufnahme seiner Beschäftigung auch dem Insolvenzgericht angezeigt, hätte das Insolvenzgericht die entsprechende Mitteilung an den Treuhänder weitergeleitet. Der Treuhänder hätte auf diese Weise von der Tätigkeit des Schuldners Kenntnis erlangt und die entsprechenden Schritte zur Einziehung der pfändbaren Anteile veranlasst.
Den Schuldner trifft auch ein Verschulden. Auf das mangelnde Verständnis des Gesetzestextes kann er sich nicht berufen. Selbst wenn ihm der Wortlaut des §295 Abs. 1 Nr. 3 InsO unverständlich war und er den ihm vom Amtsgericht übersandten Gesetzestext dahin verstanden hat, dass er entweder den Treuhänder oder das Insolvenzgericht zu benachrichtigen hat, so musste jedoch ein solches Missverständnis spätestens durch das Schreiben des Amtsgerichts vom 11.10.2005 ausgeräumt sein. In diesem Schreiben des Amtsgerichts heißt es: ... "weiter ist die Aufnahme einer neuen beruflichen Tätigkeit und die Angabe des Arbeitseinkommens unverzüglich (binnen einer Woche) nach Antritt dieser Tätigkeit bzw. eine wesentliche Veränderung ihrer Vermögensverhältnisse unverzüglich sowohl dem Treuhänder als auch dem Insolvenzgericht anzuzeigen". Damit war unmissverständlich klargestellt, dass im Falle einer Arbeitsaufnahme bzw. einer wesentlichen Veränderung der Vermögensverhältnisse das Insolvenzgericht und der Treuhänder zu benachrichtigen waren. Diesen Hinweis des Amtsgerichts konnte der Schuldner nicht missverstehen. Wenn er jedoch dieses Schreiben des Amtsgerichts nicht beachtete, handelte er schuldhaft.
Die unterbliebene Benachrichtigung des Insolvenzgerichts stellt auch keinen unwesentlichen Verstoß gegen die Obliegenheiten des Schuldners dar. Der Schuldner, der die Möglichkeit der Restschuldbefreiung für sich in Anspruch nehmen will, muss die damit verbundenen Obliegenheiten peinlich genau einhalten. Gerade die Aufnahme einer Tätigkeit und die Erzielung eines Verdienstes, der teilweise zur Befriedigung der Gläubiger zur Verfügung steht, ist eine bedeutende Mitwirkungspflicht des Schuldners. Ein Verstoß hiergegen stellt eine wesentliche Obliegenheitsverletzung dar.