Landgericht Göttingen
Beschl. v. 03.07.2008, Az.: 10 T 73/08

Voraussetzungen eines Haftbefehls gegen einen Insolvenzverwalter aufgrund wiederholter Säumnis bei gerichtlich anberaumten Terminen; Anwendbarkeit der §§ 97, 98 Insolvenzordnung (InsO) auf einen Insolvenzverwalter

Bibliographie

Gericht
LG Göttingen
Datum
03.07.2008
Aktenzeichen
10 T 73/08
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2008, 19814
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGGOETT:2008:0703.10T73.08.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Göttingen - 16.06.2008 - AZ: 74 IN 11/01
nachfolgend
BGH - 17.12.2009 - AZ: IX ZB 175/08

Fundstellen

  • NZI 2008, 502-503
  • NZI (Beilage) 2009, 15 (red. Leitsatz)
  • ZIP 2008, 1933-1934 (Volltext mit red. LS)
  • ZInsO 2008, 1143-1144 (Volltext mit red. LS)
  • ZVI 2008, 540-541 (Volltext mit red. LS)

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Die §§ 97, 98 InsO sind auf den Insolvenzverwalter nicht anwendbar.

  2. 2

    Die Zwangsmittel des § 98 InsO können gegen einen Insolvenzverwalter auch dann nicht angeordnet werden, wenn ein Sonderinsolvenzverwalter zur Prüfung der Frage bestellt ist, ob gegen den Insolvenzverwalter Schadensersatzansprüche zugunsten der Masse geltend gemacht werden können.

  3. 3.

    Will das Insolvenzgericht Auskünfte des Insolvenzverwalters erzwingen, ist es auf die Zwangsmaßnahmen des § 58 InsO beschränkt.

In dem Insolvenzverfahren
...
hat die 10. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen
durch
die Vorsitzende Richterin am Landgericht Pape als Einzelrichterin
auf die sofortige Beschwerde des Insolvenzverwalters vom 26.06.2008
gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts Göttingen vom 16.06.2008 - 74 IN 11/07 -
am 03.07.2008
beschlossen:

Tenor:

Der vom Amtsgericht am 19.06.2008 gegen den Insolvenzverwalter erlassene Haftbefehl wird aufgehoben.

Gründe

1

In dem vorliegenden Insolvenzverfahren hat das Amtsgericht den Beschwerdeführer mit Beschluss vom 01.04.2001 zum Insolvenzverwalter bestellt. Nachdem es in dem Verfahren zu Auffälligkeiten gekommen war, hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 10.11.2005 den Rechtsanwalt Dr. Rxxx Fxxx in Kassel zum Sonderinsolvenzverwalter ernannt zur Prüfung der Frage, ob gegen den amtierenden Insolvenzverwalter Schadensersatzansprüche zu Gunsten der Masse geltend gemacht werden können. Die Befugnisse des Sonderinsolvenzverwalters hat das Amtsgericht zwischenzeitlich durch entsprechende Beschlüsse erweitert.

2

Mit Schriftsatz vom 12.02.2008 hat der Sonderinsolvenzverwalter die Anberaumung eines Termins zur Anhörung des Insolvenzverwalters beantragt und hierzu zahlreiche, dem Insolvenzverwalter zu stellende Fragen angeführt. Ferner hat der Sonderinsolvenzverwalter angeregt, der Insolvenzverwalter möge die Richtigkeit und Vollständigkeit seiner Angaben an Eides statt versichern. Das Amtsgericht hat daraufhin Termin zur Anhörung des Insolvenzverwalters und sogleich zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung anberaumt auf den 22.04.2005. Zu diesem Termin ist der Insolvenzverwalter nicht erschienen. Zuvor hatte er dem Gericht mitgeteilt, er habe einen vorrangigen Arzttermin, zudem gebe es für die vom Sonderinsolvenzverwalter beantragte Anhörung keine gesetzliche Grundlage.

3

Das Amtsgericht hat einen erneuten Termin zur Anhörung des Insolvenzverwalters anberaumt auf den 13.06.2008. Auch zu diesem Termin ist der Insolvenzverwalter nicht erschienen. Das Amtsgericht hat daraufhin einen neuen Termin zur Anhörung bestimmt auf den 17.06.2008 und gleichzeitig die zwangsweise Vorführung des Insolvenzverwalters zu diesem Termin beschlossen.

4

Nachdem der mit der Vorführung beauftragte Gerichtsvollzieher mitgeteilt hatte, dass die Vorführung nicht habe erfolgen können, und der Insolvenzverwalter zu dem Termin am 17.06.2008 wiederum nicht erschienen ist, hat das Amtsgericht am 19.06.2008 Haftbefehl gegen den Insolvenzverwalter erlassen. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, gemäß § 98 Abs. 2 Nr. 1 InsO sei die Haft gegen den Insolvenzverwalter anzuordnen. Der im vorliegenden Verfahren eingesetzte Sonderinsolvenzverwalter sei in dem ihm zugewiesenen Tätigkeitsbereich "originärer" Insolvenzverwalter. Der Insolvenzverwalter trete bei der Prüfung von Schadensersatzansprüchen gegen ihn in die Rolle des Schuldners. Für den Fall, dass er den Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des § 97 InsO nicht nachkomme, sei es gerechtfertigt, gegen ihn die Zwangsmittel des § 98 InsO anzuwenden. Die Anordnung der Haft sei hier nicht unverhältnismäßig, da der Insolvenzverwalter zu den drei anberaumten Terminen unentschuldigt nicht erschienen und eine Vorführung gescheitert sei.

5

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Insolvenzverwalter mit der sofortigen Beschwerde. Er meint, die Rechtsansicht des Amtsgerichts, die §§ 97, 98 InsO seien gegen den Insolvenzverwalter anzuwenden, sei unzutreffend. Die Verhängung eines Zwangsmittels nach § 98 Abs. 1 InsO komme gegen den Insolvenzverwalter nicht in Betracht. Die gegen den Insolvenzverwalter möglichen Zwangsmittel seien abschließend in § 58 Abs. 2 InsO geregelt. Der Insolvenzverwalter sei Kraft Amtes auf Seiten der Gläubiger am Insolvenzverfahren beteiligt und könne damit nicht (zugleich) Schuldner des nämlichen Insolvenzverfahrens seien. Die Auskunfts- und Mitwirkungspflichten, die nach dem Gesetz den Schuldner treffen, bezögen sich nicht auf den Insolvenzverwalter. Auch sei eine analoge Anwendung der §§ 97, 98 InsO hier unzulässig. Es bestehe keine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes, denn nach dem eindeutigen und klaren Wortlaut der §§ 97, 98 InsO seien die dort geregelten Maßnahmen nur gegen den Schuldner gerichtet. Soweit dem Sonderinsolvenzverwalter gegen den Insolvenzverwalter ein Auskunftsanspruch zustehe, müsse er diesen entweder vor den ordentlichen Gerichten im Wege der Auskunftsklage verfolgen oder aber im Rahmen der Aufsicht des Insolvenzgerichts über die Tätigkeit des Insolvenzverwalters. Dann seien jedoch nur die Zwangsmittel des § 58 Abs. 2 InsO zulässig.

6

Das Amtsgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, es halte an seiner Rechtsauffassung fest, dass die Vorschriften der §§ 97, 98 InsO anwendbar seien. Der Insolvenzverwalter sei gegenüber dem Sonderinsolvenzverwalter Verpflichteter und unterliege deshalb den Maßnahmen der §§ 97, 98 InsO.

7

Die sofortige Beschwerde des Insolvenzverwalters ist zulässig und auch begründet. Der vom Amtsgericht erlassene Haftbefehl ist aufzuheben.

8

Dabei kann dahinstehen, ob sich die Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde aus § 98 Abs. 3 Satz 3 InsO ergibt, jedenfalls ist die sofortige Beschwerde unter dem Gesichtspunkt zulässig, dass es sich hier bei der vom Insolvenzgericht angeordneten Maßnahme um eine dem Gesetz fremde, in den grundrechtlich geschützten Bereich des Insolvenzverwalters eingreifende Maßnahme handelt (vgl. BGH NJW 2004, 2015). Die Regelung des § 6 Abs. 1 InsO bezieht sich nur auf solche Maßnahmen, die nach Wortlaut, Inhalt und Zweck des Gesetzes überhaupt in Betracht kommen. Liegt die gerichtliche Maßnahme außerhalb der Befugnisse, die dem Insolvenzgericht von Gesetzes wegen verliehen werden und greift die Maßnahme in den grundrechtlich geschützten Bereich des Betroffenen ein, schließt es die Vorschrift des § 6 Abs. 1 InsO nicht aus, dem Betroffenen ein Rechtsmittel zu eröffnen (BGH NJW 2004, 2015 ff.). Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn durch die angegriffene Maßnahme in die Grundrechte des Betroffenen auf Unverletzlichkeit der Wohnung oder in das Recht auf Freiheit eingegriffen wird. Eine derartige Grundrechtsverletzung liegt hier in dem vom Amtsgericht erlassenen Haftbefehl.

9

Dabei handelt es sich auch um eine Maßnahme, die nach dem Gesetz gegen den Insolvenzverwalter nicht vorgesehen ist und auch im Wege einer analogen Anwendung der §§ 97, 98 InsO nicht in Betracht kommt. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts sind die §§ 97, 98 InsO auf den Insolvenzverwalter nicht anwendbar. Die Zwangsmittel des §§ 98 InsO können gegen den Insolvenzverwalter nicht angeordnet werden. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass im vorliegenden Verfahren ein Sonderinsolvenzverwalter bestellt ist, der die Frage prüfen soll, ob gegen den Insolvenzverwalter Schadensersatzansprüche zu Gunsten der Masse geltend gemacht werden können. Durch die angeordnete Sonderinsolvenzverwaltung gerät der Insolvenzverwalter nicht in die Rolle des Schuldners. Wie der Insolvenzverwalter in seiner Beschwerde zutreffend ausführt, bleibt er trotz des eingesetzten Sonderinsolvenzverwalters nach wie vor Insolvenzverwalter und damit das "Organ der Gläubiger". Daran ändert auch nichts, dass das Amtsgericht bestimmte Aufgabenbereiche dem Sonderinsolvenzverwalter übertragen hat. Der Insolvenzverwalter ist nach wie vor im Amt. Er unterliegt der Aufsicht des Insolvenzgerichts. Verletzt er seine Pflichten, stehen die in § 58 InsO vorgesehenen Zwangsmittel zur Verfügung. Die Anordnung der Haft sieht indes § 58 InsO nicht vor. Zudem hat das Amtsgericht die Entlassung des Insolvenzverwalters nach § 59 InsO bislang nicht in Betracht gezogen.

10

Die Anwendung der gegen den Schuldner vorgesehenen Zwangsmittel (§ 98 InsO) ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt gerechtfertigt, dass der Sonderinsolvenzverwalter die benötigten Auskünfte von dem Insolvenzverwalter erhalten muss und für den Fall der Weigerung des Insolvenzverwalters seine Ansprüche durchsetzen können muss. Die Durchsetzung dieser Ansprüche vollzieht sich nicht im Rahmen des Insolvenzverfahrens. Die Anordnung der Sonderinsolvenzverwaltung ist unter dem Gesichtspunkt erfolgt, dass der Sonderinsolvenzverwalter Schadensersatzansprüche der Masse gegen den Insolvenzverwalter zu prüfen hat. Diese Schadensersatzansprüche muss der Insolvenzverwalter im Rahmen eines Zivilverfahrens vor den ordentlichen Gerichten geltend machen. Dasselbe gilt auch für die Auskunftsansprüche, die einem eventuellen Schadensersatzanspruch vorausgehen. Sofern das Insolvenzgericht Auskünfte des Insolvenzverwalters erzwingen will, ist es auf die Maßnahmen des § 58 InsO beschränkt.

11

Der angefochtene Haftbefehl war deshalb aufzuheben.

Pape