Landgericht Göttingen
Beschl. v. 25.06.2008, Az.: 10 T 57/08

Anspruch eines Zwangsverwalters auf Vergütung für Tätigkeiten auch zugunsten des Grundstückserwerbers im Zeitraum nach Zuschlagserteilung in der Zwangsversteigerung und dem gerichtlichen Aufhebungsbeschluss; Verpflichtung eines Zwangsverwalters zur Ausübung seiner Tätigkeit bis zur gerichtlichen Aufhebung des Zwangsverwaltungsbeschlusses; Anforderungen an die neutrale Stellung eines Zwangsverwalters als Treuhänder des ihm anvertrauten Grundstücks zwischen Ansprüchen der Gläubiger und denen des Erwerbers

Bibliographie

Gericht
LG Göttingen
Datum
25.06.2008
Aktenzeichen
10 T 57/08
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2008, 37104
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGGOETT:2008:0625.10T57.08.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Göttingen - AZ: 75 L 19/07

In dem Zwangsverwaltungsverfahren
...
hat die 10. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen
durch
die Vorsitzende Richterin am Landgericht Pape,
den Richter am Landgericht Schulze und
die Richterin am Landgericht Butzmann
auf die sofortige Beschwerde der Gläubigerin vom 02.05.2008
gegen den Beschluss des Amtsgerichts Göttingen vom 25.04.2008 - 75 L 19/07 -
am 25.06.2008
beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Beschwerdewert: 245,44 EUR

Die Rechtsbeschwerde wird gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 ZPO zugelassen.

Gründe

1

Mit Beschluss vom 05.06.2007 hat das Amtsgericht die Zwangsverwaltung der oben genannten Eigentumswohnung angeordnet und den Diplom-Rechtspfleger Ralf Heinzel zum Zwangsverwalter bestellt. Die Inbesitznahme durch den Zwangsverwalter ist am 12.06.2007 erfolgt. Zu diesem Zeitpunkt war die Wohnung vermietet. Die Mieterin hatte jedoch das Mietverhältnis zum 31.07.2007 gekündigt. Nachdem der Zwangsverwalter von der Kündigung der Mieterin erfahren hatte, kündigte er in einem Schreiben vom 26.06.2007 gegenüber dem Amtsgericht an, dass er die Neuvermietung der Wohnung betreiben werde.

2

Parallel zum Zwangsverwaltungsverfahren war die Zwangsversteigerung der Eigentumswohnung angeordnet (75 K 45/07 Amtsgericht Göttingen). In dem Zwangsversteigerungsverfahren ist am 21.12.2007 der Zuschlag erteilt worden. Bis zu diesem Zeitpunkt war es dem Zwangsverwalter nicht gelungen, die Wohnung neu zu vermieten. Nach der Erteilung des Zuschlags meldete sich der Ersteher beim Zwangsverwalter und teilte mit, dass eine Mieterin vorhanden sei. Am 18.01.2008 erstellte der Zwangsverwalter einen Mietvertrag für die neue Mieterin. In der Folgezeit wandte der Zwangsverwalter 2,5 Stunden im Zusammenhang mit der Neuvermietung der Wohnung auf.

3

Nachdem der Zuschlagsbeschluss in dem Zwangsversteigerungsverfahren rechtskräftig geworden war, hob das Amtsgericht das Zwangsverwaltungsverfahren mit Beschluss vom 08.02.2008 auf. Der Zwangsverwalter beantragte die Festsetzung seiner Vergütung gemäß § 19 Abs. 2 ZwVwV. Unter Zugrundelegung eines Zeitaufwands von 25,7 Stunden und einem Stundensatz von 75,00 EUR forderte der Zwangsverwalter 1.927,50 EUR. Zuzüglich der Auslagenpauschale nach § 21 Abs. 2 ZwVwV und der Umsatzsteuer betrug der geltend gemachte Vergütungsanspruch insgesamt 2.523,10 EUR.

4

Die Gläubigerin hat die Auffassung vertreten, die für die Neuvermietung der Wohnung aufgewendeten Stunden seien dem Zwangsverwalter nicht zu vergüten. Der Zwangsverwalter habe die Tätigkeiten nach Erteilung des Zuschlags ausgeübt. Sie seien allein im Interesse des Erstehers erfolgt, die Gläubigerin müsse deshalb den Zeitaufwand von 2,5 Stunden nicht vergüten.

5

Mit Beschluss vom 25.04.2008 hat das Amtsgericht die Vergütung des Zwangsverwalters auf insgesamt 2.523,10 EUR festgesetzt und ist damit dem Antrag des Zwangsverwalters in vollem Umfang gefolgt. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, die Einwendungen der Gläubigerin seien nicht überzeugend. Das Zwangsverwaltungsverfahren sei erst durch Beschluss vom 08.02.2008 aufgehoben worden. Der Zwangsverwalter dürfe nach der Zuschlagserteilung im Zwangsversteigerungsverfahren seine Arbeit nicht einstellen. Vielmehr müsse er die reguläre Verwaltung zunächst so lange weiterführen, bis das Gericht die Zwangsverwaltung aufhebe. Die Vermietung des zwangsverwalteten Objekts sei reguläre Aufgabe des Zwangsverwalters. Seine Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Neuvermietung der Wohnung seien deshalb zu entschädigen.

6

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Gläubigerin mit der sofortigen Beschwerde. Sie meint, der Zwangsverwalter sei bei den Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Neuvermietung der Wohnung ausschließlich im Interesse des Erstehers tätig geworden. Nur im Fall der Aufhebung des Zuschlagsbeschlusses habe der Zwangsverwalter davon ausgehen können, dass aus dem neu abgeschlossenen Mietvertrag Einnahmen für die Zwangsverwaltungsmasse zu erzielen gewesen wären. Auch im Hinblick darauf, dass die Neuvermietung die Einnahmen der Zwangsverwaltungsmasse nicht vermehrt hätten, müsse die Gläubigerin die insoweit vom Zwangsverwalter aufgewendeten Tätigkeiten nicht vergüten.

7

Der Zwangsverwalter meint, er sei bis zur Aufhebung des Verfahrens verpflichtet gewesen, Mietzinszahlungen sowie auch die Kaution der neuen Mieterin entgegenzunehmen. Bis zur Aufhebung des Verfahrens sei der Ersteher auch nicht berechtigt gewesen, Mietverträge abzuschließen beziehungsweise Mietzinszahlungen entgegenzunehmen. Dass diese Tätigkeiten nach der Erteilung des Zuschlags erfolgt seien, spiele für die Vergütung keine Rolle.

8

Das Amtsgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache der Beschwerdekammer des Landgerichts zur Entscheidung vorgelegt.

9

Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin ist gemäß § 793 ZPO zulässig, sie ist jedoch nicht begründet. Der Zwangsverwalter hat einen Anspruch auf die von ihm beantragte Vergütung in Höhe von 1.927,50 EUR zuzüglich Auslagenpauschale und Umsatzsteuer. Auch die vom Zwangsverwalter ausgeführten Tätigkeiten, die im Zusammenhang mit der Vermietung der Wohnung im Januar/Februar 2008 standen und einen Zeitaufwand von 2,5 Stunden erforderten, sind zu vergüten.

10

Unzweifelhaft muss der Zwangsverwalter seine Aufgaben nach der Zuschlagserteilung im Zwangsversteigerungsverfahren fortsetzen, denn erst mit dem Aufhebungsbeschluss endet die Zwangsverwaltung. Dabei kommt es auch nicht darauf an, wann der Zwangsverwalter von dem Zuschlagsbeschluss beziehungsweise von dessen Rechtskraft erfahren hat.

11

Mit der Erteilung des Zuschlags geht das Grundstück Kraft Gesetzes auf den Ersteher über, ohne dass es auf die Rechtskraft des Zuschlagsbeschlusses ankommt (§ 90 Abs. 1 ZVG). Ab Zuschlagserteilung gebühren die Erträgnisse des Grundstücks dem Ersteher. Insoweit muss der Zwangsverwalter praktisch zwei Massen bilden. Alle Nutzungen aus der Zeit vor der Zuschlagserteilung sind zur Zwangsverwaltungsmasse, Nutzungen aus der Zeit nach dem Zuschlag sind hingegen in eine Sondermasse zu nehmen, die der Zwangsverwalter mit dem Ersteher abrechnen muss (Steiner/Hagemann, Zwangsversteigerungsrecht, 9. Auflage, § 161 ZVG Rdnr. 91; Haarmeyer/Wutzke/Förster/Hintzen, Zwangsverwaltung, 3. Auflage, § 161, Rndr. 17). Daraus folgt, dass der Zwangsverwalter ab Zuschlagserteilung bis zur Aufhebung des Zwangsverwaltungsverfahrens auch im Interesse des Erstehers tätig wird. Er ist jedoch nicht Vertreter des Gläubigers, des Erstehers oder eines sonstigen Beteiligten. Nach der Neutralitätstheorie (vgl. Steiner/Hagemann, Zwangsversteigerungsrecht, 9. Auflage, § 152 Rdnr. 15) hat der Zwangsverwalter vielmehr die Stellung als Treuhänder des Objekts (Mayer, Rpfleger 1994, 102). Auch in der Schwebestellung zwischen Zuschlagserteilung und Aufhebung der Zwangsverwaltung muss der Zwangsverwalter seine Verwaltungstätigkeit weiter ausführen. Er ist dem Ersteher (vgl. BGH Rpfleger 1963, 285) und im Fall der Aufhebung des Zuschlags auch dem Gläubiger verantwortlich (Mayer, Rpfleger 1994, 102). Durch die Zwangsverwaltung ist der Ersteher in seinem Verwaltungsrecht eingeschränkt. Er kann zwar neue Mietverträge abschließen, er kann sie jedoch nicht erfüllen, denn der Besitz steht noch dem Zwangsverwalter zu. Der Zwangsverwalter ist hingegen nach wie vor befugt, neue Mietverträge in dem Schwebezustand zwischen Zuschlagserteilung und Aufhebung des Zwangsverwaltungsverfahrens zu schließen, denn er ist nach wie vor zum Besitz des Grundstücks und zu dessen Verwaltung befugt. Zwar erfolgt damit praktisch die Zwangsverwaltung ab Zuschlagsbeschluss bis zur Aufhebung des Zwangsverwaltungsverfahrens möglicherweise überwiegend für den Ersteher des Grundstücks, verantwortlich ist der Zwangsverwalter aber nur gegenüber dem Vollstreckungsgericht, das ihn für diese Tätigkeit bestellt hat. Demzufolge hat das Gericht auch die Vergütung für den Zwangsverwalter festzusetzen, die er für seine Tätigkeit im Rahmen der Zwangsverwaltung fordern kann. Sofern der Zwangsverwalter - wie hier - in seinem Vergütungsantrag darlegt, dass die abgerechneten Tätigkeiten solche waren, die im Rahmen der Zwangsverwaltung angefallen sind und auch nach Umfang und Höhe des angesetzten Stundensatzes nicht zu beanstanden sind, muss das Vollstreckungsgericht dem Antrag des Zwangsverwalters entsprechen. Er nimmt Aufgaben der Zwangsverwaltung wahr, auch wenn sie in dem in Rede stehenden Zeitraum zwischen Zuschlagserteilung und Aufhebung der Zwangsverwaltung überwiegend den Interessen des Erstehers dienen. Das Vollstreckungsgericht muss jedoch diesbezüglich nicht differenzieren und auch keine unterschiedliche Festsetzung der Kosten gegen die Zwangsverwaltungsmasse und die Sondermasse, die dem Ersteher zusteht, vornehmen. Hierauf kommt es aus Sicht des Vollstreckungsgerichts nicht an, denn der Zwangsverwalter ist innerhalb seines Aufgabenbereichs geblieben und hat diesen nicht überschritten, wenn er in dem Zeitraum zwischen Erteilung des Zuschlags und der Aufhebung des Zwangsverwaltungsverfahrens die Wohnung neu vermietet.

12

Zwar mag es berechtigt sein, dass sich der Ersteher an den Kosten der Zwangsverwaltung beteiligen muss, wenn - wie hier - die Tätigkeit des Zwangsverwalters in dem Schwebezustand zwischen Zuschlagserteilung und Aufhebung des Zwangsverwaltungsverfahrens ausschließlich dem Ersteher zugute kommt und für die Zwangsverwaltungsmasse keinen Nutzen erbringt, weil die Mieten aus dem abgeschlossenen Mietvertrag nicht mehr zur Zwangsverwaltungsmasse gehören (vgl. Mayer, Rpfleger 1994, 103; Steiner/Hagemann a.a.O. Rdnr. 97). Dem Vollstreckungsgericht ist es jedoch verwehrt, den Vergütungsanspruch des Zwangsverwalters um den entsprechenden Anteil zu kürzen, denn - wie bereits ausgeführt - hat der Zwangsverwalter gleichwohl eine Aufgabe erfüllt, die zur Tätigkeit der Zwangsverwaltung gehört und für die er infolgedessen vergütet werden muss. Auch ist das Gericht gehindert, den auf diese Tätigkeit entfallenden Vergütungsanteil des Zwangsverwalters dem Ersteher aufzuerlegen, denn der Ersteher ist am Zwangsverwaltungsverfahren nicht beteiligt. Sofern der Schuldner oder - gegebenenfalls der Gläubiger - für die Tätigkeit des Zwangsverwalters, die ausschließlich dem Ersteher zugute gekommen ist, nach zivilrechtlichen Grundsätzen einen Ausgleich vom Ersteher verlangen kann, ist jedoch insoweit vom Vollstreckungsgericht nichts zu veranlassen (vgl. LG Berlin Rpfleger 1990, 267).

13

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

14

Den Beschwerdewert hat die Kammer nach § 3 ZPO festgesetzt.

15

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache war die Rechtsbeschwerde zuzulassen.

Pape
Schulze
Butzmann