Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 11.12.2003, Az.: 5 U 67/03
Voraussetzungen für die Anforderung einer Gewährleistungsbürgschaft bei Vereinbarung der Geltung der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB/B)
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 11.12.2003
- Aktenzeichen
- 5 U 67/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 34759
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2003:1211.5U67.03.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - 09.04.2003 - AZ: 6 O 212/02
Rechtsgrundlagen
- § 812 BGB
- § 4 Nr. 7 VOB/B
- § 8 Nr. 3 VOB/B
Fundstellen
- BauR 2004, 1794-1796 (Volltext mit amtl. LS)
- BauR 2004, 722 (amtl. Leitsatz)
- BauRB 2004, VI Heft 3 (Kurzinformation)
- BauRB 2004, 100 (Volltext mit amtl. LS)
- BrBp 2005, 37
- IBR 2004, 138
- MDR 2006, 72 (Kurzinformation)
- OLGReport Gerichtsort 2004, 266-267
In dem Rechtsstreit
...
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 26. November 2003
unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht .......,
des Richters am Oberlandesgericht ....... sowie
der Richterin am Oberlandesgericht .......
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Einzelrichters der 6. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 9. April 2003 teilweise abgeändert:
Die Klage wird in Höhe von 0,50 EUR abgewiesen.
Im Übrigen (wegen weiterer 79.250,24 EUR) wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Sachbehandlung und Entscheidung an das Landgericht Hannover zurückverwiesen, dem auch insgesamt die Entscheidung über die Kosten vorbehalten bleibt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin verlangt von dem Beklagten die Rückzahlung von 79.250,74 EUR nebst Zinsen, die dieser aus der Inanspruchnahme zweier von der Klägerin gestellter Gewährleistungsbürgschaften auf erstes Anfordern der Kreissparkasse S. erlangt hat. Durch die beiden von der Kreissparkasse S. gestellten Bürgschaften sollten Gewährleistungsansprüche aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Generalunternehmervertrag vom 8./9. Juli 1999 betreffend das Bauvorhaben des Beklagten Bürogebäude K. Weg 8 in H. abgesichert werden. Daneben streiten die Parteien um Gewährleistungsansprüche.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes erster Instanz und der Entscheidung des Landgerichts wird auf die angefochtene Entscheidung verwiesen.
Gegen die landgerichtliche Entscheidung wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung, mit der er die Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an die erste Instanz, hilfsweise eine Abänderung der Entscheidung und Abweisung der Klage erstrebt. Zur Begründung führt er aus, dass das Landgericht bei seiner Urteilsfindung grobe Verfahrensfehler begangen habe. Das Landgericht habe erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 10. März 2003 darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen etwaiger Gegenansprüche aus § 8 Nr. 3 VOB/B i.V.m. § 4 Nr. 7 VOB weder dargelegt noch unter Beweis gestellt seien. Eine auf diesen Hinweis hin beantragte Erklärungsfrist habe das Landgericht zu Unrecht verweigert. Der Beklagte, der in der Berufungsinstanz die Abnahme des Werkes unstreitig gestellt hat, trägt zudem vor, dass entgegen den Ausführungen des Landgerichts auch der verbürgte Sicherungszweck eingetreten sei. Zwar sei in dem Generalunternehmervertrag nur von Gewährleistungsansprüchen nach §§ 633 bis 635 BGB die Rede. Da die Parteien aber die Geltung der VOB/B vereinbart hätten, könnte nach einer am Wortlaut haftenden Auslegung, wie sie das Landgericht der Ziffer 10.2 des Generalunternehmerbertrages zukommen lassen wolle, der Sicherungszweck zu keinem Zeitpunkt eintreten. Die Klausel im Generalunternehmervertrag sei daher interessengerecht dahin auszulegen, dass von der Klausel auch Gewährleistungsansprüche nach VOB/B erfasst seien. Zudem hätte über die vom Beklagten behaupteten Mängel und die Höhe der Beseitigungskosten Beweis erhoben werden müssen, was eine sehr umfangreiche Beweisaufnahme erfordere. Dies sei aber kein Grund, dem Beklagten die Berufung auf die ihm zustehenden Gegenrechte zu versagen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen. Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist insoweit begründet, dass die angefochtene Entscheidung im Wesentlichen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen ist.
Die Klägerin hat einen Anspruch aus § 812 BGB gegen den Beklagten auf Zahlung von 79.250,24 EUR, weil der Beklagte entgegen der Sicherheitsabrede im Generalübernehmervertrag und der dort geregelten Voraussetzungen die Bürgschaft rechtsgrundlos in Anspruch genommen hat. Wegen der Auszahlung der Bürgschaftssumme ist der Beklagte auf Kosten der Klägerin bereichert. Denn die Klägerin ist von der Kreissparkasse S. hinsichtlich der Bürgschaftssumme in Rückgriff genommen worden, wie die Klägerin in zweiter Instanz durch Vorlage des Kontoauszuges Nr. 49 vom 22. Mai 2002 (Bl. 228 d.A.) nachgewiesen hat und was daraufhin unstreitig geworden ist. Da die Inanspruchnahme durch die Kreissparkasse S. aber nur in Höhe von 79.250,24 EUR und nicht in Höhe der mit der Klage beanspruchten 79.250,74 EUR erfolgt ist, ist in Höhe von 0,50 EUR die Sache entscheidungsreif und die Klage abzuweisen.
Wegen der 79.250,24 EUR ist der Rechtsstreit dagegen noch nicht entscheidungsreif. Da insoweit das Verfahren erster Instanz an einem wesentlichen Mangel leidet und aufgrund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwendige Beweisaufnahme notwendig ist, ist das Verfahren auf Antrag des Beklagten an die erste Instanz zurückzuverweisen, § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
Zwar geht das Landgericht zutreffend davon aus, dass der Beklagte aufgrund des Schreibens vom 6. November 2001 (Bl. 28 d.A.) keinen Anspruch auf die Auszahlung der Bürgschaftssumme durch die Kreissparkasse S. hatte und daher die Klägerin die Bürgschaftssumme zurückverlangen kann, weil die Voraussetzungen für die Anforderung der Bürgschaften nicht vorlagen. Ein Gläubiger darf den Bürgschaftsbetrag grundsätzlich nur anfordern, wenn die gesicherte Hauptverbindlichkeit besteht und der von den Werkvertragsparteien vereinbarte und vorausgesetzte Sicherungsfall eingetreten ist (BGH NJW-RR 2001, 307 m.w.N.). Die Voraussetzungen, unter denen der Beklagte als Bürgschaftsgläubiger im Verhältnis zur Klägerin als Auftragnehmerin und Sicherungsgeberin die Bürgschaft anfordern konnte, bestimmt der Generalunternehmervertrag unter Ziffer 10.2. Darin heißt es (Bl.10 d.A.):
"... Die Gewährleistungsbürgschaft hat sämtliche etwaigen nach §§ 633 bis 635 BGB nach Abnahme sowie gem. §§ 634, 635 BGB vor Abnahme entstehende Ansprüche des Auftraggebers abzusichern. ..."
Dieser Sicherungszweck ist ebenfalls in der Bürgschaftsurkunde der Kreissparkasse S. vom 27. November 2000 (Bl. 20 d.A.) ausdrücklich bezeichnet.
Nach dem Wortlaut dieser Regelung werden von der Bürgschaft demnach nur Gewährleistungsansprüche nach dem BGB erfasst, nicht jedoch solche nach VOB/B. Die Parteien haben jedoch die Geltung die VOB/B vereinbart (vgl. Ziffer 2 " Vertragsgrundlagen" des Generalunternehmervertrages, Bl. 6 d.A.). Die Regelung in Ziffer 10.2 des Generalunternehmervertrages ist vor diesem Hintergrund vertragskonform dahin auszulegen, dass auch die Gewährleistungsansprüche nach der VOB/B von der Bürgschaft erfasst werden. Dagegen wird der Anspruch nach § 8 Nr. 3 VOB/B i.V.m. § 4 Nr. 7 VOB/B von dieser Regelung nicht erfasst (vgl. BGH NJW 1998, 1140). Der Beklagte hat die Bürgschaft, nachdem er den Vertrag mit der Klägerin mit Schreiben vom 1. November 2001 (Bl. 27 d.A.) gemäß § 8 Nr. 3 VOB/B gekündigt hatte, ausdrücklich aus § 8 Nr. 3 VOB/B i.V.m. § 4 Nr. 7 VOB in Anspruch genommen, wie das Schreiben vom 13. Mai 2002 (Bl. 30 d.A.) an die Kreissparkasse S. zeigt. Dieser Anspruch wird von der Bürgschaft aber nicht gedeckt. Die Bürgschaft ist daher objektiv zu Unrecht in Anspruch genommen worden, sodass ein Rückzahlungsanspruch grundsätzlich besteht.
Gegenüber diesem Rückzahlungsanspruch kann der Beklagte aufrechnen, zwar nicht mit einem Anspruch aus § 8 Nr. 3 VOB/B i.V.m. § 4 Nr. 7 VOB/B, weil dieser nicht vom Sicherungszweck erfasst wird. Da es sich bei der zu Unrecht in Anspruch genommenen Bürgschaft aber um eine Gewährleistungsbürgschaft gehandelt hat, kann jedoch mit Gewährleistungsansprüchen gegenüber dem Rückzahlungsanspruch aufgerechnet werden. Denn einer Partei ist zwar die Aufrechnung mit Gegenforderungen, die in den Vertragsbeziehungen begründet sind,
über die gesetzlich oder vertraglich ausdrücklich geregelten Fälle hinaus versagt, wenn dies nach dem besonderen Inhalt des zwischen den Parteien begründeten Schuldverhältnisses als stillschweigend vereinbart angesehen werden muss (§ 157 BGB) oder die Natur der Rechtsbeziehung oder der Zweck der geschuldeten Leistung eine Erfüllung im Wege der Aufrechnung als mit Treu und Glauben unvereinbar erscheinen lassen. Der BGH hat es demgemäß einem Sicherungsnehmer, welcher eine ihm zur Sicherung übereignete Sache verwertet hatte, versagt, gegenüber dem Anspruch auf Auskehrung des Mehrerlöses mit anderen, ungesicherten Forderungen aufzurechnen, weil er auf diese Weise die ursprüngliche Sicherungsabrede in ihrer Wirkung durch einseitige Erklärung erweitern würde (BGH NJW 1994, 2885, 2886).
Entsprechende Erwägungen gewinnen erst recht Bedeutung bei einer Bürgschaft auf erstes Anfordern wegen der besonderen Funktion dieses Rechtsinstituts, das Einwendungen gegen die Hauptforderung im ersten Prozess grundsätzlich ausschließt und sich deshalb für Bürgen und Hauptschuldner als besonders risikoreich erweist. Könnte der Gläubiger, der sich aus der Sicherung zu Unrecht befriedigt hat, dem deshalb begründeten Rückforderungsanspruch des Hauptschuldners aus der Sicherungsabrede solche Forderungen entgegenhalten, die nicht durch die Bürgschaft auf erstes Anfordern gedeckt sind, ständen ihm diese Sicherungsmittel im wirtschaftlichen Ergebnis zur Befriedigung aller Ansprüche gegen den Hauptschuldner zur Verfügung. Die materiell unberechtigte Forderung der Bürgschaft auf erstes Anfordern könnte für ihn dann dem Hauptschuldner gegenüber in aller Regel keine nachteiligen Rechtsfolgen auslösen, sofern er gegen diesen nur irgendwelche Forderungen besitzt. Eine solche zusätzliche Verbesserung der ohnehin starken Rechtsposition des Gläubigers, welcher als Sicherheit eine Bürgschaft auf erstes Anfordern erhalten hat, würde einen angemessenen Interessenausgleich verfehlen. Sie kann demzufolge nach Treu und Glauben nicht gewollt sein. Die Sicherungsabrede zwischen Hauptschuldner und Gläubiger über die Stellung einer Bürgschaft auf erstes Anfordern ist danach grundsätzlich in dem Sinne auszulegen, dass der Gläubiger gegenüber dem eigenen Rückforderungsanspruch des Hauptschuldners nicht mit Forderungen aufrechnen darf, die von der Bürgschaft nicht gedeckt sind, es sei denn, sie seien rechtskräftig festgestellt oder unstreitig. (Vgl. dazu BGH NJW 1999, 55, 57) [BGH 24.09.1998 - IX ZR 371/97].
Im Einzelfall können jedoch Umstände vorliegen, die die Berufung auf den Ausschluss der Aufrechnung als unzulässige Rechtsausübung (§ 242 BGB) erscheinen lassen. Hat der Gläubiger, der zu Unrecht die Leistung aus einer Bürgschaft auf erstes Anfordern abgerufen hat, gegen den Hauptschuldner Ansprüche, die durch die zu Unrecht in Anspruch genommene Bürgschaft abgesichert werden, ist es treuwidrig, sich gegenüber der Aufrechnung mit solchen Ansprüchen auf das Aufrechnungsverbot zu berufen.
So liegen die Dinge hier. Der Beklagte kann gegenüber dem Rückforderungsanspruch der Klägerin mit Gewährleistungsansprüchen wegen Mängeln aufrechnen. Zwar entstehen Gewährleistungsansprüche nach § 13 VOB/B erst mit der Abnahme (BGHZ 51, 275, 276) [BGH 19.12.1968 - VII ZR 23/68]. Die in erster Instanz diskutierte Streitfrage, ob die Abnahme bereits förmlich erfolgt sei, worauf das Abnahmeprotokoll Bl. 15 d.A. hindeuten könnte, kann vorliegend aber dahin stehen. Denn jedenfalls ist von einer konkludenten Abnahme durch Ingebrauchnahme auszugehen, nachdem der Beklagte die Anlage seit Jahren benutzt. Dass der Beklagte sich im Schreiben vom 26. Juli 2001 (Bl. 21 d.A.) auf einen anderen rechtlichen Standpunkt gestellt hat, steht der Annahme, dass das Bauwerk abgenommen worden ist, nicht entgegen. Die Abnahme ist nunmehr zwischen den Parteien auch unstreitig, sodass von einer Abnahme auszugehen ist. Dies hat das Landgericht verkannt und sich daher mit den vom Beklagten geltend gemachten Mängeln gemäß der Mängelliste, Stand 30. August 2002 (Bl. 53 ff. d.A.) und der im Schriftsatz vom 4. September 2002 (Bl. 51 d.A.) erklärten Aufrechnung mit Mängelbeseitigungskosten in Höhe von 220.000 EUR nicht auseinander gesetzt. Da es sich um umfangreiche Mängel (vgl. dazu Schriftsatz vom 3. März 2003, Bl.130 ff. d.A. sowie die weitere Mängelliste, Stand 26. September 2001, Bl. 155 d.A.) handelt, die eine umfangreiche Beweisaufnahme erfordern, hat der Senat auf Antrag des Beklagten von der Möglichkeit der Zurückverweisung nach § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO Gebrauch gemacht.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 543 ZPO liegen nicht vor.