Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 03.12.2003, Az.: 9 U 119/03

Möglichkeit einer Vollstreckung in einen Firmenwert durch Gesellschaftsgläubiger

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
03.12.2003
Aktenzeichen
9 U 119/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 34756
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2003:1203.9U119.03.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hildesheim - 29.04.2003 - AZ: 10 O 131/01

Fundstellen

  • BB 2004, 713
  • DStR 2004, XII Heft 10 (Kurzinformation)
  • GmbH-StB 2004, 72 (amtl. Leitsatz)
  • GmbHR 2004, 309-310 (Volltext mit red. LS)
  • NZG 2004, 424-425 (Volltext mit amtl. LS)
  • NZI 2004, 599 (Volltext mit amtl. LS)
  • OLGReport Gerichtsort 2004, 419-420
  • UM 2004, 124
  • WM 2004, 988-989 (Volltext mit amtl. LS)
  • WuB 2004, 589
  • WuB 2004, 607

In dem Rechtsstreit
...
hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. S. und
die Richter am Oberlandesgericht Dr. W. und Prof. Dr. A.
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 12. November 2003
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Die Berufung gegen das Schlussurteil des Landgerichts Hildesheim vom 29. April 2003 wird zurückgewiesen.

  2. 2.

    Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsrechtszuges.

  3. 3.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115% des vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern der Kläger nicht zuvor Sicherheit in Höhe von 115% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

  4. 4.

    Beschwer: über 20.000 Euro.

Gründe

1

I.

Die Parteien streiten, nachdem die Einzahlung rückständiger Stammeinlage durch Teilurteil des Senats vom 25.09.2002 erledigt ist, noch über eine Haftung des Beklagten als Gesellschafter der sich im Insolvenzverfahren befindenden GmbH wegen der Rückzahlung eines eigenkapitalersetzenden Darlehens zum 31.03.1998 in Höhe von 45.622,91 DM. Der Beklagte wendet sich gegen das Schlussurteil vom 29. 4. 2003, mit dem ein der Klage stattgebendes Versäumnisurteil vom 23.10.2001 unter Umstellung des zu zahlenden Betrages auf 23.326,62 EUR aufrechterhalten blieb.

2

Der Beklagte hält es für unzutreffend, dass das Landgericht in Übereinstimmung mit dem schriftlichen Sachverständigengutachten eine Unterbilanz angenommen hat und den Anspruch auf der Grundlage der §§ 30, 31 GmbHG bejaht hat. Der Firmenwert der Gemeinschuldnerin sei zum Stichtag nicht mit lediglich 47.000 DM zu bewerten gewesen, sondern stattdessen mit 300.000 bis 400.000 DM. In den Jahren 1998 und 1999 seien mit mehreren Interessenten konkrete Verhandlungen über eine Beteiligung an der Gemeinschuldnerin geführt worden, was zur Aktivierung des Firmenwertes berechtigt habe. Konkrete Beteiligungsgespräche seien mit der C. D. D. GmbH und der P. + S. GbR geführt worden, die die Gemein-schuldnerin aus langjährigen Geschäftsbeziehungen gekannt hätten. Diese Interessenten hätten ernsthafte Beteiligungsabsichten bekundet. Es sei bereits über die Höhe der Beteiligung von jeweils mindestens 200.000 DM sowie über die Durchführung einer Kapitalerhöhung gesprochen worden. Auch mit einem dritten Interessenten seien vom Frühjahr 1998 bis Juni 1999 intensive und konkrete Verhandlungen geführt worden, nämlich mit der Automationsservice K. GmbH, die sich ebenfalls mit ca. 200.000 DM habe beteiligen wollen.

3

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil und meint, es komme auf die greibare Aussicht an, das Unternehmen veräußern zu können und dabei einen über den Substanzwert hinausgehenden Mehrerlös zu erzielen. Durch eine Kapitalerhöhung hätte sich der Firmenwert nicht erhöhen können.

4

II.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet, da das Landgericht den Anspruch im Ergebnis zutreffend bejaht hat.

5

Die Überlegungen der Parteien zu den Voraussetzungen einer Aktivierung des Firmenwertes sind rechtlich unerheblich, soweit es um die Ermittlung einer Unterbilanz am 31.3.1998 geht. Für die Zwecke des § 30 GmbHG ist das Vorliegen einer Unterbilanz nach Bilanzierungsgrundsätzen festzustellen, wie sie für die Jahresbilanz gelten (vgl. nur Baumbach/Hueck § 30 Rdnr. 6). Das folgt aus dem Normzweck des § 30 GmbHG, Gesellschaftsgläubigern haftendes Vermögen zu erhalten. In einen Firmenwert können Gesellschaftsgläubiger nicht vollstrecken,

6

weil dieser Wert sich nur bei Veräußerung des Unternehmens realisieren lässt. Die zwangsweise Veräußerung des Unternehmens der GmbH durch einen Vollstreckungsgläubiger im Wege der Einzelzwangsvollstreckung ist nach § 857 ZPO nicht möglich. Eine Handelsbilanz, wie sie für Zwecke der Unterbilanzfeststellung aufzustellen ist, darf nicht gegen das Bilanzierungsverbot des § 248 Abs. 2 HGB verstoßen, der die Aktivierung selbst geschaffener immaterieller Vermögensgegenstände untersagt. In Übereinstimmung mit dem Sachverständigengutachten ergibt sich daraus, dass die Rückzahlung des Darlehens eine Unterbilanz entstehen ließ.

7

Das Darlehen war am Stichtag 31.3.1998 als eigenkapitalersetzend zu qualifizieren, weil sich die GmbH in der Krise befand. Wie das Sachverständigengutachten überzeugend dargelegt hat, war die GmbH zu diesem Zeitpunkt bereits rechnerisch überschuldet. Eine positive Fortführungsprognose konnte für diesen Zeitpunkt nicht gestellt werden. Trotz einer Kapitalerhöhung wurde weiter nach Investoren gesucht; diese Suche blieb erfolglos. Eine positive Fortführungsprognose konnte also nicht gestellt werden. Bei Ansatz von Liquidationswerten ist zwar vom wirklichen Wert auszugehen. Da eine Veräußerung des Unternehmens insgesamt aber nicht in Betracht kam, wie die späteren Teilveräußerungen durch den Insolvenzverwalter zeigen, ist der Firmenwert nicht entsprechend den Vorstellungen des Beklagten, auch nicht etwa mit einem auf Teilwerte entfallenden Bruchteil, in Ansatz zu bringen. Der Beklagte hat nicht realistisch darzulegen vermocht, dass Erwerber bereit gewesen sein könnten, höhere Beträge zu zahlen, als der Sachverständige in Ansatz gebracht hat. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob der Beklagte nicht auch durch sein eigenes Verhalten die Kreditunwürdigkeit der GmbH dokumentiert hat, indem er schon wenige Tage nach der Kapitalerhöhung und der Einzahlung auf seinen neuen Geschäftsanteil sein Darlehen abzog, was im Übrigen auf eine verdeckte Sacheinlage hindeutet, wenn nicht überhaupt die Stammeinlageforderung jedenfalls in Höhe des Darlehensbetrages offen geblieben ist, weil sie durch den Vorgang des Hin- und Her-Zahlens nicht getilgt werden konnte.

8

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.