Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 14.05.2001, Az.: 4 MA 1677/01
Gewinnerzielungsabsicht; Hilfebedürftigkeit; rückständige Energiekosten; rückständige Wasserkosten; Sozialhilfe; verdecktes Einkommen
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 14.05.2001
- Aktenzeichen
- 4 MA 1677/01
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2001, 39535
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 14.03.2001 - AZ: 13 B 255/01
Rechtsgrundlagen
- § 11 BSHG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Der Umstand, dass ein Gewerbe betrieben wird und das Betreiben eines Gewerbes eine auf Gewinnerzielung gerichtete Tätigkeit voraussetzt, weist nicht zwangsläufig darauf hin, dass auch tatsächlich Gewinne zur Deckung des Lebensunterhalts erzielt werden.
Gründe
Der Antrag auf Zulassung der Beschwerde ist gemäß §§ 146 Abs. 4 i.V.m. 124 Abs. 2 VwGO statthaft und auch sonst zulässig. Da die Antragsteller bis zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten durch Beschluss des Senats vom 7. Mai 2001 (4 PA 1257/01) ohne Verschulden gehindert waren, den dem Vertretungszwang (§ 67 Abs. 1 VwGO) unterliegenden Zulassungsantrag zu stellen, ist ihnen hinsichtlich der versäumten Antragsfrist nach § 60 Abs. 1 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Der Antrag auf Zulassung der Beschwerde ist auch begründet. Hier liegt der hinreichend dargelegte Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO vor. Es bestehen ernstliche rechtliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts, die zur Zulassung und zum Erfolg der Beschwerde führen.
Der Senat nimmt an, dass die Antragsteller einen Anspruch auf Übernahme der rückständigen Energiekosten bei der EWE sowie der rückständigen Wasserkosten bei dem Oldenburgisch-Ostfriesischen Wasserverband ( OOWV ) in der sich aus der Beschlussformel ergebenden Höhe als laufende Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 11, 12 BSHG glaubhaft gemacht haben. Anders als das Verwaltungsgericht hat der Senat keine überwiegenden Zweifel an der Hilfebedürftigkeit der Antragsteller, die es rechtfertigen, die beantragten Sozialhilfeleistungen zu versagen. Dies ergibt sich aus Folgendem:
Das Verwaltungsgericht hat in dem angefochtenen Beschluss eine Verpflichtung des Antragsgegners zur Übernahme der seit Einstellung der Hilfe aufgelaufenen Rückstände wegen seiner erheblichen Zweifel an der Hilfebedürftigkeit der Antragstellers abgelehnt und zur Begründung auf seinen Beschluss vom 14. März 2001 in dem Parallelverfahren (13 B 4599/2000, Rechtsmittelverfahren 4 PA 1258/01), in dem es um die Gewährung laufender Hilfe zum Lebensunterhalt geht, Bezug genommen. In jenem Beschluss hat das Verwaltungsgericht ausführlich dargelegt, dass Überwiegendes dafür spricht, dass der Antragsteller zu 1) und seine Ehefrau in der Vergangenheit bis einschließlich Februar 2001 die Geschäftstätigkeit eines Raumausstatters bzw. einen Polstereibetrieb in den Geschäftsräumen in W. betrieben haben. Der Senat schließt sich diesen insoweit überzeugenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts an. Das Verwaltungsgericht hat seine Einschätzung, es spreche vieles für die Annahme, dass der Antragsteller zu 1) noch immer - also auch nach der bestandskräftig gewordenen Gewerbeuntersagung - ein Gewerbe ausübe, nämlich auf eine Vielzahl von Anhaltspunkten gestützt, die diese Einschätzung belegen. So hat das Verwaltungsgericht zu Recht auf die Ermittlungsergebnisse des Mitarbeiters des Antragsgegners, S., Bezug genommen, der dem Antragsteller zu 1) ein Scheinangebot zur Aufpolsterung von 24 Esstischstühlen gemacht und als vermeintlicher Kunde mehrfach das Geschäft des Antragstellers zu 1) aufgesucht hat. Auch die von den Antragstellern nicht in Abrede gestellte Übergabe eines wertvollen Elektrorollstuhls des kreiseigenen Alten- und Pflegeheims zur Aufpolsterung lässt mit dem Verwaltungsgericht darauf schließen, dass der Antragsteller zu 1) (bzw. seine Ehefrau) Aufträge entgegengenommen hat und insoweit geschäftlich tätig geworden ist. Schließlich lassen auch die weiteren von dem Verwaltungsgericht im einzelnen aufgeführten Umstände auf eine Fortsetzung der Geschäftstätigkeit des Antragstellers noch im März 2001 schließen. Auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses sowie des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 14. März 2001 in dem Verfahren 13 B 4599/00 wird insoweit Bezug genommen.
Darauf, dass der Antragsteller zu 1) und seine Ehefrau ihre Geschäftstätigkeit auch gegenwärtig noch fortsetzen, hat der Antragsgegner in seinem Schriftsatz vom 9. Mai 2001 hingewiesen. Danach hat einer seiner Mitarbeiter bei einer Ortsbesichtigung am 9. Mai 2001 den Eindruck eines in vollem Umfang eingerichteten und offensichtlich geöffneten Ladengeschäfts gewonnen. Die Einschätzung, der Antragsteller zu 1) betreibe das ihm untersagte Gewerbe auch weiterhin, wird schließlich auch von den Antragstellern selbst nicht (mehr) in Abrede gestellt. So hat der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller mitgeteilt, er habe am 14. Mai 2001 die Örtlichkeit in W. aufgesucht und ebenfalls den Eindruck eines ordnungsgemäß betriebenen Ladenlokals gewonnen. Außerdem habe er den Antragsteller zu 1) zu seiner geschäftlichen Tätigkeit befragt. Dieser habe ihm, dem Prozessbevollmächtigten, mitgeteilt, dass er nach wie vor versuche, seine Tätigkeit in der Polsterei weiter auszuüben. Zwischenzeitlich habe er sich mit einem weiteren Geschäftspartner zusammengetan. Er versuche die Kundenkontakte (aus der Zeit vor der Untersagung der Gewerbetätigkeit) aufrechtzuerhalten
Auch wenn damit mit dem Verwaltungsgericht anzunehmen ist, dass der Antragsteller zu 1) und seine Ehefrau das Raumausstattungsgeschäft in W. bis Februar 2001 betrieben haben und auch noch zum gegenwärtigen Zeitpunkt weiterhin betreiben, so lässt dies nach Auffassung des Senats nicht den Schluss darauf zu, dass die Antragsteller zum gegenwärtigen Zeitpunkt über ausreichendes Einkommen oder Vermögen zur Deckung ihres Lebensunterhalts verfügen und aus diesem Grunde nicht hilfebedürftig im Sinne des § 11 BSHG sind. Nach dem Inhalt der Akten spricht nämlich Überwiegendes dagegen, dass die Antragsteller zu 1) und seine Ehefrau derzeit aus ihrer Geschäftstätigkeit Einnahmen in nennenswertem Umfang erzielen. So ist nicht ein Vorgang aktenkundig, in dem seit der Einstellung der Sozialhilfeleistungen durch den Antraggegner zum 1. Dezember 2000 an den Antragsteller zu 1) oder seine Ehefrau Geldleistungen im Zusammenhang mit der Ausführung von Polsterarbeiten oder ähnlichen Tätigkeiten geflossen sind. Auch soweit der Antragsteller zu 1) einen Reparaturauftrag zur Instandsetzung eines Rollstuhls des Kreis-Altenheims angenommen und umgehende Reparatur zugesagt hat, ist es nach den Feststellungen des Mitarbeiters des Antragsgegners S., offensichtlich bislang nicht zur Ausführung dieser Reparatur und damit auch nicht zur Zahlung durch den Auftraggeber gekommen. Auch der Antragsgegner hat nicht vorgetragen, dass der Antragsteller zu 1) einen regen Geschäftsbetrieb unterhalte oder dass regelmäßig in seinen Geschäftsräumen in W. oder auf dem Grundstück seiner Wohnung in G., wo ebenfalls eine von dem Antragsteller betriebene Werkstatt vermutet wird, Möbel angeliefert oder abgeholt würden.
Gegen die Annahme, der Antragsteller zu 1) erziele aus seiner Geschäftstätigkeit ein verdecktes Einkommen in einem Umfang, der seine Hilfebedürftigkeit entfallen lasse, sprechen schließlich die insoweit jedenfalls nicht unstimmigen und damit unbeachtlichen Angaben des Antragstellers zu 1) gegenüber seinem Prozessbevollmächtigten. Der Antragsteller zu 1) hat sich nämlich ihm gegenüber dahingehend eingelassen, er versuche nach wie vor, seine Tätigkeit in der Polsterei weiter auszuüben, um die vor der Gewerbeuntersagung aufgebauten Kundenkontakte aufrecht zu halten. Zu diesem Zweck habe er die Polsterei geöffnet. Sämtliche Kunden, die die Polsterei aufsuchten, vertröste er allerdings unter Hinweis darauf, dass die Werkstatt voll sei. Diese Angaben des Antragstellers zu 1) decken sich mit den Feststellungen, die der Mitarbeiter des Antragsgegners, S., im Rahmen seiner Ermittlungstätigkeit getroffen und auf die sich auch das Verwaltungsgericht in seinen Beschlüssen vom 14. März 2001 gestützt hat. Das von dem Mitarbeiter S. abgegebene Scheinangebot zur Aufpolsterung von 24 Sitzkissen für 24 Stühle wurde von dem Antragsteller zu 1) nämlich angenommen mit dem Hinweis, der Auftrag könne nicht sofort, sondern erst im März ausgeführt werden, da die Werkstatt derzeit voll sei. Die Angaben des Mitarbeiters Stolle bestätigen also das Vorbringen des Antragstellers zu 1), dass ein Geschäftsbetrieb aufrechterhalten und Kundenaufträge entgegengenommen werden, ohne diese zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu bearbeiten (und daraus Einkünfte zu erzielen).
Schließlich weist auch nicht der Umstand, dass das Betreiben eines Gewerbes eine auf Gewinnerzielung gerichtete Tätigkeit voraussetzt, zwangsläufig darauf hin, dass auch tatsächlich Einkünfte zur Deckung des Lebensunterhalts erzielt werden. Auch kann aus dem Erfahrungssatz, dass ein Gewerbetreibender einem Gewerbe nicht nachgehen würde, wenn er damit keine Einkünfte erzielte, nicht geschlossen werden, dass dies auch auf den Antragsteller zu 1) zuträfe. Dies würde voraussetzen, dass sich der Antragsteller zu 1) in seinen geschäftlichen Aktivitäten von rationalen Erwägungen leiten ließe. Daran hat der Senat aber erhebliche Zweifel. Der Antragsteller zu 1) versucht nämlich unter Missachtung der ihm gegenüber ausgesprochenen Gewerbeuntersagung, unter Außerachtlassung eigener Interessen und unter Vernachlässigung seiner Pflichten gegenüber seinen unterhaltsberechtigten Angehörigen seinen Polstereibetrieb, in dem er viele Jahre tätig war, aufrechtzuerhalten. Ihm geht es, wie der von ihm vorgelegten eidesstattlichen Versicherung zu entnehmen ist, darum, einen neuen Inhaber für die "Polsterei K." zu finden und bis dahin durch die Aufrechterhaltung von Kundenkontakten den Betrieb für die Zukunft zu sichern. Der Antragsteller zu 1) nimmt es im Hinblick auf diese Planungen in Kauf, dass sich seine Schuldenlast, die sich nach seinen Angaben allein aus privaten Darlehen auf ca. 18.600,-- DM beläuft, seit März 2001 jeden Monat um 1.000,-- DM erhöht, die er als Pachtzins dem Verpächter der Geschäftsräume in W. schuldet. Seine illegale Geschäftstätigkeit hat der Antragsteller zu 1) auch dann nicht eingestellt, als der Antragsgegner diese zum Anlass genommen hat, dem Antragsteller zu 1) und seiner Familie die notwendige Hilfe zum Lebensunterhalt zu versagen. Von seinen Aktivitäten hat der Antragsteller zu 1) schließlich nicht einmal abgelassen, als die Einstellung der Wasser- und Energieversorgung unmittelbar bevorgestanden hat, die ihn und seine Familie, darunter seine minderjährigen Söhne, die Antragsteller zu 2) und 3), in existenzielle Not gebracht hätte. All dies nimmt der Antragsteller zu 1) in Kauf, um der jedenfalls aus gegenwärtiger Sicht unrealistischen Wunschvorstellung nachzugehen, seinen Geschäftsbetrieb, die "Polsterei K.", vor der endgültigen Auflösung zu sichern, um - wie er im Rahmen eines Erörterungstermins am 30. Januar 2001 vor dem Verwaltungsgericht erklärt hat - "vielleicht später einmal wieder das Geschäft selber zu führen". Dies zeigt, dass sich der Antragsteller zu 1) nicht allein von rationellen Erwägungen leiten lässt und sein Verhalten daran nicht gemessen werden kann.
Nach allem nimmt der Senat an, dass den Antragstellern neben der der Ehefrau des Antragstellers zu 1) gewährten Arbeitslosenhilfe in Höhe von 1.100,-- DM monatlich sowie des Kindergeldes in Höhe von 540,-- DM monatlich keine weiteren nennenswerten Einkommens- und Vermögensbeträge zur Verfügung stehen. Das den Antragstellern damit zufließende Einkommen reicht zur Deckung ihres notwendigen Lebensunterhalts nicht aus, so dass ihnen die rückständigen Energie- und Wasserkosten aus Mitteln der Sozialhilfe zu gewähren sind. Die Höhe der rückständigen Energiekosten ergibt sich aus dem Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Antragsteller vom 8. Mai 2001, die Höhe der rückständigen Wasserkosten aus dem als Anlage zum Schriftsatz der Antragsteller vom 10. Mai 2001 beigefügten Schreiben der OOWV vom 7. Mai 2001.
Im Hinblick auf die für den 14. Mai 2001 angekündigte Einstellung der Wasserlieferung sowie der Energieversorgung ist auch das Vorliegen eines Anordnungsgrundes hinreichend glaubhaft gemacht. Deshalb ist es ausnahmsweise gerechtfertigt, die vom Antragsgegner versagten laufenden Leistungen für Energie und Wasser für zurückliegende Zeiträume im Wege der einstweiligen Anordnung zuzusprechen.