Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 23.05.2001, Az.: 12 LA 1573/01

Ausweisung; Befristung; Einreise; Generalprävention; Passlosigkeit; Sichtvermerk

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
23.05.2001
Aktenzeichen
12 LA 1573/01
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2001, 39532
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 02.03.2001 - AZ: 13 A 4269/00

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Einreise ohne Pass und Sichtvermerk kann als Straftat nach § 92 AuslG die Ausweisung gem. § 46 Nr. 2 AuslG rechtfertigen.

Gründe

1

Nach diesem Maßstab bestehen an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils keine ernstlichen Zweifel, weshalb der Zulassungsantrag der Kläger erfolglos bleiben muss.

2

Soweit die Kläger geltend machen, das angefochtene Urteil sei deshalb ernstlichen Zweifeln ausgesetzt, weil in ihm zu Unrecht angenommen worden sei, von ihnen sei der Ausweisungsgrund des § 46 Nr. 2 AuslG verwirklicht worden, bleibt der Zulassungsantrag ohne Erfolg; denn insoweit, d. h. soweit in dem Urteil vom 2. März 2001 das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen einer im Ermessen des Beklagten als Ausländerbehörde liegenden Ausweisung (§ 45 Abs. 1 AuslG) bejaht worden sind, bestehen gegen das angefochtene Urteil ernstlichen Zweifeln nicht. Dies gilt zunächst im Hinblick darauf, dass in der von dem Verwaltungsgericht nach § 117 Abs. 5 VwGO in Bezug genommenen Ausweisungsverfügung des Beklagten vom 19. Mai 2000 die Verstöße der Kläger, die am 9. Februar 2000 ohne die erforderlichen Pässe und Visa in die Bundesrepublik eingereist sind und lediglich Duldungen nach § 55 Abs. 2 AuslG erhalten haben, als Ausweisungsgrund nach § 46 Abs. 2 Nr. 2 AuslG gewertet worden sind. Die Kläger haben mit ihrer illegalen Einreise ohne Ausweisdokumente und ihrem sich hieran anschließenden, nur nach § 55 Abs. 1 AuslG geduldeten Aufenthalt Straftaten nach § 92 Abs. 1 Nrn. 1, 2, 6 AuslG begangen und damit entgegen ihrer Ansicht den Ausweisungsgrund des § 46 Nr. 2 AuslG verwirklicht. Zwar kann einem Asylsuchenden, der ohne Visum und Ausweisdokumente in das Bundesgebiet eingereist ist und sich hier aufhält, - auch nach Ablehnung seines Asylantrages - , ein Verstoß gegen § 92 Abs. 1 Nrn. 1, 2, 6 AuslG nicht vorgehalten werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.5.1984 - BVerwG 1 C 59.81 - , NVwZ 1984, 591 - zum Ausländergesetz 1965), ein derartiger Fall liegt hier aber nicht vor, weil es die Kläger ausdrücklich abgelehnt haben (s. ihre Erklärung in der Verhandlungsniederschrift v. 14.2.2000 vor dem Beklagten), einen Asylantrag zu stellen. Die Kläger sind daher bisher auch nur nach § 55 Abs. 2 AuslG und nicht nach § 55 Abs. 1 AuslG, auf den § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG für eine Straffreiheit abstellt, geduldet worden, haben sich damit seit dem 9. Februar 2000 bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides vom 11. August 2000, dem für die rechtliche Beurteilung hier maßgeblichen Zeitpunkt, immerhin ein halbes Jahr  i. S.  des § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG illegal in der Bundesrepublik aufgehalten, was bei der Frage des Gewichts der Straftaten zu ihren Lasten auch zu berücksichtigen war. Bei den Verstößen gegen § 92 Abs. 1 Nrn 1, 2, 6 AuslG handelt es sich auch weder um vereinzelte oder geringfügige Verstöße i. S. des § 46 Nr. 2 AuslG, wie die Kläger meinen. Insoweit lagen nämlich vorsätzlich begangene Straftaten - die Straftatbestände des § 92 Abs. 1 Nrn. 1, 2, 6 AuslG können nur vorsätzlich begangen werden (Renner, Ausländerrecht, 7. Aufl. 1999, RdNr. 21 zu § 92) - mit erheblichem Strafrahmen (Strafandrohung bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe) vor, die grundsätzlich einen beachtlichen Ausweisungsgrund nach § 46 Nr. 2 AuslG darstellen (BVerwG, Urt. v. 24.9.1996 - BVerwG 1 C 9.94 - , BVerwGE 102, 63 = DVBl. 1997, 189(190)), auch ist es unerheblich, ob die Kläger wegen dieser Straftaten verurteilt worden sind, weil § 46 Nr. 2 AuslG eine Verurteilung nicht voraussetzt (BVerwG, Urt. v. 17.6.1998 - BVerwG 1 C 27.96 - , DVBl. 1998, 1028). Allerdings kann auch bei einer vorsätzlich begangen Straftat unter engen Voraussetzungen ein Ausnahmefall gegeben sein, in dem der Rechtsverstoß des Ausländers als geringfügig zu bewerten ist, wenn etwa das Strafverfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt worden ist (BVerwG, Urt. v. 24.9.1996, aaO; Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Ausländerrecht, 3. Aufl., Stand: Mai 2000, RdNr. 24a zu § 46). Da die Kläger aber nicht haben darlegen können, dass ein Strafverfahren gegen sie wegen Geringfügigkeit von der zuständigen Staatsanwaltschaft (oder dem zuständigen Strafrichter) eingestellt worden ist, sie sich in ihrem Zulassungsantrag insoweit nur in Vermutungen ergehen, ist auch insoweit, d. h. hinsichtlich des Vorliegens eines Ausnahmefalles, der die Entscheidung des Verwaltungsgerichts bzw. des Beklagten in Zweifel ziehen könnte, ein Zulassungsgrund nicht dargetan.

3

Auch soweit die Kläger geltend machen, die Ausweisungsverfügung und das auf diese verweisende Urteil des Verwaltungsgerichts sei in Bezug auf die Ausübung des Ausweisungsermessens ernstlichen Zweifeln ausgesetzt, kann dies nicht zum Erfolg ihres Zulassungsbegehrens führen. Hierbei kann der Senat offen lassen, ob die in der Ausweisungsverfügung angestellten spezialpräventiven Erwägungen einer rechtlichen Überprüfung standhalten; denn das Ausweisungsermessen ist auch - selbständig tragend - auf generalpräventive Erwägungen gestützt, hinsichtlich derer ernstliche Zweifel nicht bestehen. Wird wie hier gegen Einreisebestimmungen und das Aufenthaltsrecht verstoßen, so kann dies die Ausländerbehörde zum Anlass nehmen, aus generalpräventiven Gründen, d. h. zur Abschreckung anderer Ausländer, die beabsichtigen, sich ebenfalls illegal nach Deutschland zu begeben  und dort aufzuhalten, die Ausweisung zu verfügen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 15.12.1993 - BVerwG 1 B 193.93 - Buchholz 402.24 § 10 AuslG Nr. 135, S. 62f. u. Urt. v. 24.9.1996, aaO; s. auch Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: März 2001, RdNr. 23 zu § 46), wie es hier der Beklagte mit Billigung des Verwaltungsgerichts getan hat. Des weiteren hat der Beklagte dargetan (Schriftsatz v. 9.5.2001, in dem auch auf entsprechende Hinweise in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hingewiesen wird, ohne dass die Kläger dem widersprochen haben), dass die angefochtene Ausweisungsverfügung seiner - des Beklagten - ständigen Ausweisungspraxis in vergleichbaren Fällen entsprochen hat, so dass auch insoweit Bedenken nicht bestehen (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.9.1996, aaO). Ebenfalls unterliegt es keine ernstlichen Zweifeln, dass die Wirkung der Ausweisung nach dem Bescheid vom 19. Mai 2000 nicht befristet worden ist. Die Kläger haben die Möglichkeit, zu einem späteren Zeitpunkt nach § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG eine Befristung ihrer Ausweisung zu erreichen; diese Befristungsmöglichkeit stellt unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten das Mittel dar, die grundsätzlich lebenslange Geltungsdauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots sowie die Aufenthaltsgenehmigungssperre unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu verkürzen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.7.1979 - 1 BvR 650/77 - , BVerfGE 51, 386 = EZAR 123 Nr. 2 = DVBl. 1980, 189; Nds. OVG, Urt. v.  18.3.1997 - 11 L 3049/96 - , AuAS 1997, 198), ohne einen ausdrücklichen Antrag musste daher der Beklagte eine Befristung der Wirkung der Ausweisung nicht in seinen Ermessenserwägungen besonders berücksichtigen.

4

Schließlich führt das Vorbringen der Kläger, sowohl das Verwaltungsgericht als auch der Beklagte hätten nicht in Rechnung gestellt, dass sie - die Kläger - der Volksgruppe der Roma angehörten und daher in Serbien bei einer Rückkehr Verfolgungen zu erdulden hätten, nicht auf einen Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Die Kläger berücksichtigen mit diesem Vortrag nämlich nicht hinreichend, dass es sich insoweit um das Vorbringen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses handelt. Bei zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen kann aber die Ausländerbehörde, sofern sie nicht ohnehin nach Durchführung eines Asylverfahrens an die hierzu von dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) getroffenen Feststellungen gebunden ist - ein solcher Fall liegt hier allerdings nicht vor, weil dies Kläger es bisher abgelehnt haben, einen Asylantrag zu stellen (s. o.) - , von der Prüfung des Vorbringens des Ausländers zu diesem Abschiebungshindernis im Ausweisungsverfahren absehen und den Ausländer auf eine Prüfung des geltend gemachten Abschiebungshindernisses durch das über größere Sachnähe zu den hiermit verbundenen Fragen verfügende Bundesamt in einem (durchzuführenden) Asylverfahren verweisen, wie dies hier der Beklagte getan hat. Wenn die Kläger eine Prüfung dieses von ihnen behaupteten Abschiebungshindernissen hätten erreichen wollen, so hätten sie das Bundesamt im Rahmen eines Asylverfahrens mit der Prüfung betrauen müssen, dies ist aber nicht geschehen.