Sozialgericht Aurich
Urt. v. 09.01.2013, Az.: S 15 AS 651/09

Berücksichtigung von Zahlungen aus einer Kreditrahmenversicherung als Einkommen im Rahmen des Bezugs von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts

Bibliographie

Gericht
SG Aurich
Datum
09.01.2013
Aktenzeichen
S 15 AS 651/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 61961
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGAURIC:2013:0109.S15AS651.09.0A

Tenor:

  1. 1.

    Der Bescheid der Gemeinde H. vom 26.03.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2009 sowie die Bescheide vom 24.08. und 05.11.2009 werden abgeändert.

  2. 2.

    Der Beklagte wird verpflichtet, den Klägern für den Zeitraum 01.04. - 30.09.2009 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ohne Berücksichtigung der Zahlungen der I. in Höhe von 260,- Euro monatlich als Einkommen zu zahlen.

  3. 3.

    Der Beklagte hat den Klägern die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Streitig ist die Berücksichtigung von Zahlungen aus einer sogenannten Kreditrahmenversicherung als Einkommen.

Die Kläger stehen bei der im Auftrag des Beklagten handelnden Gemeinde H. seit März 2008 im Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Mit ihrem am 04.03.2009 bei der Gemeinde eingegangenen Fortzahlungsantrag überreichten die Kläger u. a. Kontoauszüge der J., aus denen sich monatliche Zahlungen der I. in Höhe von 140,- Euro bzw. 120,- Euro ergaben. Die Gemeinde H. bewilligte den Klägern mit Bescheid vom 26.03.2009 für den Zeitraum 01.04. bis 30.09.2009 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von 742,- Euro monatlich. Dabei berücksichtigte sie als Einkommen die monatlichen Zahlungen der I. in Gesamthöhe von 260,- Euro. Die Kläger legten gegen die Anrechnung dieser Beträge als Einkommen Widerspruch ein und trugen vor, die Zahlungen würden wegen Arbeitsunfähigkeit des Klägers zur Absicherung der Hausfinanzierung gezahlt und dürften daher nicht angerechnet werden.

Die Zahlungen der I. beruhen auf sogenannten Kreditrahmenversicherungen, die von der J. im Einvernehmen mit dem Kläger zu 1) jeweils im Zusammenhang mit einem "Kreditvertrag für Kontokorrentkredite" abgeschlossen wurden, versicherte Person ist der Kläger zu 1). In der Schlusserklärung für diese Kreditrahmenversicherungen heißt es: "Der Kreditnehmer ist damit einverstanden, dass die Bank als Versicherungsnehmer für ihn als Beitragsschuldner einen Kreditrahmenversicherungsvertrag für seine Person abschließt und dass Leistungen hieraus an die Bank gezahlt werden. Unwiderruflich bezugsberechtigt ist die Bank mit der Maßgabe, diejenigen Beträge, die nach Verrechnung ihrer Forderung noch vorhanden sind, zugunsten des Kontos der versicherten Person bzw. deren Rechtsnachfolger zu verwenden." Nach den allgemeinen Versicherungsbedingungen ist die Versicherung auf den Todesfall sowie - mit einer monatlichen Leistung in Höhe von 4 % der Versicherungssumme - auf den Fall der Arbeitsunfähigkeit der versicherten Person abgeschlossen. Im Merkblatt (G 59) heißt es: " Zweck der Kreditrahmenversicherung ist es, die Erfüllung von Zahlungsverpflichtungen der versicherten Person bei deren Ableben und zusätzlich bei Arbeitsunfähigkeit durch Krankheit oder Unfall sicherzustellen.".

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 12.05.2009 als unbegründet zurück, da es sich vorliegend nicht um zweckbestimmte Einnahmen im Sinne des § 11 Abs. 3 Nr. 1 a SGB II in der bis zum 31.12.2010 gültigen Fassung handele.

Mit der dagegen gerichteten Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er wiederholt sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren und ist der Auffassung, es handele sich um zweckbestimmte Leistungen, die nicht anzurechnen seien.

Die Kläger beantragen,

den Bescheid vom 26.03.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2009 sowie die Bescheide vom 24.08. und 05.11.2009 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, den Klägern für den Zeitraum 01.04. bis 30.09.2009 Arbeitslosengeld II ohne Berücksichtigung von Zahlungen der I. als Einkommen zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen. Der Beklagte bezieht sich auf seine Ausführungen im Widerspruchsbescheid und ist der Auffassung, es handele sich um anrechenbares Einkommen.

Während des Klageverfahrens hat die Beklagte einen Änderungsbescheid vom 24.08.2009 sowie einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid den Monat August 2009 betreffend vom 05.11.2009 erlassen.

Das Gericht hat die Verwaltungsakten der Gemeinde H. und des Beklagten beigezogen und bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Akten ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, inhaltlich ist sie auch begründet.

Die angefochtenen Bescheide sind insoweit rechtswidrig, als sie die Zahlungen der K. auf das Girokonto des Klägers zu 1) bei der J. als Einkommen anrechnen.

Als Einkommen zu berücksichtigen sind grundsätzlich alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme einiger ausdrücklich im Gesetz oder in der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung-ALG II-V vom 17.12.2007, Bundesgesetzblatt I, S. 2942) benannter Einnahmen (§ 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der bis zum 31.12.2010 gültigen Fassung). Laufende Einnahmen sind für den Monat zu berücksichtigen, in dem sie zufließen (§ 2 Abs. 2 Satz 1 ALG II-V

Bei den streitigen Zahlungen handelt es sich bereits nicht um Einkommen des Klägers, sondern um Einnahmen der J ... Aufgrund der vertraglichen Konstruktion der Kreditrahmenversicherung, die durch die Auskunft der Versicherung und Vorlage der Versicherungsunterlagen belegt ist, steht fest, dass ein Vertrag zwischen der kreditgebenden Bank - hier der J. - und der L. geschlossen wurde, bei der das Risiko "Tod oder Arbeitsunfähigkeit des Klägers zu 1)" versichert ist. Der Kläger zu 1) ist mithin lediglich versicherte Person, kann aus diesem Vertrag aber keine primären Rechte herleiten. Der Vertrag ist von der Bank und vorrangig im Interesse der Bank abgeschlossen worden, der Bank stehen als Vertragspartner der L. auch die wesentlichen Rechte aus diesem Vertrag zu. Abgerundet wird diese vertragliche Grundkonstruktion dadurch, dass sich der Kläger zu 1) in der Schlusserklärung damit einverstanden erklärt, dass die Bank unwiderruflich bezugsberechtigt ist.

Daran ändert auch die Tatsache nicht, dass die Zahlungen dem Konto des Klägers bei der J. gutgeschrieben werden. Bei einem Kontokorrentvertrag hat die Bank einen Anspruch auf Ausgleich der sogenannten Soll-Buchungen bzw. eines evtl. Negativ-Saldos gegen den Kontoinhaber. Auf diese Verbindlichkeiten, die im konkreten Fall durch die monatlich fälligen Abbuchungen aufgrund des Kreditvertrages zustande kommen, werden die Versicherungsleistungen gezahlt, ohne dass der Kläger zu 1) die Möglichkeit hat darüber zu verfügen. Dies ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit aus der Vereinbarung einer unwiderruflichen Bezugsberechtigung der Bank, die im Übrigen bereits vor dem Leistungsbezug vereinbart wurde.

Auch die weitere Tatsache, dass etwa verbleibende Beträge zugunsten des Kontos der versicherten Person zu verwenden sind, führt zu keinem anderen Ergebnis. Da die Versicherungsleistung und die monatlich fällig werdenden Kreditraten in der Höhe identisch sind, kann diese Situation allenfalls bei einer niedrigeren Schlusszahlung eintreten, für die im hier streitigen Zeitraum keine Anhaltspunkte vorliegen.

Selbst wenn man bei Zuordnung der Einkünfte zu einem anderen Ergebnis kommen und die Zahlungen der L. als Zuflüsse beim Kläger zu 1) und damit als dessen Einkommen ansehen würde, käme eine Anrechnung nicht in Betracht, da es sich um zweckbestimmte Einnahmen handelt.

Nicht als Einkommen sind zu berücksichtigen Einnahmen, soweit sie als zweckbestimmte Einnahmen einem anderen Zweck als die Leistungen nach diesem Buch dienen und die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach diesem Buch nicht gerechtfertigt wären (§ 11 Abs. 3 Nr. 1 a SGB II in der bis zum 31.12.2010 gültigen Fassung).

Diese Bestimmung will verhindern, dass die besondere Zweckbestimmung einer Leistung durch Berücksichtigung im Rahmen des SGB II verfehlt wird, soweit sich die Zweckbestimmung aus einer öffentlich rechtlichen Norm, aber auch aus einer privatrechtlichen Vereinbarung ergeben kann (Bundessozialgericht -BSG-, Urteil vom 18.01.2011 - B 4 AS 90/10 R; Urteil vom 03.03.2009 - B 4 AS 47/08 R). Eine auf zivilrechtlicher Grundlage erbrachte Leistung ist dann zweckbestimmt im Sinne dieser Bestimmung, wenn ihr über die Tilgungsbestimmung hinaus erkennbar eine bestimmte Zweckrichtung beigemessen ist; dies ist der Fall, wenn sich aus einer Vereinbarung objektiv erkennbar ergibt, dass die Leistung für einen bestimmten Zweck verwendet werden soll (vgl. BSG, a.a.O. sowie Urteil vom 01.06.2010 - B 4 AS 89/09 R).

Aus der Konstruktion der Kreditrahmenversicherung (vgl. die obigen Ausführungen) ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit, dass die Versicherung vorrangig im Interesse der Bank abgeschlossen wird und sicherstellen soll, dass das von der Bank gegebene Darlehen auch im Falle des Todes oder der Arbeitsunfähigkeit des Kreditnehmers zurückgezahlt werden kann. Unterstrichen wird dies durch die Vertragsunterlagen, in denen ausgeführt wird: "Zweck der Kreditrahmenversicherung ist es, die Erfüllung von Zahlungsverpflichtungen der versicherten Person bei deren Ableben und zusätzlich bei Arbeitsunfähigkeit durch Krankheit oder Unfall sicherzustellen."

Soweit der Beklagte bemängelt, die Versicherung komme letztlich auch den Klägern zugute, da deren Schuldverpflichtung gegenüber der Bank getilgt werde, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Zwar hindert die Verwendung von Geldmitteln zur Schuldentilgung durch den Hilfebedürftigen grundsätzlich nicht die Berücksichtigung als Einkommen (vgl. dazu etwa BSG, Urteil vom 19.09.2008 - B 14/7b AS 10/07); hier wird die Einkommensanrechnung indes durch die Zweckbestimmung ausgeschlossen. Entgegen der Auffassung des Beklagten vermindern sich durch die Zahlungen auch nicht die Unterkunftsaufwendungen der Kläger. Die Kläger hatten zwar ursprünglich behauptet, der Kredit diene der Hausfinanzierung. Aus den im Laufe des Verfahrens überreichten Vertragsunterlagen ergab sich indes, dass es sich um einen sogenannten Betriebsmittelkredit gehandelt hat, der vor dem Hintergrund der früheren selbständigen Tätigkeit des Klägers zu 1) gezahlt worden ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.