Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 22.11.2022, Az.: 3 MD 8/22

Anhörung; Einbehaltung von Dienstbezügen; gestreckt auftretende Dienstpflichtverletzungen; Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern; vorläufige Dienstenthebung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
22.11.2022
Aktenzeichen
3 MD 8/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 59705
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 05.07.2022 - AZ: 9 B 1/22

Fundstellen

  • DÖD 2023, 208-216
  • DÖV 2023, 263
  • IÖD 2023, 62-72
  • NVwZ-RR 2023, 6
  • NVwZ-RR 2023, 503-507
  • NordÖR 2023, 122

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

"Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit" der vorläufigen Dienstenthebung und der Einbehaltung von Bezügen im Sinne von § 58 Abs. 2 NDiszG sind anzunehmen, wenn bei der summarischen Prüfung der angegriffenen Anordnungen im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken.

Zur vorherigen Anhörung des Beamten vor Erlass einer vorläufigen Dienstenthebung.

Die Regelung des § 46 VwVfG findet entsprechende Anwendung im Aussetzungsverfahren nach § 58 NDiszG.

Verneinung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 46 VwVfG im Falle der vorläufigen Dienstenthebung bei unzureichender Erforschung des Sachverhalts im behördlichen Disziplinarverfahren.

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass der Dienstherr bei zeitlich gestreckt auftretenden Dienstpflichtverletzungen, die nach ihrer Schwere für sich genommen keine höheren Disziplinarmaßnahmen gebieten, in der Regel zunächst zeitnah zur begangenen Verletzungshandlung mit niederschwelligen disziplinaren Maßnahmen auf den Beamten einwirkt.

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Osnabrück - 9 . Kammer - vom 5. Juli 2022 (berichtigt durch Beschluss vom 22. Juli 2022) wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren wird auf 50.180,07 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, der sowohl die von ihr unter dem 28. Februar 2022 verfügte vorläufige Dienstenthebung als auch die unter dem 11. April 2022 angeordnete Einbehaltung von 50 vom Hundert der monatlichen Bezüge der Antragstellerin ausgesetzt hat.

Die im Jahr 1965 geborene Antragstellerin trat mit Wirkung vom ... 2001 als Akademische Rätin (Besoldungsgruppe A 13) in den Dienst der Hochschule E.. Nach ihrer Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit (... 2002) wurde sie mit Wirkung vom ... 2004 an die Antragsgegnerin versetzt. Diese richtete im April 2011 die Stabsstelle „Referat Offene Hochschule“ im Ressort des damaligen Vizepräsidenten für „Studium und Lehre“ ein und besetzte die Stelle mit Wirkung vom ... 2011 mit der Antragstellerin (im Umfang der Hälfte des regelmäßigen Dienstes). Mit ihrem verbliebenen Arbeitskraftanteil war sie dem Fachbereich 8 (Humanwissenschaften) zugeordnet.

Mit Wirkung vom 1. Oktober 2013 änderte die Antragsgegnerin die dienstliche Verwendung der Antragstellerin dahin, dass diese im Umfang von einem Viertel des regelmäßigen Dienstes am Institut für Theologie des Fachbereichs Erziehungs- und Kulturwissenschaften und im Umfang von drei Vierteln des regelmäßigen Dienstes im „Referat Offene Hochschule“ tätig wurde. Im Mai 2015 erfuhr diese Regelung eine Änderung dahin, dass sie mit der Hälfte ihres regelmäßigen Dienstes am vorgenannten Institut und im Übrigen im „Referat Offene Hochschule“ tätig wurde. Die Antragsgegnerin bestellte zum 1. Oktober 2016 den damaligen Vizepräsidenten für „Hochschulentwicklung und Strategie“, dem seitdem das Referat „Offene Hochschule“ zugewiesen war.

Im Jahr 2019 war die Antragstellerin wiederholt erkrankt. Nach Beteiligung des Vorstands des o. a. Instituts ordnete die Antragsgegnerin mit Verfügung vom 24. Juli 2019 die teilweise Umsetzung der Antragstellerin dahin an, dass diese ab ... 2019 ihren Dienst ausschließlich auf der Stabstelle „Referat Offene Hochschule“ zu versehen habe.

Nachdem die Antragsgegnerin den dagegen eingelegten Widerspruch zurückgewiesen hatte, erhob die Antragstellerin Klage mit dem Ziel, die Antragsgegnerin zu verurteilen, „den Dienstposten am Institut für Katholische Theologie, den sie mit einem Arbeitskraftanteil von 50 vom Hundert bekleidet hat, zurück zu übertragen, hilfsweise, sie als Akademische Rätin (Besoldungsgruppe A 13) amtsangemessen zu beschäftigen“.

Bis zum 31. August 2020 war die Antragstellerin krankheitsbedingt dienstunfähig.

Der Vizepräsident für „Hochschulentwicklung und Strategie“ wurde am 3. September 2020 über sein Vorzimmer über eine Mitteilung der Antragstellerin vom 2. September 2020 mit folgendem Inhalt informiert: Sie wolle sich bis zum 15. September aus gesundheitlichen Gründen abmelden, was hiermit geschehen sei. Sie habe gestern noch eine E-Mail dazu geschickt. Sie habe heute gesehen, dass sie [die Nachricht] noch im Postausgang hänge, so dass sie nicht wisse, ob sie [die Nachricht] zugegangen sei. Der Vizepräsident für „Hochschulentwicklung und Strategie“ erhielt auf seine Frage von einer Beschäftigten des Dezernats „Personal“ die Auskunft, die Antragstellerin sei am 1. September 2020 nicht im Dienst gewesen, angeblich habe diese eine E-Mail gesandt, welche im Postausgang „hängengeblieben“ sei. Am 2. September 2020 habe sie eine entsprechende Mitteilung auf dem Anrufbeantworter hinterlassen. Die Antragstellerin sei somit unentschuldigt dem Dienst am 1. September 2020 ferngeblieben. Sie hätte sich vergewissern müssen, dass die Nachricht tatsächlich gesendet worden sei. Sie habe ein Attest vom 2. September 2020, rückwirkend ausgestellt auf den 1. September 2020 vorgelegt. Es solle geprüft werden, ob trotz des im Nachhinein vorgelegten Attestes disziplinarrechtliche Schritte gegen die Antragstellerin „eingeleitet werden können“.

Am 16. September 2020 teilte die Antragstellerin mit, sie sei bis einschließlich 28. September 2020 aus gesundheitlichen Gründen nicht im Dienst und ab dem 29. September 2020 wolle sie ihren restlichen Urlaub aus 2019 antreten. Hierauf bat der Leiter des Dezernats „Personal“ der Antragsgegnerin intern zu prüfen, „ob wir nicht disziplinarrechtlich gegen eine verspätete Krankmeldung“ der Antragstellerin vom 16. September 2020 vorgehen könnten, weil die Krankmeldung um 16.08 Uhr eingegangen sei, obwohl vorgesehen sei, dass eine Dienstunfähigkeit unverzüglich, in der Regel bis 9.00 Uhr desselben Tages dem Vorgesetzten mitzuteilen sei; die Antragstellerin sei somit unentschuldigt nicht im Dienst gewesen. Das Ergebnis der Prüfung ist in den beigezogenen Verwaltungsvorgängen der Antragsgegnerin nicht dokumentiert.

Am 28. September 2020 wandte sich die Beschäftigte des Dezernats „Personal“ an den Justitiar der Antragsgegnerin und teilte mit, dass die Antragstellerin eine Adressänderung nicht mitgeteilt habe und insofern eine Dienstpflichtverletzung vorliege. Auch hinsichtlich der o. a. verspäteten Krankmeldungen habe sich die Antragstellerin pflichtwidrig verhalten. Es werde um Prüfung gebeten, „ob disziplinarrechtlich gegen die Antragstellerin vorgegangen werden kann“. Eine Antwort hierauf ist den beigezogenen Verwaltungsvorgängen der Antragsgegnerin nicht zu entnehmen.

Die Antragstellerin beantragte, ihr den Erholungsurlaub (verbliebener Anspruch hierauf des Jahres 2019) in der Zeit vom 5. November bis 14. Dezember 2020 zu gewähren. Die Antragsgegnerin bewilligte Erholungsurlaub bis einschließlich 26. November 2020 (Bl. 16 GA).

Auf die vorgenannte Klage verurteilte das Verwaltungsgericht Osnabrück die Antragsgegnerin mit Urteil vom 10. November 2020 - 3 A 15/20 -, die Antragstellerin als Akademische Rätin (Besoldungsgruppe A 13) amtsangemessen zu beschäftigen, und wies die Klage im Übrigen ab. Dieses Urteil ist nicht rechtskräftig.

Mit Schreiben vom 23. November 2020 (Bl. 26 BA 001) teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass dem ursprünglichen Urlaubsantrag stattgegeben werde, mithin sich der Urlaub bis zum 14. Dezember 2020 verlängere. Vor dem Hintergrund des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 10. November 2020 müsse neu über die „zukünftigen Tätigkeiten“ der Antragstellerin an der Universität entschieden werden, so dass einer Inanspruchnahme von Urlaub keine dienstlichen Gründe entgegenstünden. Dem widersprach die Antragstellerin am 24. November 2020 (Bl. 27 BA 001), weil ihr Urlaubsantrag für den Zeitraum ab dem 27. November 2020 gegenstandslos geworden sei. Ihr Urlaub ende daher am 26. November 2020 und ihre Verpflichtung zur Dienstleistung beginne mit dem 27. November 2020. Die Antragsgegnerin antwortete hierauf mit E-Mail vom 24. November 2020 (Bl. 16 GA), sie sehe weder den Urlaubsantrag der Antragstellerin mangels Rücknahme oder Modifikation als gegenstandslos an noch einen Hinderungsgrund für eine Korrektur des zunächst ausgesprochenen Umfangs der Urlaubsgenehmigung; Vertrauensgesichtspunkte seien nicht ersichtlich. Im Hinblick auf den seitens der Antragstellerin „zum Ausdruck gebrachten Wunsch nach einer pragmatischen Zwischenlösung“ sei es sicherlich im Interesse aller Beteiligten, „der Universität ausreichend Zeit zum Entwickeln einer derartigen Lösung zu geben“. Daraufhin ließ die Antragstellerin am 27. November 2020 der Antragsgegnerin mitteilen, dass nach ihrer Auffassung ihr Urlaub mit Ablauf des Vortages geendet habe. Die Antragsgegnerin entgegnete am selben Tag, aus ihrer Sicht sei die Sache ausgeschrieben und die Antragstellerin befinde sich weiterhin im Urlaub, und zwar bis zum Ablauf des von ihr beantragen Zeitraums. Dem widersprach die Antragstellerin am selben Tage und führte aus, aus der Erklärung der Antragsgegnerin schließe sie, dass die Universität bis auf Weiteres kein Interesse an der „Entgegennahme [ihrer] Dienst- und Arbeitsleistungen“ habe, so dass sie sich als freigestellt betrachten müsse. Sie bitte um Mitteilung, von welchem Tage an die Antragsgegnerin wieder Wert auf die entsprechende Entgegennahme lege. Sie würde es begrüßen, wenn die (gesamte) Angelegenheit konsensual gelöst werden könne. Hierauf antwortete die Antragsgegnerin nicht.

Mit E-Mail vom 16. Dezember 2020 bat die Sekretärin des Vizepräsidenten für „Hochschulentwicklung und Strategie“ die Antragstellerin um Rücksendung der Urlaubskarte. Hierauf teilte die Antragstellerin am 17. Dezember 2020 mit, dass offenkundig ein Missverständnis vorliege und verwies auf die Korrespondenz zwischen ihrer Anwaltskanzlei und dem Justitiariat der Antragsgegnerin. Die Sekretärin des Vizepräsidenten für „Hochschulentwicklung und Strategie“ antwortete hierauf, es gehe ihr nur um die Urlaubskarte und sie habe keinen Einblick in die angesprochene Korrespondenz.

Die Leiterin des Dezernats „Akademische Angelegenheiten, Justitiariat und Zentrale Verwaltungsangelegenheiten“ hielt am 1. Februar 2021 in einem mit „Abwesenheit Frau Dr. A.“ überschriebenen Vermerk fest: Nach ihrem Kenntnisstand sei die Antragstellerin seit dem 15. Dezember 2020 nicht mehr zum Dienst erschienen. Dieser sei vom 5. November 2020 bis 14. Dezember 2020 Urlaub gewährt worden. Aus der anliegenden Korrespondenz mit der Sekretärin des Vizepräsidenten für „Hochschulentwicklung und Strategie“ [vorstehende E-Mails vom 16., 17. und 18. Dezember 2020] ergebe sich, dass die Beamtin ihren Dienst nicht angetreten habe. Nach Rückmeldung der Poststelle habe die Beamtin ihr Postfach „bereits seit längerem“ nicht geleert und verwies auf ein Foto vom 14. Januar 2021 (Bl. 9 Beiakte - BA - 005).

Der Justitiar der Antragsgegnerin, der dem Dezernat „Akademische Angelegenheiten, Justitiariat und Zentrale Verwaltungsangelegenheiten“ zugeordnet ist, hielt in einem mit „Einleitungsverfügung gemäß § 18 Abs. 1 NDiszG“ überschriebenen Vermerk vom 11. Februar 2021 fest: Gegen die Antragstellerin bestünden aufgrund der „in der Anlage beigefügten Unterlagen“ zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht, die Folgepflicht, die Dienstleistungspflicht sowie beamtenrechtliche Nebenpflichten verletzt und dadurch ein Dienstvergehen begangen zu haben. Er „beabsichtige“ deshalb, gegen die Antragstellerin ein Disziplinarverfahren einzuleiten. Er legte diesen Vermerk der Präsidentin der Antragsgegnerin zur Entscheidung vor, die am 19. Februar 2021 zustimmte.

Die Antragsgegnerin versuchte mit Schreiben vom 14. April 2021 der Antragstellerin mitzuteilen, dass mit Verfügung vom 11. Februar 2021 gegen sie ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden sei. Ihr werde vorgeworfen, die Folgepflicht, die Dienstleistungspflichten sowie beamtenrechtliche Nebenpflichten verletzt zu haben, indem sie:

a. am 1. September 2020 unentschuldigt dem Dienst ferngeblieben sei,

b. die Änderung ihrer persönlichen Verhältnisse (Anschrift des 1. Wohnsitzes) der Dienststelle nicht angezeigt zu haben,

c. am 16. September 2020 nicht unverzüglich, d. h. bis 9.00 Uhr morgens, ihre vorübergehende Dienstunfähigkeit für den Zeitraum 16. bis 28. September 2020 angezeigt zu haben,

d. seit dem 15. Dezember 2020 „unerlaubt und unentschuldigt nicht mehr zum Dienst erschienen“ sein.

Dieses an die Antragstellerin unter der Anschrift „F-Straße., G-Stadt.“ adressierte Schreiben ging mit dem postalischen Vermerk „Empfänger/Firma unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln“ vom 15. April 2021 an die Antragsgegnerin zurück (dort am 29.4.2021 eingegangen). Unter dem 29. April 2021 stellte die Antragsgegnerin ein inhaltsgleiches Schreiben an die Antragstellerin unter der Anschrift „A-Straße, A-Stadt“ am 4. Mai 2021 zu.

Die Antragstellerin ließ am 5. Mai 2021 mitteilen, dass sie sich in der Sache schriftlich äußern wolle und bat um Einsicht in die Ermittlungsakte. Zugleich nahm sie zu den Vorwürfen vorläufig Stellung: Sie könne nicht erkennen, dass sie am 1. September 2020 unentschuldigt dem Dienst ferngeblieben wäre. Es sei fraglich, wann und welchen ersten Wohnsitz sie zu welchem Zeitpunkt nicht angezeigt haben solle. Sie bitte um einen Hinweis, woraus sich die Verpflichtung ergebe, eine temporäre Dienstunfähigkeit unverzüglich, „bis 9.00 Uhr morgens“ und welchen Tages anzuzeigen. Hinsichtlich des letzten Vorwurfes verweise sie auf das Urteil des Verwaltungsgerichts vom „19. November 2020“, das Schreiben der Antragsgegnerin sowie ihre Antwort vom 24. November 2020. Die Antragsgegnerin habe ihr am 24. November 2020 mitgeteilt, es läge im Interesse aller Beteiligten, der Antragsgegnerin ausreichend Zeit zum Entwickeln einer Lösung zu geben. Weitere Mitteilungen seien seitens der Antragsgegnerin nicht erfolgt, obwohl sie - die Antragstellerin - die Zuweisung einer amtsangemessenen Tätigkeit verlangt habe.

Nach Übersendung der bis dahin entstandenen Verwaltungsvorgänge äußerte sich die Antragstellerin am 27. Mai 2021 ergänzend: Auch auf das Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 5. Mai 2021 habe sie nichts mehr gehört, insbesondere in Bezug auf die Zuweisung eines amtsangemessenen Dienstpostens. Vor diesem Hintergrund erschließe sich nicht, wie ihr vorgeworfen werden könne, irgendwelche Pflichten verletzt haben zu können. Die Einleitungsverfügung entspreche nicht den gesetzlichen Vorgaben. Im Übrigen sei unerfindlich, warum weitere zwei Monate notwendig gewesen seien, um die Einleitungsverfügung mitzuteilen. Dass das Schreiben vom 14. April 2021 zurückgegangen sei, könne ihr nicht angelastet werden. Sie habe für die betreffende Anschrift einen Postnachsendeantrag in Auftrag gegeben, der problemfrei beachtet worden sei. Im Übrigen sei die von der Antragsgegnerin verwandte Anschrift auf diesem Schreiben nicht korrekt gewesen. Das von einer nicht zuständigen Person eingeleitete Disziplinarverfahren scheine nur einem einzigen Zweck zu dienen, durch „arg konstruierte, abwegige Vorwürfe“ Druck auf sie auszuüben.

Im behördlichen Disziplinarverfahren wurden dienstliche Auskünfte vom Vizepräsidenten für „Hochschulentwicklung und Strategie“, von dessen Sekretärin und von der Beschäftigten des Dezernats „Personal“ eingeholt.

Die Beschäftigte des Dezernats „Personal“ teilte unter dem 27. Juli 2021 (Bl. 33 f. BA 002) mit, dass die Sekretärin des Vizepräsidenten für „Hochschulentwicklung und Strategie“ am 3. September 2020 eine „Audiodatei“ übersandt habe, die die Antragstellerin am 2. September 2020 „auf dem AB [der Sekretärin] hinterlassen“ habe. Die Antragstellerin spreche von einer E-Mail, die sie am 1. September 2020 an die Sekretärin übersandt habe, die aber wohl im „Postausgang bei [der Antragstellerin] ‚hängengeblieben‘ sei“. Diese E-Mail habe sie - die Beschäftigte des Dezernats „Personal“ - nicht erhalten. Weiter übersandte sie ein von der Antragsgegnerin an die Antragstellerin mit der Anschrift „H-Straße, I-Stadt“ adressiertes Schreiben vom 11. September 2020, das mit dem postalischen Vermerk „Empfänger/Firma unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln“ am 18. September 2020 zurückgegangen ist. Außerdem merkte sie an, dass die Anschriftenänderung von der Antragstellerin nicht mitgeteilt worden sei.

Die Sekretärin des Vizepräsidenten für „Hochschulentwicklung und Strategie“ übersandte unter dem 2. August 2021 (Bl. 36 ff. BA 002) die erbetene Audiodatei nebst Abschrift. Ferner teilte sie mit, dass sie von der Antragstellerin „am 16.9.2020 nur die [E-]Mail um 16:08 Uhr erhalten“ habe und die Antragstellerin ihr „außer auf die genannten Schreiben vom 16. und 18.12.2020 nicht geantwortet“ habe. Da sie für die Antragstellerin nur die Urlaubskartei führe und ggf. Krankmeldungen von ihr bekomme, könne sie nichts dazu sagen, ob die Antragstellerin ihren dienstlichen Pflichten nachgekommen sei. Sie habe erst wieder am 6. Mai 2021 eine Krankmeldung von der Antragstellerin per E-Mail erhalten.

Der Vizepräsident für „Hochschulentwicklung und Strategie“ teilte unter dem 11. August 2021 (Bl. 40 BA 002) mit, aufgrund der Anfrage vom 23. Juli 2021 habe er als Vorgesetzter der Antragstellerin noch einmal seine diesbezüglichen digitalen und gedruckten Unterlagen durchgesehen. Danach habe er im Hinblick auf das unentschuldigte Fernbleiben der Antragstellerin vom Dienst am 1. September 2020 vor dem 2. September 2020 sowie im Hinblick auf das unentschuldigte Fernbleiben der Antragstellerin vom Dienst am 16. September 2020 vor dem 17. September 2020 keine Krankmeldung erhalten. Ferner teilte er mit, dass die Antragstellerin „seit dem 14.12.2020 ihren dienstlichen Pflichten bis zu ihrer erneuten Krankmeldung am 06.05.2021 nicht nachgekommen ist.“ Weitere Ausführungen hierzu enthält das Schreiben nicht.

Weiter wurden die von der Antragstellerin nach dem 31. August 2020 eingereichten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (Bl. 44 - 52 BA 002) hinzugezogen, insbesondere:

 Aussteller

 Beginn der
Arbeitsunfähigkeit

 Ende der
Arbeitsunfähigkeit

 Ausstellungsdatum

 Eingang bei der
Antragsgegnerin

 Dr. med. J., C-Stadt

 01.09.2020

 15.09.2020

 02.09.2020

 03.09.2020

 Dr. med. J., C-Stadt

 16.09.2020

 28.09.2020

 17.09.2020

 25.09.2020

 Dr. med. K., E-Stadt

 03.11.2020

 04.11.2020

 02.11.2020

 24.11.2020

 Dr. med. K., E-Stadt

 06.05.2021

 21.05.2021

 06.05.2021

 11.05.2021

Die Antragsgegnerin übersandte am 13. September 2021 der Antragstellerin Kopien der eingeholten dienstlichen Auskünfte und der beigezogenen Unterlagen und bat sie um Übersendung der Postnachsendeaufträge für die Anschrift in G-Stadt und I-Stadt nebst Auftragsbestätigung.

Die Deutsche Post AG teilte am 25. Oktober 2021 (Bl. 55 - 58 BA 002) der Antragsgegnerin auf deren Anfrage mit, dass die Antragstellerin für ihre Adresse G-Stadt im Januar 2021 für die Dauer von 24 Monaten eine Nachsendung nach A-Stadt beauftragt habe. Betreffend die Anschrift in I-Stadt seien keine Daten gespeichert.

Die Antragsgegnerin übersandte mit Schreiben vom 2. November 2021 der Antragstellerin in Kopie das Schreiben der Deutschen Post AG, teilte mit, dass die Ermittlungen damit abgeschlossen seien, die Antragstellerin von den im Rahmen der Beweiserhebung eingeholten Auskünfte und beigezogenen Unterlagen Durchschriften erhalten habe und die Antragstellerin nunmehr Gelegenheit erhalte, sich abschließend zu äußern.

Hierauf antwortete die Antragstellerin, sie sei bereit, zu jeder Frage Stellung zu nehmen. Aus ihrer Sicht könne angesichts des Umstandes, dass ein Ermittlungsbericht nicht vorliege, nicht erkannt werden, wozu Stellung genommen werden könnte. Sie rege an, entsprechende Fragen zu formulieren. Hierauf reagierte die Antragsgegnerin nicht.

Der mit der Durchführung des behördlichen Disziplinarverfahrens beauftragte Bedienstete legte am 31. Januar 2022 der Präsidentin der Antragsgegnerin den Ermittlungsbericht vom 28. Januar 2022 zur Entscheidung über das weitere Vorgehen vor. Sie entschied am selben Tag, gegen die Antragstellerin Disziplinarklage mit dem Ziel der Entfernung der Beamtin aus dem Beamtenverhältnis zu erheben.

Die Antragsgegnerin erhob am 2. Februar 2022 beim Verwaltungsgerichts Osnabrück Disziplinarklage gegen die Antragstellerin (Az. 9 A 2/22) mit dem Antrag, die Beamtin aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. Sie lastet der Antragstellerin an, ein schweres Dienstvergehen begangen zu haben:

1. Die Antragstellerin sei am 1. September 2020 unerlaubt dem Dienst ferngeblieben und sie habe die Dienststelle erst nachträglich - am 2. September 2020 - über ihr krankheitsbedingtes Fehlen am Vortag unterrichtet; damit liege ein Verstoß gegen die Pflicht zur ordnungsgemäßen Diensterfüllung (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG) vor.

2. Die Antragstellerin habe der Dienststelle weder den Wechsel der Anschrift ihres ersten Wohnsitzes von I-Stadt nach G-Stadt noch von dort nach A-Stadt mitgeteilt. Dieses Verhalten sei unvereinbar „mit den allgemeinen beamtenrechtlichen Geboten, eine Änderung an ihren persönlichen Verhältnissen der Dienststelle mitzuteilen und damit ihr Verhalten so auszurichten, dass die Aufgaben der Dienststelle möglichst optimal verwirklich werden können“.

3. Die Antragstellerin sei in der Zeit vom 15. Dezember 2020 bis 5. Mai 2021 unerlaubt und unentschuldigt dem Dienst ferngeblieben. Die Antragstellerin habe für diesen Zeitraum gegen die Pflicht zur ordnungsgemäßen Diensterfüllung (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG) verstoßen.

Die Antragsgegnerin macht geltend, durch das vorsätzliche und schuldhafte Fernbleiben vom Dienst habe die Antragstellerin nicht nur gegen eine beamtenrechtliche Kernpflicht verstoßen, sondern dies schon allein aufgrund des langen Zeitraums in besonders schwerer Weise getan. Wegen der Schwere dieses Dienstvergehens sei die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erforderlich. Durch ihr eigenmächtiges Fernbleiben vom Dienst habe sie das für das Beamtenverhältnis erforderliche Vertrauensverhältnis zur Dienststelle zerstört. Entlastende Umstände seien weder ersichtlich noch substanziell vorgetragen worden. Vielmehr wirke sich zu Lasten der Antragstellerin das Fehlen jedes Anzeichens von Unrechtsbewusstsein oder Reue aus.

Die Antragstellerin tritt der Disziplinarklage entgegen, über die eine Entscheidung aussteht.

Ohne vorherige Anhörung enthob die Antragsgegnerin mit Verfügung vom 28. Februar 2022 die Antragstellerin vorläufig des Dienstes und stellte einleitend fest: Sie - die Antragsgegnerin - habe „aufgrund der bereits gegen [die Antragstellerin] erhobenen Disziplinarklage“ von einer vorherigen Anhörung zu dieser Maßnahme abgesehen; zudem halte sie eine sofortige Entscheidung im öffentlichen Interesse nach § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG für notwendig. Zur Begründung der vorläufigen Dienstenthebung führte sie aus: Sie habe Disziplinarklage gegen die Antragstellerin erhoben, weil diese rechtswidrig und schuldhaft ihre Pflichten zur ordnungsgemäßen Diensterfüllung und zur Mitteilung von Änderung in ihren persönlichen Verhältnissen verletzt und damit ein schweres Dienstvergehen begangen habe. Insbesondere durch das vorsätzliche und schuldhafte Fernbleiben vom Dienst im Zeitraum vom 15. Dezember 2020 bis 5. Mai 2021 habe die Beamtin in besonders schwerer Weise gegen eine beamtenrechtliche Kernpflicht, die Pflicht zur ordnungsgemäßen Diensterfüllung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG verstoßen und damit das für das Beamtenverhältnis erforderliche Vertrauensverhältnis zerstört. Um die Integrität des Berufsbeamtentums und damit die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes zu schützen, sei es ausgeschlossen, dass die Antragstellerin weiterhin Dienst leiste und als Repräsentantin der Dienststelle auftrete. Ihre Entfernung aus dem Beamtenverhältnis „und mithin auch ihre vorläufige Dienstenthebung“ seien daher erforderlich.

Außerdem ordnete die Antragsgegnerin nach vorheriger Anhörung gegenüber der Antragstellerin mit Verfügung vom 11. April 2022 die Einbehaltung von 50 vom Hundert der monatlichen Bezüge an. Zur Begründung führte sie aus: Die Einbehaltung von 50 vom Hundert der monatlichen Bezüge sei erforderlich, da gegen die Antragstellerin Disziplinarklage mit dem Ziel der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erhoben worden sei. Im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens sei die Einbehaltung in genannter Höhe sachgerecht. Der Antragstellerin verbleibe ein monatlicher Betrag von 2.356,38 EUR, der eine angemessene Lebensführung ermögliche und nicht existenzgefährdend sei, wobei Einschränkungen hinzunehmen seien.

Die Antragstellerin hat am 30. März 2022 beim Verwaltungsgericht Osnabrück beantragt, die vorläufige Dienstenthebung auszusetzen (Az. 9 B 1/22) und am 21. April 2022 beantragt, die Einbehaltung von monatlichen Bezügen auszusetzen (Az. 9 B 2/22). Das Verwaltungsgericht hat durch Beschluss der Berichterstatterin vom 9. Juni 2022 (Az. 9 B 2/22) die vorgenannten Verfahren verbunden und unter dem Aktenzeichen 9 B 1/22 fortgeführt.

Die Antragstellerin hat zur Begründung ihrer Aussetzungsanträge zusammengefasst geltend gemacht: Die Voraussetzung für eine vorläufige Dienstenthebung und für die Einbehaltung von Dienstbezügen lägen nicht vor. Die Antragsgegnerin habe nicht dargelegt, warum im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden werde. Die Disziplinarklage sei völlig unbegründet. Insoweit verweise sie auf ihre Klageerwiderung. Im Rahmen der Auseinandersetzung über die Urlaubsgewährung November/Dezember 2020 habe sie deutlich gemacht, dass mit der Entscheidung der Antragsgegnerin über ihren Urlaubsantrag der gewährte Urlaub mit Ablauf des 26. November geendet habe. Die Antragsgegnerin habe dem widersprochen. Hierauf sei mitgeteilt worden, sie - die Antragstellerin - müsse sich angesichts der Erklärungen der Antragsgegnerin als ‚freigestellt‘ betrachten. Zugleich habe sie die Antragsgegnerin gebeten, zu gegebener Zeit mitzuteilen, von welchem Tage an wieder „Wert auf die Entgegennahme von Arbeitsleistungen“ gelegt werde. Die nächste Nachricht, die bei ihr - der Antragstellerin - mit Blick auf eine von ihr zu erbringende Dienstleistung eingegangen sei, sei die E-Mail des Vizepräsidenten für „Hochschulentwicklung und Strategie“ vom 6. Juli 2021 gewesen. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin unterfalle sie der „Dienstvereinbarung Arbeitszeit wissenschaftliches Personal“, wonach individuelle Vereinbarungen über den Ort zur Erbringung der Arbeitsleistung möglich seien. Mit beiden ihrer Vorgesetzten sei abgestimmt gewesen, dass es in ihrem - der Antragstellerin - eigenen Ermessen liege, an welchem Ort sie ihre Arbeitsverpflichtung erfülle. Aus der E-Mail des Vizepräsidenten für „Hochschulentwicklung und Strategie“ vom 29. Juli 2019 (Bl. 51 GA) gehe ohne Weiteres hervor, dass der Vizepräsident von der „bestehenden Verabredung bezüglich der Orte der Arbeitsleistung“ nicht nur gewusst, sondern die Verabredung auch gelebt habe. Darüber sei auch zwischen beiden Vorgesetzten gesprochen worden. Die ihr erteilte Berechtigung, den Ort der Leistungserbringung selbst zu bestimmen, habe danach fortgegolten. Sie sei nie widerrufen worden. Der Vizepräsident habe zu keinem Zeitpunkt einen Zweifel daran gelassen, dass er die vorangegangene Vereinbarung als weiterhin gültig betrachte. So habe er noch am 19. Oktober 2020 erklärt, dass er „noch“ damit einverstanden sei, dass sie im Home-Office arbeite. Soweit die Antragsgegnerin auf ihre Geschäftsordnung für die Allgemeine Verwaltung verweise, gelte diese nicht für wissenschaftliche Beschäftigte im Sinne des § 31 NHG. Überdies hätten im Zeitraum vom 15. Dezember 2020 bis 5. Mai 2021 Dienstanweisungen der Antragsgegnerin zur Arbeitsorganisation während der Corona-Pandemie gegolten. Für das wissenschaftliche Personal sei auf die Regelung in der Dienstvereinbarung „Arbeitszeit wissenschaftliches Personal“ verwiesen worden, wonach die Tätigkeit an einem anderen Ort und auch in der häuslichen Umgebung erbracht werden könne, wobei es einer Abstimmung zwischen dem Vorgesetzten und dem Beschäftigten bedürfe. Zumindest habe es im vorliegenden Falle eine faktische Abstimmung gegeben. Andernfalls wäre die Antragsgegnerin verpflichtet gewesen, sie darauf hinzuweisen, denn ihr Vorgesetzter habe gewusst, dass sie sich zumindest zeitweise auch im Home-Office befunden habe.

Aus dem Gebot der schnellen Reaktion des Dienstherrn folge, dass dieser, um dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu genügen, sofort mit niederschwelligen disziplinarischen Maßnahmen reagieren müsse, wenn er meine, der Beamte verhalte sich pflichtwidrig. Wenn also die Antragsgegnerin während des hier betroffenen Zeitraums der Auffassung gewesen wäre, sie - die Antragstellerin - befände sich widerrechtlich im Home-Office, so hätte die Antragsgegnerin sie - die Antragstellerin - sofort pflichtenmahnend auffordern müssen, an einem anderen Ort ihre Dienstpflichten zu versehen. Sie habe im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum ihre Pflicht zur ordnungsgemäßen Diensterfüllung nicht verletzt. Sie habe sich währenddessen bereitgehalten, jedoch keine Arbeitsaufträge erhalten. Sie habe sich, soweit es ihr möglich gewesen sei, selbst beschäftigt. Die Antragsgegnerin habe ihre Ankündigung (E-Mail vom 27. November 2020), nach einer Lösung zu suchen, erst mit einer E-Mail vom 6. Juli 2021 umgesetzt.

Die Antragstellerin hat sinngemäß beantragt,

die von der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 28. Februar 2022 verfügte vorläufige Dienstenthebung und die mit Bescheid vom 11. April 2022 verfügte Einbehaltung von Bezügen zu 50 vom Hundert auszusetzen

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

den Aussetzungsantrag abzulehnen.

Zur Begründung hat sie im Wesentlichen vorgetragen: Die angegriffenen Verfügungen seien zu Recht ergangen. Die vorläufige Dienstenthebung sei bereits während des laufenden „Disziplinarermittlungsverfahrens“ erlaubt, erst recht nach Abschluss der Ermittlungen nicht nur gestattet, sondern ggf. sogar erforderlich, wenn nach dem Ergebnis der Ermittlungen „auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt“ worden sei. Hieraus ergebe sich zwingend, dass der vorläufigen Dienstenthebung nach Abschluss der Ermittlungen keine Prognose und Wahrscheinlichkeitsüberlegungen (mehr) zugrunde gelegt werden könnten und müssten, sondern auf das tatsächliche Ergebnis der Ermittlungen abgestellt werden könne und müsse. Dass sich daher die Argumente der Disziplinarklage mit denen der läufigen Dienstenthebung deckten, sei nicht nur logisch, sondern auch systematisch bedingt.

Das Verwaltungsgericht hat durch Beschluss vom 5. Juli 2022 die vorläufige Dienstenthebung der Antragstellerin sowie die Einbehaltung des verfügten Teils ihrer monatlichen Bezüge ausgesetzt, weil ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit beider Verfügungen bestünden. Es sei offen, ob gegen die Antragstellerin im Disziplinarklageverfahren auf die Höchstmaßnahme erkannt werde, weil insbesondere offen sei, ob der Vorwurf zutreffend sei, wonach die Antragstellerin vom 15. Dezember 2020 bis 5. Mai 2021 unerlaubt und unentschuldigt dem Dienst ferngeblieben sein solle. Es sei davon auszugehen, dass der Antragstellerin im fraglichen Zeitraum tatsächlich keine Arbeitsaufträge erteilt worden seien. Weiter sei anzunehmen, dass sich die Antragstellerin in dieser Zeit entweder im Home-Office oder im Büro bereitgehalten habe, um Arbeitsaufträge entgegenzunehmen. Jedenfalls sei die Antragstellerin nach § 2 Abs. 4 SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung seit dem 21. Januar 2021 berechtigt gewesen, ihre Arbeit von zuhause aus anzubieten, weil entgegenstehende betriebsbedingte Gründe nicht vorgetragen worden seien. Für die Zeit vom 15. Dezember 2020 bis 20. Januar 2021 erscheine wahrscheinlich, dass zwischen der Antragstellerin und dem Vizepräsidenten tatsächlich die gelebte Praxis bestanden habe, wonach die Antragstellerin berechtigt gewesen sei, jedenfalls teilweise von zuhause aus zu arbeiten. Folglich habe wohl eine konkludente Übereinkunft vorgelegen, die es der Antragstellerin gemäß § 7 der „Dienstvereinbarung Arbeitszeit wissenschaftliches Personal“ sowie Nr. 3 c. der „Hinweise zum Arbeitseinsatz und zur Arbeitszeit“ der Antragsgegnerin im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie gestattet habe, im Home-Office zu arbeiten. Der Antragstellerin könne wohl auch nicht vorgehalten werden, sollte sie seit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 10. November 2020 ausschließlich von zuhause aus gearbeitet haben. Mit Schreiben vom 23. November 2020 habe die Antragsgegnerin der Antragstellerin mitgeteilt, dass vor dem Hintergrund dieses Urteils neu über die künftige Tätigkeit an der Universität entschieden werden müsse. Mangels nachfolgender Arbeitsaufträge an die Antragstellerin, dürfte davon auszugehen sein, dass sie sich erst einmal auch zuhause zur Entgegennahme von Arbeitsaufträgen habe bereithalten dürfen, weil ihr die Arbeit von zuhause aus wohl auch vorher gestattet worden sei. Zumindest aber hätte die Antragsgegnerin die Antragstellerin umgehend darauf hinweisen müssen, wenn sie erwartet hätte, dass die Antragstellerin nunmehr - entgegen der zuvor anders gelebten Praxis - ihre Arbeitsleitung in ihren Räumen zu erbringen gehabt hätte, was nicht geschehen sei.

Eine Dienstpflichtverletzung aufgrund unterbliebener Anzeige des Wohnortwechsels könne nicht angenommen werden. Eine dahin gehende Dienstanweisung sei unbekannt und einer Verletzung der allgemeinen Treuepflicht könne nicht angenommen werden. Insoweit müsse von einem Bagatellvergehen ausgegangen werden, das die Annahme eines Dienstvergehens nicht rechtfertige.

Die Antragstellerin habe gegen die Folgepflicht (§ 35 Abs. 1 BeamtStG) verstoßen, da sie ihre Erkrankung vom 1. September 2020 nicht (rechtzeitig) angezeigt habe. Die marginale Verletzung dieser Dienstpflicht allein rechtfertige jedoch keine Entfernung der Antragstellerin „aus dem Dienst“.

Mangels Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung sei die „Kürzung der Dienstbezüge“ nicht aufrechtzuerhalten.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerde, der die Antragstellerin entgegentritt.

II.

Der Beschwerde der Antragsgegnerin bleibt der Erfolg versagt. Sie ist zwar zulässig, aber unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht die gegen die Antragstellerin verfügte vorläufige Dienstenthebung sowie die Einbehaltung von Bezügen ausgesetzt. Die hierauf gerichteten Anträge der Antragstellerin sind begründet. Insoweit hat das Verwaltungsgericht im Ergebnis zutreffend ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung und der Einbehaltung von Bezügen im Sinne des § 58 Abs. 2 NDiszG bejaht.

1.

Nach § 38 Abs. 1 Nr. 1 NDiszG kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde einen Beamten gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird. Nach § 38 Abs. 2 NDiszG kann gleichzeitig mit oder nach der vorläufigen Dienstenthebung gemäß § 38 Abs. 1 Nr. 1 NDiszG - also wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird - angeordnet werden, dass bis zu 50 Prozent der monatlichen Bezüge des Beamten einbehalten werden. Diese Anordnungen sind gemäß § 58 Abs. 2 NDiszG auf Antrag des Beamten auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen.

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung und der Einbehaltung von Bezügen im Sinne von § 58 Abs. 2 NDiszG sind anzunehmen, wenn bei der summarischen Prüfung der angegriffenen Anordnungen im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken. Es ist nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit der Anordnung nach § 38 NDiszG sprechenden Gründe überwiegen. Der Erfolg des Aussetzungsantrags muss nicht wahrscheinlicher sein als der Misserfolg. Es genügt, dass der Erfolg des Rechtsbehelfs ebenso wenig auszuschließen ist wie sein Misserfolg (st. Rspr., vgl. zur inhaltsgleichen Regelung in § 63 Abs. 2 BDG: BVerwG, Beschluss vom 12.8.2021 - BVerwG 2 VR 6.21 -, juris Rn. 10, Beschluss vom 28.11.2019 - BVerwG 2 VR 3.19 -, juris Rn. 22 m. w. N.; zu § 58 Abs. 2 NDiszG: Nds. OVG, Beschluss vom 9.2.2018 - 3 ZD 10/17 -, juris Rn. 24; Beschluss vom 11.1.2018 - 6 ZD 3/17 -, juris Rn. 4). Mithin sind ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung und der Einbehaltung von Dienstbezügen schon dann zu bejahen, wenn nach summarischer Prüfung der Verfahrensausgang offen ist. Umso mehr sind solche Zweifel gegeben, wenn sogar eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für den Verbleib des Beamten im Beamtenverhältnis besteht. Maßgeblich ist dabei die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12.8.2021 - BVerwG 2 VR 6.21 -, juris Rn. 10; Nds. OVG, Beschluss vom 9.2.2018 - 3 ZD 10/17 -, juris Rn. 24; Beschluss vom 11.1.2018 - 3 ZD 3/17 -, juris Rn. 4).

Nach Maßgabe dessen unterliegt die Rechtmäßigkeit der Anordnungen der Antragsgegnerin, die Antragstellerin vorläufig des Dienstes zu entheben sowie einen Teil der monatlichen Bezüge einzubehalten, ernstlichen Zweifeln.

a.

Die Rechtmäßigkeit der Anordnung der Antragsgegnerin, die Antragstellerin vorläufig des Dienstes zu entheben, unterliegt sowohl in formeller als auch materieller Hinsicht ernstlichen Zweifeln.

(1)

Die Anordnung der vorläufigen Dienstenthebung ist unter Verletzung von Verfahrensvorschriften ergangen. Nach § 1 Abs. 1 NVwVfG in Verbindung mit § 28 Abs. 1 Satz 1 VwVfG war eine Anhörung der Antragstellerin vor Erlass der vorläufigen Dienstenthebung notwendig. Nach diesen Vorschriften ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in die Rechte eines Beteiligten eingreift, dem Betroffenen Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.

(a)

Die Antragsgegnerin konnte nicht nach § 28 Abs. 2 VwVfG von der Anhörung der Antragstellerin absehen. Diese Vorschrift sieht ein gestuftes Vorgehen vor. Zunächst ist auf der Tatbestandsseite - gerichtlich voll nachprüfbar - festzustellen, ob nach den Umständen des Einzelfalls die Anhörung nicht geboten ist. Das Gebot der Einzelfallprüfung findet dabei auch auf die Regelbeispiele des § 28 Abs. 2 Halbsatz 2 VwVfG Anwendung (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.2.2022 - BVerwG 4 A 7.20 -, juris Rn. 21; Urteil vom 15.12.1983 - BVerwG 3 C 27.82 -, juris Rn. 55 und 63). Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen, auch bei Vorliegen eines Regelbeispiels, gegeben, ist auf der zweiten Stufe das Ermessen auszuüben und darüber zu entscheiden, ob eine Anhörung, die von Rechts wegen nicht zwingend geboten ist, gleichwohl durchgeführt wird. Angesichts der hohen rechtsstaatlichen Bedeutung der Anhörung sind zum einen die Regelbeispiele restriktiv auszulegen, und zum anderen ist bei der Ermessensausübung der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz strikt zu beachten (BVerwG, Urteil vom 22.2.2022 - BVerwG 4 A 7.20 -, juris Rn. 21 m. w. N.).

Diesen Anforderungen wird die Entscheidung der Antragsgegnerin, die Antragstellerin vor Erlass der vorläufigen Dienstenthebung nicht hierzu anzuhören, nicht gerecht.

Auf tatbestandlicher Ebene haben schon keine entsprechenden Gründe vorgelegen. So sind die Voraussetzungen des Regelbeispiels des § 28 Abs. 2 Halbsatz 2 Nr. 1 VwVfG nicht erfüllt. Weder hat die Antragsgegnerin dargelegt noch ist anderweitig ersichtlich, dass eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr in Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint. Die Antragsgegnerin hat schon nicht benannt, welche (konkreten) öffentlichen Interessen eine sofortige Entscheidung in der Sache notwendig erscheinen lassen. Solche sind für den Senat auch nicht ersichtlich, liegen doch zwischen der Entscheidung, Disziplinarklage erheben zu wollen, und dem Erlass der hier streitgegenständlichen Anordnung vier Wochen. Hiernach wäre eine Anhörung der Antragstellerin mit einer angemessen kurzen Äußerungsfrist ohne Weiteres möglich gewesen. Aus diesem Grunde vermag ebenso wenig der Umstand, dass vor Erlass der vorläufigen Dienstenthebung bereits Disziplinarklage erhoben worden ist, ein Absehen von der Anhörung zu rechtfertigen.

Überdies erweist sich die Entscheidung der Antragsgegnerin, von einer Anhörung abzusehen, als ermessensfehlerhaft. Der angegriffenen Anordnung kann schon nicht entnommen werden, dass die Antragsgegnerin die Interessen der Beteiligten im Einzelfall unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit abgewogen hat. Insoweit hat die Antragsgegnerin ihre Entscheidung, von einer Anhörung der Antragstellerin abzusehen, nicht weiter begründet.

(b)

Der Verstoß der Antragsgegnerin gegen ihre Pflicht zur Anhörung der Antragstellerin ist nicht in entsprechender Anwendung des § 46 VwVfG unbeachtlich. Nach dieser Vorschrift kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der - wie hier - nicht nach § 44 VwVfG nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.

Diese Vorschrift findet in Fällen der Anordnung einer vorläufigen Dienstenthebung nach § 38 Abs. 1 NDiszG entsprechende Anwendung. Einer unmittelbaren Anwendung des § 46 VwVfG steht entgegen, dass eine Aufhebung einer vorläufigen Dienstenthebung - etwa durch gerichtliche Entscheidung - nicht vorgesehen ist. So weist eine vorläufige Dienstenthebung die Besonderheit auf, dass sie lediglich eine vorläufige Regelung für die Dauer des Disziplinarverfahrens trifft; sie endet mit dem rechtskräftigen Abschluss des Disziplinarverfahrens (§ 39 Abs. 4 NDiszG). Dementsprechend sieht das Disziplinarrecht als Rechtsbehelf allein ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (Antrag auf Aussetzung der vorläufigen Dienstenthebung) gemäß § 58 NDiszG vor. Diese Regelung ist abschließend, so dass für den betroffenen Beamten nicht die Möglichkeit besteht, während eines noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Disziplinarverfahrens die Aufhebung einer vorläufigen Dienstenthebung mittels Klage nach § 48 Abs. 2 NDiszG zu erreichen (vgl. Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, Stand August 2022, § 38 Rn. 53, § 63 Rn. 3; Urban/Wittkowski, BDG, 2. Aufl. 2017, § 38 Rn. 56; Köhler/Baunack, BDG, 7. Aufl. 2020, § 38 Rn. 24).

Die fehlende (direkte) Anwendbarkeit des § 46 VwVfG in Aussetzungsverfahren ist aber als planwidrige Regelungslücke zu werten, die durch eine Analogie dieser Regelung geschlossen werden kann. Denn Sinn und Zweck des § 46 VwVfG beschränken sich nicht auf das Hauptsacheverfahren, sondern finden auch in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes im Rahmen der Interessenabwägung und im Hinblick hierauf bei der Prüfung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs Berücksichtigung. Die Regelung lässt zwar die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts unberührt und negiert allein den Aufhebungsanspruch des Betroffenen. Sie bringt aber damit zum Ausdruck, dass das Verfahrensrecht - und damit das Recht auf Anhörung des von einer belastenden Maßnahme Betroffenen - dienende Funktion hat und nicht um seiner selbst willen Beachtung finden soll (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 23. Aufl. 2022, § 46 Rn. 1). Dieser Rechtsgrundsatz beansprucht in allen Rechtsbehelfsverfahren - und damit auch im Aussetzungsverfahren nach § 58 NDiszG - Geltung.

Indes liegen die Voraussetzungen des § 46 VwVfG nicht vor. Nach dieser Vorschrift kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der - wie hier - nicht nach § 44 VwVfG nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.

An einer Beeinflussung der Sachentscheidung fehlt es (nur) dann im Sinne von § 46 VwVfG, wenn jeglicher Zweifel ausgeschlossen ist, dass die Behörde ohne den Verfahrensfehler genauso entschieden hätte (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.03.2012 - BVerwG 3 C 16.11 -, juris Rn. 19 f.; VGH Ba.-Wü., Urteil vom 2.11.2021 - 1 S 3252/20 -, juris Rn. 74), wenn das Gericht mit anderen Worten zweifelsfrei davon ausgehen kann, dass die Entscheidung ohne den Fehler nicht anders ausgefallen wäre (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.06.2018 - BVerwG 2 C 14.17 -, juris Rn. 32 m. w. N.). Angesichts dieses strengen Maßstabes scheidet eine Unbeachtlichkeit nach § 46 VwVfG (schon) dann aus, wenn nach den Umständen des jeweiligen Falles die konkrete Möglichkeit besteht, dass ohne den angenommenen Verfahrensmangel die Entscheidung anders ausgefallen wäre (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13.11.2019 - BVerwG 2 C 24.18 -, juris Rn. 3; Urteil vom 9.5.2019 - BVerwG 2 C 1.18 -, juris Rn. 72; Urteil vom 28.6.2018 - BVerwG 2 C 14.17 -, juris Rn. 32; VGH Ba.-Wü., Urteil vom 2.11.2021 - 1 S 3252/20 -, juris Rn. 74; OVG NRW, Beschluss vom 18.5.2022 - 6 B 231/22 -, juris Rn. 28; Urteil vom 22.6.2021 - 5 A 1386/20 -, juris Rn. 28 f. jeweils m. w. N.). Ein Verfahrensfehler ist jedoch dann nach § 46 VwVfG in der Regel unbeachtlich, wenn die zu treffende Entscheidung als gebundene Entscheidung ergeht oder wenn es sich zwar um eine Ermessensentscheidung handelt, jedoch ein Fall der sog. Ermessensreduzierung auf null vorliegt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15.1.1988 - BVerwG 7 B 182.87 -, juris Rn. 5; OVG NRW, Beschluss vom 18.5.2022 - 6 B 231/22 -, juris Rn. 30; Urteil vom 22.6.2021 - 5 A 1386/20 -, juris Rn. 80 f. jeweils m. w. N.) oder aufgrund anderer Einzelfallumstände offensichtlich ist, dass eine ordnungsgemäße Verfahrensgestaltung zu keinem anderen Ergebnis geführt hätte (vgl. VGH Ba.-Wü., Urteil vom 2.11.2021 - 1 S 3252/20 -, juris Rn. 74 m. w. N.). An die Annahme einer Ermessensreduzierung auf null sind regelmäßig strenge Maßstäbe anzulegen. Ein anderes Verständnis stünde nicht im Einklang mit dem durch den Gesetzgeber vorgegebenen Handlungsspielraum der Verwaltung (vgl. OVG NRW, Urteil vom 22.6.2021 - 5 A 1386/20 -, juris Rn. 82).

Ein solcher Fall der rechtlichen Alternativlosigkeit liegt hier nicht vor. Die Entscheidung, ob und ggf. für welche Zeit der Beamte vorläufig des Dienstes enthoben werden soll, liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Dienstherrn. Hierbei ist vor allem zwischen dem Interesse des Dienstherrn an der vorläufigen Dienstenthebung des Beamten und dem Interesse des Beamten an der weiteren Dienstverrichtung bzw. seinem Anspruch auf amtsangemessene Beschäftigung unter Beachtung der Fürsorgepflicht des Dienstherrn und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sachgerecht abzuwägen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 9.9.1994 - 2 BvR 1089/94 -, juris Rn. 23; BVerwG, Beschluss vom 16.5.1994 - BVerwG 1 DB 7.94 -, juris Rn. 8 zu § 91 BDO; Urban/Wittkowski, BDG, 2. Aufl. 2017, § 38 Rn. 28; Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, Stand August 2022, § 38 Rn. 30). Es liegt auch dann kein Fall einer Ermessensreduzierung auf null vor, wenn die Dienststelle nach Abschluss des behördlichen Disziplinarverfahrens gegen den Beamten Disziplinarklage mit dem Ziel der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erhebt. Auch wenn eine solche Vorgehensweise der allgemeinen Praxis entspricht, die im Regelfall mit § 38 Abs. 1 NDiszG und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang steht, kann gleichwohl nicht angenommen werden, dass der Dienstherr nach § 38 Abs. 1 NDiszG in einem solchen Fall stets von Rechts wegen verpflichtet wäre, den Beamten vorläufig des Dienstes zu entheben. Vielmehr kann sich der Dienstherr aus finanziellen Gründen für eine Weiterbeschäftigung entscheiden, weil der Beamte auch während des laufenden Verfahrens weiter alimentiert wird (BVerwG, Beschluss vom 27.9.2017 - BVerwG 2 B 6.17 -, juris Rn. 7 m. w. N.; Urteil vom 10.12.2019 - 3 LD 3/19 -, juris Rn. 136), oder die Entscheidung zur Weiterbeschäftigung kann sich aus personalwirtschaftlichen Gründen ergeben (Nds. OVG, Urteil vom 10.12.2019 - 3 LD 3/19 -, juris Rn. 136 m. w. N.).

Auch bestand eine konkrete Möglichkeit, dass ohne den festgestellten Anhörungsmangel die Entscheidung anders ausgefallen wäre. Eine solche ergibt sich daraus, dass das behördliche Disziplinarverfahren defizitär geblieben ist, indem der Sachverhalt seitens der Dienststelle nicht umfassend ermittelt worden ist. Gemäß § 22 NDiszG sind zur Aufklärung des Sachverhalts die belastenden, die entlastenden und die Umstände zu ermitteln, die für die Bemessung einer Disziplinarmaßnahme bedeutsam sind. Diese Verpflichtung ist Ausfluss des aus dem Rechtsstaatsgebot des Art. 20 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG folgenden Grundrechts auf Gewährung eines fairen Verfahrens, das auch im Disziplinarverfahren Geltung beansprucht (BVerfG, Beschluss vom 8.10.1974 - 2 BvR 747/73 -, juris Rn. 16 f.; Urban/Wittkowski, BDG, 2. Aufl. 2017, § 21 Rn. 3; Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, Stand August 2022, § 21 Rn. 2 m. w. N). Der Verpflichtung, neben belastendenden Umständen auch entlastende Umstände zu ermitteln, wird nicht schon dadurch genügt, dem Beamten Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Soweit sich die Antragsgegnerin hinsichtlich des „unentschuldigten Fernbleibens vom Dienst seit dem 15. Dezember 2020“ vor allem auf die Auskunft des Vizepräsidenten für „Hochschulentwicklung und Strategie“ vom 11. August 2021 gestützt hat, beschränkt sich diese Auskunft darauf, dass die Antragstellerin „seit dem 14. Dezember 2020 ihren dienstlichen Pflichten bis zu ihrer erneuten Krankmeldung am 06.05.2021 nicht nachgekommen“ sei, ohne diese Feststellung näher zu konkretisieren. Angesichts der Allgemeinheit dieser Aussage drängte es sich auf, jedenfalls in Bezug auf den Vorwurf der Verletzung der Dienstleistungsverpflichtung der Beamtin den Vizepräsidenten für „Hochschulentwicklung und Strategie“ zur Konkretisierung dieses Vorwurfs aufzufordern. Ferner lag es nahe, anhand der Sachakten des Arbeitsbereiches der Antragstellerin zu prüfen, ob und ggf. welche Aufgaben die Antragsgegnerin erledigt hatte oder säumig blieb. Entsprechende Erkenntnisse hätten auch durch Einsichtnahme in das dienstliche E-Mail-Postfach der Beamtin erlangt werden können. Den Verwaltungsvorgängen sind dahin gehende Ermittlungsbemühungen aber nicht zu entnehmen, obwohl sie sich aufdrängen mussten.

Auch hinsichtlich der Aussagen der Leiterin des Präsidialbüros der Antragsgegnerin in deren Vermerk vom 1. Februar 2021 drängten sich Nachfragen auf. So wird in dem Vermerk ausgeführt, nach deren Kenntnisstand sei die Antragstellerin seit dem 15. Dezember 2020 nicht mehr zum Dienst erschienen. Worauf dieser Kenntnisstand beruht, hat sie aber nicht angegeben. Soweit sie in dem Vermerk ausgeführt hat, aus der näher bezeichneten Korrespondenz mit der Sekretärin des Vizepräsidenten für „Hochschulentwicklung und Strategie“ ergebe sich, dass die Antragstellerin ihren Dienst nicht angetreten habe, ist diese Aussage für den Senat nicht nachvollziehbar. Gegenstand der Korrespondenz war die Rückgabe der Urlaubskarte im Zusammenhang mit der zwischen den Beteiligten streitigen Urlaubsgewährung bis einschließlich 14. Dezember 2020, nicht aber die Vorgänge seit dem 15. Dezember 2020 (hiervon geht auch der Ermittlungsbericht vom 28. Januar 2022 aus, S. 4 des Berichts [Bl. 64 BA 002]). Auch der Aussage, „nach Rückmeldung der Poststelle hat die Beamtin auch ihr Postfach bereits seit längerem nicht geleert“, lässt sich nicht entnehmen, ab welchem konkreten Zeitpunkt das dienstliche Postfach der Antragstellerin nicht geleert worden sein soll. Auch insoweit hat es keine weiteren Ermittlungen gegeben. Dem dem Vermerk beigefügten Foto, dass vom 14. Januar 2021 stammen soll, lässt sich zwar entnehmen, dass im dienstlichen Postfach der Antragstellerin u. a. mehrere Briefumschläge lagen. Jedoch wurde nicht festgestellt, seit wann diese Briefumschläge sich dort bereits befunden haben. Aber selbst wenn es die Antragstellerin seit dem 15. Dezember 2020 versäumt hätte, ihr dienstliches Postfach zu leeren, lässt dieser Umstand nicht den zwingenden Schluss zu, sie hätte seither ihre Dienstleistungspflicht vollumfänglich verletzt. Auf eine sich insoweit aufdrängende Nachfrage bei der Leiterin des Präsidialbüros der Antragsgegnerin verzichtete der die Untersuchung führende Beamte. Ebenso wenig verifizierte er deren Angaben zur Leerung des dienstlichen Postfaches der Antragstellerin.

Nach dem Vorstehenden kann die Antragsgegnerin nicht mit ihrem Beschwerdevorbringen durchdringen, es stehe fest, dass die Antragstellerin im Zeitraum vom 15. Dezember 2020 bis 5. Mai 2021 „keinerlei Dienst“ versehen habe. Ebenso wenig greift ihr Vortrag durch, im gesamten Zeitraum seien von der Antragstellerin „keinerlei Arbeitsergebnisse oder Dienstleistungen erbracht worden“ und „keinerlei Nachfragen von ihr“ seien bekannt, so dass sie „quantitativ wie qualitativ durchgehend keinen Dienst“ versehen habe. Insoweit hat die Antragsgegnerin keine tragfähigen Feststellungen im behördlichen Disziplinarverfahren getroffen. Wie bereits dargelegt, vermag der Vermerk der Leiterin ihres Präsidialbüros vom 1. Februar 2021 für sich eine Verletzung der Dienstleistungspflicht der Antragstellerin nicht zu belegen. Auch der Einwand der Antragsgegnerin, die Antragstellerin habe nicht bezweifelt, „zwischen dem 15.12.2020 und 05.05.2021 keine dienstliche Verrichtung“ vorgenommen zu haben und es sei „ohne Zweifel, dass die Antragstellerin in tatsächlicher Hinsicht ... keinerlei Dienstleistung für ihren Dienstherrn erbracht und keine Arbeitsergebnisse erzielt“ habe, greift nicht durch. Zum einen hat die Antragstellerin nicht eingeräumt, keinerlei Dienst geleistet zu haben. Vielmehr macht sie geltend, im Home-Office bestimmten Tätigkeiten nachgegangen zu sein. Unabhängig von der Frage, ob die Antragstellerin damit ihren dienstlichen Pflichten (vollumfänglich) nachgekommen ist, kann nicht als unstreitig angenommen werden, dass die Antragstellerin keinerlei Dienst geleistet habe. Aufgrund der unzureichenden Ermittlungen im behördlichen Disziplinarverfahren kann entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin eben nicht von einem „gefestigten Sachverhalt“ ausgegangen werden und es spricht derzeit auch nicht Überwiegendes dafür, dass der erhobene Vorwurf, keinerlei Dienst im besagten Zeitraum geleistet zu haben, zutrifft. Soweit die Antragstellerin vorträgt, Arbeitsergebnisse oder Dienstleistungen durch die Antragstellerin in der besagten Zeit seien ihr - der Antragsgegnerin - nicht bekannt und seien von der Antragstellerin nicht benannt oder dargetan worden, zudem bleibe im Dunkel, welchen ‚einschlägigen‘ Aufgaben die Antragstellerin nachgegangen sein wolle, und für die Antragstellerin sei es ein leichtes, entsprechende Nachweise für geleistete Dienste im betreffenden Zeitraum zu erbringen, mithin ihren (pauschalen) Vortrag zu konkretisieren, übersieht sie, dass es gerade Sache des das Disziplinarverfahren führenden Dienstherrn ist, aufgrund ordnungsgemäßer Ermittlungen den Vorwurf eines Dienstvergehens nachvollziehbar und substantiiert darzulegen, nicht jedoch, dass der Beamte behalten wäre, sich zum Vorwurf eines Dienstvergehens zu äußern oder sich gar zu rechtfertigen (vgl. § 21 Abs. 1 Satz 3, §§ 22, 42 Abs. 1 Satz 1 NDiszG; BVerwG, Urteil vom 24.9.2009 - BVerwG 2 C 80.08 -, juris Rn. 23).

(2)

Auch in materiell-rechtlicher Hinsicht - und damit die Beschwerdeentscheidung jeweils selbstständig tragend - unterliegt die Rechtmäßigkeit der vorläufige Dienstenthebung der Antragstellerin ernstlichen Zweifeln.

(a)

Es unterliegt bereits solchen Zweifeln, ob ein Disziplinarverfahren wirksam gegen die Antragstellerin eingeleitet wurde.

Zwingende Voraussetzung einer vorläufigen Dienstenthebung ist, dass gegen den Beamten das behördliche Disziplinarverfahren bereits eingeleitet worden ist oder gleichzeitig mit der Anordnung der vorläufigen Dienstenthebung eingeleitet wird. Die Einleitung des Disziplinarverfahrens muss wirksam sein, d. h., es muss jedenfalls ein einleitender Aktenvermerk gemäß § 18 Abs. 1 Satz 3 NDiszG vorliegen, der die Dienstpflichtverletzung hinreichend konkret umschreibt (vgl. Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, Stand August 2022, § 38 Rn. 11; Urban/Wittkowski, BDG, 2. Aufl. 2017, § 38 Rn. 11; Schl.-H. OVG, Beschluss vom 6.10.2021 - 16 MB 1/21 -, juris Rn. 9).

Aus dem Vermerk müssen sich die inhaltlich unmissverständliche Entscheidung und die Verantwortung des Dienstvorgesetzten hierfür ergeben. Ist der Einleitungsvermerk inhaltlich nicht eindeutig, ist die Einleitung des behördlichen Disziplinarverfahrens unwirksam (BVerwG, Beschluss vom 18.11.2008 - BVerwG 2 B 63.08 -, juris Rn. 7; Urban/Wittkowski, BDG, 2. Aufl. 2017, § 17 Rn. 16). Mithin muss aus ihm im Hinblick auf die hiermit verfolgte Rechtsklarheit und spätere Nachvollziehbarkeit der Disziplinarvorgänge insbesondere hervorgehen, auf welche Sachverhalte sich die Anschuldigung nach Zeit, Ort und Geschehen bezieht (vgl. Schl.-H. OVG, Beschluss vom 6.10.2021 - 16 MB 1/21 -, juris Rn. 9; BVerwG, Beschluss vom 27.10.2016 - BVerwG 2 B 66.16 -, juris Rn. 8). Der Aktenvermerk muss deshalb inhaltlich so bestimmt sein, dass die Konturen des dem Beamten zur Last gelegten Dienstvergehens, differenziert nach den einzelnen mutmaßlich begangenen Dienstpflichtverletzungen, klar erkennbar sind. Dem wird durch vage, allgemein gehaltene Andeutungen nicht Genüge getan (Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, Stand August 2022, § 17 Rn. 22a).

Diesen Anforderungen genügt der Einleitungsvermerk der Antragsgegnerin vom 11. Februar 2022 nicht. Darin werden die der Antragstellerin vorgehalten Sachverhalte nach Zeit, Ort und Geschehen nicht konkret bezeichnet. Vielmehr wird lediglich pauschal auf „in der Anlage beigefügte Unterlagen“ verwiesen, wonach gegen die Antragstellerin zureichende Anhaltspunkte für den Verdacht bestünden, die Folgepflicht nach § 35 Abs. 1 BeamtStG, die Dienstleistungspflicht nach § 67 NBG sowie beamtenrechtliche Nebenpflichten verletzt zu haben, ohne die in Bezug genommenen Unterlagen konkret zu bezeichnen.

(b)

Außerdem bestehen ernstliche Zweifel am Vorliegen der weiteren Voraussetzungen für eine vorläufige Dienstenthebung der Antragstellerin.

In tatbestandlicher Hinsicht ist für die Rechtmäßigkeit einer Anordnung nach § 38 Abs. 1 Nr. 1 NDiszG erforderlich, dass im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird. Das Merkmal "voraussichtlich" verlangt nicht, dass die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgesprochen werden wird. Ebenso wenig ist erforderlich, dass das dem Beamten vorgeworfene Dienstvergehen in vollem Umfang nachgewiesen und aufgeklärt ist. Notwendig ist, dass das Gericht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf die disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme erkennen wird (Nds. OVG, Beschluss vom 9.2.2018 - 3 ZD 10/17 -, juris Rn. 29; Beschluss vom 11.1.2018 - 6 ZD 3/17 -, juris Rn. 9; vgl. zur inhaltsgleichen Regelung des § 38 Abs. 1 BDG: BVerwG, Beschluss vom 12.8.2021 - BVerwG 2 VR 6.21 -, juris Rn. 10; BVerwG, Beschluss vom 28.11.2019 - BVerwG 2 VR 3.19 -, juris Rn. 21).

Nach Maßgabe dessen ist nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Antragstellerin aufgrund der ihr mit der Disziplinarklage angeschuldigten Dienstpflichtverletzungen aus dem Beamtenverhältnis entfernt wird. Dabei kann der Senat offen lassen, ob und gegebenenfalls im welchem Umfang die Antragstellerin gegen ihre Dienstleistungspflicht verstoßen hat. Selbst unter der Annahme, dass sie über mehrere Monate ihre Pflicht zur Dienstleistung verletzt hätte, erachtet es der Senat als offen, ob die Antragstellerin wegen des unterstellten Dienstvergehens aus dem Beamtenverhältnis entfernt wird.

Zwar stellte das unterstellte Fehlverhalten ein besonders schwerwiegendes Dienstvergehen dar, weil die Beamtin über einen längeren Zeitraum in fortgesetzter und beharrlicher Weise eine beamtenrechtliche Kernpflicht verletzt hätte.

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt aber, dass der Dienstherr bei zeitlich gestreckt auftretenden Dienstpflichtverletzungen, die nach ihrer Schwere jeweils für sich genommen keine höheren Disziplinarmaßnahmen gebieten, in der Regel zunächst zeitnah zur begangenen Verletzungshandlung mit niederschwelligen disziplinaren Maßnahmen auf den Beamten einwirkt. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Bemessung einer Disziplinarmaßnahme ist anerkannt, dass zum Persönlichkeitsbild des Beamten im Sinne von im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 3 NDiszG (§ 13 Abs. 1 Satz 3 BDG) insbesondere frühere disziplinarische oder strafrechtliche Verfehlungen gehören, deren Berücksichtigung bei der Maßnahmebemessung kein rechtliches Hindernis entgegensteht, und dass diese Verfehlungen bei der Würdigung sämtlicher Umstände belastend zu berücksichtigen sind. Gegenstand der disziplinarrechtlichen Betrachtung und Wertung ist die Frage, welche Disziplinarmaßnahme in Ansehung der gesamten Persönlichkeit des Beamten geboten ist, um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und die Integrität des Berufsbeamtentums möglichst ungeschmälert aufrechtzuerhalten. Aus einer Vorbelastung kann geschlossen werden, dass sich der Beamte eine vorherige strafgerichtliche oder disziplinarische Sanktionierung nicht hat zur Mahnung dienen lassen, sodass eine stufenweise Steigerung der Disziplinarmaßnahme geboten ist (BVerwG, Beschluss vom 28.11.2019 - BVerwG 2 VR 3.19 -, juris Rn. 25; Urteil vom 15.11.2018 - BVerwG 2 C 60.17 -, juris Rn. 30 f.; Beschluss vom 18.6.2014 - BVerwG 2 B 9.14 -, juris Rn. 10). Das Gewicht der Vorbelastung im Einzelfall, die als erschwerender Umstand auch zur Höchstmaßnahme führen kann, hängt vor allem von der dafür rechts- oder bestandskräftig ausgesprochenen Disziplinarmaßnahme und vom zeitlichen Abstand zur neuen Verfehlung ab (BVerwG, Urteil vom 15.11.2018 - BVerwG 2 C 60.17 -, juris Rn. 31; Urteil vom 25. 7.2013 - BVerwG 2 C 63.11 -, juris Rn. 22; Beschluss vom 11.2.2014 - BVerwG 2 B 37.12 -, juris Rn. 33 m. w. N.).

Bei einem Dienstvergehen der vorliegenden Art, das sich über einen längeren Zeitraum erstreckt (wie hier unterstellt), ist es unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nach dem Gedanken der stufenweisen Steigerung der Disziplinarmaßnahmen geboten, auf den Beamten rechtzeitig, d.h. alsbald nach Kenntniserlangung von der disziplinar relevanten Pflichtverletzung, pflichtenmahnend einzuwirken und ihn so zur Wiederaufnahme der pflichtgemäßen Erfüllung der ihm übertragenen Aufgaben anzuhalten. Dazu gehören - über mögliche dienstliche Weisungen (Anordnungen) hinaus - zunächst die Verhängung niederschwelliger Disziplinarmaßnahmen. Hingegen ist das „Sammeln“ einzelner Dienstpflichtverletzungen über einen längeren Zeitraum, um sodann im Wege einer Gesamtschau die schärfsten Disziplinarmaßnahmen - die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis oder die Aberkennung des Ruhegehalts - zu verhängen, unzulässig (BVerwG, Urteil vom 15.11.2018 - BVerwG 2 C 60.17 -, juris Rn. 32).

Im Fall der Antragstellerin kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass eine zeitnahe Pflichtenmahnung und gegebenenfalls eine hierauf folgende zeitnahe angemessene disziplinare Ahndung der angeschuldigten Verletzung ihrer Dienstleistungspflicht auf sie in dem Sinne eingewirkt hätten, dass sie künftig ihre diesbezüglichen Pflichten befolgt hätte. Hierfür spricht, dass es nach Zugang der Mitteilung über die Einleitung eines Disziplinarverfahrens nicht mehr zu weiteren solchen (angenommenen) Pflichtverletzungen gekommen ist, mag dies auch im Zusammenhang mit Erkrankungen der Antragstellerin stehen.

Gleichwohl hat die Antragstellerin davon abgesehen, die Antragstellerin frühzeitig vor Einleitung des Disziplinarverfahrens auf die Einhaltung ihrer dienstlichen Pflichten hinzuweisen. Dies wird schon deutlich bei den angeschuldigten Pflichtverletzungen vom 1. September 2020 und 16. September 2020 sowie der unterbliebenen Mitteilung des Wechsels des ersten Wohnsitzes im September 2020; insoweit ist jeweils eine Dienstpflichtverletzung der Antragstellerin festgestellt und das zuständige Dezernat um Überprüfung gebeten worden, ob gegen sie disziplinarisch vorgegangen werden könne. Den Verwaltungsvorgängen des Disziplinarverfahrens ist aber nicht zu entnehmen, dass die Antragstellerin jeweils zeitnah aufgefordert worden wäre, ihre diesbezüglichen dienstlichen Pflichten einzuhalten. Auch vor dem Hintergrund, dass schon der Zeitpunkt der Wiederaufnahme des Dienstes nach gewährtem Erholungsurlaub zwischen den Beteiligten streitig war, hätte es nahegelegen, dass sich der Vorgesetzte der Antragstellerin zeitnah hierüber vergewissert hätte und die Antragstellerin gegebenenfalls auf ihre Dienstleistungspflicht hingewiesen hätte. Den vorgelegten Unterlagen lässt sich entsprechendes aber nicht entnehmen. Die Leiterin des Präsidialbüros der Universität meinte, aus der E-Mail-Korrespondenz zwischen der Sekretärin des Vizepräsidenten für „Hochschulentwicklung und Strategie“ vom 16. bis 18. Dezember 2020 ableiten zu können, dass die Antragstellerin ihren Dienst nicht am 15. Dezember 2020 angetreten habe. Gleichwohl wurde dieser Umstand ebenfalls nicht zum Anlass genommen, auf die Antragstellerin einzuwirken. Da das dienstliche Postfach der Antragstellerin am 14. Januar 2021 fotografiert worden ist und Beschäftigte der Poststelle hierzu befragt worden sind, haben seitens der Antragsgegnerin offenbar weitere Verdachtsmomente für eine Verletzung der Dienstleistungspflicht bestanden, die aber nicht zu einer zeitnahen Reaktion gegenüber der Antragstellerin geführt haben. Vielmehr hat die Leiterin des Präsidialbüros der Antragsgegnerin den Vermerk vom 1. Februar 2021 erstellt. Erst am 19. Februar 2021 hat die Präsidentin der Antragsgegnerin den Vermerk der Einleitung des Disziplinarverfahrens zugestimmt. Auch bis dahin - mithin nach Ablauf von nahezu zwei Monaten - hat der Dienstvorgesetzte weiterhin keinen Kontakt zur Antragstellerin aufgenommen oder zu einem Gespräch gebeten. Obwohl die Antragsgegnerin nach § 21 Abs. 1 Satz 1 NDiszG - mangels Gefährdung der Aufklärung des Sachverhalts -verpflichtet war, die Antragstellerin unverzüglich von der Einleitung des Disziplinarverfahrens zu unterrichten, ließ sie rund zwei Monate verstreichen. Eine Unterrichtung der Antragstellerin seitens der Antragsgegnerin wäre selbst bei erfolgreicher Zustellung nicht vor dem 15. April 2021 (erster Zustellversuch) erfolgt.

Weder lässt sich der Disziplinarakte entnehmen noch ist im behördlichen Disziplinarverfahren festgestellt worden, dass der Vorgesetzte der Antragstellerin oder ein anderer Vertreter der Antragsgegnerin während des gesamten Zeitraums vom 15. Dezember 2020 bis Anfang 2021 Kontakt zur Antragstellerin aufgenommen und zur Erfüllung ihrer dienstlichen Verpflichtungen aufgefordert hätte. Insoweit kann die Antragsgegnerin dagegen nicht mit Erfolg einwenden, Kontrollmaßnahmen oder eine enge Führung durch Dienstvorgesetzte der im höheren Dienst eingesetzten Beamten seien nicht vorgesehen und werde auch gegenüber anderen Bediensteten nicht gelebt. Denn selbst die eingangs angeführten besonderen Umstände des Einzelfalls unberücksichtigt gelassen, obliegt jedenfalls bei Überschreiten der Schwelle zum Dienstvergehen, also beim unentschuldigten Fernbleiben vom Dienst, dem Dienstvorgesetzten, den Beamten aufzufordern, der betreffenden Dienstpflicht nunmehr nachzukommen, und nicht - wie hier - über Monate hin insoweit tatenlos zuzuwarten, um schließlich die besondere Schwere des Dienstvergehens aufgrund der Dauer der Dienstpflichtverletzung hervorzuheben.

Die angeführten Umstände sind bei der Bemessung einer etwaigen Disziplinarmaßnahme gegen die Antragstellerin mildernd zu berücksichtigen.

Nach dem Vorstehenden vermag das weitere Beschwerdevorbringen der Antraggegnerin, insbesondere zu den zwischen den Beteiligten streitigen Fragen, ob die Antragstellerin ihre Dienstleistungspflicht vom 15. Dezember 2020 bis 5. Mai 2021 verletzt habe, ob und inwieweit die Antragstellerin ihren Dienst im Home-Office habe erbringen dürfen, ob das Zuwarten auf konkrete Arbeitsanweisungen oder Arbeitsaufträge als ausreichende Dienstausübung der Antragstellerin anzusehen sei, und zum Vorhalt, der Antragstellerin hätten konkrete Arbeitsaufträge vorgelegen, eine für sie günstigere Entscheidung nicht zu rechtfertigen.

b.

Da nach dem Vorstehenden die Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung der Antragstellerin ernstlichen Zweifeln unterliegt, bestehen solche Zweifel zugleich in Bezug auf die Einhaltung eines Teils der monatlichen Bezüge nach § 38 Abs. 2 NDiszG, so dass die angegriffene Verfügung der Antragsgegnerin vom 11. April 2022 ebenfalls auszusetzen ist.

2.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 69 Abs. 1 NDiszG in Verbindung mit § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren, soweit es die vorläufige Dienst-enthebung zum Gegenstand hat, ergibt sich aus § 71 Abs. 1, 3 Satz 3 NDiszG in Verbindung mit §§ 39 Abs. 1, 40, 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 6 Satz 1 Nr. 1 GKG - bemisst sich also aus der Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltfähiger Zulagen -, wobei der sich sodann ergebende Wert auf ein Viertel des Betrags zu kürzen ist (ausführlich zur Streitwertberechnung: Nds. OVG, Beschluss vom 10.12.2014 - 20 ZD 5/14 -, juris Rn. 47 bis 49). Auszugehen ist insoweit von dem im Zeitpunkt der Einleitung des zweiten Rechtszugs (22.7.2022) maßgeblichen Endgrundgehalt (hierzu: Nds. OVG, Beschluss vom 11.11.2014 - 5 ME 157/14 -, juris Rn. 30 m. w. N.) der Besoldungsgruppe A 13 in Höhe von 5.476,94 EUR (§ 2 Abs. 2 Nr. 1, § 7 Abs. 1 und 2 NBesG in Verbindung mit der dortigen, zum Zeitpunkt der Einleitung des zweiten Rechtszugs in Kraft befindlichen Anlage 5). Hinzu tritt die allgemeine Stellenzulage gemäß § 38 NBesG in Verbindung mit den dortigen Anlagen 9 (Nr. 5) und 10 in Höhe von 98,63 EUR, die nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 NBeamtVG ruhegehaltfähig ist. Dementsprechend ergibt sich ein Teilstreitwert in Höhe von 16.726,71 EUR (5.575,57 EUR x 3). Hinsichtlich der Einbehaltung von monatlichen Bezügen ist vom zweifachen Jahresbetrag des Kürzungsbetrages der aktuellen Dienstbezüge auszugehen, der wegen des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren ist (Nds. OVG, Beschluss vom 10.12.2014 - 20 ZD 5/14 -, juris Rn. 51). Da mit der angefochtenen Verfügung 50 vom Hundert der monatlichen Bezüge einbehalten werden sollten, beträgt der monatliche Kürzungsbetrag 2.787,78 EUR, so dass sich ein weiterer Teilstreitwert in Höhe von 33.453,36 EUR (2.787,78 EUR x 24 : 2) ergibt. Hieraus errechnet sich für das Beschwerdeverfahren gemäß § 39 Abs. 1 GKG ein Gesamtstreitwert in Höhe von 50.180,07 EUR.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 4 NDiszG in Verbindung mit § 152 Abs. 1 VwGO, § 71 Abs. 1 NDiszG in Verbindung mit §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).