Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 30.11.2022, Az.: 4 ME 93/22

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
30.11.2022
Aktenzeichen
4 ME 93/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 59721
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 15.06.2022 - AZ: 4 B 4782/21

Fundstellen

  • DÖV 2023, 266
  • KommJur 2023, 37-40
  • NordÖR 2023, 106-109
  • NuR 2023, 57-59

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Die materielle Rechtskraft eines verwaltungsgerichtlichen Urteils i.S.d. § 121 Nr. 1 VwGO entfällt, wenn und soweit sich die die Entscheidung tragende Rechtslage später in entscheidungserheblicher Weise geändert hat.

2. Es ist nicht zu beanstanden, dass eine Vorschrift in einer Naturschutzgebietsverordnung, die eine Freistellung von einem an für sich vorgesehenen Verbot im Hinblick auf die Nutzung und Unterhaltung bestehender Anlagen und Einrichtungen vorsieht, nur in denjenigen Fällen greifen soll, in denen sich die entsprechenden Anlagen und Einrichtungen zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Naturschutzgebietsverordnung auch als rechtmäßig - im Sinne einer Übereinstimmung mit dem gesamten hierfür maßgeblichen, geltenden Recht - anzusehen sind.

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 4. Kammer - vom 15. Juni 2022 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 20. Juli 2021, mit welchem ihm der Aufbau und die Nutzung des Bootssteges mit der Nummer D. vor seinem am Nordufer des Steinhuder Meeres gelegenen Grundstück unter Anordnung der sofortigen Vollziehung untersagt worden ist.

Der Antragsteller ist seit 2009 Eigentümer des mit einem Wochenendhaus bebauten Grundstücks E. in F. (Flurstück G. der Flur H. der Gemarkung I. sowie Flurstücke J. und K. der Flur L. der Gemarkung M.).

Der Bereich, in welchem sich das Grundstück sowie die angrenzende Wasserfläche befinden, ist als Fauna-Flora-Habitat-(FFH)-Gebiet 094 „Steinhuder Meer (mit Randbereichen)“ sowie als EU-Vogelschutzgebiet V42 „Steinhuder Meer“ Bestandteil des kohärenten europäischen ökologischen Netzes Natura 2000. Seit 1981 ist das Gebiet zudem als Naturschutzgebiet (NSG-HA-60 „Meerbruch“, Amtsblatt für den Regierungsbezirk Hannover Nr. 14 v. 24.6.1981) unter Schutz gestellt. Diese Naturschutzgebietsverordnung ist durch die Naturschutzgebietsverordnung NSG-HA-60 „Westufer Steinhuder Meer“ abgelöst worden, die gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 VO einen Tag nach der Veröffentlichung im Niedersächsischen Ministerialblatt (Nds. MBl. Nr. 15 v. 28.4.2021, S. 798), also am 29. April 2021, in Kraft getreten ist.

Gemäß § 3 Abs. 2 Buchst. e) der früheren Naturschutzgebietsverordnung „Meerbruch“ war es unter anderem in dem Schutzgebiet verboten, bauliche Anlagen aller Art (…), auch wenn sie keiner bauaufsichtlichen Genehmigung bedürfen oder nur vorübergehender Art sind, zu errichten oder zu verändern. Unberührt von diesem Verbot blieb nach § 5 der vorgenannten Verordnung die bisherige Nutzung in der bisher üblichen Weise. Die seit dem Frühjahr 2021 in dem Gebiet geltende Naturschutzgebietsverordnung „Westufer Steinhuder Meer“ sieht in § 4 Abs. 1 Nr. 5 VO ein ausdrückliches Verbot vor, Bootsliegeplätze, -stege oder -einsatzstellen zu errichten oder zu betreiben. Hiervon freigestellt ist gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 8 VO die Nutzung und Unterhaltung bestehender rechtmäßiger Anlagen und Einrichtungen in der bisherigen Art und im bisherigen Umfang.

Bereits die Voreigentümer des Grundstücks E. betrieben vor diesem, ebenso wie der Antragsteller, einen Bootssteg. Dies geschah in der am Nordufer des Steinhuder Meeres üblichen Weise, dass der Steg aufgrund der Gefahr des Eisgangs im Winter jeweils im Herbst zurückgebaut, zwischengelagert und im Frühjahr wieder errichtet worden ist. Der Zeitpunkt der erstmaligen Errichtung des Bootssteges in der vorgenannten Weise ist zwischen den Beteiligten strittig. Ausweislich eines von der Bezirksregierung Hannover unter dem 10. Dezember 1981 erstellten Vermerks zu Steganlagen in den Naturschutzgebieten „Wulveskuhlen“ und „Meerbruch“ wies der fragliche Steg zu diesem Zeitpunkt unter dem damaligen Grundstückseigentümer eine Länge von 18 Metern auf.

Im Jahr 2009 schloss der Antragsteller mit dem Land Niedersachsen - Domänenverwaltung als dem Eigentümer des Steinhuder Meeres einen auf sechs Jahre befristeten Nutzungsvertrag über die Gestattung der Errichtung und des Betreibens des Bootsstegs N. mit einer Gesamtlänge von 41 Metern (davon sechs Meter Takelsteg in L-Form und 20 Meter Schilfschutzzone) für bis zu vier Bootsliegeplätze. Das gesamte Stegbauwerk durfte hiernach eine ab dem Ufer gemessene Länge von 37 Metern aufweisen. Diesen Vertrag kündigte das Domänenamt Hannover mit Schreiben vom 23. Oktober 2012 aus wichtigem Grund im öffentlichen Interesse zum 31. Dezember 2013 sowie hilfsweise zum 31. Dezember 2014 (ordentliche Kündigung) und führte zur Begründung aus, dass der Steg im Jahr 2012 vertragswidrig mit einer tatsächlichen Länge von 45 Metern errichtet worden sei.

Im Januar 2018 wandte sich der Antragsteller an die Antragsgegnerin, bat um Überlassung einer Kopie der wasserrechtlichen Genehmigung für den Bootssteg und beantragte hilfsweise, eine solche erneut auszustellen. Er beabsichtige, den Steg für das Jahr 2018 erneut zu errichten und gehe davon aus, dass der Stegvertrag zwischen ihm und der Domänenverwaltung fortbestehe, da er den Steg auch in den Jahren 2014 bis 2017 aufgebaut und genutzt habe und jedenfalls bis zum Jahr 2016 von Land Niedersachsen die entsprechenden jährlichen Nutzungsentgelte per Lastschrift eingezogen worden seien.

Nachdem die Antragsgegnerin den Antragsteller darauf hingewiesen hatte, dass eine wasserrechtliche Genehmigung für den Steg nicht existiere, untersagte sie mit Bescheid vom 4. April 2018 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung den Aufbau und die Nutzung des Steges N. und lehnte den Antrag auf Erteilung einer wasserrechtlichen Genehmigung ab. Den gegen die naturschutzrechtliche Untersagung gerichteten Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des vom Antragsteller gegen den vorgenannten Bescheid erhobenen Widerspruchs lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 17. Januar 2019 (- 4 B 3298/18 -) ab. Dies begründete es damit, dass der beabsichtigte (Wieder-)Aufbau des Bootsstegs gegen das in § 3 Abs. 2 Buchst. e der Naturschutzgebietsverordnung „Meerbruch“ geregelte Verbot der Errichtung von baulichen Anlagen aller Art verstoße. Die Voraussetzungen für eine Freistellung nach § 5 der Verordnung seien nicht erfüllt. Auf einen Bestandsschutz könne sich der Antragsteller voraussichtlich nicht mit Erfolg berufen. Eine (naturschutzrechtliche) Genehmigung, wonach der Steg formell und materiell errichtet worden ist, habe er nicht vorlegen können. Auch eine mögliche Duldung des Stegs in der Vergangenheit könne wegen der zwischenzeitlich vorgenommenen baulichen Änderungen keinen Bestandsschutz mehr entfalten.

Nach Rücknahme des Antrags auf Erteilung einer wasserrechtlichen Genehmigung für den Bootssteg durch den Antragsteller wies die Antragsgegnerin den Widerspruch mit Bescheid vom 25. März 2019 zurück. Auf die daraufhin vom Antragsteller erhobene Klage hob das Verwaltungsgericht mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 10. März 2021 (- 4 A 2159/19 -) den Bescheid der Antragsgegnerin vom 4. April 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids insoweit auf, als dem Antragsteller der Aufbau und die Nutzung eines Bootsstegs von bis zu 18 Metern untersagt worden ist. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass die Voraussetzungen einer naturschutzrechtlichen Untersagung der Errichtung und der Nutzung der Steganlage gemäß § 2 Abs. 1 Sätze 2 und 3 des Niedersächsischen Ausführungsgesetzes zum Bundesnaturschutzgesetz (NAGBNatSchG) nur insoweit vorlägen, soweit der Steg länger als 18 Meter lang errichtet werde. Zwar verstoße die Wiedererrichtung des Bootsstegs gegen die Verbotsregelung der wirksam zustande gekommenen Naturschutzschutzgebietsverordnung „Meerbruch“. Nach der Freistellungsregelung in § 5 der Verordnung seien die Errichtung und die Nutzung des Stegs jedoch in einem Umfang von bis zu 18 Metern von den Verboten des § 3 der Verordnung freigestellt. Dass der Antragsteller keine naturschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung des Stegs habe vorlegen können, sei insofern unschädlich, da die Freistellungsregelung in § 5 der Verordnung allein an eine bisherige Nutzung im bisherigen Umfang anknüpfe und nicht auf Fälle beschränkt sei, in denen öffentlich-rechtliche Genehmigungen erteilt worden seien. Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Naturschutzgebietsverordnung „Meerbruch“ im Jahr 1981 sei vor dem Grundstück des Antragstellers ein 18 Meter langer Bootssteg vorhanden gewesen, der wie am Nordufer des Steinhuder Meeres üblich immer im Herbst abgebaut und im Frühjahr wieder aufgebaut worden sei. Daher falle die (Wieder-)Errichtung eines Bootsstegs von bis zu 18 Metern Länge unter die Freistellungsregelung nach § 5 der Verordnung. Der jährliche Auf- und Abbau lasse den Schutz der Freistellungsregelung nicht entfallen. Auch die zwischenzeitliche Verlängerung des Stegs habe wegen der Besonderheit des jährlichen Auf- und Abbaus nicht dazu geführt, dass eine Wiedererrichtung im Umfang von bis zu 18 Metern nicht mehr freigestellt gewesen wäre. Auf einen weitergehenden Bestandsschutz könne sich der Antragsteller dagegen nicht berufen. Schließlich sei die Untersagungsverfügung auch nicht ermessensfehlerhaft, soweit dem Antragsteller die Errichtung eines Bootsstegs von mehr als 18 Metern Länge untersagt worden sei.

Einen zwischenzeitlich erneut gestellten Antrag auf Erteilung einer wasserrechtlichen Genehmigung des Bootsstegs des Antragstellers lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 17. März 2021 ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 26. August 2021 zurück. Über die hiergegen erhobene Klage des Antragstellers (- 4 A 4388/21 -) hat das Verwaltungsgericht - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden.

Nach Inkrafttreten der aktuellen Naturschutzgebietsverordnung „Westufer Steinhuder Meer“ untersagte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit Bescheid vom 20. Juli 2021 erneut den Aufbau und die Nutzung des Stegs N., ordnete die sofortige Vollziehung der Untersagung an und drohte für den Fall, dass der Antragsteller der Untersagungsverfügung nicht nachkomme, ein Zwangsgeld in Höhe von 10.000 EUR an. Zur Begründung führte die Antragsgegnerin an, dass für den vom Antragsteller beabsichtigten Wiederaufbaus des fraglichen Bootsstegs mit einer Länge von 18 Metern die Freistellungsregelung der nunmehr geltenden Naturschutzgebietsverordnung „Westufer Steinhuder Meer“ nicht mehr greife, da weder eine naturschutzrechtliche noch eine wasserrechtliche Genehmigung vorlägen.

Der Antragsteller hat hiergegen mit Schreiben vom 28. Juli 2021 Widerspruch eingelegt und am 4. August 2021 beim Verwaltungsgericht um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die im Bescheid der Antragsgegnerin vom 20. Juli 2021 angeordnete Untersagung des Aufbaus und der Nutzung des Stegs N. wiederherzustellen, mit Beschluss vom 15. Juni 2022 abgelehnt. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass sich die naturschutzrechtliche Untersagungsverfügung voraussichtlich als rechtmäßig erweisen werde. Der Aufbau und die Nutzung des fraglichen Bootsstegs verstießen gegen das in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 VO geregelte Verbot, Bootsliegeplätze, -stege, oder -einsatzstellen zu errichten oder zu betreiben. Sie seien voraussichtlich auch nicht gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 8 VO von dem Verbot freigestellt, da diese Bestimmung voraussetze, dass es sich um die Nutzung und Unterhaltung einer bestehenden rechtmäßigen Anlage und Einrichtung in der bisherigen Art und im bisherigen Umfang handele. Anders als nach der Vorgängerverordnung reiche es danach nicht mehr aus, dass es sich nur um eine bislang ausgeübte Nutzung handelt. Vielmehr werde auch die Rechtmäßigkeit dieser Nutzung vorausgesetzt. Der Bootssteg stelle voraussichtlich keine rechtmäßige Anlage im Sinne der Freistellungsregelung dar. Hierfür sei die Übereinstimmung mit dem geltenden Recht maßgeblich. Überwiegendes spreche dafür, hierbei nicht nur auf das Naturschutzrecht, sondern auch auf das Wasserrecht abzustellen. Gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) i.V.m. § 57 Abs. 2 des Niedersächsischen Wassergesetzes (NWG) sei für den Bootssteg eine wasserrechtliche Genehmigung erforderlich. Da der Antragsteller eine solche Genehmigung bislang nicht habe vorlegen können, sei der Bootssteg schon aus diesem Grund nicht als rechtmäßige Anlage anzusehen. Nichts Anderes ergebe sich aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts vom 10. März 2021, da sich aus diesem keine wasserrechtlichen Befugnisse herleiten ließen. Dem Wasserrecht sei der Gedanke eines Bestandsschutzes grundsätzlich fremd. Die Untersagungsverfügung sei auch nicht ermessensfehlerhaft. Die wasserrechtlich bestehende formelle Illegalität sei grundsätzlich als ausreichend anzusehen. Selbst wenn man die Prüfung einer wasserrechtlichen Genehmigungsfähigkeit für geboten hielte, ergäbe sich nichts anderes, da sich der Bootssteg auch als wasserrechtlich nicht genehmigungsfähig erweisen dürfte. § 57 Abs. 2 Satz 2 NWG erlaube die Versagung einer wasserrechtlichen Genehmigung, wenn schädliche Gewässerveränderungen zu erwarten seien. Gemäß § 3 Nr. 10 WHG seien Veränderungen von Gewässereigenschaften schädlich, die das Wohl der Allgemeinheit beeinträchtigten. Hierunter fielen auch gewässerökologische Belange, die vorliegend voraussichtlich beeinträchtigt würden.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers.

II.

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den erstinstanzlichen Beschluss bleibt ohne Erfolg.

Der Antragsteller vermag mit seinem Vorbringen im Beschwerdeverfahren, auf dessen Überprüfung sich der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, die Ausführungen des Verwaltungsgerichts nicht durchgreifend in Frage zu stellen.

Soweit der Antragsteller einwendet, der erstinstanzliche Beschluss stehe in Widerspruch zu dem in Rechtskraft erwachsenen Urteil des Verwaltungsgerichts vom 10. März 2021 (- 4 A 2159/19 -), vermag er hiermit nicht durchzudringen.

Nach § 121 Nr. 1 VwGO werden die Beteiligten durch rechtskräftige Urteile gebunden, „soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist". Die Rechtskraft eines Urteils soll gerade verhindern, dass die aus einem festgestellten Tatbestand hergeleitete Rechtsfolge, über die durch ein Urteil rechtskräftig entschieden worden ist, bei unveränderter Sach- und Rechtslage - mit der Gefahr unterschiedlicher Ergebnisse - erneut zum Gegenstand eines Verfahrens zwischen denselben Beteiligten gemacht wird. Das Gericht ist im Folgeverfahren an einer erneuten Sachprüfung gehindert (BVerwG, Beschl. v. 30.6.2014 - 2 B 99.13 -, juris Rn. 13 m.w.N.). Die materielle Rechtskraft entfällt jedoch, wenn und soweit sich die die Entscheidung tragende Rechtslage später in entscheidungserheblicher Weise geändert hat (Eyermann/Wöckel, 16. Aufl. 2022, VwGO, § 121 Rn. 48 m.w.N.). Dies ist hier der Fall, weil bei der Prüfung der hier zu beurteilenden Rechtmäßigkeit des Bescheids der Antragsgegnerin vom 20. Juli 2021 eine andere Rechtslage zu Grunde zu legen ist, als dies bei der im verwaltungsgerichtlichen Urteil vom 10. März 2021 (- 4 A 2159/19 -) erfolgten Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Bescheids der Antragsgegnerin vom 4. April 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. März 2019 der Fall war. Zwar geht es in beiden Fällen jeweils um auf § 3 Abs. 2 BNatschG i.V.m. § 2 Abs. 1 Sätze 2 und 3 NAGBNatSchG gestützte naturschutzrechtliche Untersagungsverfügungen hinsichtlich des Aufbaus und der Nutzung des Stegs N., welcher sich vor dem Grundstück des Antragstellers befindet. Maßgeblich im vorherigen Verfahren war jedoch die Einhaltung der Vorschriften der seinerzeit noch geltenden Naturschutzgebietsverordnung NSG-HA-60 „Meerbruch“, während im vorliegenden Verfahren die Einhaltung der Vorgaben der am 29. April 2021 in Kraft getretenen Naturschutzgebietsverordnung „Westufer Steinhuder Meer“ zu prüfen ist. Zwischen der aktuellen Verordnung und der Vorgängerverordnung bestehen erhebliche Unterschiede. So ist bereits die für die Errichtung und Nutzung des Stegs N. jeweils einschlägige Verbotsbestimmung unterschiedlich gefasst. Während in § 3 Abs. 2 Buchst. e der Vorgängerverordnung lediglich allgemein die Errichtung oder Veränderung baulicher Anlagen aller Art, auch wenn sie keiner bauaufsichtlichen Genehmigung bedürfen oder nur vorübergehender Art sind, verboten gewesen ist, sieht § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 der aktuellen Verordnung ein explizites Verbot vor, Bootsliegeplätze, -stege oder -einsatzstellen zu errichten oder zu betreiben. Auch die jeweiligen Freistellungsregelungen unterscheiden sich. Während § 5 der Vorgängerverordnung eine Freistellung der „bisherigen Nutzung in der bisher üblichen Weise“ vorsah und hierzu im Einzelnen Beispiele nannte, ist nach § 5 Abs. 2 Nr. 8 der aktuellen Verordnung nur die „Nutzung und Unterhaltung der bestehenden rechtmäßigen Anlagen und Einrichtungen in der bisherigen Art und im bisherigen Umfang“ (Kursivsetzung durch den Senat) freigestellt.

Vor diesem Hintergrund ist hinsichtlich des Bescheids der Antragsgegnerin vom 20. Juli 2021 eine neue rechtliche Beurteilung zu treffen, so dass sich der Antragsteller nicht darauf berufen kann, der Streitgegenstand sei bereits im Urteil des Verwaltungsgerichts vom 10. März 2021 (- 4 A 2159/19 -) abschließend entschieden worden.

Auch der weitere Vortrag des Antragstellers, die Rechtmäßigkeit der Steganlage N. i.S.d. § 5 Abs. 2 Nr. 8 VO sei bereits im vorherigen Verfahren abschließend beurteilt worden, verhilft seiner Beschwerde nicht zum Erfolg.

Anders als der Antragsteller meint, ist eine umfassende Prüfung der Rechtmäßigkeit der fraglichen Steganlage in dem verwaltungsgerichtlichen Urteil vom 10. März 2021 (- 4 A 2159/19 -) gerade nicht erfolgt. Vielmehr wurde dort lediglich die Vereinbarkeit der Steganlage N. mit den Vorgaben der damals noch geltenden Naturschutzgebietsverordnung „Meerbruch“ überprüft. Das Verwaltungsgericht hat in dem vorgenannten Urteil ausdrücklich ausgeführt, dass die Freistellungsregelung in § 5 der Vorgängerverordnung allein daran anknüpfte, dass es sich um eine bisherige Nutzung im bisherigen Umfang handelt, ohne dass eine Beschränkung auf Fälle gegeben war, in denen öffentlich-rechtliche Genehmigungen erteilt worden wären. Hieraus hat das Verwaltungsgericht den Schluss gezogen, dass die Freistellung bisheriger Nutzungen in der bisher üblichen Weise in der Vorgängerverordnung unabhängig vom Vorliegen sonstiger öffentlich-rechtlicher Vorschriften erfolgt ist (vgl. Urteilsabdruck, S. 14). Dementsprechend hat das Verwaltungsgericht in seinem vorgenannten Urteil auch nicht die Rechtmäßigkeit der Steganlage D. nach anderen rechtlichen Vorgaben überprüft.

Soweit es allerdings die Frage angeht, inwiefern nach aktueller Rechtslage die Steganlage N. vor dem Grundstück des Antragstellers in naturschutzrechtlicher Hinsicht als „bestehende rechtmäßige Anlage“ i.S.d. § 5 Abs. 3 Nr. 8 VO anzusehen ist - hierzu finden sich in dem angefochtenen erstinstanzlichen Beschluss keine Ausführungen -, geht der Senat davon aus, dass die Rechtslage aufgrund des rechtskräftigen Urteils des Verwaltungsgerichts vom 10. März 2021 (- 4 A 2159/19 -) als geklärt anzusehen ist. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung, ob eine „bestehende rechtmäßige Anlage“ i.S.d. § 5 Abs. 2 Nr. 8 VO vorliegt, ist der Zeitpunkt des Inkrafttretens der Naturschutzgebietsverordnung NSG-HA-60 „Westufer Steinhuder Meer“, also der 29. April 2021. Bis zu diesem Zeitpunkt waren für die Beurteilung der naturschutzrechtlichen Rechtmäßigkeit einer bestehenden Anlage oder Einrichtung in dem Gebiet die Vorschriften der früheren Naturschutzgebietsverordnung „Meerbruch“ maßgeblich. Gemessen hieran war jedoch der Wiederaufbau des Stegs in einer Länge von bis zu 18 Metern als naturschutzrechtlich zulässig anzusehen, da es sich insofern um eine „bisherige Nutzung in der bisher üblichen Weise“ i.S.d. § 5 der Vorgängerverordnung handelte, die auch bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Vorgängerverordnung im Jahr 1981 bestand, wie das Verwaltungsgericht in seinem Urteil vom 10. März 2021 (- 4 A 2159/19 -) entschieden hat. Die Ansicht der Antragsgegnerin, Voraussetzung für die Freistellung der Steganlage N. nach § 5 Abs. 2 Nr. 8 VO als „bestehende rechtmäßige Anlage“ sei nunmehr auch eine zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Naturschutzgebietsverordnung NSG-HA-60 „Westufer Steinhuder Meer“ bereits erteilte naturschutzrechtliche Erlaubnis, Befreiung oder Genehmigung für die Wiedererrichtung des Stegs, dürfte daher nicht zutreffend sein.

An einer Freistellung der Steganlage N. nach § 5 Abs. 2 Nr. 8 VO dürfte es jedoch fehlen, da für diese zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Naturschutzgebietsverordnung NSG-HA-60 „Westufer Steinhuder Meer“ keine wasserrechtliche Genehmigung vorgelegen hat. Der vom Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss vorgenommenen Auslegung der Freistellungsvorschrift in § 5 Abs. 2 Nr. 8 VO, wonach die dort verwendete Formulierung der „bestehenden rechtmäßigen Anlagen und Einrichtungen“ die Übereinstimmung einer bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der aktuellen Naturschutzgebietsverordnung bestehenden Anlage oder Einrichtung mit dem geltenden Recht in einem umfassenden Sinne voraussetzt, weshalb auch die wasserrechtliche Rechtmäßigkeit der Steganlage zu verlangen sei, ist der Antragsteller nicht mit Erfolg entgegengetreten.

Bei der vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten Auslegung handelt es sich gerade nicht um ein „Hineinlesen“ neuer rechtlicher Anforderungen, die über das angestammte Naturschutzregime hinausgehen, wie der Antragsteller meint. Vielmehr kann sich die Auffassung des Verwaltungsgerichts darauf stützen, dass die Freistellungsregelung in § 5 Abs. 2 Nr. 8 VO im Unterschied zur entsprechenden Regelung in der Vorgängerverordnung eben nicht nur das Vorliegen einer bisherigen Nutzung in der bisher üblichen Weise, sondern hinsichtlich der Nutzung und Unterhaltung von bestehenden Anlagen und Einrichtungen auch deren Rechtmäßigkeit voraussetzt. Dabei ist es naheliegend, den Begriff der Rechtmäßigkeit in einem umfassenden Sinne zu verstehen und insofern nicht allein auf die Vorgaben des Naturschutzrechts abzustellen. Soweit der Antragsteller meint, auch im vorherigen verwaltungsgerichtlichen Verfahren seien wasserrechtliche Kriterien bereits diskutiert worden, ist jedenfalls festzustellen, dass sich im Urteil des Verwaltungsgerichts vom 10. März 2021 (- 4 A 2159/19 -) keine auf die wasserrechtliche Rechtslage bezogenen Ausführungen finden. Zwar enthielt der dem damaligen Verfahren zugrundeliegende Bescheid vom 4. April 2018 in seiner Ziffer 3 auch eine wasserrechtliche Entscheidung über die Ablehnung der Erteilung einer wasserrechtlichen Genehmigung. Den hiergegen erhobenen Widerspruch des Antragstellers hat dieser jedoch mit Schreiben vom 27. Januar 2019 hinsichtlich der wasserrechtlichen Entscheidung zurückgenommen. Die wasserrechtliche Rechtslage war daher nicht mehr Gegenstand des nach Erlass des Widerspruchsbescheids vom 25. März 2019 anschließenden Klageverfahrens (- 4 A 2159/19 -).

In der Sache ist auch nicht zu beanstanden, dass eine Vorschrift in einer Naturschutzgebietsverordnung, die eine Freistellung von einem an für sich vorgesehenen Verbot im Hinblick auf die Nutzung und Unterhaltung bestehender Anlagen und Einrichtungen in der bisherigen Art und im bisherigen Umfang vorsieht, nur in denjenigen Fällen greifen soll, in denen die entsprechenden Anlagen und Einrichtungen zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Naturschutzgebietsverordnung auch als rechtmäßig - im Sinne einer Übereinstimmung mit dem gesamten hierfür maßgeblichen, geltenden Recht - anzusehen sind. Insofern kann es bei der Anwendung einer solchen Freistellungsregelung auch erforderlich werden, gegebenenfalls etwa die baurechtliche, immissionsschutzrechtliche oder - wie vorliegend - wasserrechtliche Rechtmäßigkeit einer bestehenden Anlage oder Einrichtung zu prüfen.

Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts in dem angefochtenen Beschluss zur wasserrechtlichen Genehmigungsbedürftigkeit der Steganlage N. und dem Nichtvorliegen einer entsprechenden wasserrechtlichen Genehmigung hat der Antragsteller mit seinem Beschwerdevorbringen nicht substantiiert angegriffen. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ergibt sich das wasserrechtliche Genehmigungserfordernis aus § 36 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WHG i.V.m. § 57 Abs. 1 und 2 NWG. Der Antragsteller hat jedoch - was unstreitig ist - keine wasserrechtliche Genehmigung für den fraglichen Steg vorlegen können. Die weiteren Ausführungen des Verwaltungsgerichts, wonach sich allein aus der hieraus folgenden wasserrechtlichen formellen Illegalität ergebe, dass der Steg nicht als bestehende rechtmäßige Anlage angesehen werden könne, und dem Wasserrecht der Gedanke eines Bestandsschutzes grundsätzlich fremd sei, ist der Antragsteller in seinem Beschwerdevorbringen ebenfalls nicht entgegengetreten. Selbiges gilt hinsichtlich der im Rahmen der Prüfung der Ausübung des Untersagungsermessens getroffenen Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur (nicht gegebenen) materiellen wasserrechtlichen Genehmigungsfähigkeit der Steganlage N..

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.