Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 17.11.2022, Az.: 14 LB 84/22
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 17.11.2022
- Aktenzeichen
- 14 LB 84/22
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2022, 59713
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 23.10.2018 - AZ: 3 A 5972/16
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Für Examenskandidaten, die bereits exmatrikuliert sind, und auch in anderen Fällen der Exmatrikulation, sofern keine neue dem Grunde nach förderungsfähige Aus-bildung aufgenommen wird und noch Entscheidungen bzgl. des abgelaufenen Förderungszeitraums zu treffen sind, verbleibt es bei der Zuständigkeit nach § 45 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 BAföG.
2. Wird nach Ablauf der Förderungshöchstdauer ein Anspruch auf Leistung von Bundesausbildungsförderung geltend gemacht, hat die Behörde in unmittelbarer An-wendung des § 15 Abs. 3 BAföG zu überprüfen, ob die Voraussetzungen für eine solche weitergehende Leistung vorliegen. Die Regelung des § 48 BAföG ist in einem solchen Fall nicht (mehr) einschlägig.
3. Ist ein Studierender erkennbar dazu in der Lage, noch mehr als die Hälfte der erforderlichen Leistungspunkte zu erbringen, kann keine Rede davon sein, dass er sich zur Erhaltung seiner Förderansprüche beurlauben lassen muss.
4. Zur Darlegungspflicht eines Studierenden, der sich auf eine psychische Erkrankung
als schwerwiegenden Grund im Sinne des § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG beruft.
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 3. Kammer - vom 23. Oktober 2018 geändert.
Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 3. September 2016 verpflichtet, dem Kläger über die reguläre Förderungshöchstdauer hinaus für die Monate Mai 2016 bis einschließlich Oktober 2016 Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz in gesetzlicher Höhe zu leisten.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Verfahrens beider Instanzen tragen der Kläger 40 % und die Beklagte 60 %. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann eine Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in der Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Weiterbewilligung von Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) über die - für ihn mit Ablauf des Monats Februar 2016 beendete - allgemeine Förderungshöchstdauer hinaus.
Im Wintersemester 2012/2013 nahm der Kläger sein Studium im Bachelor-Studiengang Maschinenbau (Regelstudienzeit sieben Semester) an der Fachhochschule G. auf. Zum Sommersemester 2013 wechselte er an die Hochschule C-Stadt, wo er sein Studium inzwischen mit der Abschlussprüfung am 19. Februar 2018 (im 11. Hochschulsemester) beendet hat. Von September 2012 bis August 2014 erhielt der Kläger Ausbildungsförderung. Seinen Antrag für den Bewilligungszeitraum September 2014 bis August 2015 lehnte die Beklagte wegen fehlender Mitwirkung bestandskräftig ab. Für den Bewilligungszeitraum September 2015 bis Februar 2016 stellte der Kläger keinen Förderantrag.
Am 6. Mai 2016, also in seinem achten Studiensemester, beantragte der Kläger Förderung für den Bewilligungszeitraum Mai 2016 bis Februar 2017. Dabei gab er an, er werde in diesem Bewilligungszeitraum voraussichtlich keine Einnahmen erzielen. Die vom Kläger in diesem Zusammenhang (im weiteren Verlauf des Verwaltungsverfahrens) vorgelegte Leistungsbescheinigung gemäß § 48 BAföG fiel negativ aus; dem Kläger konnte nicht bestätigt werden, die bei geordnetem Verlauf seiner Ausbildung bis zum Ende des siebten Fachsemesters üblichen Leistungen erbracht zu haben. Vielmehr konnte ihm lediglich eine voraussichtliche Beendigung des Studiums im Februar 2018 bescheinigt werden.
Auf Aufforderung der Beklagten, ausführlich zu begründen, warum er sein Studium nicht innerhalb der Förderungshöchstdauer abgeschlossen habe, machte der Kläger mit Schreiben vom 30. Mai 2016 u.a. geltend: „Die Gründe für die Nichteinhaltung dieser Frist liegen in meiner familiären Situation. (…) Doch im August 2013 wurden wir von einem Schicksalsschlag getroffen, von dem wir bis heute noch geprägt sind. Meine Ehefrau verlor während der Schwangerschaft unser Kind. (…) Um meiner Frau in dieser Situation eine Stütze zu sein, sah ich mich gezwungen den Fokus auf die Familie zu legen, nicht auf das Studium. (…) Im Mai 2014 wurde meine Frau erneut schwanger und brachte im Januar 2015 unsere Tochter zur Welt. (…) Die Monate vor der Geburt waren jedoch sehr hart, weil die schrecklichen Ereignisse aus dem Jahre 2013 uns wieder einholten. Aus den oben genannten Gründen habe ich täglich damit zu kämpfen mich voll und ganz auf mein Studium zu konzentrieren. Obwohl ich physisch angeschlagen bin, gebe ich mir trotzdem viel Mühe, um mein Studium erfolgreich abzuschließen. So kommt es häufig vor, dass ich krank werde oder Probleme mit der Konzentration habe.“
Der Kläger legte der Beklagten mit diesem Schreiben bzw. im Nachgang dazu vor:
- ein Attest vom 15. August 2016 des praktischen Arztes H., in dem es heißt: „Herr A. ist seit August 2013 eingeschränkt Studienunfähig, diese Beeinträchtigung übersteigt 50%“.
- Ein Attest vom 22. Februar 2016 des H., in dem es heißt: „Herr A. ist eingeschränkt Studienunfähig.“
- Ein Schreiben seiner Ehefrau vom 30. Mai 2016; dort ist angegeben, dass der Kläger „3 Monate vor der Schwangerschaft und 5 Monate nach der Schwangerschaft mich intensiv unterstützt hat und sich viel um mich und unsere Tochter I. kümmern musste“.
- Eine ärztliche Bescheinigung der Fachärztin für Frauenheilkunde J. vom 23. Februar 2016, in der es heißt: „Hiermit bescheinigen wir, dass o.g. Patientin am 15.08.2013 eine Fehlgeburt erlitt mit anschließender OP. Aufgrunddessen sich Herr A. um seine Frau kümmern musste.“
Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 3. September 2016 ab. Der Kläger habe zum Wintersemester 2015/16 keinen Nachweis im Sinne des § 48 BAföG vorlegen können, der bestätige, dass er die bei geordnetem Verlauf seiner Ausbildung bis zum Ende des siebten Fachsemesters üblichen Leistungen bisher erbracht habe. Eine Verschiebung des Zeitpunkts für die Vorlage dieser Bescheinigung komme nicht in Betracht. Nach den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu § 48 Abs. 2 BAföG, Tz. 48.2.1, werde eine Ausbildungsförderung nicht geleistet, wenn nach Aktenlage feststehe, dass die auszubildende Person den Leistungsnachweis nicht innerhalb der verlängerten Förderungszeit erbringen könne. Das sei bei dem Kläger der Fall. Es komme lediglich eine Verschiebung des Vorlagezeitpunktes für den Leistungsnachweis um drei Semester in Betracht, der Kläger benötige jedoch - wie bescheinigt - insgesamt eine Verschiebung von vier Semestern, um sein Studium abzuschließen. Anerkennungswürdig seien zwei Semester wegen der eingeschränkten Studierfähigkeit und ein weiteres Semester für die Betreuung seiner Tochter.
Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben. Er trägt vor, die von ihm geltend gemachten Umstände rechtfertigten eine Verschiebung des Zeitpunktes zur Vorlage des Leistungsnachweises um mindestens vier Semester, weshalb ihm für den streitbefangenen Bewilligungszeitraum Ausbildungsförderungsleistungen zustünden. Nähere Ausführungen zu den konkreten Einschränkungen, auf die er sich berief, hat er nicht gemacht. Er hat geltend gemacht, seine Studierfähigkeit habe „sicher deutlich unterhalb“ von 50% gelegen. Er hat vorgelegt:
- (auf gerichtliche Aufforderung, eine ärztliche Bescheinigung vorzulegen, aus der sich eine genaue Prozentangabe - möglichst mit Begründung - ergibt) ein Attest des H. vom 6. November 2017, in dem es u.a. heißt: „Herr A. ist seit August 2013 eingeschränkt Studienunfähig, diese Beeinträchtigung übersteigt 50%. Im Jahre 2013 erlitt die Ehefrau eine Fehlgeburt. Dieser Verlust stellt eine starke psychische Belastung (Angstzustände, Schlafstörungen, Nervosität) für Herrn A. dar.“
- (im Anschluss an einen Erörterungstermin) ein Attest des H. vom 11. Januar 2018, in dem es u.a. heißt: „Im Jahre 2013 erkrankte Herr A. an einer reaktiven Depression. Der Pat. hat an Gewicht damals verloren. Das Leistungsvermögen hatte deutlich abgenommen, Konzentrationsschwäche und Schlafstörungen. Das hat sich meistens auf die Leistungen im Studiengang ausgewirkt. Trotz erheblicher Anstrengungen von Seiten des Patienten, die schulischen Verpflichtungen zu erbringen, ist es zu Ausfällen gekommen mit einer Beeinträchtigung von über 60 %.“
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 3. September 2016 zu verpflichten, ihm auf seinen Antrag hin für den Bewilligungszeitraum Mai 2016 bis Februar 2017 Leistungen der Ausbildungsförderung nach dem BAföG in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat vorgetragen, zwar habe der Kläger Verzögerungsgründe geltend gemacht, die eine Verschiebung des Vorlagezeitpunktes des positiven Leistungsnachweises nach § 48 BAföG rechtfertigten könnten. Diese Verzögerungsgründe rechtfertigten aber nur eine Verschiebung von dreieinhalb Semestern. Ausgehend von einer eigenen Erkrankung des Klägers über einen Zeitraum von fünf Semestern, nämlich von August 2013 bis Februar 2016 und einer Studierfähigkeit von zumindest 50% könnten zweieinhalb Semester als angemessene Verlängerung gewährt werden. Für die Kindererziehung im Zeitraum vom 29. Januar 2015 bis Februar 2016 könne ein Semester als Verlängerung gewährt werden. Nach Aktenlage stehe aber fest, dass der Kläger noch vier Semester bis zum Abschluss seines Studiums benötige. Verzögerungsgründe, die in der Person des Klägers möglicherweise noch in der Zukunft einträten, könnten bei dieser Entscheidung keine Berücksichtigung finden. Soweit der Kläger überwiegend krank und dadurch in einem erheblichen Maße in seiner Studierfähigkeit beeinträchtigt gewesen sei, hätte er sich beurlauben lassen können. Gleiches gelte, wenn er neben der Kindererziehung nicht wenigstens zu 50% Studienleistungen habe erbringen können. Aus den vorgelegten Attesten ergebe sich zudem nicht, ob und in welchem Umfang der Kläger am Studienbetrieb habe teilnehmen können. Hierzu fehle es an jeglichen konkreten Angaben des Klägers.
Das Verwaltungsgericht hat der Klage durch das angefochtene Urteil stattgegeben. Der Kläger habe gemäß § 11 Abs. 1 BAföG i.V.m. § 15 Abs. 3 Nrn. 1 u. 5 BAföG einen Anspruch auf Leistung von Ausbildungsförderung für die Monate Mai 2016 bis einschließlich Februar 2017 über die reguläre Förderungshöchstdauer hinaus in gesetzlicher Höhe. Nach § 15 Abs. 3 Nr. 5 BAföG sei die Förderungshöchstdauer wegen der Pflege und Erziehung der im Januar 2015 geborenen Tochter des Klägers um ein Semester zu verlängern (Tz. 15.3.10 der Verwaltungsvorschriften zum BAföG) und zusätzlich um zumindest drei Semester aus schwerwiegenden Gründen gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG wegen der durch ärztliche Atteste nachgewiesenen Erkrankung des Klägers (Tz. 15.3.3 der Verwaltungsvorschriften zum BAföG), die seine Studierfähigkeit um mindestens 60 % seit August 2013 verringert habe (5 Semester (Zeitraum bis zum Ende des Wintersemesters 2015/2016) x 0,6 = 3 Semester Verlängerung). Die Kammer vermöge sich nicht der Auffassung der Beklagten anzuschließen, dass ein Auszubildender seine Ausbildung unterbrechen müsse, sofern er nicht wenigstens die Hälfte seiner Arbeitskraft seiner Ausbildung widme.
Der bis zum 1. Januar 2022 zuständige 4. Senat des erkennenden Gerichts hat die Berufung zur Klärung der grundsätzlich bedeutsamen Rechtsfrage, ob ein Auszubildender zur Vermeidung einer späteren Überschreitung der Förderungshöchstdauer seine Ausbildung unterbrechen muss, sofern er nicht wenigstens die Hälfte seiner Arbeitskraft seiner Ausbildung widmen kann, zugelassen.
Zur Begründung ihrer Berufung trägt die Beklagte vor, schon die Berechnung der vom Verwaltungsgericht für angemessen erachteten Verlängerungszeit sei nicht nachvollziehbar. Insbesondere entbehre die pauschalierte Berechnung „Dauer der Erkrankung x Leistungsfähigkeit von 60% = 3 Semester“ jeglicher Grundlage. Es sei nicht berücksichtigt worden, welche Leistungen aufgrund der geltend gemachten Verzögerungsgründe wann genau versäumt worden seien, ob Wiederholungsmöglichkeiten bestanden hätten und diese wahrgenommen worden seien. Die vorgelegten Atteste bezeichneten weder die genauen Zeiträume, in denen der Kläger erkrankt gewesen sei, noch werde konkret angegeben, in welchem Umfang die Erkrankung die Studierfähigkeit eigeschränkt habe. Das Verwaltungsgericht gehe auch zu Unrecht davon aus, dass durch den nachgewiesenen Abschluss des Studiums das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal des § 15 Abs. 3 BAföG, dass der zum Ende der regulären Förderungshöchstdauer zu Tage tretende Leistungsrückstand innerhalb angemessener Zeit aufgeholt und die Ausbildung berufsqualifizierend abgeschlossen werden kann, erfüllt sei. Grundsätzlich sei bei der Prüfung der Angemessenheit der Verlängerungszeit auf den Zeitpunkt der nach § 48 Abs. 2 BAföG zu treffenden Entscheidung abzustellen. Das gelte auch dann, wenn die gerichtliche Entscheidung erst nach Beendigung des Studiums getroffen werde. Schließlich hätte sich der Kläger entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts beurlauben lassen müssen, wenn er - wie geltend gemacht - zu 60% studierunfähig gewesen sei.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hat auf gerichtliche Aufforderung einen „Kontoauszug Bachelor“ mit Stand vom 15. März 2016 sowie eine Semesterübersicht „Produktionssysteme MAB“ und eine Tabelle über in den ersten sieben Semestern seines Studiums erreichte und zu erreichende Credit Points vorgelegt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgenannten Unterlagen verwiesen.
Der Senat hat mit Verfügung der Berichterstatterin vom 18. Juli 2022 u.a. auf Folgendes hingewiesen:
„Die tatsächlich von dem Kläger erbrachten Leistungen stützen die Annahme einer Studierunfähigkeit von 60% auf den ersten Blick aber gerade nicht. Auch auf der Grundlage des bisherigen Vortrags des Klägers und der von ihm vorgelegten Atteste bestehen Bedenken, ob eine solche Annahme gerechtfertigt ist. (…) Angesichts dieser nur pauschalen Aussagen, des bislang sehr oberflächlichen Vortrags des Klägers zu seinen tatsächlichen Einschränkungen in den fraglichen Semestern und der jeweils erreichten Credit Points liegt es jedenfalls derzeit nicht nahe, ohne Weiteres von einer durchgehenden Studierunfähigkeit von 60% auszugehen. Es obliegt dem Auszubildenden, substantiiert darzulegen und glaubhaft zu machen, dass er tatsächlich in längeren zeitlichen Abschnitten studierunfähig erkrankt gewesen ist. (…) Insbesondere ist auch die Ursächlichkeit der vom Auszubildenden geltend gemachten Erkrankung für den Ausbildungsrückstand nachvollziehbar darzulegen. Hierzu gehört auch ein substantiierter Vortrag, dass es dem Kläger nicht möglich gewesen ist, einen bestehenden Ausbildungsrückstand aufzuholen. Denn es liegt grundsätzlich im Verantwortungsbereich des Auszubildenden, krankheitsbedingte Rückstände im Leistungsstand durch zumutbare Anstrengungen zeitnah aufzuarbeiten, um sein Studium in der vorgesehenen Förderungshöchstdauer auch abschließen zu können.“
Der Kläger hat hierzu trotz mehrmaliger gerichtlicher Aufforderung nichts mehr vorgetragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Beklagten ist teilweise begründet. Das Verwaltungsgericht hätte der Klage nicht vollumfänglich stattgeben dürfen. Der Kläger hat lediglich in dem Zeitraum von Mai 2016 bis einschließlich Oktober 2016 einen Anspruch auf Leistung von Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz in gesetzlicher Höhe über die reguläre Förderungshöchstdauer hinaus. Insoweit ist die Ablehnung der begehrten Leistung rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten; der Bescheid der Beklagten vom 3. September 2016 ist in diesem Umfang aufzuheben (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Die Beklagte ist auch nach der Exmatrikulation des Klägers, seinem Umzug nach A-Stadt und der Aufnahme einer Berufstätigkeit weiterhin die örtlich zuständige Behörde nach § 45 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 BAföG. Nach dieser Regelung ist - abweichend von den Absätzen 1 und 2 - das bei einer staatlichen Hochschule errichtete Amt für Ausbildungsförderung für die an dieser Hochschule immatrikulierten Auszubildenden zuständig. Bei dieser Zuständigkeit verbleibt es nach Tz. 45.3.2 der Verwaltungsvorschriften zum BAföG für Examenskandidaten, die bereits exmatrikuliert sind, und auch in anderen Fällen der Exmatrikulation, sofern keine neue dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung aufgenommen wird und noch Entscheidungen bzgl. des abgelaufenen Förderungszeitraums zu treffen sind. Diese den Senat nicht bindende Verwaltungsvorschrift legt die Gesetzesnorm, die für die dort genannten Fälle keine ausdrückliche Regelung trifft, in zulässiger und angemessener Art und Weise aus. Insbesondere vermag der Senat keine diesem Verständnis entgegenstehende zwingende gesetzliche Vorgabe zu erkennen, dass in solchen Fällen die örtliche Zuständigkeit auf das kommunale Förderamt nach Abs. 1 übergehen muss (wie hier im Ergebnis Steudte, in: Rothe/Blanke, BAföG, Band 3, Stand: November 2021, § 45 Rn. 12.2; Lackner, in: Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 6. Auflage, § 45 Rn. 13 mit Erl. sowie 7. Auflage, § 45 Rn. 12; a. A. SächsOVG, Beschl. v. 18.11.2010 - 1 A 179/10 -, juris Rn. 5 ff.). Dass das Bundesverwaltungsgericht (vgl. Urt. v. 20.2.1992 - 5 C 66.88 -, juris Rn. 17 ff.) hervorgehoben hat, die Zuständigkeitsregel des § 45 Abs. 3 BAföG knüpfe ihrem Wortlaut nach die Entscheidungszuständigkeit allein an die Einschreibung, insofern müssten Gesichtspunkte der Verwaltungspraktikabilität gegenüber den Vorteilen des Ausbildungsortprinzips (Bürgernähe und Sachnähe) zurücktreten, rechtfertigt keine andere Sichtweise. Denn diese Entscheidung befasst sich lediglich mit dem Übergang der Zuständigkeit bei einem Hochschulwechsel. Grundsätze, inwiefern in Fällen wie dem vorliegenden eine Anwendung des § 45 Abs. 3 BAföG über den Wortlaut hinaus in Betracht kommt, lassen sich dieser Rechtsprechung dagegen nicht entnehmen.
Es entspricht zudem gerade dem Sinn und Zweck dieser Regelung, dass nach Bestehen einer Abschlussprüfung die Förderungsakten des Hochschulförderungsamtes nicht erst dem nach Absatz 1 zuständigen kommunalen Förderungsamt übergeben werden müssen, um die noch anstehenden förderungsrechtlichen Entscheidungen zu treffen. Das nach Absatz 1 geltende Wohnortprinzip soll die besonderen Umstände der Auszubildenden des Sekundarbereichs berücksichtigen, die überwiegend Ausbildungsstätten am Wohnort der Eltern besuchen und bei denen Ausbildungsort und Wohnort in der Regel identisch sind. Dies wird bei einem exmatrikulierten Studierenden nicht mehr der Regelfall sein. Die Vorteile des Wohnortprinzips scheinen in diesen Fällen so stark geschwächt zu sein, dass dem Grundsatz der Verwaltungspraktikabilität wieder mehr Gewicht einzuräumen ist und daher die Zuständigkeit auch beim zuletzt zuständigen Hochschulförderungsamt verbleiben muss (vgl. dazu Steudte, in: Rothe/Blanke, BAföG, Band 3, Stand: November 2021, § 45 Rn. 12.2)
2. Ob der geltend gemachte Leistungsanspruch vorliegt, richtet sich (allein) nach § 15 Abs. 3 BAföG. Wird - wie hier - nach Ablauf der Förderungshöchstdauer ein Anspruch auf Leistung von Bundesausbildungsförderung geltend gemacht, hat die Behörde in unmittelbarer Anwendung des § 15 Abs. 3 BAföG zu überprüfen, ob die Voraussetzungen für eine solche weitergehende Leistung vorliegen. Nach dieser Regelung wird über die Förderungshöchstdauer für eine angemessene Zeit Ausbildungsförderung geleistet, wenn sie u.a. aus schwerwiegenden Gründen (Nr. 1) oder infolge der Pflege und Erziehung eines Kindes bis zu 14 Jahren (Nr. 5) überschritten worden ist. Als ungeschriebene Förderungsvoraussetzung tritt hinzu, dass nach einer bei Verlängerungsbewilligung erforderlichen Prognose die Zulassung zum Ausbildungsabschluss innerhalb der Verlängerungsdauer jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen sein darf und Leistungen einzustellen sind, sobald dies nach Aktenlage doch der Fall ist (ständige Rspr. seit BVerwG, Urt. v. 16.11.1978 - V C 34.77 -, juris, vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 25.11.1995 - 11 C 9/94 -, juris Rn. 27). In den maßgeblichen Prognosezeitraum ist allerdings auch die nach § 15 Abs. 3a BAföG eröffnete Karenzzeit von bis zu vier Semestern einzubeziehen, bis zu der spätestens die Zulassung zum Ausbildungsabschluss erlangt sein muss (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.11.1995 - 11 C 9/94 -, juris Rn. 28, so auch ausdrücklich Nr. 15.3.2 der Verwaltungsvorschriften zum BAföG).
Die Regelung des § 48 BAföG ist entgegen der Auffassung der Beklagten, die ihre Ablehnung jedenfalls ursprünglich maßgeblich in der Systematik des § 48 BAföG begründet gesehen hat, in einem solchen Fall nicht (mehr) einschlägig. § 48 Abs. 1 BAföG sieht vor, dass vom fünften Fachsemester an Ausbildungsförderung für den Besuch einer Höheren Fachschule, Akademie oder einer Hochschule nur von dem Zeitpunkt an geleistet wird, in dem der Auszubildende einen der dort genannten Nachweise vorgelegt hat, u.a. eine nach Beginn des vierten Fachsemesters ausgestellte Bescheinigung der Ausbildungsstätte darüber, dass er die bei geordnetem Verlauf seiner Ausbildung bis zum Ende des jeweils erreichten Fachsemesters üblichen Leistungen erbracht hat. Nach § 48 Abs. 2 BAföG kann das Amt für Ausbildungsförderung die Vorlage der Bescheinigung zu einem entsprechend späteren Zeitpunkt zulassen, wenn Tatsachen vorliegen, die voraussichtlich eine spätere Überschreitung der Förderungshöchstdauer nach § 15 Absatz 3 oder eine Verlängerung der Förderungshöchstdauer nach § 15a Absatz 3 rechtfertigen. Die Voraussetzungen für eine solche Verlängerung hat die Beklagte im Fall des Klägers verneint, weil die auch bei dieser Vorschrift bestehende ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung nicht erfüllt sei, dass die bis zum Ende des (hier) siebten Fachsemesters zu erbringenden Leistungen bis zum Ende des Verlängerungszeitraums erbracht werden können. Eine Einbeziehung der Karenzzeit von bis zu vier Semestern im Sinne des § 15 Abs. 3a BAföG in den Prognosezeitraum scheide im Rahmen des § 48 Abs. 2 BAföG aus; sie sei auch in den Verwaltungsvorschriften zu dieser Regelung nicht vorgesehen.
§ 48 BAföG dient dem Zweck, im Wege einer Leistungskontrolle die Überprüfung zu gewährleisten, ob sich der Auszubildende der Ausbildung unterzieht, und ob die Leistungen erwarten lassen, dass er die Ausbildung mit Erfolg abschließen wird. In Ergänzung zu § 9 BAföG soll § 48 BAföG letztendlich sicherstellen, dass nach dem in der Regel vier Semester umfassenden Grundstudium Ausbildungsförderung nur für geeignete Auszubildende geleistet wird (vgl. Fischer, in: Rothe/Blanke, BAföG, Band 3, Stand: November 2021, § 48 Rn. 1 und 2). Hat aber der jeweilige Studierende in seinem Studium ohnehin bereits bei Antragstellung die reguläre Förderungshöchstdauer überschritten, ohne den Abschluss erreicht zu haben, bedarf es einer solchen Leistungskontrolle nicht. Eine Überprüfung des ordnungsgemäßen Verlaufs des Studiums erübrigt sich in diesem Fall, denn es liegt auf der Hand, dass ein solcher Verlauf nicht vorliegt. Gegenstand der behördlichen Prüfung ist dann allein noch die Frage, ob eine Förderung trotz des Überschreitens der Förderungshöchstdauer gerechtfertigt ist; die von ihr anzustellende Prognoseentscheidung bezieht sich allein auf den zu erreichenden Abschluss des Studiums. Dass § 48 BAföG bei einem solchen Sachverhalt keine Geltung (mehr) beansprucht, zeigt auch der Wortlaut der Regelung. Denn § 48 Abs. 2 BAföG verweist ausdrücklich auf Tatsachen, die voraussichtlich eine spätere Überschreitung der Förderungshöchstdauer nach § 15 Absatz 3 BAföG oder eine Verlängerung der Förderungshöchstdauer nach § 15a Absatz 3 BAföG rechtfertigen (vgl. hierzu auch Fischer, in: Rothe/Blanke, BAföG, Stand: November 2021, § 48 Rn. 34, der ausdrücklich den zeitlichen Abstand zum berufsqualifizierenden Abschluss hervorhebt).
Dies zugrunde gelegt, wird das wenig sachgerechte Ergebnis vermieden, dass sich zwar die anzustellende Prognoseentscheidung allein auf den Abschluss des Studiums bezieht, die Regelung des § 15 Abs. 3a BAföG bei dieser Entscheidung - anders als im Rahmen des § 15 Abs. 3 BAföG - aber gleichwohl ausgeblendet wird.
3. Die Voraussetzungen für eine Leistung von Ausbildungsförderung gemäß § 15 Abs. 3 BAföG über die Förderungshöchstdauer hinaus liegen in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang vor. Die von dem Kläger vorgetragenen Gründe rechtfertigen die Annahme eines Verlängerungsgrundes nach § 15 Abs. 3 Nr. 5 BAföG und die Zuerkennung von Ausbildungsförderung im zeitlichen Rahmen eines weiteren Semesters (dazu unter a)). Die Voraussetzungen für eine darüber hinausgehende Leistung von Ausbildungsförderung aus schwerwiegenden Gründen (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG) liegen dagegen nicht vor (dazu unter b)). Dass der Kläger seinen Abschluss erst im Februar 2018 erreicht hat, nachdem er die Förderungshöchstdauer um vier Semester überschritten hatte, steht der Bewilligung der Verlängerung um den zeitlichen Rahmen von (nur) einem Semester nicht entgegen (dazu unter c)).
a) Die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 Nr. 5 BAföG liegen vor. Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger die Pflege und Erziehung seiner im Januar 2015 geborenen Tochter mindestens in den ersten fünf Monaten nach deren Geburt im zumindest überwiegenden Maße übernommen hat (dazu unter aa)). Unter Rückgriff auf Tz. 15.3.10 der Verwaltungsvorschriften zum BAföG erachtet der Senat eine Verlängerung für ein Semester als angemessen (dazu unter bb)). Auf die Frage, ob sich ein Studierender beurlauben lassen muss, um seinen Förderungsanspruch nicht zu verlieren, wenn er sein Studium nicht mindestens mit der Hälfte seiner Arbeitskraft betreiben kann, kommt es in der hier zu entscheidenden Konstellation nicht an (dazu unter cc)).
aa) Gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 5 BAföG wird über die Förderungshöchstdauer für eine angemessene Zeit Ausbildungsförderung geleistet, wenn sie u.a. infolge der Pflege und Erziehung eines Kindes bis zu 14. Jahren überschritten worden ist. Die Vorschrift setzt voraus, dass der Auszubildende tatsächlich Pflege- und Erziehungsleistungen erbracht hat. Darunter ist jede Zeit in Anspruch nehmende Betreuungsleistung zu verstehen, wie sie Eltern normalerweise für ihre Kinder erbringen. Ob § 15 Abs. 3 Nr. 5 BAföG nur eingreift, wenn die Pflege und Erziehung überwiegend oder im erheblichen Maße von dem Elternteil erbracht wird, wird in Rechtsprechung und Literatur uneinheitlich beurteilt (vgl. zum Ganzen Fischer, in: Rothe/Blanke, BAföG, Band 2, Stand: November 2021, § 15 Rn. 28.1; Winkler, in: BeckOK Sozialrecht, 66. Edition, Stand: 01.09.2022, § 15 Rn. 33; Lackner, in: Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 7. Auflage, § 15 Rn. 35).
Der Kläger hat im behördlichen und gerichtlichen Verfahren (noch) hinreichend plausibel dargelegt, dass er nach der Geburt seiner Tochter im Januar 2015 über einen Zeitraum von mindestens fünf Monaten im zumindest überwiegenden Maße deren Betreuung sichergestellt hat, weil seine Frau nicht dazu in der Lage war. Er hat bereits im behördlichen Verfahren vorgetragen, dass seine Frau und er der besonderen Situation ausgesetzt gewesen seien, dass seine Frau im August 2013 ein erstes Kind während der Schwangerschaft durch Fehlgeburt mit anschließender Operation verloren habe. Für den Senat steht außer Frage, dass dieses Ereignis, welches die ärztliche Bescheinigung der Fachärztin für Frauenheilkunde J. vom 23. Februar 2016 bestätigt, die Familie in einem erheblichen Maße belastet und geprägt hat. Der Kläger hat dementsprechend geschildert, dass die Monate vor der Geburt seiner Tochter im Januar 2015 bereits sehr hart gewesen seien, weil die schrecklichen Ereignisse aus dem Jahre 2013 seine Frau und ihn wieder eingeholt hätten. Seine Ehefrau hat mit Schreiben vom 30. Mai 2016 bestätigt, dass der Kläger sie u.a. fünf Monate nach der Schwangerschaft intensiv unterstützt habe und sich viel um sie und die gemeinsame Tochter habe kümmern müssen. Dies lässt sich angesichts der Vorgeschichte ohne weiteres nachvollziehen. Dementsprechend ist die Beklagte - in Anwendung der Tz. 15.3.10 der Verwaltungsvorschriften zum BAföG - in dem angefochtenen Bescheid auch ohne weitere Nachfragen davon ausgegangen, dass dem Kläger im Grundsatz ein Semester für die Kinderbetreuung zuerkannt werden könne. In der mündlichen Verhandlung hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers zudem dargelegt, dass der Kläger zu diesem Erschwernisgrund in dem Erörterungstermin vor dem Verwaltungsgericht umfassender vorgetragen habe, sich dieser Vortrag aber leider nicht im Protokoll wiederfinde. Auch die Beklagtenvertreterin konnte sich zumindest erinnern, dass die von dem Kläger geltend gemachten Erschwernisgründe in dem Termin vor dem Verwaltungsgericht Gegenstand der Erörterungen waren. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat noch einmal hervorgehoben, der Kläger habe ihm in mehreren persönlichen Gesprächen berichtet, dass er sich nach der Geburt beinahe ausschließlich um das Kind habe kümmern müssen, weil seine Frau sich völlig zurückgezogen habe.
bb) Auf dieser Grundlage ist aufgrund der besonderen Umstände dieses Einzelfalles für den Senat zugleich noch hinreichend plausibel, dass der Kläger in diesem Zeitraum nicht bzw. nur sehr eingeschränkt dazu in der Lage war, seinem Studium nachzugehen. Der Senat erachtet - wie zunächst auch die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid - eine Verlängerung von einem Semester als angemessen im Sinne des § 15 Abs. 3 BAföG. Ausgehend davon, dass ein Semester sechs Monate umfasst, entspricht dies im vorliegenden Fall einer Verlängerung von Mai 2016 bis einschließlich Oktober 2016.
Eine Zeit ist angemessen im Sinne des § 15 Abs. 3 BAföG, wenn sie dem Zeitverlust entspricht, der durch den Verzögerungsgrund entstanden ist. (vgl. Winkler, in: BeckOK SozR, 66. Ed., Stand: 1.9.2022, § 15 BAföG Rn. 37; Nolte, in: Ehmann/Karmanski/Kuhn-Zuber, Gesamtkommentar SRB, 2. Auflage 2018, § 15 BAföG Rn. 10). In Tz. 15.3.10 der Verwaltungsvorschriften zum BAföG ist u.a. geregelt, dass für die Pflege und Erziehung eines Kindes bis zum fünften Geburtstag ein Semester pro Lebensjahr „stets (…) angemessen“ sei. Diese Zeitspanne entsprach auch der ausdrücklichen Einschätzung des Gesetzgebers (vgl. dazu Fischer, in: Rothe/Blanke, BAföG, Band 2, Stand: November 2021, § 15 Rn. 28.3). Der Senat sieht angesichts dieser pauschalierenden Regelung keine Veranlassung, im Fall des Klägers hiervon abzuweichen. Der Kläger war nach seinen Angaben jedenfalls über einen Zeitraum von fünf Monaten nach der Geburt seiner Tochter in einem außergewöhnlich intensiven Maße in deren Betreuung eingebunden, so dass auch bei einer nach Ablauf dieses Zeitraums anzunehmenden nachlassenden Inanspruchnahme die Verlängerung auf der Grundlage dieser generellen Vorgabe als angemessen erscheint.
cc) Auf die Frage, ob sich ein Studierender beurlauben lassen muss, um seinen Förderungsanspruch nicht zu verlieren, wenn er sein Studium neben der Kindererziehung nicht mindestens mit der Hälfte seiner Arbeitskraft betreiben kann (vgl. dazu Fischer, in: Rothe/Blanke, BAföG, Band 2, Stand: November 2021, § 15 Rn. 28.3), kommt es in der hier zu entscheidenden Konstellation nicht an. Denn der Senat vermag nicht zu erkennen, dass der Kläger sein Studium nicht in einem solche Umfang zu betreiben vermochte. Der Kläger hat im Wintersemester 2014/2015 19 Credit Points und im Sommersemester 2015 18 Credit Points von jeweils 30 erreichbaren Credit Points erworben. Er war damit erkennbar dazu in der Lage, noch mehr als die Hälfte der erforderlichen Leistungspunkte zu erbringen. In einer solchen Konstellation kann keine Rede davon sein, dass sich ein Studierender beurlauben lassen muss, da er ersichtlich noch fähig ist, sein Studium objektiv voranzubringen. Ohnehin neigt der Senat dazu, die Frage der Obliegenheit zur (ggf. auch rückwirkenden) Beurlaubung im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 BAföG nicht schematisch zu betrachten, sondern unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalles zu beantworten.
b) Die Voraussetzungen für eine darüber hinausgehende Leistung von Ausbildungsförderung aus schwerwiegenden Gründen (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG) liegen dagegen nicht vor. Zwar kann die von dem Kläger geltend gemachte psychische Erkrankung ein schwerwiegender Grund im Sinne dieser Reglung sein. Für den Senat ist jedoch auf der Grundlage der vorliegenden Erkenntnisse und des Vortrags des Klägers nicht hinreichend plausibel, in welchem Zeitraum und Umfang bei ihm eine solche Erkrankung vorlag und wie sie sich auf sein Studium ausgewirkt hat (dazu unter aa)). Dies rechtfertigt die Ablehnung seines weitergehenden Verlängerungsbegehrens; insbesondere war der Senat nicht gehalten, den schriftsätzlich vorgebrachten Beweisanregungen nachzugehen (dazu unter bb)).
aa) Der Begriff „schwerwiegende Gründe“ ist unter Berücksichtigung des öffentlichen Interesses an einer wirtschaftlichen und sparsamen Vergabe der Fördermittel einerseits und des Interesses des Auszubildenden an einer durchgehenden Förderung andererseits auszulegen. Dabei ist zu beachten, dass die Gewährung einer Ausnahme nach § 15 Abs. 3 BAföG, also auch nach der als Generalklausel abgefassten Nr. 1, der Ausnahmefall bleiben muss. Es können daher nur solche Umstände berücksichtigt werden, die für die Studienverzögerung von erheblicher Bedeutung sind, weil sie es dem Studierenden unzumutbar oder unmöglich machen, die Verzögerung zu verhindern. Eine Verlängerung der Ausbildungszeit, die bei zumutbarer Studienplanung und rationeller Durchführung der Ausbildung vermeidbar gewesen wäre, rechtfertigt keine Verlängerung der Förderungsdauer (VGH BW, Beschl. v. 22.10.2021 - 12 S 888/19 -, juris Rn. 10 f.; Fischer, in: Rothe/Blanke, BAföG, Band 2, Stand: November 2021, § 15 Rn. 19).
Beruft sich ein Studierender auf eine Erkrankung, obliegt es zuvorderst ihm selbst, substantiiert darzulegen und glaubhaft zu machen, dass er tatsächlich in längeren zeitlichen Abschnitten studierunfähig erkrankt gewesen ist. Dazu bedarf es der Darlegung, welche Erkrankungen bei ihm vorgelegen haben, welche Zeiträume betroffen gewesen sind und dass und inwieweit er durch die Erkrankung tatsächlich gehindert war, den im Studium vermittelten Stoff zu erarbeiten (vgl. OVG Bremen, Beschl. v. 23.08.2019 - 1 PA 161/19 - BeckRS 2019, 19594; OVG MV, Beschl. v. 3.9.2003 - M 86/03 -, juris Rn. 8). Dies ist durch aussagekräftige ärztliche Bescheinigungen zu belegen. Besonderes Gewicht liegt auf der nachvollziehbaren Darlegung der Ursächlichkeit der vom Auszubildenden geltend gemachten Erkrankung für den Ausbildungsrückstand. Hierzu gehört auch ein substantiierter Vortrag, dass es dem Auszubildenden nicht möglich gewesen ist, einen bestehenden Ausbildungsrückstand aufzuholen. Denn es liegt grundsätzlich im Verantwortungsbereich des Auszubildenden, krankheitsbedingte Rückstände im Leistungsstand durch zumutbare Anstrengungen zeitnah aufzuarbeiten, um sein Studium in der vorgesehenen Förderungshöchstdauer auch abschließen zu können. Dem Auszubildenden muss zugemutet werden, sich um eine Aufholung des entstandenen Ausbildungsrückstandes während der ihm verbleibenden Ausbildungszeit zu bemühen (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.10.1981 - 5 C 111.79 -, juris Rn. 17).
Den Kläger traf danach zunächst die Obliegenheit zur Darlegung, welche Krankheit bei ihm in welchem Zeitraum vorgelegen hat und unter welchen konkreten Einschränkungen er aufgrund dieser Krankheit gelitten hat. Zwar mag es Erkrankungen geben, bei denen solche näheren Erläuterungen lediglich in einem vergleichsweise geringen Maße erforderlich sind, weil sich die zu klärenden Fragen schon aus den Umständen, die mit der geltend gemachten Erkrankung erkennbar verbunden sind, ohne weiteres beantworten lassen. So lässt sich aus der bloßen Bescheinigung eines mehrwöchigen Krankenhausaufenthalts in aller Regel auch ohne vertiefte Schilderung des Krankheitsbildes der Schluss ziehen, dass der Studierende in diesem Zeitraum nicht in der Lage war, sein Studium zu betreiben. Bei psychischen Störungen ist dies regelmäßig - so auch hier - ungleich komplizierter und die Darlegungslast des Studierenden entsprechend höher.
In seinem Schreiben vom 30. Mai 2016 führt der Kläger aus, dass er täglich damit zu kämpfen habe, sich voll und ganz auf sein Studium zu konzentrieren und er physisch angeschlagen sei. Es komme häufig vor, dass er krank werde oder Probleme mit der Konzentration habe. Diesen Ausführungen lassen sich keine durchgreifenden Anhaltspunkte für die erst später ausdrücklich benannte reaktive Depression entnehmen. Gleiches gilt für die im behördlichen Verfahren vorgelegten Atteste des praktischen Arztes H.. Sie enthalten lediglich die Bewertung einer eingeschränkten Studierfähigkeit, jedoch keinerlei Information darüber, an welcher Erkrankung und unter welchen Einschränkungen der Kläger litt. Im gerichtlichen Verfahren hat der Kläger zwei weitere Atteste des H. vorgelegt. Im Attest vom 6. November 2017 wird die im Jahre 2013 von der Ehefrau erlittene Fehlgeburt als Ursache für eine „starke psychische Belastung (Angstzustände, Schlafstörungen, Nervosität)“ beschrieben. Es wird jedoch nicht näher dazu Stellung genommen, für welchen Zeitraum diese Erschwernis gelten soll. Das wäre aber erforderlich gewesen, da es sich nicht von selbst erschließt, dass diese Reaktion auf das damalige Ereignis noch über Jahre hinweg Bestand hatte. Gleiches gilt für das Attest vom 11. Januar 2018. Dort wird die Erkrankung erstmals als reaktive Depression bezeichnet, an der der Kläger im Jahre 2013 erkrankt sei. Für die Beschreibung der Ausfälle im Studium wird in diesem Attest die Vergangenheitsform gewählt, so dass nach wie vor unklar bleibt, wie lange eine Beeinträchtigung überhaupt bestanden hat.
Der Kläger selbst hat außerdem in keiner Weise dargelegt, wie sich die geltend gemachte Erkrankung auf sein Studium ausgewirkt hat. Dabei geht der Senat zwar davon aus, dass es Studierenden, die sich auf eine psychische Erkrankung als schwerwiegenden Grund im Sinne des § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG berufen, im Einzelfall schwerfallen wird, exakte Angaben dazu zu machen, welche konkreten zeitlichen Verzögerungen sich in Bezug auf welche Studien- oder Prüfungsleistungen ergeben haben. Vor diesem Hintergrund neigt der Senat dazu, dieser Schwierigkeit bei der Bestimmung der angemessenen Verlängerungszeit im Einzelfall dadurch Rechnung zu tragen, das in gewissem Maße Pauschalierungen in Betracht zu ziehen sein können. Hier scheidet ein solches Vorgehen aber schon deshalb aus, weil jegliche Ausführungen zu den Auswirkungen auf das Studium fehlen. Auf diesen Umstand hat der Senat den Kläger durch Verfügung vom 18. Juli 2022 umfassend hingewiesen und mit Verfügung vom 19. September 2022 ein weiteres Mal. Der Senat hat dem Kläger außerdem mit der Ladungsverfügung unter Hinweis auf die vorgenannten Verfügungen aufgegeben, bis zum 4. November 2022 etwaige weitere Tatsachen anzugeben sowie gegebenenfalls Beweismittel zu bezeichnen und Unterlagen vorzulegen, die der Stützung des Klagebegehrens dienen sollen (§§ 125 Abs. 1, 87b VwGO). Dass der Kläger, wie sein Prozessbevollmächtigter in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat, im Erörterungstermin vor dem Verwaltungsgericht etwas zu seiner Erkrankung vorgetragen hat, lässt sich mangels Protokollierung nicht nachvollziehen. Ungeachtet dessen hatte der Kläger aber - wie ihm nachdrücklich durch die vorgenannten Verfügungen verdeutlicht wurde - Anlass, dem Senat diese Umstände gegebenenfalls ein weiteres Mal zu schildern. Der Kläger hat jedoch weder schriftsätzlich etwas vorgetragen noch hat er die Gelegenheit genutzt, dies in der mündlichen Verhandlung nachzuholen, obgleich er das im Schriftsatz vom 30. September 2022 in Aussicht gestellt hatte. Für nicht nachvollziehbar hält es der Senat, wenn sich der Kläger darauf beruft, er könne aufgrund des Zeitablaufs keine genauen Angaben mehr machen.
Nicht ausreichend ist es, dass H. dem Kläger eine Studierunfähigkeit von 50% bzw. 60% bescheinigt hat. Ungeachtet dessen, dass diese Bescheinigungen für sich genommen kein nachvollziehbares Bild der Erkrankung des Klägers vermitteln, ersetzt diese pauschale und weder für die Beklagte noch für den Senat überprüfbare Angabe nicht die gleichsam als ersten Schritt erforderliche Darlegung des Klägers, wie sich die Erkrankung auf sein Studium ausgewirkt hat. Auch die Ausführungen in dem Attest vom 11. Januar 2018 („Das Leistungsvermögen hatte deutlich abgenommen, Konzentrationsschwäche und Schlafstörungen. Das hat sich meistens auf die Leistungen im Studiengang ausgewirkt. Trotz erheblicher Anstrengungen von Seiten des Patienten, die schulischen Verpflichtungen zu erbringen, ist es zu Ausfällen gekommen mit einer Beeinträchtigung von über 60 %.“) reichen nicht aus, weil sie austauschbar sind und keinerlei konkreten Aufschluss über die tatsächlichen Auswirkungen der Erkrankung geben. Unbeschadet dessen hat der Senat erhebliche Zweifel daran, ob ein Arzt, der mit dem konkreten Studium seines Patienten und den dortigen Abläufen und Anforderungen nicht im Einzelnen vertraut sein dürfte, überhaupt in der Lage ist, eine solche Einschätzung verlässlich abzugeben. Jedenfalls bedürfte dies einer näheren Erläuterung durch den Kläger.
Zu dieser fehlenden Darlegung seitens des Klägers kommt hinzu, dass sich in der von ihm vorgelegten Leistungsübersicht der ersten sieben Semester seines Studiums die geltend gemachte Bedeutung der Erkrankung für sein Studium auch nicht widerspiegelt. Das Gegenteil ist der Fall:
- Der Kläger macht geltend, über 60% studierunfähig gewesen zu sein. Er hat jedoch vom zweiten bis zum siebten Semester jeweils mehr als die Hälfte der zu erreichbaren Credit Points erlangt.
- Aus sich heraus ist nicht verständlich, warum der Kläger auch im zweiten Semester (SS 2013) nur 17 Credit Points von erreichbaren 28 Credit Points erbracht hat. Denn das auslösende Ereignis für seine Erkrankung fand (erst) im August 2013 statt.
- Im dritten Semester (WS 2013/14), das sich unmittelbar an das auslösende Ereignis für seine Erkrankung anschloss, hat der Kläger mit 40 Credit Points sogar deutlich mehr als die vorgesehenen 32 Credit Points erreicht. Das passt nicht zu seinem Vorbringen, er sei in seinem Studium durch seine Erkrankung im erheblichen Maße beeinträchtigt gewesen.
bb) Dieses Gesamtbild rechtfertigt die Ablehnung des weitergehenden Verlängerungsbegehrens des Klägers. Der Auszubildende trägt die Beweislast hinsichtlich der Ursächlichkeit der von ihm geltend gemachten Verlängerungsgründe für den Ausbildungsrückstand, so dass Ungewissheiten und Unklarheiten bei der Feststellung der Ursächlichkeit zum Nachteil des Auszubildenden gehen, sofern sie in seinen Verantwortungsbereich fallen (vgl. OVG Bremen, Beschl. v. 23.08.2019 - 1 PA 161/19 -, BeckRS 2019, 19594; OVG NRW, Beschl. v. 28.04.2010 - 12 A 1019/07 - juris Rn. 8).
So verhält es sich ausweislich der obigen Feststellungen hier. Der Senat war angesichts dessen auch nicht gehalten, den schriftsätzlich vorgebrachten Beweisanregungen nachzugehen. Soweit der Kläger angeregt hat, H. dazu als Zeugen zu vernehmen, dass die von ihm vorgenommene Bewertung der (eingeschränkten) Studierfähigkeit des Klägers aufgrund von intensiven medizinischen Behandlungen und Befragungen vorgenommen ist, ist die unter Beweis gestellte Tatsache für die Entscheidung über den Anspruch unerheblich; dies kann als wahr unterstellt werden. Denn für die Annahme eines schwerwiegenden Grundes fehlt es - hiervon unabhängig - schon, wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, an der plausiblen Darlegung des Klägers, wie sich die Erkrankung auf sein Studium ausgewirkt hat; die Atteste des H. können diese Darlegung auch dann nicht ersetzen, wenn unterstellt wird, dass sie aufgrund von intensiven medizinischen Behandlungen und Befragungen erstellt worden sind. Soweit der Kläger außerdem die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache anregt, dass die Bewertung des H. zu seiner eingeschränkten Studierfähigkeit zutreffend ist, gilt im Ergebnis nichts anderes. Denn ein eigener plausibler Vortrag des Klägers zu den Einschränkungen im Studium lässt sich nicht durch die bloße Bestätigung der pauschalen Aussagen in den Attesten des H. ersetzen. Solange es an einem solchen Vortrag fehlt, scheitert ein Verlängerungsanspruch bereits aus diesem Grund.
c) Dass der Kläger seinen Abschluss erst im Februar 2018 erreicht hat, also nachdem er die Förderungshöchstrauer um vier Semester überschritten hatte, steht der Bewilligung von Ausbildungsförderung (nur) von Mai 2016 bis einschließlich Oktober 2016 nicht entgegen.
Wie bereits dargelegt, ist ungeschriebene Förderungsvoraussetzung des § 15 Abs. 3 BAföG, dass nach einer bei Verlängerungsbewilligung erforderlichen Prognose die Zulassung zum Ausbildungsabschluss innerhalb der Verlängerungsdauer jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen sein darf. Hat der Studierende - wie hier - zum Zeitpunkt der Entscheidung über seinen Förderungsantrag seinen Abschluss bereits erreicht, ist nicht rückwirkend auf eine Prognose, sondern auf die tatsächliche Ausbildungsentwicklung abzustellen (vgl. BVerwG, Urt. vom 25. Januar 1995 - 11 C 9.94 -, juris Rn. 27; v. 7.2.1980 - 5 C 38.78 -, juris Rn. 16; OVG NRW, Urt. v. 30.11.2005 - 4 A 2571/02 -, juris Rn. 24, vgl. auch BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 18.12.2003 - 1 BvR 1371/03 -, juris Rn. 16). Da der Kläger die Förderungshöchstdauer insgesamt nur um vier Semester überschreiten musste, um sein Studium abzuschließen, kommt unter Einbeziehung der nach § 15 Abs. 3a BAföG eröffneten Karenzzeit von bis zu vier Semestern nach Ablauf der Förderungshöchstdauer (und der außerdem zu berücksichtigenden Verlängerung) bis zur Erreichung des Studienabschlusses auch eine solche geringfügige Verlängerung in Betracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711, 709 Satz 2 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.