Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 04.07.2016, Az.: 4 KN 77/16

anerkannte Naturschutzvereinigung; Beiladung; Beteiligungsrecht; einfache Beiladung; Klagemöglichkeiten; materielle Rechtsposition; Mitwirkungsrecht; Naturschutzvereinigung; Normenkontrollverfahren; notwendige Beiladung; prokuratorische Rechtstellung; Rechtstellung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
04.07.2016
Aktenzeichen
4 KN 77/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2016, 43444
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Beiladung einer anerkannten Naturschutzvereinigung, die bei der Vorbereitung einer Landschaftsschutzgebietsverordnung beteiligt worden ist, in einem diese Verordnung betreffenden Normenkontrollverfahren kommt nicht in Betracht.

Gründe

Der Antrag des Landesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz Niedersachsen e.V., ihn zu dem o. a. Verfahren beizuladen, hat keinen Erfolg. Denn die Voraussetzungen für eine Beiladung nach § 65 Abs. 1 und 2 VwGO sind nicht erfüllt.

Eine Beiladung ist nach § 65 Abs. 2 VwGO notwendig, wenn an dem streitigen Rechtsverhältnis ein Dritter derart beteiligt ist, dass die Entscheidung auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Diese Voraussetzung liegt vor, wenn die begehrte Sachentscheidung des Gerichts nicht wirksam getroffen werden kann, ohne dass dadurch gleichzeitig und unmittelbar in Rechte des Dritten eingegriffen wird, d. h. dessen Rechte gestaltet, bestätigt, festgestellt, verändert oder aufgehoben werden (BVerwG, Beschl. v. 13.6.2007 - 6 VR 5.07 -, NVwZ 2007, 1207, m.w.N.).

Dies ist hier nicht der Fall. Denn die von dem Antragsteller im vorliegenden Verfahren begehrte Entscheidung, die Verordnung über das Landschaftsschutzgebiet “Sollingvorland-Wesertal“ im Landkreis Holzminden vom 20. April 2015 für unwirksam zu erklären, kann ergehen, ohne dass dadurch gleichzeitig und unmittelbar in Rechte des Landesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz Niedersachsen e.V. eingegriffen wird. Rechte, die im Falle einer Unwirksamkeitserklärung der Landschaftsschutzgebietsverordnung unmittelbar betroffen wären, kann der Landesverband nämlich nicht vorweisen.

Der Landesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz Niedersachsen e.V. hat zwar insoweit geltend gemacht, dass eine anerkannte Naturschutzvereinigung im Rahmen des Erlasses einer Verordnung zur Aufhebung einer zum Schutz der Natur erlassenen Rechtsverordnung zu beteiligen wäre und dass das Mitwirkungsrecht im Falle der Aufhebung der Landschaftsschutzgebietsverordnung nur durch Beteiligung im gerichtlichen Verfahren gewahrt werden könne. Letzteres ist jedoch unzutreffend, weil das Mitwirkungsrecht einer nach § 3 UmwRG von einem Land anerkannten und nach ihrer Satzung landesweit tätigen Naturschutzvereinigung gemäß § 63 Abs. 2 Nr. 1 BNatSchG nur bei der Vorbereitung von Verordnungen und anderen im Rang unter dem Gesetz stehenden Rechtsvorschriften der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörden der Länder, also nur im Verwaltungsverfahren besteht und daher durch eine gerichtliche Entscheidung wie die hier begehrte Unwirksamkeitserklärung der Landschaftsschutzgebietsverordnung nicht tangiert würde. Folglich kann die begehrte Entscheidung wirksam getroffen werden, ohne dadurch gleichzeitig und unmittelbar in Rechte des Landesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz Niedersachsen e.V. einzugreifen.

Eine einfache Beiladung nach § 65 Abs. 1 VwGO scheidet hier gleichfalls aus. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht, solange das Verfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen oder in höherer Instanz anhängig ist, von Amts wegen oder auf Antrag andere, deren rechtliche Interessen durch die Entscheidung berührt werden, beiladen. Rechtliche Interessen eines Anderen werden berührt, wenn die Möglichkeit besteht, dass sich dessen Rechtsposition durch das Unterliegen eines der Beteiligten im gerichtlichen Verfahren verbessert oder verschlechtert (BVerwG, Beschl. v 19.11.1998 - 11 A 50.97 -, NVwZ-RR 1999, 276, m.w.N.; Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 65 Rn. 12).

Die Rechtsposition des Landesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz Niedersachsen e.V. kann sich durch das Obsiegen eines der Beteiligten im Normenkontrollverfahren aber weder verbessern noch verschlechtern. Eine Unwirksamkeitserklärung der Landschaftsschutzgebietsverordnung hätte ebenso wie eine Ablehnung des Normenkontrollantrags keine Auswirkung auf das Mitwirkungsrecht des Landesverbandes, da dieses Recht nur im Verwaltungsverfahren bestanden hat und dort beachtet worden ist. Dem Landesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz Niedersachsen e.V. stehen auch keine anderen rechtlichen Interessen, die durch die Entscheidung des Senats im Normenkontrollverfahren berührt werden könnten, zur Seite. Er kann insbesondere nicht mit Erfolg geltend machen, dass durch die vom Senat zu treffende Entscheidung in diesem Verfahren Interessen berührt würden, zu deren Schutz er berufen sei. Zwar dürften nicht nur materielle Rechtspositionen, sondern auch Interessen, die ihre Grundlage in durch entsprechende Klagemöglichkeiten zugewiesenen Wahrnehmungszuständigkeiten haben, eine Beiladung rechtfertigen (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 9.2.2009 - 5 E 4/08.P -, NordÖR 2009, 210). Derartige Interessen kann der Landesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz Niedersachsen e.V. jedoch nicht vorweisen. Denn das nationale Recht räumt einer anerkannten Naturschutzvereinigung, deren Mitwirkungsrecht im Verwaltungsverfahren beachtet worden ist, selbst im Falle der Aufhebung einer Landschaftsschutzgebietsverordnung keine Befugnis ein, zur Wahrung landschaftsschutzrechtlicher Belange einen Normenkontrollantrag zu stellen. Auch aus Art. 9 Abs. 3 des Aarhus-Übereinkommens ergibt sich keine derartige Befugnis. Schließlich stellt auch das zu vermutende Interesse des Landesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz Niedersachsen e.V., die Verordnung im gerichtlichen Verfahren zu verteidigen, lediglich ein berechtigtes, aber kein rechtliches Interesse dar. Der Landesverband hat keine allgemeine prokuratorische Rechtsstellung in Bezug auf die Einhaltung europäischen Umweltrechts inne. Folglich kann er nicht mit Erfolg geltend machen, ein rechtliches Interesse zu haben, das durch die im vorliegenden Verfahren zu treffende Entscheidung berührt werden könnte.