Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 27.07.2016, Az.: 7 ME 81/16
Auswahlentscheidung; Jugendzelt; Marktzulassung; Vergaberichtlinien; Wirtschaftszelt
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 27.07.2016
- Aktenzeichen
- 7 ME 81/16
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2016, 43253
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 04.07.2016 - AZ: 12 B 1627/16
Rechtsgrundlagen
- § 70 GewO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die Kriterien, von denen sich eine Behörde bei ihrer Auswahlentscheidung nach § 70 Abs. 3 GewO leiten lässt, als auch das konkrete Auswahlverfahren und die Auswahlentscheidung selbst müssen für alle Bewerber transparent und nachvollziehbar sein.
Im konkreten Fall ist die Bildung der Unterkategorie Jugendzelt in den Vollzugshinweisen
zu den Vergaberichtlinien und dem Veranstaltungskonzept der Antragsgegnerin wegen
fehlender Transparenz und Unbestimmtheit unwirksam.
Tenor:
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 12. Kammer - vom 04. Juli 2016 geändert.
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antrag der Antragstellerin vom 22. Oktober 2015 auf Zulassung zum Stoppelmarkt 2016 der Stadt Vechta erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Kosten des ersten Rechtszugs tragen die Antragstellerin zu 1/2, einschließlich der Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die insoweit erstattungsfähig sind, und die Antragsgegnerin und die Beigeladene je zu 1/4.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Antragstellerin und die Antragsgegnerin je zu 1/2. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen im Beschwerdeverfahren sind nicht erstattungsfähig.
Der Streitwert wird für beide Rechtszüge auf je 1.800,00 € festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 04. Juli 2016 hat teilweise, in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Mit dem genannten Beschluss hat das Verwaltungsgericht den Antrag der Antragstellerin abgelehnt, die Antragsgegnerin unter Aufhebung ihres Bescheides vom 22. März 2016 im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, sie entsprechend ihrem Antrag vom 22. Oktober 2015 mit ihrem Wirtschaftszelt „C.“ zum Stoppelmarkt 2016 der Stadt Vechta zuzulassen. Zugleich hat das Verwaltungsgericht den hilfsweise gestellten Antrag der Antragstellerin auf Neubescheidung ihres Antrages auf Zulassung zum Stoppelmarkt 2016 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts abgelehnt.
Die Beschwerdebegründung, auf deren Prüfung das Beschwerdegericht nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, gebietet eine Änderung des erstinstanzlichen Beschlusses, soweit es den Hilfsantrag der Antragstellerin angeht. Die Antragstellerin hat einen Anspruch auf Neubescheidung ihres Antrags auf Zulassung zum Stoppelmarkt 2016 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts glaubhaft gemacht. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts erweist sich die ablehnende Entscheidung der Antragsgegnerin vom 22. März 2016 als rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten. Da die Sache jedoch nicht spruchreif ist, hat die Antragstellerin keinen Anspruch auf Zulassung zum Stoppelmarkt, sondern lediglich auf Neubescheidung ihres Begehrens.
Zunächst kann die Antragstellerin allerdings nicht mit ihrem Beschwerdevorbringen durchdringen, die ablehnende Entscheidung vom 22. März 2016 sei bereits formell rechtswidrig, da die Anforderungen an die Begründung ablehnender Bescheide im Auswahlverfahren bei der Marktzulassung nicht erfüllt würden. Unabhängig davon, ob der Bescheid vom 22. März 2016 den in der Rechtsprechung des Senats aufgestellten formellen Voraussetzungen genügt (vgl. Beschluss des Senats vom 11.08.2015 - 7 ME 58/15 -, juris; Beschluss des Senats vom 07.10.2013 - 7 ME 55/13 -, n. v.), ist dieser Fehler gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG unbeachtlich, da die erforderliche Begründung nachträglich gegeben worden ist.
Die ablehnende Entscheidung ist jedoch aller Voraussicht nach materiell rechtswidrig. Die Auswahlentscheidung zulasten der Antragstellerin entspricht nicht den Voraussetzungen des § 70 Abs. 3 GewO. Danach kann der Veranstalter aus sachlich gerechtfertigten Gründen, insbesondere wenn der zur Verfügung stehende Platz nicht ausreicht, einzelne Aussteller, Anbieter oder Besucher von der Teilnahme ausschließen. Insofern steht es grundsätzlich in seinem gerichtlich nur beschränkt nachprüfbaren Ermessen, nach welchem System er die erforderliche Auswahlentscheidung zwischen mehreren Anbietern trifft. Dieses Verteilungsermessen unterliegt neben den jede Ermessensentscheidung bindenden Grundsätzen vor allem den sich aus den Grundsätzen der Marktfreiheit ergebenden Schranken, da der in § 70 Abs. 1 GewO niedergelegte Grundsatz der Marktfreiheit durch die Ermessensregelung in dessen Abs. 3 nur modifiziert, nicht aber aufgehoben werden sollte (vgl. Urteil des Senats vom 16.05.2012 - 7 LB 52/11 -, GewArch 2012, 403). Der Gestaltungsspielraum des Veranstalters bezieht sich insbesondere auch auf die Platzkonzeption bezüglich der räumlichen und branchenmäßigen Aufteilung des verfügbaren Raumes und im Fall eines bestehenden Überhangs an Bewerbern auf die Kriterien für das Auswahlverfahren (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 01.10.2009 - 6 S 99/09 -, juris). Das Verwaltungsgericht hat insoweit zu Recht ausgeführt, dass ein für alle Bewerber einheitliches, vorher festgelegtes Verfahren eingehalten werden muss. Die Kriterien, von denen sich eine Behörde leiten lässt, als auch das konkrete Auswahlverfahren und die Auswahlentscheidung selbst müssen für alle Bewerber transparent und nachvollziehbar sein (vgl. Bayerischer VGH, Urteil vom 22.07.2015 - 22 B 15.620 -, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24.07.2015 - 4 B 709/15 -, juris). Die Kriterien für die Auswahl und ihr Verhältnis zueinander müssen jedenfalls vor der Entscheidung festgelegt sein, um eine einheitliche Anwendung gegenüber sämtlichen Bewerbern nachvollziehbar und damit auch im Hinblick auf die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes justiziabel zu machen. Gerade weil der Rechtsschutz nicht durch eine umfassende gerichtliche Kontrolle der Anwendung der Auswahlkriterien sichergestellt werden kann, sondern nur durch die Kontrolle der Ausfüllung von Spielräumen, kommt der Transparenz des Auswahlverfahrens entscheidende Bedeutung zu (vgl. Bayerischer VGH, Urteil vom 22.07.2015, a. a. O.).
An einer solchen sachgerechten Platz- und Gesamtkonzeption fehlt es vorliegend. Die Kriterien, von denen sich die Antragsgegnerin bei ihrer Auswahlentscheidung leiten lässt, sind nicht transparent und nachvollziehbar. Die Antragstellerin rügt mit ihrer Beschwerdebegründung zu Recht die fehlende Transparenz und Unbestimmtheit der Unterkategorie „Jugendzelt“. Die von der Antragsgegnerin vorgenommene Bildung dieser Unterkategorie ist - entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts - unwirksam.
Zunächst ist festzuhalten, dass die Vergaberichtlinien der Antragsgegnerin über die Zulassung zum Stoppelmarkt (Stand: 09.12.2013) den Begriff „Jugendzelt“ nicht enthalten. Die Vollzugshinweise zu den Vergaberichtlinien der Antragsgegnerin über die Zulassung zum Stoppelmarkt 2016 (Stand: 30.09.2015) sehen die Unterkategorie „Wirtschaftszelt (ab 250 m²), Jugendzelt“ zwar vor, ebenso das Veranstaltungskonzept zum Stoppelmarkt 2016 (Stand: 07.10.2015). Allerdings finden sich dort keinerlei Kriterien oder eine nähere Definition für den Begriff „Jugendzelt“, die für alle potenziellen Bewerber transparent wäre und die eine einheitliche Anwendung gegenüber allen Bewerbern sicherstellen würde. Dass der Begriff „Jugendzelt“ unterschiedlichen Auslegungen zugänglich ist, zeigt nicht zuletzt der vorliegende Rechtsstreit.
Die Antragsgegnerin hat im gerichtlichen Verfahren vorgetragen - und das Verwaltungsgericht hat dies für ausreichend erachtet -, dass der Begriff „Jugendzelt“ sehr weit verbreitet sei und sich die Unterscheidung zu den anderen Unterkategorien anhand der Kriterien: Alter des angestrebten Zielpublikums (16- bis 22-Jährige), Alter des tatsächlichen hauptsächlichen Publikums, Musikangebot, Getränkeangebot sowie innere und äußere Gestaltung vornehmen lasse. Das Abstellen auf diese Kriterien sichert jedoch keine einheitliche und nachvollziehbare Anwendung gegenüber allen Bewerbern, die einer gerichtlichen Nachprüfung zugänglich wäre, sondern öffnet einer selektiven, wenn nicht gar beliebigen Vorgehensweise der Antragsgegnerin die Tür. Dies zeigt der vorliegende Rechtsstreit eindrücklich. Betrachtet man die Bewerbungsunterlagen derjenigen Bewerber, die die Antragsgegnerin in die Unterkategorie „Jugendzelt“ eingeordnet hat, erschließt sich - jedenfalls zu Teilen - weder deren Einordnung in die Unterkategorie „Jugendzelt“, noch der Umstand, dass die Antragstellerin diesen nicht gleichgestellt wurde. Folgende Beispiele seien genannt:
- In der Bewerbung der Fa. D. („E.“), die von der Antragsgegnerin in die Unterkategorie „Jugendzelt“ eingeordnet wurde, findet sich die Zielgruppen-Altersangabe „Bis ca. 23 Uhr: Ü30 bis Ü50, danach übergehend zu Ü20, um die 18 bis 35 Jahre“. Der Antragstellerin hingegen wird vorgehalten, dass sie mit der von ihr genannten Zielgruppe der 22- bis 35-jährigen männlichen und weiblichen Besucher des Stoppelmarkts ein anderes Zielpublikum als jugendliche Besucher anspreche und daher nicht in die Unterkategorie „Jugendzelt“ einzuordnen sei.
- In der Bewerbung von „F.“ wird unter anderem auf die Zielgruppe „Vereine und Firmen“ abgestellt. Auch dies spricht eher gegen ein jugendliches Publikum.
- Die Bewerbung für „G.“ wirbt unter anderem mit friedlichen Gästen, weshalb auch keine Security gebraucht werde. Am Sonntag und Dienstag seien die ruhigen (musikfreien) Tage im Zelt, diese würden sehr gut angenommen, da die Gäste sich im Zelt gut unterhalten könnten und wollten. Als Beitrag zur Familienfreundlichkeit gebe es eine Happy Hour am Donnerstag, Freitag, Samstag, Sonntag und Dienstag. Diese familienbezogenen Aspekte sprechen eher weniger für ein im Schwerpunkt jugendliches Publikum.
- Die Bewerbung „H.“ preist die Traditionen an. Das traditionelle Bierzelt sei mit seinen massiven Holzfronten in seiner Außendarstellung bewusst behutsam weiterentwickelt worden. Dieser Zeltbereich, ausgestattet mit hellen rustikalen Holz-Innenwänden, werde nur hintergründig beschallt und lade mit seinen Sitzgelegenheiten sowie fest installierten Massivholz-Stehtischen zum entspannten Genießen von Bier, Cocktails, Longdrinks sowie nachmittags auch von Kaffee und selbstgebackenem Kuchen ein. Bis dato verfüge keines der Festzelte auf dem Stoppelmarkt über eine aufwändigere und so detailverliebte Dekoration und Deko-Beleuchtung wie „Brackmann“. Jedenfalls diese Beschreibungen haben wohl nicht das Zielpublikum der 16- bis 22-jährigen Besucher des Stoppelmarkts im Blick.
- Die Antragstellerin ihrerseits wirbt damit, dass national und international bekannte männliche und weibliche DJ’s aus der Rock, Pop, Black, Charts oder House Musik Szene Garant dafür seien, dass in aller Manier, nach dem Wunsch der Gäste, „gerockt“ werden könne. Dieses Musikangebot richtet sich - jedenfalls auch - an ein jugendliches Publikum. Gleiches gilt wohl für das Getränkeangebot der Antragstellerin.
- Dass sich die den Bewerbungsunterlagen beigefügten Fotos hinsichtlich der Altersstruktur der abgebildeten Gäste dahingehend unterscheiden ließen, dass im Zelt der Antragstellerin - hauptsächlich - kein jugendliches Publikum und in den Zelten der anderen Bewerber hingegen - hauptsächlich - jugendliches Publikum im Sinne der Definition der Antragsgegnerin vertreten ist, vermag der Senat nicht zu erkennen. Die Fotos sind insoweit nicht aussagekräftig.
Soweit das Verwaltungsgericht davon ausgeht, dass die Ausgestaltung der Bewerbungsunterlagen der Bewerber in der Unterkategorie „Jugendzelt“ für den Stoppelmarkt 2016 nicht zu einer anderen Beurteilung führe, da ihnen gegenüber der „jahrzehntelangen Verwaltungspraxis“ der Antragsgegnerin schon keine ausreichende Aussagekraft zukomme, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Die konkrete Behandlung der eingereichten Bewerbungsunterlagen durch die Antragsgegnerin zeigt die fehlende Nachvollziehbarkeit und Transparenz der Auswahlentscheidung aufgrund des unbestimmten Kriteriums „Jugendzelt“ auf. Soweit die Antragsgegnerin darauf hinweist, dass sie bei der Eingruppierung nicht nur auf die eingereichten Bewerbungsunterlagen abstellen könne und müsse, sondern auch auf das „umfangreich vorhandene Verwaltungswissen, erworben durch viele Stoppelmarktveranstaltungen der letzten Jahre und Jahrzehnte“, muss diesem die fehlende Transparenz des Auswahlverfahrens entgegengehalten werden.
Erweist sich die getroffene Auswahlentscheidung der Antragsgegnerin danach als fehlerhaft, steht der Antragstellerin ein Anspruch auf Neubescheidung ihres Antrags auf Zulassung zum Stoppelmarkt 2016 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu. Einen weitergehenden Anspruch auf Zulassung zum Stoppelmarkt 2016 hat sie hingegen nicht, da die Sache nicht spruchreif ist. Die Unwirksamkeit der Unterkategorie „Jugendzelt“ führt dazu, dass die darin eingeordneten Bewerber einer anderen Unterkategorie zuzuordnen sind. Die konkrete Zuordnung obliegt allerdings der Beurteilung der Antragsgegnerin. Die Antragsgegnerin weist zu Recht darauf hin, dass bei einem Wegfall der Unterkategorie „Jugendzelt“ die darin eingeordneten Bewerber nicht einfach in die anderen Kategorien mit den bisherigen Punktzahlen übertragen werden können. Vielmehr sind die Punktezahlen gegebenenfalls mit Blick auf die konkrete Unterkategorie zu korrigieren.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 1 Satz 1, 154 Abs. 3 VwGO. Hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen beruht die Entscheidung auf § 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen im Beschwerdeverfahren sind nicht erstattungsfähig, weil sie sich vor dem Oberverwaltungsgericht nicht durch eine eigene Antragstellung einem Kostenrisiko ausgesetzt hat.