Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 12.04.2000, Az.: 4 L 161/00
Hilfe zur Pflege; Pflegeaufwand; Pflegebedarf; Pflegebedürftigkeit; Pflegegeld; Sozialhilfe; Zeitaufwand
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 12.04.2000
- Aktenzeichen
- 4 L 161/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2000, 42088
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 18.05.1999 - AZ: 3 A 291/97
Rechtsgrundlagen
- § 68 BSHG
- § 69a BSHG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Bei der Feststellung des Umfangs der Pflegebedürftigkeit sind die Begleitung bei Arztbesuchen, wenn diese regelmäßig mindestens einmal in der Woche stattfinden, und Wartezeiten, wenn die Pflegeperson in dieser Zeit einer anderen sinnvollen Tätigkeit nicht nachgehen kann, sowie die Begleitung bei Spaziergängen zu berücksichtigen, wenn diese wegen der Art der Krankheit oder Behinderung medizinisch geboten sind.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Höhe des dem Kläger zu gewährenden Pflegegeldes.
Der Kläger ist am 2. März 1947 in der Ukraine geboren. Zusammen mit seiner Ehefrau reiste er im Jahre 1995 in die Bundesrepublik Deutschland ein und erhielt hier als Kontingentflüchtling eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Seit 1996 lebt er in H. und erhält seitdem ebenso wie seine Ehefrau von der Beklagten laufende Hilfe zum Lebensunterhalt. Er ist nicht kranken- und pflegeversichert.
Im Dezember 1995 musste dem Kläger, der bereits einen Herzinfarkt erlitten hatte, wegen eines Infektes, der als Folge eines langjährigen insulinpflichtigen Diabetes mellitus mit Angiopathie entstanden war, der linke Oberschenkel amputiert werden. Er ist mit einer Oberschenkelprothese versorgt. Der Kläger leidet zudem unter einer Sehbehinderung des linken Auges. Vom Versorgungsamt H ist er inzwischen als Schwerbehinderter anerkannt (GdB: 100).
Auf Antrag des Klägers gewährte die Beklagte ihm ab 14. Juni 1996 Pflegegeld gemäß § 69 a Abs. 1 BSHG in Höhe von 400,-- DM (Pflegestufe I), wobei sie das Pflegegeld für die Zeit des Einsatzes eines Pflegedienstes in der Zeit bis Ende September 1996 kürzte. Seit dem 1. Oktober 1996 erhält der Kläger, der seither allein von seiner Ehefrau gepflegt wird, das volle Pflegegeld in Höhe von 400,-- DM.
Den Widerspruch des Klägers, mit dem dieser einen täglichen Pflegeaufwand von mindestens 3,5 bis 4 Stunden geltend machte und ein Pflegegeld der Stufe II in Höhe von 800,-- DM monatlich begehrte, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17. Dezember 1996 zurück.
Mit der bei dem Verwaltungsgericht erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Das Verwaltungsgericht hat durch Einholung eines Gutachtens Beweis darüber erhoben, ob der Kläger die Voraussetzungen für die Pflegestufe II erfüllt. Gestützt auf das Gutachten der Pflegefachkraft T. vom 28. November 1998 hat das Verwaltungsgericht die Klage mit Urteil vom 18. Mai 1999 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Die Klage sei nicht begründet. Der Kläger habe nicht Anspruch auf Pflegegeld nach § 69 a Abs. 2 BSHG.
Schwerpflegebedürftigkeit liege vor bei Pflegebedürftigen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für mehrere Verrichtungen mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedürften und zusätzlich mehrfach in der Woche bei der hauswirtschaftlichen Versorgung Hilfe benötigten. Es sei unstreitig, dass der Kläger Hilfe bei der Körperpflege und der Mobilität sowie bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötige. Der Umfang der erforderlichen Hilfe erreiche jedoch in zeitlicher Hinsicht nicht den Umfang, der für die Annahme für Schwerpflegebedürftigkeit erfüllt sein müsse. Das wäre nämlich nur dann der Fall, wenn die erforderlichen Hilfestellungen im Tagesdurchschnitt mindestens drei Stunden bei einem eindeutigen Übergewicht des pflegerischen gegenüber dem hauswirtschaftlichen Aufwand erfordert hätten.
Zwar habe der Gesetzgeber diese zeitliche Dimension nicht in § 69 a Abs. 2 BSHG mit aufgenommen. Nach § 68 Abs. 6 BSHG fänden jedoch für die nähere Bestimmung des Begriffs der Pflegebedürftigkeit und zur Abgrenzung der Pflegegelder nach § 69 a BSHG die Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen nach § 17 SGB XI entsprechende Anwendung. Nach diesen sogenannten Pflegebedürftigkeitsrichtlinien (PflRi) vom 7. November 1994 (NDV 1995, 34 ff.) müsse der wöchentliche Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger, Nachbar oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für alle für die Versorgung des Pflegebedürftigen nach Art und Schwere seiner Pflegebedürftigkeit erforderlichen Leistungen der Grundpflege, hauswirtschaftlichen Versorgung und pflegeunterstützenden Maßnahmen benötige, im Tagesdurchschnitt mindestens drei Stunden betragen, wobei der pflegerische Aufwand gegenüber dem hauswirtschaftlichen Aufwand eindeutig das Übergewicht haben müsse. Damit sei ein zeitlicher Mindestaufwand verbindlich definiert, ohne den zumindest im Regelfall Schwerpflegebedürftigkeit im Sinne des § 69 a Abs. 2 BSHG nicht vorliege.
Der Kläger sei, gemessen an diesen Maßstäben, im hier maßgeblichen Zeitraum nicht schwerpflegebedürftig gewesen. Dies habe bereits die im Laufe des Klageverfahrens eingeholte Stellungnahme des Amtsärztlichen Dienstes der Beklagten vom 25. November 1997 ergeben, wonach der zeitliche Umfang des Pflegebedarfs täglich maximal 90 Minuten betrage. Die vom Gericht mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragte Pflegefachkraft T. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Niedersachsen sei in ihrem Gutachten vom 28. November 1998 zu dem Ergebnis gekommen, dass der notwendige Hilfebedarf des Klägers im Bereich der Körperpflege und der Mobilität bei 70 Minuten pro Tag liege, der notwendige Hilfebedarf im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung bei mehr als 60 Minuten pro Tag. Bedenken gegen die Würdigung des Pflegebedarfs durch die Gutachterin bestünden nicht. Darauf, dass der Kläger selbst seine Pflegebedürftigkeit höher einschätze und seine Ehefrau tatsächlich einen höheren zeitlichen Aufwand dafür erbringe, könne es nicht ankommen. Maßgeblich seien lediglich die erforderlichen Leistungen der Grundpflege, zu denen weder die Hilfen beim Verabreichen der Insulinspritzen noch Hilfestellungen bei Spaziergängen gehörten.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner von dem erkennenden Senat mit Beschluss vom 12. Januar 2000 -- 4 L 2860/99 -- zugelassenen Berufung. Er trägt vor: Die Gutachterin des Verwaltungsgerichts sei bereits von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen. Sie habe bei der Begutachtung im November 1998 nicht berücksichtigt, dass er, der Kläger, bis Dezember 1997 in einer anderen Wohnung gewohnt habe, die in pflegerischer Hinsicht wesentlich ungünstiger gewesen sei (Lage im 2. Stockwerk, Fehlen eines Aufzugs von der Wohnetage bis in den Keller).
Die Gutachterin habe ferner nicht berücksichtigt, dass er bei Arztbesuchen auf Hilfe angewiesen sei. Er könne die Treppen zu den Arztpraxen nicht ohne Hilfe bewältigen. Im maßgeblichen Zeitpunkt hätten er und seine Ehefrau auch nicht über ein Auto verfügt; im übrigen könne er wegen der Blindheit auf einem Auge auch nicht allein mit dem Auto fahren. Der für die Arztbesuche erforderliche Pflegebedarf habe im maßgeblichen Zeitpunkt im Tagesdurchschnitt etwa 42 Minuten betragen. Schließlich habe die Gutachterin den zeitlichen Umfang der notwendigen Hilfeleistungen zum Teil zu gering angesetzt, insbesondere auch die gemäß dem ärztlichen Attest des Dr. med. von R. vom 4. April 2000 aus medizinischer Sicht notwendigen täglichen Spaziergänge nicht angerechnet.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts zu ändern, die Beklagte zu verpflichten, ihm für die Zeit vom 14. Juni bis 17.Dezember 1996 Pflegegeld nach § 69 a Abs. 2 BSHG zu gewähren und den Bescheid der Beklagten vom 7. November 1995 und ihren Widerspruchsbescheid vom 17. Dezember 1996 aufzuheben, soweit sie dem entgegenstehen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angegriffene Urteil.
Der Senat hat über den Umfang der Pflegebedürftigkeit des Klägers Beweis erhoben durch Vernehmung seiner Ehefrau, Frau T. B., als Zeugin. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 12. April 2000 Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts, des Vorbringens der Beteiligten und der Gründe des Urteils des Verwaltungsgerichts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers ist begründet. Er hat für die Zeit vom 14. Juni bis 17. Dezember 1996 einen Anspruch auf die Gewährung von Hilfe zur Pflege unter Berücksichtigung eines Pflegegeldes von 800,-- DM (Pflegestufe II).
Hinsichtlich der rechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung eines Pflegegeldes der Pflegestufe II (§ 69 a Abs. 2 BSHG) verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts in dem angefochtenen Urteil und wiederholt diese nicht (§ 130 b Satz 1 VwGO). Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts erforderten die notwendigen Leistungen der Grundpflege, hauswirtschaftlichen Versorgung und pflegeunterstützenden Maßnahmen aber in dem hier maßgeblichen Zeitraum im Tagesdurchschnitt mindestens drei Stunden bei eindeutigem Überwiegen des pflegerischen Aufwandes gegenüber dem hauswirtschaftlichen Aufwand. Das ergibt sich daraus, dass zusätzlich zu dem von dem Verwaltungsgericht berücksichtigten Aufwand auch die Erschwernisse durch die im Jahre 1996 noch ungünstigere Wohnsituation des Klägers, der Betreuungsaufwand für Arztbesuche und die Betreuung bei Spaziergängen in den Pflegeaufwand mit einzurechnen sind.
a) Zur Wohnsituation:
Der Kläger hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die von dem Verwaltungsgericht beauftragte Gutachterin bei der Erstellung ihres Gutachtens im November 1998 die zu dieser Zeit aktuelle Wohnsituation des Klägers zugrunde gelegt hat -- offenbar in Unkenntnis dessen, dass der Kläger und seine Ehefrau erst im Dezember 1997 in diese Wohnung eingezogen waren und es hier maßgeblich auf die Lebenssituation des Klägers im 2. Halbjahr des Jahres 1996 ankommt --. Wie der Kläger unwidersprochen vorträgt, haben er und seine Ehefrau damals in einer Wohnung im 2. Stockwerk gewohnt. Über einen Aufzug hat das Haus nicht verfügt. Die Frau des Klägers hat bei ihrer Vernehmung als Zeugin glaubhaft dargelegt, dass sie dem Kläger regelmäßig dabei hat helfen müssen, die Treppen hinauf- und hinunterzugehen. Auch den Rollstuhl hat sie stets über die Treppe tragen müssen. Da der Kläger wegen seiner Behinderung das Treppensteigen nur sehr langsam und mit wiederholten Pausen hat bewältigen können, hat nach ihren Angaben das Treppensteigen und das Transportieren des Rollstuhls jeweils 10 bis 15 Minuten gedauert. Die insoweit von der Ehefrau geleistete Hilfe gehört unstreitig zum pflegerischen Bedarf des Klägers. Sie ist deshalb zusätzlich zu dem von dem Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegten Pflegebedarf zu berücksichtigen.
b) Zu den Arztbesuchen:
Die Zeiten, während derer eine Begleitung und Betreuung des Klägers bei den Arztbesuchen erforderlich war, sind ebenfalls bedarfserhöhend zu berücksichtigen. Im Bereich der Mobilität gehören nach Ziff. 3.4.1 PflRi zu den zu berücksichtigenden Hilfeleistungen u. a. Hilfen beim Treppensteigen (Nr. 14) und beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung (Nr. 15). Erläuternd bestimmen die PflRi unter Ziff. 3.4.2:
"Unter Gehen ist das Bewegen im Zusammenhang mit den Verrichtungen im Bereich der Körperpflege, der Ernährung und der hauswirtschaftlichen Versorgung zu verstehen. Aufstehen und Treppensteigen (lfd. Nr. 13 und 14) kommen nur im Zusammenhang mit diesen Verrichtungen in Betracht.
Beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung (lfd. Nr. 15) sind nur solche Verrichtungen außerhalb der Wohnung bei der Begutachtung zu berücksichtigen, die für die Aufrechterhaltung der Lebensführung zu Hause unumgänglich sind und das persönliche Erscheinen des Pflegebedürftigen erfordern. Weiterer Hilfebedarf, z. B. bei Spaziergängen oder Besuch von kulturellen Veranstaltungen, bleibt unberücksichtigt."
Soweit der Pflegebedürftige die Wohnung für Arztbesuche notwendigerweise verlassen muss, sind die beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung erforderlichen Hilfeleistungen danach jedenfalls berücksichtigungsfähig. Bei solchen Anlässen erforderliche Hilfeleistungen, die anfallen, sobald der Pflegebedürftige sich außerhalb seines Hauses/Grundstücks befindet, sind ebenfalls berücksichtigungsfähig. Zu dem Umfang, in dem sie zu berücksichtigen sind, hat das Bundessozialgericht zu einer gleichartigen Problematik bei der Anwendung des § 14 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI ausgeführt (Urt. v. 29. April 1999 -- B 3 P 7/98 R -- < RdLH 1999, 163>):
"... Nur die notwendige Begleitung der Klägerin auf dem Hin- und Rückweg, nicht aber die Wartezeit der Mutter in der Praxis hat das LSG dem Pflegebedarf zugerechnet. Das entspricht zwar den BRi < Begutachtungsrichtlinien> (Abschn. D Teil 5.3 Ziff. 15). Der Senat hat aber bereits entschieden, dass die Ausklammerung notwendiger Wartezeiten der Pflegeperson bei außerhäuslichen Verrichtungen rechtswidrig ist, wenn die Pflegeperson während dieser Zeit keiner anderen sinnvollen Tätigkeit, die auch ohne die Wartezeit zu erledigen wäre, nachgehen kann (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 6). ...
Zwar sind Besuche beim Arzt und beim Krankengymnasten Verrichtungen, die "für die Aufrechterhaltung der Lebensführung zu Hause unumgänglich sind und das persönliche Erscheinen des Pflegebedürftigen notwendig machen" und deshalb bei der Verrichtung des Verlassens und Wiederaufsuchens der Wohnung grundsätzlich zu berücksichtigen sind (BR-Drucks. 505/93, S. 97). Dies gilt aber nicht uneingeschränkt. Verrichtungen, die seltener als regelmäßig mindestens einmal pro Woche anfallen, zählen nicht zum berücksichtigungsfähigen Pflegeaufwand. Das Gesetz stellt in § 15 Abs. 3 SGB XI mit hinreichender Deutlichkeit klar, dass bei der Ermittlung des für die Pflege erforderlichen Zeitaufwandes auf die Woche abzustellen ist. Aus dem gesamten in einer Woche anfallenden Pflegeaufwand ist der Tagesdurchschnitt zu ermitteln. Dies schließt es aus, bei der Feststellung des zeitlichen Pflegebedarfs auch Verrichtungen einzubeziehen, die seltener als regelmäßig mindestens einmal wöchentlich anfallen. ..."
Eine ähnliche Erwägung findet sich in den "Empfehlungen der Spitzenverbände der Pflegekassen für ein System zur Vergütung von Leistungen der häuslichen Pflege nach dem SGB XI" (Stand: 08.11.1996), wo es zum Leistungskomplex 15 (Begleitung bei Aktivitäten -- Grundpflege --) heißt: "Es ist zu gewährleisten, dass der Pflegebedürftige unter ständiger Betreuung der Begleitperson steht. Das gilt auch für eventuelle Wartezeiten in Arztpraxen oder Behörden."
Wegen der Gleichartigkeit der Sachverhalte können diese Kriterien (Notwendigkeit der Begleitung, notwendiger zeitlicher Umfang der Begleitung, Häufigkeit und Regelmäßigkeit des Anlasses) nach Auffassung des Senats ohne weiteres auf die Pflege nach dem BSHG übertragen werden. Aufgrund der Vernehmung der Ehefrau des Klägers als Zeugin steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger in dem maßgeblichen Zeitraum im 2. Halbjahr 1996 regelmäßig etwa drei- bis viermal in der Woche einen Arzt aufgesucht hat (u. a. Arzt für Allgemeinmedizin, Augenarzt, Kardiologe sowie ambulante Behandlung im Krankenhaus). Alle Arztpraxen befanden sich so weit von der Wohnung des Klägers und seiner Ehefrau entfernt, dass für die Bewältigung der Wege Busse oder U-Bahnen in Anspruch genommen werden mussten. Der zeitliche Aufwand der Untersuchungen bzw. Behandlungen betrug bis zu 3 oder 4 Stunden (z. B. beim Kardiologen). Der Kläger war für die Bewältigung der Wege zu den Arztpraxen und zurück nach Hause auf die Unterstützung seiner Ehefrau angewiesen. Sie ist auch während der Untersuchungen und Behandlungen anwesend geblieben und hat ihm beim An- und Ausziehen oder beim Hinlegen und Wiederaufstehen geholfen. Nach dem Gesamtbild der Behinderung des Klägers hält der Senat es für glaubhaft, dass der Kläger auf eine solche Unterstützung angewiesen war. Seine Ehefrau als Pflegeperson konnte deshalb die Wege-, Warte- und Behandlungszeiten auch nicht in irgendeiner Form anderweitig nutzen. Damit entsprachen die Zeiten der Arztbesuche des Klägers auch den Zeiten der notwendigen Begleitung durch seine Ehefrau und sind bei der Bestimmung des gesamten pflegerischen Aufwandes zu berücksichtigen.
c) Zu den Spaziergängen:
Hilfestellung bei Spaziergängen kann entsprechend den Pflegerichtlinien regelmäßig nicht als pflegerischer Bedarf berücksichtigt werden. Hierzu hat der Senat in seinem Urteil vom 29. April 1998 (4 L 5876/96, FEVS Bd. 49 S. 175) ausgeführt, dass zwar grundsätzlich nur solche Hilfen im Bereich der Mobilität der pflegebedürftigen Person im Sinne des § 69 a Abs. 2 BSHG erforderlich seien, die im Zusammenhang mit den sonstigen Verrichtungen des täglichen Lebens stünden und die demgemäß regelmäßig innerhalb der Wohnung stattfänden, dass Ausnahmen aber in dem Maße zulässig seien, in dem die (weitere) Bewegung wegen der jeweiligen Behinderung (medizinisch) geboten sei. Hieran hält der Senat fest. Der Kläger hat hierzu ein ärztliches Attest des Dr. med. von R. vom 4. April 2000 vorgelegt, in dem es heißt: "Im Rahmen des Diabetes mellitus, der bei Herrn B. seit langen Jahren bekannt ist, besteht neben anderen schwerwiegenden Komplikationen eine periphere arterielle Durchblutungsstörung am verbliebenen rechten Bein. Hieraus ergibt sich die medizinische Indikation zu täglichen, längeren Spaziergängen (länger als 40 Minuten täglich), um die Durchblutung durch Gehtraining zu verbessern." Wie die Ehefrau des Klägers bei ihrer Vernehmung als Zeugin bekundet hat, hat sie den Kläger in dem hier maßgeblichen Zeitraum regelmäßig mit dem Rollstuhl in den Park gefahren. Dort hat sie ihm aus dem Rollstuhl geholfen. Er ist dann mit der Prothese gegangen, musste sich aber nach 5 bis höchstens 10 Minuten wieder ausruhen. Sie hat ihn beim Gehen unterstützt. Auf dem Rückweg hat sie ihn wieder im Rollstuhl geschoben. Diese Zeiten des aus medizinischer Sicht für den Kläger notwendigen "Spazierengehens" gehören unter diesen Umständen mit zum notwendigen Pflegebedarf.
Zusammengefasst (a, b und c) ergibt sich damit zusätzlich zu dem von dem Verwaltungsgericht festgestellten Hilfebedarf im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung von mehr als 60 Minuten täglich und im Bereich der Körperpflege und der Mobilität von 70 Minuten täglich ein weiterer pflegerischer Bedarf. Selbst wenn der Kläger nur einmal am Tag das Haus verlassen hat, ergab sich für die Hilfe beim Treppensteigen ein weiterer Bedarf von mindestens 20 Minuten täglich. Für die Hilfe auf den Wegen außerhalb des Hauses zum Arzt und zurück und die Hilfeleistungen in der Praxis -- durchschnittlich jedenfalls einmal werktäglich -- ist ein täglicher Zeitaufwand von nicht unter einer Stunde anzusetzen. Das Gleiche gilt für die medizinisch notwendigen Spaziergänge (40 Minuten zuzüglich Wegezeiten für Hin- und Rückweg zum/vom Park). Damit ergibt sich ein weiterer regelmäßiger täglicher Pflegebedarf des Klägers von mindestens 60 Minuten täglich, so dass er Anspruch auf Pflegegeld der Stufe II (bei mindestens 180 Minuten Pflege täglich), also in Höhe von 800,-- DM monatlich hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10,711 ZPO.
Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.